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Wladimir I. Lenin 19180430 Thesen über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht

Wladimir I. Lenin: Thesen über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht

[Abgefasst in der Zeit vom 30. April - 3. Mai 1918 Veröffentlicht in der Broschüre „N. Lenin. Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht", 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 573-576]

1. Die internationale Lage der Sowjetrepublik ist außerordentlich schwer und kritisch, denn die tiefsten und grundlegendsten Interessen des internationalen Kapitals und des Imperialismus treiben nicht nur zu einem militärischen Überfall auf Russland, sondern auch zur Verständigung über die Aufteilung Russlands und die Erdrosselung der Sowjetmacht.

Nur die Verschärfung des imperialistischen Gemetzels der Völker im Westen Europas und die imperialistische Rivalität zwischen Japan und Amerika im Fernen Osten paralysieren oder hemmen diese Bestrebungen, und zwar nur zum Teil und nur für eine bestimmte, wahrscheinlich kurze Zeit.

Deshalb muss die Taktik der Sowjetrepublik unbedingt darin bestehen, einerseits alle Kräfte aufs Äußerste anzuspannen, um einen möglichst raschen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes herbeizuführen, seine Wehrkraft zu steigern und eine mächtige sozialistische Armee zu schaffen; andererseits muss die Taktik auf dem Gebiet der internationalen Politik im Lavieren, Zurückziehen, Abwarten bestehen, bis zu dem Augenblick, wo die internationale proletarische Revolution endgültig ausreift, die jetzt schneller als früher in einer ganzen Reihe fortgeschrittener Länder heranreift.

2. Auf dem Gebiet der inneren Politik tritt im gegenwärtigen Moment, gemäß der Resolution des Allrussischen Rätekongresses vom 16. März 1918, die organisatorische Aufgabe auf die Tagesordnung. Gerade diese Aufgabe, in Anwendung auf die neue und die höchste Organisation der Produktion und der Verteilung der Produkte auf der Grundlage der gesellschaftlichen maschinellen (Arbeit) Großproduktion, ist der Hauptinhalt und die Hauptbedingung des völligen Sieges der sozialistischen Revolution, die in Russland am 7. November (25. Oktober) 1917 begonnen hat.

3. Vom rein politischen Standpunkt ist die Hauptsache in diesem Augenblick, dass die Aufgabe, das werktätige Russland, von der Richtigkeit des Programms der sozialistischen Revolution, zu überzeugen, Russland den Ausbeutern zu entreißen und für die Werktätigen zu erobern, im Großen und Ganzen gelöst ist und dass als Hauptaufgabe die Frage, wie man Russland verwalten solle, auf die Tagesordnung tritt. Der Aufbau einer richtigen Verwaltung, die konsequente Durchführung der Beschlüsse der Sowjetmacht, – das ist die dringendste Aufgabe der Sowjets, das ist die Voraussetzung für den völligen Sieg des Sowjetstaates. Es genügt nicht, diesen Staatstypus formell zu dekretieren, es genügt nicht, ihn in allen Gebieten des Landes einzuführen, man muss ihn auch praktisch organisieren und in der regelmäßigen„ tagtäglichen Arbeit der Verwaltung erproben.

4. Auf dem Gebiet des wirtschaftlichen Aufbaus des Sozialismus ist jetzt das Entscheidende, dass unsere Arbeit zur Organisierung einer allgemeinen und allumfassenden Rechnungslegung und Kontrolle über die Produktion und die Verteilung der Produkte und zur Einführung einer proletarischen Regulierung der Produktion stark zurückgeblieben ist hinter der Arbeit der unmittelbaren Expropriation der Expropriateure, der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Das ist die grundlegende Tatsache, die unsere Aufgaben bestimmt.

Aus ihr ergibt sich einerseits, dass der Kampf gegen die Bourgeoisie in eine neue Phase eintritt, nämlich: zum Schwerpunkt wird die Organisierung der Kontrolle und der Rechnungslegung. Nur auf diesem Wege können alle jene wirtschaftlichen Errungenschaften gegen das Kapital und alle jene Maßnahmen zur Nationalisierung der einzelnen Zweige der Volkswirtschaft verankert werden, die wir seit dem Oktober erreicht haben, nur auf diesem Wege kann eine erfolgreiche Beendigung des Kampfes gegen die Bourgeoisie, d. h. die völlige Konsolidierung des Sozialismus vorbereitet werden.

Aus dieser grundlegenden Tatsache ergibt sich andererseits die Erklärung dafür, warum die Sowjetmacht in gewissen Fällen einen Schritt zurück tun oder ein Kompromiss mit bürgerlichen Tendenzen eingehen musste. Ein solcher Schritt zurück und eine Abweichung von den Prinzipien der Pariser Kommune war z. B. die Einführung der hohen Gehälter für eine Reihe von bürgerlichen Fachleuten. Ein solcher Kompromiss war das Abkommen mit den bürgerlichen Genossenschaften über Schritte und Maßnahmen zur allmählichen Erfassung der gesamten Bevölkerung; durch die Genossenschaften. Solange die proletarische Staatsmacht nicht die allgemeine Kontrolle und Rechnungslegung vollkommen in Gang bringt, sind solche Kompromisse notwendig, und unsere Aufgabe besteht darin, ohne auch nur im Geringsten dem Volke ihre negativen Seiten zu verschweigen, die Kräfte zur Verbesserung der Rechnungslegung und Kontrolle anzuspannen, als des einzigen Mittels und Weges zur völligen Beseitigung aller solcher Kompromisse. Gegenwärtig sind solche Kompromisse notwendig, als die einzige (bei unserer Verspätung mit der Rechnungslegung und Kontrolle) Garantie für eine langsamere, aber auch sichere Vorwärtsentwicklung Wird die Rechnungslegung und die Kontrolle über die Produktion vollständig durchgeführt, dann wird die Notwendigkeit solcher Kompromisse fortfallen.

5. Auf die Tagesordnung treten insbesondere die Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsdisziplin und Arbeitsproduktivität. Die Maßnahmen, die bereits in dieser Richtung ergriffen worden sind, besonders von den Gewerkschaften, müssen mit allen Kräften unterstützt, gestärkt und gesteigert werden. Dazu gehört z. B. die Einführung des Akkordlohnes, die Anwendung von vielem, was an Wissenschaftlichem und Fortschrittlichem im Taylorsystem enthalten ist, die Anpassung des Arbeitslohns an die allgemeinen Ergebnisse der Arbeit der Fabrik bzw. an die Ergebnisse der Ausbeutung der Eisenbahnen und der Schifffahrt usw. Dazu gehört auch die Organisierung des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Produktions- und Konsumkommunen, die Auslese von Organisatoren usw.

6. Die Diktatur des Proletariats ist eine unbedingte Notwendigkeit beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, und in unserer Revolution hat diese Wahrheit ihre völlige praktische Bestätigung erhalten. Aber die Diktatur setzt eine wirklich starke und bei der Unterdrückung sowohl der Ausbeuter als auch der rabiaten Elemente unerbittliche revolutionäre Staatsgewalt voraus. Unsere Staatsgewalt ist jedoch zu mild. Die Unterordnung, und zwar die unbedingte Unterordnung während der Arbeit, unter die persönlichen Anordnungen der Leiter, der Diktatoren, die von den Sowjetinstitutionen gewählt oder ernannt werden, die diktatorische Vollmachten haben (wie das z. B. das Dekret über die Eisenbahnen verlangt), ist noch lange nicht genügend sichergestellt. Hier äußert sich der Einfluss der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit, der Zügellosigkeit der kleinbürgerlichen Gewohnheiten, Bestrebungen und Stimmungen, die im schärfsten Gegensatz stehen zur proletarischen Disziplin und zum Sozialismus. Alle klassenbewussten Elemente im Proletariat müssen sich auf den Kampf gegen diese kleinbürgerliche Zügellosigkeit einstellen, die nicht nur eine direkte Widerspiegelung findet (in der Unterstützung eines jeden Widerstandes gegen die proletarische Staatsmacht durch die Bourgeoisie und ihre Anhängsel: die Menschewiki, die rechten Sozialrevolutionäre usw.), sondern auch eine indirekte (in jenen historischen Schwankungen, die in den Hauptfragen der Politik sowohl die kleinbürgerliche Partei der linken Sozialrevolutionäre als auch die „neukommunistische" Strömung in unserer Partei an den Tag legt, die bis zu den Methoden des kleinbürgerlichen Radikalismus herabsinkt und die linken Sozialrevolutionäre kopiert).

Eiserne Disziplin und konsequenteste Durchführung der Diktatur des Proletariats gegen die kleinbürgerlichen Schwankungen, – das ist die allgemeine zusammenfassende Losung des Augenblicks.

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