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Wladimir I. Lenin 19171116 Ultimatum der Mehrheit des ZK der SDAPR (B) an die Minderheit

Wladimir I. Lenin: Ultimatum der Mehrheit des ZK der SDAPR (B) an die Minderheit1

[Abgefasst am 16. (3.) November 1917. Zum ersten Mal veröffentlicht in „Proletarskaja Revoluzija" Nr. 7, 1922. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 40-42]

Die Mehrheit des ZK der SDAPR (B), die die Politik des Rates der Volkskommissare bis zum gegenwärtigen Augenblick vollkommen gutheißt, hält es für notwendig, an die Minderheit des ZK folgende kategorische Erklärung zu richten.

Die Politik unserer Partei im gegenwärtigen Augenblick ist in der von Genossen Lenin vorgeschlagenen und gestern, am 15. (2.) November, vom ZK angenommenen Resolution festgelegt worden. Diese Resolution erklärt jeden Versuch, unsere Partei zum Verzicht auf die Macht zu zwingen, für einen Verrat an der Sache des Proletariats, nachdem der Allrussische Rätekongress diese Macht im Namen von Millionen Arbeitern, Soldaten und Bauern den Vertretern unserer Partei auf Grund unseres Programms übergeben hat. Diese Grundlinie unserer Taktik, die sich aus unserem ganzen Kampf gegen die Kompromisspolitik ergab, diese Grundlinie, von der wir uns beim Aufstand gegen die Kerenskiregierung leiten ließen, ist jetzt der revolutionäre Kern des Bolschewismus, wird vom ZK abermals gutgeheißen und ist für alle Parteimitglieder und in erster Linie für die Minderheit des ZK unbedingt obligatorisch.

Die Vertreter der Minderheit dagegen trieben bis zur gestrigen Sitzung des ZK und treiben auch nach dieser Sitzung eine Politik, die sich offen gegen die Grundlinie unserer Partei richtet, unsere eigenen Reihen demoralisiert und Schwankungen in einem Augenblick hervorruft, wo die größte Festigkeit und Standhaftigkeit notwendig ist.

So hat gestern in der Sitzung des Zentralexekutivkomitees die bolschewistische Fraktion unter direkter Teilnahme von Mitgliedern der Minderheit des ZK offen gegen einen Beschluss da ZK gestimmt (in der Frage der zahlenmäßigen und personellen Vertretung unserer Partei in der Regierung). Eine solche unerhörte Verletzung der Disziplin durch Mitglieder des ZK, hinter dem Rücken des ZK, nach stundenlangen Diskussionen im ZK, die durch dieselben Vertreter der Opposition hervorgerufen worden waren, zeigt uns ganz klar, dass die Opposition die Parteiinstitutionen mürbe machen will, indem sie die Arbeit der Partei in einem Moment sabotiert, wo von dem unmittelbaren Ausgang dieser Arbeit das Geschick der Partei, das Geschick der Revolution abhängt.

Für eine solche Lage der Dinge können und wollen wir nicht die Verantwortung übernehmen.

Indem wir uns mit dieser Erklärung an die Minderheit des ZK wenden, fordern wir in schriftlicher Form eine kategorische Antwort auf die Frage, ob die Minderheit sich verpflichtet, sich der Parteidisziplin zu fügen und die Politik durchzuführen, die in der vom ZK angenommenen Resolution des Genossen Lenin festgelegt worden ist.

Sollte eine ablehnende oder unbestimmte Antwort auf diese Frage erfolgen, so werden wir uns sofort an die Petersburger Parteileitung, an die Moskauer Parteileitung, an die bolschewistische Fraktion des Zentralexekutivkomitees, an die Petrograder Stadtkonferenz und an einen außerordentlichen Parteitag mit folgendem alternativen Antrag wenden:

Entweder muss die Partei die jetzige Opposition beauftragen, eine neue Regierung zusammen mit denjenigen ihrer Verbündeten zu bilden, im Namen derer die Opposition jetzt unsere Arbeit sabotiert – dann werden wir uns gegenüber dieser neuen Regierung, die außer Schwankungen, Ohnmacht und Chaos nichts bringen kann, für vollkommen frei von allen Verpflichtungen halten.

Oder – und daran zweifeln wir nicht – die Partei wird die einzig mögliche revolutionäre Politik, die in dem gestrigen Beschluss des ZK zum Ausdruck gekommen ist, gutheißen, und dann muss die Partei die Vertreter der Opposition in energischer Form ersuchen, ihre desorganisatorische Arbeit außerhalb unserer Parteiorganisation zu verlegen. Einen anderen Ausweg gibt es nicht und kann es nicht geben. Selbstverständlich wäre eine Spaltung eine außerordentlich schmerzliche Tatsache. Aber eine ehrliche und offene Spaltung ist jetzt unvergleichlich besser als Sabotage innerhalb der Partei, als Durchkreuzung der eigenen Beschlüsse, als Desorganisation und Ohnmacht. Wir zweifeln jedenfalls keinen Augenblick daran, dass wir uns durch die Übergabe unserer Streitfragen an den Gerichtshof der Massen (es sind im Grunde genommen die gleichen Meinungsverschiedenheiten wie die mit der Gruppe „Nowaja Schisn" und der Gruppe Martows) die unbedingte und selbstlose Unterstützung unserer Politik durch die revolutionären Arbeiter, Soldaten und Bauern sichern und in kürzester Frist die schwankende Opposition isolieren und zur Ohnmacht verurteilen werden.

1 Das von zehn Mitgliedern und Kandidaten des ZK, von Lenin, L. Trotzki, J. Stalin, J. Swerdlow, M. Urizki, F. Dzierżyński, A. Joffe, A. Bubnow, G. Sokolnikow und M. Muranow unterzeichnete Ultimatum wurde den Mitgliedern des ZK übergeben, die für eine Teilung der Macht mit den kleinbürgerlichen Parteien und für die Schaffung einer einheitlichen sozialistischen Regierung von den Bolschewiki bis zu den Volkssozialisten eintraten.

Über die Entstehung dieses Dokuments erzählt A. Bubnow folgendes: „Lenin verfasste am 16. (3.) November eine Erklärung an das Zentralkomitee, in der er die Kompromisspolitik und die endlosen Schwankungen heftig kritisierte. Nachdem er diese Erklärung abgefasst hatte rief er jedes Mitglied des Zentralkomitees einzeln zu sich in sein Arbeitszimmer, machte es mit dem Text der Erklärung bekannt und bat um Unterzeichnung der Erklärung. Die Erklärung wurde von der Mehrheit der Mitglieder des Zentralkomitees unterschrieben. In der nächsten Sitzung des Zentralkomitees, wenn ich nicht irre, am 17. (4.) November, wurde diese Erklärung verlesen".

Die Kopie, nach der wir das Dokument in unserem Bande wiedergeben, ist stellenweise mangelhaft.

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