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Karl Liebknecht 19110201 Ein Gesetz zur Unterdrückung der Arbeiter im Ruhrrevier

Karl Liebknecht: Ein Gesetz zur Unterdrückung der Arbeiter im Ruhrrevier

Reden im preußischen Abgeordnetenhaus zum Gesetzentwurf über die Polizeiverwaltung in den Regierungsbezirken Düsseldorf, Arnsberg und Münster

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 1. Bd., Berlin 1911, Sp. 1122-1129, 4. Bd., Berlin 1911, Sp. 5191-5194, 5196-5198, 5311-5520. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 13-40]

I

1. Februar 1911

Meine Herren, wir sind uns darüber vollkommen klar, dass die moderne Entwicklung, besonders in den Industriegebieten, vielfache Zusammenhänge zwischen den einzelnen Gemeinden und weiteren Bezirken zeitigt, die die Zersplitterung in verschiedene Kommunalverwaltungen, wie sie rein staatsrechtlich gegenwärtig gegeben ist, nicht mehr vertragen und die infolgedessen eine Zusammenfassung weiterer Bezirke erfordern. Insofern verschließen wir uns durchaus nicht der Erkenntnis der Tatsache, dass in Bezug auf die kommunale Sonderselbstverwaltung hie und da ein Eingriff notwendig sein wird. Aber, meine Herren, wenn wir auch anerkennen, dass in Rheinland und Westfalen sich ein derartiger Zustand in besonders hervorragendem Maße herausgebildet hat, wie ich ihn eben charakterisiert habe, so ist es doch im höchsten Maße verwunderlich, oder es wäre verwunderlich, wenn wir nicht in Preußen leben würden, dass nicht ein einziger Mensch auf den Gedanken gekommen ist, den Bedenken, die sich aus dem jetzigen Zustand in Rheinland und Westfalen ergeben haben, in einer ganz anderen Weise beizukommen als in der Weise, wie es durch den Regierungsentwurf versucht wird.

Meine Herren, warum versucht man nicht, im Sinne der Selbstverwaltung einen engeren Zusammenschluss des ganzen Gebietes herbeizuführen, von dem man erkennt, dass es in der Tat nicht mehr durch die einzelnen Gemeinden gesondert verwaltet werden kann, sondern nach großen einheitlichen Gesichtspunkten? Meine Herren, weshalb geht man nicht daran, dieses Gebiet zusammenzuschließen zu dem Zwecke, um der Tyrannei der Trusts, der Tyrannei der Kartelle der Großindustriellen in Rheinland und Westfalen, die vielfach der öffentlichen Sicherheit, den öffentlichen Interessen auf das Schärfste widerspricht, entgegenzuwirken, indem man den öffentlichen Verbänden eine größere Macht durch einen größeren Zusammenhalt gibt? Weshalb geht man nicht daran, zu dem Zweck einen engeren Zusammenschluss herbeizuführen, um die durch die Zusammenhäufung der Industrie entstandenen schweren sanitären Missstände zu beseitigen und andere kommunalpolitische Zwecke zu verfolgen, die in Wahrheit im Interesse der Allgemeinheit liegen? Daran denkt niemand in den großen Parteien dieses Hauses und in der Regierung, und das ist es, was für Preußen charakteristisch ist.

Wenn man hier eine Zusammenfassung jenes Gebietes unternimmt, so geschieht das nicht aus diesen, in Wahrheit unseren Kulturbedürfnissen entsprechenden Gründen, sondern aus Gründen, die von uns Sozialdemokraten mit aller Schärfe angenagelt und der Öffentlichkeit preisgegeben werden müssen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist für Preußen, für den preußischen Polizeistaat, charakteristisch, wie hier im Ruhrrevier, im rheinisch-westfälischen Industrierevier, verfahren werden soll. Meine Herren, diese Polizeieingemeindung, die man hier vorzunehmen im Begriffe ist, vollzieht sich im Gegensatz zu der großen Abneigung, die man gegen kommunale Selbstverwaltungseingemeindungen hat, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit und unter einer merkwürdigen Zustimmung der meisten, sogar wohl aller großen Parteien dieses Hauses. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich darf darauf hinweisen, dass der Empfängnistag dieses Gesetzes der 15. Februar 1909 ist. Damals ist in der Budgetkommission von verschiedenen Parteien eine Anregung gegeben worden, in der jetzt von der Staatsregierung versuchten Weise vorzugehen. Damals, meine Herren, standen, wie bereits heute erwähnt worden ist, die Gesetze über die Umgestaltung des Polizeiwesens in Gelsenkirchen und Bochum zur Debatte, und es wurde nun von verschiedenen Seiten angeregt, dass all diese Umformungen des Polizeiwesens im Ruhrrevier durchaus nicht hinreichen könnten, dass vielmehr eine Zusammenfassung des ganzen Komplexes notwendig sei. Der Herr Minister hatte alsbald zugesichert, dass er derselben Ansicht sei und dass schon in dem nächsten Etat eine Vorlage, entsprechend dem Wunsche der Kommission, kommen werde.

Meine Herren, ich betone, dass damals bereits mit aller Schärfe dasjenige als der Zweck des Entwurfes bezeichnet worden ist, was auch heute wieder der Herr Minister als den Zweck bezeichnet hat. Der Herr Minister des Innern hat von den Gefahren gesprochen, die die industrielle Entwicklung des Ruhrreviers herbeiführt. Damals ist in der Kommission gesprochen worden – und da war es Herr von Arnim-Züsedom. – von diesem „unruhigen Gebiet", dessen man nicht Herr werden könne ohne eine gänzliche Umgestaltung der Polizeiverwaltung.

Ja, meine Herren, dieses unruhige Gebiet! Wer ist es denn, der dieses Gebiet unruhig macht? Es ist ja doch dadurch unruhig gemacht, dass gerade die Herren, die auf diese Weise gewaltige Reichtümer zusammengehäuft haben, im Interesse der kapitalistischen Ausbeutung und ihres Profits eine ungeheure Personenmenge, eine ungeheure Masse von Arbeitern in jenes Revier gezogen haben, und insbesondere auch dadurch, dass man sich mit Vorliebe solche Arbeiter ausgewählt hat, die billige Kräfte liefern, die aus minder kultivierten Ländern und auch Strichen Deutschlands entnommen werden und infolgedessen bei einem anderen Kulturniveau, als es im Allgemeinen im Westen Deutschlands besteht, in gewisser Beziehung in der Tat ein fremdartiges Element in jenen Gegenden bilden.

Es ist also gar kein Zweifel darüber, dass diese Elemente, die von Ihnen als unruhig bezeichnet worden sind, im Interesse des Kapitalismus in diese Gebiete hineingezogen worden sind, und nun, nachdem diese Elemente sich nicht ganz so, wie Sie es wünschen und erwarten, wie Sie es erzwingen möchten, sofort in den Rahmen der von Ihnen gewünschten Art staatlicher Ordnung einfügen, wird nach der Polizei gerufen, und es wird der Versuch unternommen, da die bisherigen Polizeiinstitutionen nicht ausreichen, eine Umorganisation vorzunehmen. (Abgeordneter Hirsch-Berlin: „Sehr richtig!")

Wir sind uns vollkommen darüber klar, dass jene Anregung, die im Jahre 1909 ergangen ist, von der Tatsache diktiert wurde, dass man einen neuen Bergarbeiterstreik befürchtete („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.), dass man mit Fug und Recht erkannte, dass die Arbeiterschaft im Ruhrrevier durch die außerordentlich ungünstigen Arbeitsverhältnisse und durch die vielfachen Schwierigkeiten, durch die Behandlung, die den Arbeitern von den Grubenherren zuteil wurde, in einen Zustand ernster Unruhe versetzt worden war. Man fürchtete den Bergarbeiterstreik, und man fürchtet ihn noch heute („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.); man fürchtet die dort zusammengehäufte Arbeiterschaft, die sicherlich politisch genügend geschult und gewerkschaftlich so organisiert ist, dass sie, wenn sie es für notwendig hält, als eine Macht, als eine ausschlaggebende Macht, den Grubenbaronen gegenüber auftreten kann, und weil man sieht, wie die Macht der organisierten Arbeiterschaft in jener Gegend wächst, so sucht man demgegenüber auch die Macht der staatlichen Gewalten zu verstärken. Das heißt aber nichts anderes, als die Macht der Arbeitgeber, die Macht der Grubenbarone, die Macht der Unternehmer der schweren Industrie in Rheinland-Westfalen, zu stärken. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. – Rufe: „Zur Sache!") Das unternimmt man in der Weise, dass man, wie das einmal üblich ist, die Staatsgewalt als Handlanger herbeiruft. (Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zur Sache.

Liebknecht: Meine Herren, betrachten Sie die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes noch einmal, und sehen Sie sich die Verhandlungen der Budgetkommission vom Jahre 1909 an; da können Sie sehen, wie die erste Anregung zu einer solchen Umgestaltung charakteristischerweise ausgegangen ist von dem Herrn Abgeordneten Schmedding, von einem Angehörigen der Zentrumspartei – („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten. – Zurufe.) von einem Angehörigen der Zentrumspartei – (Erneute Zurufe.) von einem Angehörigen der Zentrumspartei, die in Rheinland und Westfalen, speziell im Ruhrkohlenrevier, einen großen Teil der Arbeiterschaft zu ihren Anhängern zählt und sich trotz alledem nicht scheut, diesen Arbeitern das Misstrauensvotum auszustellen, das in einer solchen Umorganisation der Polizeiverwaltung liegt, die sich nicht scheut, gegen die Arbeiter, die zum großen Teil Anhänger des Zentrums sind, die Staatsgewalt in ihrer brutalsten, schärfsten Form anzurufen, in der Form der Polizeigewalt. (Lachen im Zentrum. „Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Dass dann der Herr Abgeordnete Schmieding das Programm der Scharfmacher am präzisesten formuliert hat, das darf nicht wundernehmen. Herr Schmieding ist eben ein Vertreter des Scharfmachertums in seiner allerbösartigsten Gestalt. (Unruhe bei den Nationalliberalen. – Abgeordneter Hoffmann: „Sehr wahr!") Gerade in der Rede des Herrn Abgeordneten Schmieding ist schon – ich möchte sagen: fast wörtlich – all dasjenige ausgeführt, was später in dem Gesetz seinen Niederschlag gefunden hat und was speziell auch in den Motiven des Gesetzes wiederholt worden ist.

Dann hat sich Herr von Arnim-Züsedom als der Dritte im Bunde diesen beiden Herren angeschlossen. Dass kein freikonservativer Herr dabei war, erklärt sich nur daraus, dass in diesem Falle Herr Schmieding als Vertreter des Scharfmachertums die Freikonservative Partei ausgezeichnet vertreten hat. (Lachen. – Abgeordneter Hoffmann: „Sehr gut!")

Meine Herren, der Herr Minister des Innern hat damals darauf hingewiesen, dass die Bürgermeister der Städte an ihn mit der Bitte herangetreten seien, ihnen die Last der Polizeiverwaltung nach Möglichkeit abzunehmen, weil sie die Verantwortung nicht länger tragen möchten. Damit ist zum Ausdruck gebracht worden, dass diese Herren, offenbar doch im Allgemeinen der Interessenrichtung des Scharfmachertums angehörig, ebenfalls schon der Überzeugung gewesen sind, dass es in nächster Zeit zu Zusammenstößen kommen könne und dass sie nun ihre Hände in Unschuld waschen und die grobe Arbeit, die dort etwa im Kampfe gegen die Arbeiterschaft geleistet werden muss, lieber der starken Faust der Staatsgewalt überlassen wollten, als dass sie, die Selbstverwaltungsorgane, sie auf sich laden wollten.

Dann hat der Herr Minister auf dieses stürmische Verlangen jener drei Parteien alsbald erklärt, dass die definitive Neuregelung für den nächsten Etat in Aussicht gestellt werden könne. Und mit einer Geschwindigkeit, die in Preußen nur üblich ist, wenn es sich um die Erfüllung von Wünschen der reaktionären, volksfeindlichen Parteien handelt, ist in der Tat gegenwärtig das Versprechen des Herrn Ministers eingelöst worden. („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, wir betrachten dieses Gesetz als eine Spezialumsturzvorlage – (Zustimmung bei den Sozialdemokraten. – Lachen und Widerspruch.) als eine Spezialumsturzvorlage, die das eigentümlich preußisch-polizeiliche Gesicht erhalten hat, für das als besonders gefährdet erachtete Ruhrkohlenrevier. Es ist sozusagen eine Ruhrpräfektur, die hier eingerichtet werden soll (Lachen im Zentrum.) und die infolgedessen ja auch mit einer gewissen Logik und historischen Berechtigung an das Rudiment der Spreepräfektur anknüpft, das in der Organisation der Polizeiverwaltung von Berlin und Umgebung zum Ausdruck kommt. (Abgeordneter Hirsch-Berlin: „Sehr wahr!") Wir betrachten diesen Gesetzentwurf gewissermaßen als eine Ergänzung zu dem bekannten Bissingschen Korpsbefehl1. (Rufe bei den Konservativen: „Zur Sache!") So wie Sie zur Sache reden, rede ich auch noch zur Sache, Herr von Pappenheim; überlassen Sie das gefälligst dem Herrn Präsidenten und mir.

Diesen Gesetzentwurf, sage ich, betrachten wir als eine Ergänzung zu dem Bissingschen Korpsbefehl, der das bekannte Rezept, den bekannten Feldzugsplan für den Fall der Revolution, enthielt und gleichzeitig die Aufforderung zur Ungesetzlichkeit, nämlich zur Festnahme der durch ihre Immunität gesicherten Parlamentarier. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten. Erneute Rufe rechts: „Zur Sache!") Es ist nicht bekannt geworden, dass Herr von Bissing, der sich durch diesen Korpsbefehl einer schweren Ungesetzlichkeit schuldig gemacht hat, irgendwie mit der Staatsgewalt in Berührung gekommen ist. (Anhaltende Rufe rechts: „Zur Sache!" Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Sache und mache Sie auf die geschäftsordnungsmäßigen Folgen des Paragraphen 48 aufmerksam.

Liebknecht: Meine Herren, ich habe den Entwurf in dieser Richtung hinreichend charakterisiert. Wenn wir in Russland lebten, würde man sagen, dieser Gesetzentwurf bedeute die Einrichtung des sogenannten verstärkten Schutzes; es ist ein halber Kriegszustand, der durch diese Einrichtung über das rheinisch-westfälische Revier verhängt wird. (Lachen.)

Meine Herren, und alles das geschieht so bald nach dem Jubiläum der Steinschen Städteordnung, so bald nach dem Jahre, in dem man allenthalben die Selbstverwaltung auf das Äußerste gepriesen, als eine der größten Errungenschaften des preußischen Staatswesens bezeichnet hat. Hier räumt man mit der Selbstverwaltung auf, als ob sie nichts weiter wäre als ein Plunder, den man als unbequem beiseite schaffen müsse. Jedenfalls ist nicht der geringste Zweifel, dass die Art, wie man hier in diesem Gesetzentwurf mit der Selbstverwaltung der Gemeinden spielt, von unserer Seite den schärfsten Widerspruch hervorrufen muss. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, gerade in der gegenwärtigen Zeit haben wir Veranlassung genommen, in den verschiedensten Gemeinden den Antrag zu stellen, dass die Polizeiverwaltung aus einer königlichen wiederum zu einer städtischen gestaltet werde, weil sich herausgestellt hat, dass die Königlichen Polizeiverwaltungen durchaus nicht im Interesse des Bürgertums verwaltet werden, dass sie zu schwersten Bedenken Veranlassung geben. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ganz besonders muss ich hier auf das angeblich so ausgezeichnet bewährte Gesetz über die Polizeiverwaltung von Berlin und Umgebung zurückgreifen, auf das in den Motiven zu diesem Gesetzentwurf auch Bezug genommen ist und dem zum Teil dieser Gesetzentwurf nachgebildet ist. Meine Herren, bedenken Sie, dass wir gerade aus jenem Gesetz heraus, aus dieser Polizeilage für Berlin und Umgebung Veranlassung haben nehmen müssen, jetzt in der Berliner Stadtverordnetenversammlung einen Antrag an unseren Magistrat zu richten, mit der Stadtverwaltung wegen Rückübernahme der Polizei in die Hände der Stadt wiederum in Verbindung zu treten.

Und, meine Herren, wenn von der „glänzend bewährten" Gesetzeslage für Berlin und Umgebung die Rede ist, so darf ich darauf hinweisen, dass wir von dieser glänzenden Bewährung besonders bei Gelegenheit der Moabiter Krawalle2 nichts gemerkt haben. (Abgeordneter Schulze-Pelkum: „Zur Sache!")

Meine Herren, es ist in den Motiven auf die ausgezeichnete Bewährung des analogen Rechtszustandes für Berlin und Umgebung Bezug genommen, und so gehört es naturgemäß zur Sache, dass wir prüfen, ob denn dieser Rechtszustand, den man jetzt nach dem Ruhrrevier übertragen will, sich in der Tat bewährt hat. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.) Ich darf behaupten, dass er sich eben nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung auch sehr vieler anderer Bürger Berlins, und wohl der großen Mehrzahl der Bürger Berlins, nicht bewährt. Da hat ja doch bei den Moabiter Krawallen häufig die rechte Hand der Polizei nicht gewusst, was die linke Hand tut. Es ist ja gerade wegen dieser Art der Einrichtung der Zuständigkeiten eingetreten, dass der einzelne Polizeibeamte die Übersicht und damit auch die materielle Verantwortung für das, was geschah, zu einem großen Teil gänzlich verloren hatte. Ich selbst habe von Polizeibeamten bei Gelegenheit dieser Prozesse Erklärungen gehört, aus denen hervorging, dass sie diesen Zustand als unerwünscht und ihre Tätigkeit in höchstem Maße erschwerend bezeichnet haben.

Dann möchte ich aber den Herrn Minister noch auf eins aufmerksam machen, was vielleicht auch in seinem Sinne einen Mangel im gegenwärtigen Zustand für Berlin und Umgebung und dann wohl im künftig in Aussicht genommenen Zustand für das Ruhrrevier bedeuten könnte. Sie entsinnen sich vielleicht jener Szene in dem Moabiter Prozess, wo ein Polizeibeamter gefragt wurde, ob er denn in der Tat in der Lage sei, dasjenige, was er eben angegeben habe über die Tat des Angeklagten, die Misshandlung, die ihm zur Last gelegt werde, aufrechtzuerhalten, und wo der Beamte erwiderte: Ja, es sei ja noch ein anderer Polizeibeamter dabei gewesen, das sei ein Charlottenburger gewesen, und da hätte er ja gar nicht wissen können, wie dieser aussagen werde („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.), und infolgedessen könne man ihm wohl doch nicht zutrauen, dass er jetzt die Unwahrheit sagen werde. („Hört! Hört!" bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, es würde sich empfehlen, dass man auch eine engere Fühlung zwischen den Polizeibeamten des ganzen Ruhrreviers herbeiführt, damit die Polizeibeamten künftig doch nicht derartige, die Zuverlässigkeit ihrer Aussagen einigermaßen beeinträchtigende Erklärungen abgeben („Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.), damit die im Interesse der Aufrechterhaltung der Staatsautorität dringend erwünschte Selbstsicherheit im Auftreten der Polizeibeamten vor Gericht nicht einen Schaden erleide, der Ihnen (zur Rechten und zur Regierung) recht unangenehm sein könnte.

Meine Herren, ich will mich mit den Bestimmungen des Gesetzes im Einzelnen nicht befassen. Das Gesetz enthält ja auch eigentlich gar nicht Einzelbestimmungen, an denen es sich lohnt, Kritik zu üben. Das Gesetz ist vom ersten bis zum letzten Wort ein auf das schärfste zu verdammendes Spezialumsturzgesetz (Lachen rechts und im Zentrum.), ein Gesetz im Sinne des Freiherrn von Zedlitz, der sicherlich nicht eben über mich lacht, sondern aus Freude darüber, dass seinen dringenden Wünschen auf eine Verschärfung der staatlichen Polizeigewalt gegen den roten Umsturz wenigstens in diesem Gebiete in größerem Umfange Rechnung getragen ist.

Meine Herren, möge dem sein, wie ihm wolle: Das Gesetz sieht aus wie eine Provokation (Lachen rechts.), wie eine Provokation, mindestens wie eine Drohung und wie ein ganz ungerechtfertigtes Misstrauensvotum gegenüber der Arbeiterschaft. Es bedeutet eine Proklamation der Gewaltpolitik (Lachen rechts.), eine Erklärung dessen, dass man im Ruhrkohlengebiet mit Blut und Eisen regieren will (Lachen rechts.), dass man im Ruhrkohlenrevier mit Blut und Eisen regieren will, dass man sich nicht mehr auf eine friedliche Verständigung mit den Arbeitern verlassen will.

Lachen Sie nur darüber, meine Herren! Es ist im Bergarbeiterstreik 1889 Militär requiriert worden! Denken Sie an die Zeit von 1905, als damals beim Bergarbeiterstreik das Militär bereitstand, um einzugreifen! Haben sich nicht schon da jene gewalttätigen Bestrebungen offenbart, die Arbeiterbevölkerung, obwohl sie sich ruhig verhielt, mit blanker Waffe niederzuhalten? Denken Sie daran, was es für eine zu Hunderttausenden zusammengedrängte Bevölkerung heißt, trotz so ernster Gegensätze und Provokationen in straff disziplinierter Ruhe zu verharren! Das Wunder hat die Sozialdemokratie, das haben die Gewerkschaften vermocht! Und nun – (Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie das dritte Mal zur Sache! Nach Paragraph 48 der Geschäftsordnung habe ich das Haus jetzt zu fragen, ob es dem Herrn in dieser Verhandlung noch weiter das Wort lassen will. Ich werde darüber abstimmen lassen und bitte die Herren, Platz zu nehmen.

Ich bitte, dass diejenigen Herren, die dem Herrn Redner das Wort entziehen wollen, sich erheben. (Abgeordneter Hoffmann: „Das Zentrum mit!") Das ist die Mehrheit; Herr Abgeordneter Liebknecht, ich entziehe Ihnen das Wort.

Liebknecht: Meine Herren, ich danke Ihnen; angenagelt aber sind Sie vor dem Lande!

Präsident von Kröcher: Sie haben nicht mehr das Wort!

II

29. März 1911

Meine Herren, wenn irgend etwas, so beweist gerade dieser Paragraph 3 den politischen Hintergrund des hier vorliegenden Gesetzes. Es ist für mich geradezu unbegreiflich, wie man diesen politischen Hintergrund hat verleugnen wollen.

Meine Herren, ich habe bereits bei der ersten Lesung auf die verschiedenen Auslassungen hingewiesen, die von Vertretern der großen Parteien dieses Hauses in der Sitzung der Budgetkommission vom 15. Februar 1909 gemacht worden sind. Damals ist sowohl von Seiten des Zentrums wie von Seiten der Nationalliberalen und der Konservativen Partei und durch den Herrn Minister zum Ausdruck gebracht worden, dass man eine derartige Regelung, eine derartige Konzentration der Polizeiverwaltung, wesentlich um deswillen für notwendig halte, weil in dem hier fraglichen Bezirk eine ungeheure Masse von Arbeitern zusammengedrängt sei, die als „unruhig" bezeichnet worden sind – ein Wort des Herrn Abgeordneten von Arnim-Züsedom – und von denen man insbesondere bei Streiks Unruhen befürchte.

Meine Herren, es ergibt sich besonders aus der Wendung, die Herr Abgeordneter Schmieding damals gebraucht hat, die Richtigkeit meiner Auffassung. Herr Abgeordneter Schmieding hat – ich wiederhole das auch diesmal – gesagt, es sei notwendig, die Möglichkeit zu schaffen, einheitliche Maßnahmen im Falle von Ruhestörungen zu treffen, die in Zeiten niedergehender Konjunktur, wenn die Herabsetzung von Löhnen in Frage steht, besonders bedrohlich werden können. Es ist also damals ausdrücklich von einem Herrn, der dem Großunternehmertum von Rheinland-Westfalen ungemein nahesteht, die Notwendigkeit des Gesetzes damit motiviert worden, dass durch die niedergehenden Konjunkturen, durch Lohnherabsetzungen und dergleichen die Arbeiterbevölkerung erregt werden könnte, Streiks herbeigeführt werden könnten und dergleichen. Meine Herren, dasjenige, was der Herr Minister des Innern darauf erwidert hat, bedeutet nichts weiter als eine Konstatierung dessen, dass die Auffassung des Herrn Minister des Innern mit derjenigen des Herrn Abgeordneten Schmieding durchaus übereinstimmt.

Meine Herren, von dem Herrn Vertreter der Zentrumspartei, Herrn Abgeordneten Dr. Grunenberg, ist mir bei der ersten Lesung dieses Entwurfes vorgeworfen worden, dass ich ganz zu Unrecht die Bevölkerung in Rheinland-Westfalen als unruhig bezeichnet hätte; diese Bevölkerung sei nicht unruhig, sondern sie werde nur, obwohl an sich ganz ruhig, durch die Sozialdemokratie verhetzt und unruhig gemacht. Meine Herren, demgegenüber betone ich, dass ich diese Bevölkerung durchaus nicht als unruhig bezeichnet, sondern nur davon gesprochen habe, dass man diese Bevölkerung für unruhig erachte und fürchte, dass sie besonders bei sozialpolitischen Differenzen unruhig werden könnte.

Aber, meine Herren, wie wenig der Standpunkt, dass die befürchtete Unruhe der Bevölkerung durch die Sozialdemokratie produziert worden sei, zutrifft, ergibt sich daraus, dass er sogar nicht einmal vom Regierungstisch vertreten worden ist. Mir liegt hier eine Erläuterung zu Kapitel 92 Titel 1 des Etats von 1909 vor, also eine amtliche Auslassung. Dort heißt es:

Die durch das außerordentliche Anwachsen des Bergbaus und der Hüttenindustrie hervorgerufene wirtschaftliche Entwicklung in den rheinisch-westfälischen Industriebezirken und deren Rückwirkung auf die polizeilichen Zustände, insbesondere die durch die Heranziehung großer Massen von ausländischen und auswärtigen Arbeitern und das damit verbundene ständige Fluktuieren der Bevölkerung hervorgerufenen Schwierigkeiten, denen die auf verhältnismäßig wenig umfangreichen und eingreifenden Gebieten tätigen kleineren Polizeiverwaltungen sich nicht vollauf gewachsen gezeigt haben, drängen zu Maßnahmen, welche eine energische einheitliche Handhabung der Sicherheitspolizei und ein rasches Eingreifen derselben in unruhigen Zeiten ermöglichen."

Meine Herren, damit ist die befürchtete Unruhe einfach als eine Konsequenz der Wirtschaftslage in den hier fraglichen Distrikten und der durch die Aktion des Unternehmertums geschaffenen Zusammensetzung der Bevölkerung aus ausländischen und auswärtigen Arbeitern dargestellt. Ich darf also mit Fug und Recht wiederholen, dass, wenn die Unruhe in jenem Gebiet – die wir bestreiten – in der Tat bestehen sollte, sie durch Ursachen hervorgerufen ist, die den wirtschaftlichen Verhältnissen in diesen Distrikten und dem freien Willen des Unternehmertums, der Art, wie das Unternehmertum fremde Arbeiter heranzieht, zur Last zu legen sind, des weiteren aber auch der außerordentlich ungünstigen Lage, in der man die Bergarbeiterbevölkerung hält, dass die behauptete Unruhe aber nicht im Allergeringsten durch die Schuld der Sozialdemokratie herbeigeführt ist.

Meine Herren, wir hatten ja die zweite Lesung dieses Gesetzentwurfs ursprünglich auf den Tag, der auf die dritte Beratung des Bergetats in diesem Hause folgte, angesetzt. Es wäre nun ein ausgezeichnetes Zusammentreffen gewesen, wenn die Beratung dieses Entwurfes in der Tat an diesem Tage, unter dem frischen Eindrucke der Ausführungen meines Freundes Hoffmann über die Zustände in der Bergwerksindustrie, hätte stattfinden können. Angesichts dieser Anführungen würde wohl niemand zu bestreiten gewagt haben, dass, wenn die Gefahr der Unruhe in jenen Gegenden auftauchen sollte, dann die Sozialdemokratie die Hände in Unschuld waschen könnte, dass dann die Bergarbeiterorganisationen ihre Hände in Unschuld waschen könnten und dass die Schuld ausschließlich die privaten und staatlichen Bergwerksverwaltungen, die Staatsgewalt, die Staatsregierung und die polizeilichen Behörden dieser Gegend treffen würde, die durch die Art der Behandlung der Bergarbeiterbevölkerung allerdings deren Stimmung schon häufig genug bis zur Siedehitze erregt haben. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, wenn aber bisher noch nie wirklich ernstliche Unruhen in jener Gegend stattgefunden haben, wo ein so zusammengedrängtes Proletariat, das soviel Anlass zu Beschwerden hat, vorhanden ist, so ist das auf die Tätigkeit, auf die Erziehungsarbeit der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften zurückzuführen. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es muss bei diesem Paragraphen 3 darauf hingewiesen werden, wie sehr man gerade in dem Ruhrrevier auch mit dem Eingreifen des Militärs rechnet. Es ist in der Budgetkommission vom Jahre 1909 und sonst wiederholt mit zur Begründung des hier vorliegenden Gesetzes hervorgehoben worden, dass in dem fraglichen Gebiete ausreichendes Militär nicht liege. Es ist also da mit zum Ausdruck gebracht worden, dass speziell der Paragraph 3 dem Zwecke dienen soll, das Eingreifen des Militärs in einem gewissen Umfange zu ersetzen, also ein Äquivalent für ein militärisches Eingreifen bei Gelegenheit von Streiks zu bilden, wie es ja 1889 bis 1905 dort tatsächlich stattgefunden hat.

Dieser Paragraph 3 – der bei „Feuersbrünsten, Aufläufen, Tumulten oder ähnlichen Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung sowie in sonstigen dringlichen Fällen" die Exekutivbeamten der staatlichen Polizeiverwaltung „innerhalb des Gesamtbezirks dieser Verwaltungen zur Vornahme von Amtshandlungen gleichmäßig befugt" erklärt und dann weiter fortfährt: „Den Anordnungen des örtlich zuständigen staatlichen Polizeiverwalters haben dabei auch die ihm nicht unmittelbar unterstellten staatlichen Polizeiexekutivbeamten Folge zu leisten" – ist schon durch seine kautschukartige Fassung für uns durchaus unannehmbar. („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Wenn es heißt: „sowie in sonstigen dringlichen Fällen", dann ist die Auslegung dieses Kautschukbegriffes in die Hände der Polizeiverwaltungsorgane selbst gelegt, und diesen wird hier – wie bei jenem berüchtigten Regulativ dem Minister – eine Kompetenzkompetenz in die Hände gelegt, die in gefährlicher Weise missbraucht werden kann. Allerdings ist im Paragraphen 3 am Anfang wohl bereits für alle irgend möglichen Fälle das Eingreifen der Polizeiverwaltungen als zulässig erklärt, da hier schon ausdrücklich von Aufläufen, Tumulten und ähnlichen Störungen der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung die Rede ist.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Passus einen hochpolitischen Charakter trägt, dass in diesem Passus speziell die Besorgnis vor Streiks in Bergarbeiterdistrikten ihren präzisesten Niederschlag gefunden hat. Diese Aufläufe, Tumulte usw. sind Aufläufe, Tumulte usw. von Bergarbeitern bei Gelegenheit von Lohnbewegungen und sonstigen sozialpolitischen oder politischen Differenzen. Dass dieses Gesetz sich in diesem Paragraphen 3 in so deutlicher Weise den Stempel eines gegen die Arbeiterbevölkerung gerichteten Gesetzes aufdrückt, können wir nur begrüßen, und wir können angesichts des Paragraphen 3 nur den Mut derjenigen Herren bewundern, die es wagen zu bestreiten, dass dieses Gesetz einen durchaus politischen, einen Charakter der Arbeiterfeindlichkeit trägt („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), und wir können nur von neuem wieder betonen, dass die Tendenz zur Konzentration der Staatsgewalt gerade in dem Gebiete von Rheinland-Westfalen gegen die angehäufte Bergarbeiterbevölkerung einen provokatorischen Charakter hat („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.), der die Bergarbeiterbevölkerung in jenen Gebieten veranlasst, aufs Schärfste gegen dieses Gesetz Stellung zu nehmen.

Die Bergarbeiterbevölkerung wird selbst dafür sorgen, dass Ruhe und Ordnung nach aller Möglichkeit aufrechterhalten wird. Die Vermehrung der staatlichen Gewaltkompetenzen gegenüber der Bergarbeiterbevölkerung wird nicht dazu beitragen, was man wahrscheinlich hofft, die Bergarbeiterbevölkerung zur Nachgiebigkeit zu veranlassen, sie in das Mauseloch zu jagen. Diese Bevölkerung wird ihre Kämpfe, die sie aufgezwungen bekommt durch das Unternehmertum, das nirgend so übermütig ist wie gerade in diesem Gebiete, durchzukämpfen wissen, ob mit dem Gesetz, dass wir jetzt zu beraten haben, oder ohne dieses Gesetz. („Bravo!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es ist unbegreiflich, wie man die politische Tendenz des Gesetzes leugnen will. Ich will nicht Eulen nach Athen tragen; die Herren lachen ja selbst nur wie die Auguren über die Ausführungen, die soeben hier gemacht worden sind; Sie wissen es selbst gar wohl, dass das Gesetz ein hochpolitisches ist.

Aber ich darf erinnern, dass in der Budgetkommission bei der allgemeinen Debatte, die sich natürlich auch und vorzugsweise auf Paragraph 3 bezog, von verschiedenen Rednern betont worden ist, das Gesetz scheine von Furcht vor der Sozialdemokratie diktiert zu sein. Es ist dann von anderer Seite dem allerdings widersprochen worden; aber auch dieser Widerspruch beweist die Richtigkeit meiner Behauptungen, denn es heißt in dem Kommissionsbericht: „Eine sonderliche Furcht vor den Sozialdemokraten sei in den in Frage kommenden Gebieten nicht vorhanden, man wisse aber dort eine gute Vorbeugung zu schätzen." Was besagt es denn anders als das, was ich gesagt habe! Weiter heißt es in dem Kommissionsbericht: „Im Ruhrbezirk wohnten 350.000 Bergarbeiter; wenn diese gleichzeitig in den Ausstand träten, so sei es sehr erwünscht, dass man in den Landgemeinden an Polizeikräften das Zwei- bis Dreifache habe wie bisher."

Wie kann man angesichts dieser Tatsachen die Stirn haben, mit solchen Ausführungen vor das Haus zu treten, wie der Herr Vorredner es getan hat. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten. Zuruf bei den Sozialdemokraten: „Er hat es nicht gelesen!") Ja, er hat es wahrscheinlich nicht gelesen.

Es hat der Herr Vorredner, der sich hier wieder einmal als freiwilliger Regierungskommissar aufgeführt hat, weiter auf die angebliche Abneigung des Zentrums gegen Ausnahmegesetze hingewiesen. Ja, meine Herren, mit Ihrer Haltung unter dem Sozialistengesetz können Sie nicht viel Staat machen; sie ist nach verschiedenen Richtungen hin recht suspekt gewesen. Und dann: Ist nicht erst vor kurzem von einem Ihrer Vertreter einer Entrechtung der Bergarbeiter in Bezug auf das Koalitionsrecht das Wort geredet worden? („Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. Rufe im Zentrum: „Wo denn?") In diesem Hause! Sie waren vielleicht nicht anwesend. Es war auch Ihr Freund, Herr Busch, der in einer sehr deutlichen Weise einer allgemeinen Einschränkung des Koalitionsrechtes das Wort geredet hat. Und dass von Ihrer Seite das Streikrecht der Bergarbeiter angetastet werden soll, dass das von Ihrer Seite befürwortet worden ist, werden Sie auch wohl nicht zu bestreiten wagen.

Es ist also nichts mit den Angriffen, die man gegen mich gerichtet hat. Die Ausführungen des Herrn Vorredners sind in jeder Beziehung – aber auch in jeder Beziehung – durchaus abwegig. Seine Versuche, uns für irgendwelche Streiks verantwortlich zu machen, erinnern an die schlimmsten Scharfmacherargumentationen gegen die Sozialdemokratie und gegen die Arbeiterorganisationen. Von jeher ist es Art der Arbeitgeber gewesen, die Arbeiterorganisationen und ihre „verhetzende" Arbeit als die Ursache von Streiks hinzustellen. Wenn der Herr Vorredner, obwohl selbst ein Arbeiter, allerdings einer, der zur Zentrumspartei gehört, nicht einmal so viel Verständnis für die Lage der Arbeiterklasse und das Wesen der Lohnbewegungen der Arbeiter hat, für die Art, wie Lohnbewegungen entstehen, wenn er nicht so viel Verständnis besitzt einzusehen, wie gänzlich unbegründet derartige Bezichtigungen sind, dann muss ich gestehen: Für solche Arbeitervertreter kann sich die Arbeiterschaft bedanken. („Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist durchaus unwahrhaftig, dass die Sozialdemokraten und die angeblich unter dem Einflüsse der Sozialdemokratie stehenden Verbände – diejenigen Verbände, die mit der Sozialdemokratie in einer gewissen Fühlung stehen – zu sinnlosen Streiks hetzten. Im Gegenteil, es lässt sich statistisch beweisen, dass unsere Organisationen überall zur größten Vorsicht gemahnt haben, dass die wilden Streiks abgenommen haben unter dem Einfluss unserer Organisationen und dass überhaupt die ganzen Kämpfe zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern wesentlich unter dem Einfluss unserer Organisationen in geordnete und in gewissem Sinne ruhigere Bahnen geleitet worden sind. Das ist der Einfluss, den unsere Gewerkschaften geübt haben; und wenn von Seiten der christlichen Organisationen und hier in diesem Falle speziell von dem Herrn Vorredner unseren Organisationen Vorwürfe gemacht werden, als ob sie in einer unqualifizierbaren, den Interessen der Arbeiter widersprechenden Weise Unruhe stifteten, meine Herren, dann erklären sich solche Anwürfe aus nichts anderem als daraus, dass man die Arbeiter im Lande draußen hindern möchte zu verstehen, dass sie nur in der Sozialdemokratie wirklich energische Vertreter ihrer Interessen haben; dass Sie (zum Zentrum) ein lebhaftes Interesse daran haben, durch solche Anleihen aus dem Lexikon der Scharfmacherei die Arbeiter in dem Wahn zu erhalten, als ob Sie ernstliche Arbeitervertreter wären, während Sie den Arbeitern gegenüber tatsächlich nichts anderes sind als Wölfe im Schafspelz. (Lachen im Zentrum. Beifall bei den Sozialdemokraten.)

III

1. April 1911

Meine Herren, es ist uns vorgestern, nachdem zwei Vertreter der Zentrumspartei das Wort zu heftigen Angriffen gegen meine Partei genommen hatten, das Wort abgeschnitten worden, und das nötigt mich, in diesem Stadium der Verhandlungen auf den vorliegenden Gesetzentwurf noch einmal zurückzukommen.

Meine Herren, es handelt sich bei den Auseinandersetzungen, die ich speziell mit den Herren vom Zentrum hatte, um die Frage, ob dem vorliegenden Gesetzentwurf der Charakter eines politischen Gesetzes, eines Ausnahmegesetzes gegen die Arbeiterschaft, aufgeprägt ist. Die Herren Vertreter der Zentrumspartei haben die Sache so dargestellt, als ob ich diesen Charakter des Gesetzes ausschließlich aus einer beiläufigen Bemerkung eines Mitgliedes der diesjährigen Budgetkommission hergeleitet hätte. Diese Behauptung ist unzutreffend; ich verweise dafür auf die stenographischen Berichte.

Meine Ansicht stützt sich auf ganz andere Materialien: Einmal darauf, dass dieses Gesetz so, wie ich behaupte, in ganz prägnanter und unzweideutiger Weise gekennzeichnet worden ist in einer offiziellen Bemerkung zum Etat 1909, sodann von Vertretern der Zentrumspartei, der Konservativen Partei, der Nationalliberalen Partei bei den Beratungen der Budgetkommission im Jahre 1909, ferner darauf, dass die Motive des jetzt vorliegenden Gesetzes sich ausdrücklich auf jene Beratung in der Budgetkommission 1909 beziehen und daraus die Legitimation und den Auftrag für die Königliche Staatsregierung entnommen haben, diesen Entwurf vorzulegen, schließlich, was die diesjährigen Budgetkommissionsberatungen anlangt, allerdings einmal auf die Auslassung, die angeblich meine einzige Stütze sein soll, sodann aber weiterhin auch auf die daran anschließende Erwiderung des Mitgliedes einer großen Partei in diesem Hause, in der zwar der Vorwurf einer Furcht vor der Sozialdemokratie zurückgewiesen, aber doch ausdrücklich betont wurde, dass das Gesetz tatsächlich in diesem Sinne einen vorbeugenden Charakter haben solle. Zum Überfluss rechtfertigt sich meine Charakterisierung aus dem Paragraphen 3 des Gesetzes. Meine Herren, lesen Sie doch einmal den Paragraphen 3 durch! Wer diesen Paragraphen, der von „Aufruhr" und dergleichen handelt, durchliest und dann noch zu reden wagt wie der Abgeordnete Bartscher und der Abgeordnete Brust, den muss ich in der Tat bedauern.

Meine Herren, die Herren Vertreter der Zentrumspartei haben behauptet, dass die Zentrumspartei stets gegen Ausnahmegesetze gewesen sei und notwendigerweise auch gegen dieses Gesetz gestimmt haben würde, wenn es tatsächlich den Charakter eines Ausnahmegesetzes trage.

Meine Herren, demgegenüber betone ich, was vorgestern die Herren Vertreter des Zentrums mit allem Nachdruck zurückgewiesen haben, dass in der Tat Vertreter des Zentrums hier in diesem Hause ausdrücklich ausnahmegesetzlichen Maßnahmen das Wort geredet haben. Ich will jetzt nicht von der „Trierischen Landeszeitung" reden, ich will nicht davon reden, dass in Ihren Reihen gegen das Streikrecht der Bergarbeiter mobilgemacht worden ist; aber ich will davon reden, dass Herr Kollege Busch, wie ich neulich an Hand des stenographischen Berichts festgestellt habe, ausdrücklich die Staatsgewalt für berechtigt erklärt hat, sozialdemokratisch gesinnte Arbeiter zu maßregeln, sie ausnahmerechtlich zu behandeln. Womit hat Herr Abgeordneter Busch das motiviert? Damit, dass man vom Staate nicht erwarten könne, dass er Arbeiter bei sich dulde, die die Grundlagen des Staatswesens untergraben. Meine Herren, was anderes als dieser Grundgedanke ist denn seit jeher; die Stütze für alle ausnahmerechtlichen Maßnahmen gegen die Sozialdemokratie gewesen? Mit genau derselben Deduktion, die der Herr Abgeordnete Busch zum besten gegeben hat, könnte man auch sagen: Wie kann man einem Unternehmer zumuten, eine Gewerkschaft zu dulden, die die heutige Gesellschaftsordnung bekämpft; also ist es doch ganz in der Ordnung, dass das Unternehmertum die „sozialdemokratischen" Gewerkschaften bekämpft! Und wie viel Schritte sind dann noch nötig bis zu dem Standpunkt: Die Sozialdemokratie stellt sich außerhalb des Gesetzes, und infolgedessen ist es unser gutes Recht, die Sozialdemokratie ganz allgemein ausnahmegesetzlich zu behandeln?

Das ist die schiefe Ebene, auf die Sie (zum Zentrum) getreten sind; es ist nichts anderes als sozusagen ein kleines Sozialistengesetz im Verwaltungswege, das durch Ihre Ausführungen neulich im Abgeordnetenhause gerechtfertigt und gestützt, in gewissem Sinne sogar gefordert worden ist. Das wird kein Wasser des Himmels jemals von Ihnen wieder abwaschen; das hängt an Ihnen fest.

Zur Rechtfertigung dieses Gesetzes und zur Entkräftigung meiner Argumentation dagegen ist nun hier die Unterstellung verwertet worden, dass gerade die sogenannten sozialdemokratischen Gewerkschaften im Ruhrkohlenrevier gegenwärtig wiederum zu einem aussichtslosen Streik gehetzt hätten, der nur durch das besonnene und verständige Eingreifen der christlichen Gewerkschaften verhindert worden sei.

Meine Herren, ich weise eine derartige Insinuation gegen die großen freien Gewerkschaftsverbände mit aller Schärfe zurück und behaupte, dass sie eine an den Haaren herbeigezogene Unwahrhaftigkeit ist. Wenn irgend etwas dazu beigetragen hat, trotz der erhitzten Stimmung in der Bergarbeiterschaft jetzt die Ruhe aufrechtzuerhalten und den Ausbruch eines Streiks zu hindern, dann ist es gerade das Verhalten des Bergarbeiterverbandes und seiner Führer gewesen. Es ist geradezu unerhört, wie hier gegen die Sozialdemokratie und die freien Gewerkschaften unter Auftischung von allerhand Verdrehungen in dieser Weise gehetzt wird.

Meine Herren, ich erkläre noch einmal, dass dieses Gesetz eine Art Kriegsvorbereitung gegen die organisierte Bergarbeiterschaft im Ruhrkohlenrevier ist und nichts anderes. Ich stelle fest, dass das Zentrum, indem es zu dieser Kriegsrüstung, zu dieser Verstärkung der Machtposition des Unternehmertums gegenüber der Bergarbeiterschaft seine Zustimmung gibt, sein wahres Gesicht in der Arbeiterfrage enthüllt, dass es dieses wahre Gesicht damit für jeden, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, enthüllt.

Die Abstimmung des Zentrums zu diesem Gesetz wird unmittelbar diktiert einmal durch den Hass des Zentrums und auch der sogenannten Arbeitervertreter im Zentrum gegen die Gewerkschaften (Abgeordneter Imbusch: „Das ist Schwindel!"), die einzigen ernsten Vorkämpfer der Arbeiterklasse, die man so mit Hilfe der Regierung und des Scharfmachertums niederzuwerfen sucht, weil man dann besser im Trüben fischen zu können hofft. Meine Herren, diese Stellung des Zentrums wird allerdings weiterhin diktiert – das ist es, was in diesem Moment sicher von ganz besonderer Bedeutung ist – durch das, Techtelmechtel, das die Herren vom Zentrum gegenwärtig in dem ganzen rheinisch-westfälischen Revier mit den Nationalliberalen haben, durch das Bündnis mit den Nationalliberalen, das entweder für die nächsten Reichstagswahlen nahe bevorsteht oder das bereits abgeschlossen ist. Es ist ein Ausfluss dieses schnöden Bündnisses, das auf Kosten der Arbeiterschaft in diesem Revier abgeschlossen ist oder werden soll. Meine Herren, je nachdem, ob es nun bereits geschlossen ist oder erst bevorsteht, ist die Zustimmung des Zentrums zu diesem Gesetz von diesem eben von mir erwähnten Gesichtspunkt aus – die Zustimmung, unter Zertrampelung des Selbstverwaltungsrechts der kleineren Gemeinden die Staatsgewalt zu stützen und die Unternehmergewalt zu stärken – entweder ein Köder zur Anlockung der Nationalliberalen, ein kleines Probestückchen, das das Zentrum leistet um zu zeigen, was es in Arbeiterfeindschaft fertigbringt, um sich dadurch den Nationalliberalen als bündnisfähig zu erweisen; oder aber, wenn das Bündnis bereits abgeschlossen sein sollte, dann, meine Herren, würde es ein Teil der großen Mitgift sein, die das Zentrum in diesen Bund einzubringen hat oder aber zum Teil schon eingebracht hat. Auf alle Fälle, wie immer Sie nun die Wahl treffen mögen, eines von beiden trifft zu, und beiden Alternativen ist das eine gemeinsam, dass das Zentrum sich darin in seiner wahren Arbeiterfeindlichkeit enthüllt hat als ein offensichtlicher Judas an den Bergarbeitern des Ruhrkohlenreviers.3 (Lachen im Zentrum.)

Meine Herren, es ist zutreffend – und das ist wohl das einzig Zutreffende in den Ausführungen des Herrn Vorredners –, dass im Jahre 1909 meine Parteifreunde nicht ausdrücklich Protest erhoben haben gegen das damalige Gesetz, das in gewissem Sinne der Vorläufer des jetzt vorliegenden Gesetzes ist. Aber das hatte seinen guten Grund, insbesondere jedenfalls nicht denjenigen Grund, von dem der Herr Vorredner spricht, der darin eine Zustimmung zu dem Grundgedanken des früheren Gesetzes erblicken will. Erstens hat das damalige Gesetz sich auf einen geringen Rayon bezogen, mehr darauf, dass in einigen städtischen Bezirken die staatliche Polizei eingeführt worden ist. Gegenwärtig handelt es sich darum, dass ganze Provinzen unter diesen, ich möchte sagen, verstärkten Schutz, unter diese Art des Kriegsrechts, gestellt werden sollen, der durch das vorliegende Gesetz in Aussicht genommen ist. Außerdem können Sie doch ganz unmöglich daraus, dass unsere kleine Fraktion nicht zu jedem einzelnen Gesetzentwurf in präziser Weise ausdrücklich Stellung nimmt, solche Schlussfolgerungen ziehen, wie das der Herr Vorredner getan hat; Sie machen uns ja im Gegenteil einen Vorwurf daraus, dass wir zu häufig und zu viel redeten! Und es ist wohl erklärlich, dass es bei der ungeheuren Fülle der Arbeitslast, die auf unserer geringen Zahl liegt, hier und da einmal unmöglich ist, irgendeinen Gesetzentwurf in der gehörigen Weise in das richtige Licht zu setzen. Das soll nun nachgeholt werden, zumal der vorliegende Gesetzentwurf in ausgeprägter, präziser und größere Gebiete betreffender Weise die gefährlichen Eigenschaften trägt, von denen ich wiederholt gesprochen habe.

Es ist von dem Herrn Vorredner behauptet worden, die veränderte politische Konstellation sei die Ursache für die Differenz in unserem Verhalten im vorvergangenen Jahre und in diesem Jahre. Das ist ganz und gar abwegig. Haben Sie uns jemals nachweisen können, dass wir die Arbeiterinteressen aus irgendwelchen Rücksichten haben in den Hintergrund treten lassen? Haben Sie oder werden Sie in irgendeiner Weise jemals den Nachweis führen können, dass in irgendeinem einzigen Punkte wir durch derartige kleinliche Momentrücksichten uns haben abhalten lassen, in wichtigen Angelegenheiten alles dasjenige zu tun, was für die von uns vertretenen Arbeiter erforderlich ist? Sie suchen hinter dem Ofen, weil Sie selbst hinter dem Ofen stecken. Für Sie, für Ihr Verhalten gegenüber dem jetzigen Gesetzentwurf ist das richtig, was Herr Bartscher glaubte mir vorwerfen zu können. Es ist ein Gastgeschenk an den Nationalliberalismus, das von Ihrer Seite jetzt gegeben wird. (Lachen rechts und im Zentrum.)

Der Herr Vorredner hat wiederholt, dass die Arbeiterschaft an und für sich in dem Revier ruhig sei, dass sie durch uns unruhig gemacht werde. Ich habe dazu bereits das Erforderliche gesagt. Es ist nicht wahr! Und vor allen Dingen, wenn eine derartige Behauptung aufgestellt wird, so kennzeichnet das in der denkbar deutlichsten Weise das Verständnis für die Arbeiterlage besonders in jenen Revieren, wie es in dem Kopfe eines sogenannten Arbeitervertreters des Zentrums – Herr Bartscher ist es ja nicht so ganz, er ist ja so ein Mittelding zwischen dem normalen Zentrumsmann und dem Arbeitervertreter – sich zeigt.

Ich wiederhole, wer die Rede meines Freundes Hoffmann aus der vergangenen Woche ins Auge fasst, wer die dort unwidersprochen dargelegten Verhältnisse der Bergarbeiter im speziellen berücksichtigt und wer dann meint, dass, wenn es in der Bergarbeiterschaft gärt, dies durch „gewissenlose Hetzer" in die Bergarbeiterbevölkerung hineingetragen sei, der ist entweder unheilbarer Verblödung verfallen oder ein überlegter Schleppenträger des Scharfmachertums.

Es ist von dem Herrn Vorredner darauf hingewiesen, dass ich bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs gesagt habe, wie notwendig es sei, bei den besonders gestalteten Verhältnissen im Ruhrrevier die polizeilichen Angelegenheiten anders zu regulieren. Ich habe auch bei der zweiten Lesung vor einigen Tagen betont, dass mir jede Kirchturmpolitik fern liegt, dass ich durchaus kein Wortführer bin jenes kleinlichen kommunalen Partikularismus, wenn größere allgemeine Interessen ein Zusammengehen zwischen den einzelnen Gemeinden erfordern. Aber ich habe damals auch darauf hingewiesen, dass man derartige Zwecke erreichen kann auf dem Boden der Selbstverwaltung, des freiwilligen Zusammenarbeitens zwischen den verschiedenen Gemeinden, eventuell des Zusammenarbeitens auch auf der Grundlage des gegenwärtig in der Beratung befindlichen Zweckverbandgesetzes. Dass man hier aber die Form der Ausdehnung der staatlichen Polizei, des staatlichen Polizeiabsolutismus, gewählt hat, um dieses Ziel zu erreichen, das stigmatisiert das Gesetz, und das muss ihm unsere Feindschaft sichern.

Und weiterhin, das Gesetz ist bereits in dem Entstehungsmoment charakterisiert durch die ausdrückliche Motivierung, die dabei angegeben worden ist. Wie will man uns zumuten, dass wir einem Gesetz Vertrauen entgegenbringen sollen, dass wir es nicht von vornherein mit dem Misstrauen betrachten, das ich zum Ausdruck gebracht habe, wenn an der Wiege des Gesetzes, im Konzeptionsmoment des Gesetzes erklärt wird, dass es sich um ein Gesetz handle, das gegen die organisierte Arbeiterschaft gerichtet sei, das für den Fall eines Streiks die Machtmittel des Unternehmertums verstärken soll! Sie können nicht bestreiten, dass diese Erklärungen abgegeben sind, dass das die Motivierung war für den Wunsch der Budgetkommission nach einem derartigen Gesetz, und Sie können nicht bestreiten, dass diesen selben Wünschen, auf die in den Motiven des jetzigen Gesetzes ausdrücklich Bezug genommen ist, durch das vorliegende Gesetz Rechnung getragen werden sollte und Rechnung getragen worden ist.

Dass natürlich gewisse sicherheitspolizeiliche Zwecke auch von uns erstrebt und in einem gewissen Sinne gewünscht werden, das haben wir oft zum Ausdruck gebracht. Wir wünschen, dass in viel höherem Maße die sicherheitspolizeilichen Interessen von der Polizei erfüllt werden, als dies geschieht, nachdem unsere Polizei ihre Hauptarbeit darin erblickt und leistet, in kleinlicher Weise Schikanen gegen unbequeme politische Bewegungen auszuüben. Aber die einfachen sicherheitspolizeilichen Zwecke sind nach der ausdrücklichen Motivierung nicht der besondere Zweck des Gesetzes. Wenn nebenbei dieser verständige Zweck auf diesem verwerflichen Wege erreicht werden sollte, so ist das eben doch nur eine zufällige Nebenwirkung des Gesetzes.

Der staatlichen Polizei bringen wir kein Vertrauen entgegen, und wir haben auf ihre Einschränkung zu dringen schon in den verschiedensten Städten Veranlassung genommen. Ich erinnere daran, dass wir gerade in der Berliner Stadtverordnetenversammlung vor wenigen Wochen einen Antrag der Sozialdemokratie verhandelt haben, der dann in etwas veränderter Form nahezu einstimmig, auch von den Vertretern aller übrigen Parteien, angenommen worden ist, wonach die staatliche Polizei im Interesse der Sicherheit der Bürger eine Einschränkung erfahren soll.

Wenn dann schließlich von dem Herrn Vorredner im Allgemeinen Angriffe gegen „unsere" Gewerkschaften gerichtet worden sind, wenn er jene bekannten Scharfmacherredensarten von dem Koalitionszwang angeführt hat und wenn er davon geredet hat, dass auch die sogenannten sozialdemokratischen Gewerkschaften sich geweigert hätten, mit christlichen Organisationen zu verhandeln, so bedürfen derartige Angriffe an und für sich einer eingehenden Widerlegung nicht. Ich will aber darauf hinweisen, dass, wenn derartige Weigerungen, mit christlichen Organisationen zu verhandeln, in der Tat sich ereignet haben, es dann höchstens dort der Fall gewesen ist, wo diese christlichen Organisationen sich bei den Kämpfen der Arbeiterschaft auf die Seite des Unternehmertums gestellt hatten und streikbrecherisch den Arbeitern in den Rücken gefallen waren. (Zuruf im Zentrum.)

Daraus ergeben sich die schroffen Gegensätze, die dann natürlich zu solchen an und für sich nicht wünschenswerten Konflikten führen.

Wir behaupten gar nicht, dass „unsere" Organisationen – ich gebrauche das Wort in Anführungszeichen in Ihrem Sinne – Engel im weißesten Unschuldsgewand seien. Natürlich kommt auch dann und wann etwas vor, was wir beklagen. À la guerre comme à la guerre! Das kann man beklagen, aber man kann es nicht überall verdammen. Es ist bedauerlich, wenn in dieser Weise versucht wird, etwaige Kleinigkeiten, in denen man hier gefehlt hat, auszuschlachten, aber nicht deshalb auszuschlachten, um die Zwecke der Arbeiterschaft auf diesem Gebiet zu fördern, sondern um auf diese Weise das Süpplein Ihrer kleinlichen, partikularistisch-separatistischen Organisationsinteressen besser kochen zu können und um das Unternehmertum und die staatliche Gewalt zu fördern.

Die Absicht der Ausführungen des Herrn Vorredners und die Absicht der Haltung der Herren vom Zentrum ist aufs Deutlichste zutage getreten in den immer wiederholten Sammelrufen, die die Herren Brust und Bartscher heute mindestens dreimal ausgestoßen haben. Dreimal wohl hat der Herr Abgeordnete Bartscher heute geredet vom Christentum – dazu haben Sie das gute Recht –, von Vaterlandsliebe – dazu könnte man, wenn Sie das Wort hier in dieser Gesellschaft gebrauchen, schon ein großes Fragezeichen machen – und dann von Monarchie. Ich muss gestehen: Das Zentrum in dieser Weise den Mund voll nehmen sehen mit „Monarchie" und „Vaterlandsliebe" – ausgerechnet das Zentrum in dieser Zeit! –, das ist ein Schauspiel für Götter. Für die Pikanterie dieses Schauspiels und für den Jesuitismus, der darin liegt, die kennzeichnenden Ausdrücke zu finden, dürfte mir die Ordnung dieses Hauses verbieten. Ich gratuliere Ihnen zu der Haltung, die Sie zu diesem Gesetz eingenommen haben.

1 Der kommandierende General des VII. Armeekorps in Münster, Freiherr von Bissing, erließ am 30. April 1907 einen Befehl, der detaillierte Anweisungen enthielt, wie sich die Truppen bei Unruhen, im Falle des Belagerungszustandes, bei Straßenkämpfen usw. zu verhalten hätten. Dieses Dokument, ein typisches Beispiel für die Brutalität, mit der die deutsche Arbeiterklasse durch den militaristischen, junkerlich-bourgeoisen Staat bekämpft werden sollte, gelangte 1910 in die Hände der Sozialdemokratie und war für sie von großer agitatorischer Bedeutung.

2 Im September 1910 streikten die Arbeiter der Firma Kupfer & Co., einer dem Stinnes-Konzern angeschlossenen Kohlengroßhandlung in Berlin-Moabit. Als Streikbrecher des Streikbrechervermittlers Hintze, geschützt durch die Polizei, provokatorisch auftraten, kam es zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Bevölkerung. Die brutal vorgehende Polizei tötete zwei (siehe Anmerkung 6) und verwundete zahlreiche Personen. In zwei großen Prozessen – vom 9. November 1910 bis 11. Januar 1911 vor einer Berliner Strafkammer und vom 9. bis 23. Januar 1911 vor dem Schwurgericht des Berliner Landgerichts I – wurde gegen 18 Angeklagte verhandelt, von denen 14 insgesamt 67½ Monate Gefängnis erhielten. Der Rest wurde freigesprochen.

3 Der Zentrumsabgeordnete Bartscher bestritt anschließend nochmals den politischen Charakter des vorliegenden Gesetzentwurfs. Die Red.

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