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Karl Liebknecht 19110513 Für eine fortschrittliche Kommunalpolitik in Berlin

Karl Liebknecht: Für eine fortschrittliche Kommunalpolitik in Berlin

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zur zweiten und dritten Lesung des Zweckverbandsgesetzes für Groß-Berlin1

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 5. Bd., Berlin 1911, Sp. 6313-6324 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 359-377]

Meine Herren, es ist wahrhaftig etwas des Guten zu viel getan, wenn einer der Herren Vorredner dem Herrn Minister für dieses Gesetz gedankt hat. Wenn sich die Königliche Staatsregierung entschlossen hat, dieses Gesetz vorzulegen, so hat sie das getan, nachdem ihr das Wasser an der Kehle stand,

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

nachdem es absolut nicht mehr anders ging.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Sie hat in der Art, wie sie diese im Interesse des öffentlichen Wohles einer Regelung absolut bedürftige Angelegenheit geregelt hat, gezeigt, dass sie es mit dem größten Widerstreben getan hat und dass sie nicht um eines Haares Breite weiterzugehen sich bemüht hat, als es ihr mit absoluter Notwendigkeit aufgezwungen gewesen ist. Wie man angesichts solcher Umstände ihr einen Dank aussprechen kann, ist mir vollständig unklar;

(„Sehr gut!" bei den Sozialdemokraten.)

im Gegenteil, es ist bei Beratung dieses Gesetzes alle Veranlassung vorhanden, die schärfsten Vorwürfe gegen die Kurzsichtigkeit der Staatsregierung zu erheben, die Jahrzehnte hindurch die Verwaltung von Berlin in einer äußerst schädlichen, dem Gesamtwohl äußerst nachteiligen Weise gehindert hat, ihre Interessen gehörig zu vertreten,

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

die der Eingemeindung in der kleinlichsten, politischen Motiven entsprungenen Weise fortgesetzt Hindernisse in den Weg gestellt hat, nachdem allerdings auch, wie ich gern zugeben will, die Verwaltung von Berlin sich lange Zeit hindurch selbst über alles Erwarten hinaus kurzsichtig gezeigt hat.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Wir haben keine Veranlassung, unsererseits diese Schuld von Berlin zu verbergen, weil unsere Freunde von Anbeginn an alle Kraft in Bewegung gesetzt haben, um hier Remedur zu schaffen.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Das hier vorliegende Gesetz ist in der Tat nur ein Verlegenheitsprodukt, ich möchte sagen: Es schwitzt den Hass und das misstrauen gegen Berlin und die Selbstverwaltung aus allen Poren heraus.

Zunächst einmal ist es in höchstem Maße charakteristisch, wie man die Verwaltung des Zweckverbandes zu regeln sich bemüht. Zuerst eine Zusammensetzung der Verbandsversammlung, die von uns in keiner Weise gebilligt werden kann, die unserer Auffassung von der Selbstverwaltung ins Gesicht schlägt. Es ist eine Zusammensetzung, die – von der Kreisvertretung ganz zu schweigen – nicht nur auf dem Dreiklassenwahlsystem beruht und auf allen diesen hässlichen plutokratischen, volksfeindlichen Wahlsystemen, die an und für sich in unseren Gemeinden bestehen, sondern es ist auf diese Wahlsysteme noch ein anderes Wahlsystem aufgepfropft worden, durch das der Einfluss der die ärmere Bevölkerung vertretenden Minderheiten in den Gemeindevertretungen ausgeschaltet wird, so dass in doppelter Weise plutokratisch und auch bürokratisch gesiebt wird – gesiebt naturgemäß auch unter einem ganz hervorragenden Einfluss der Hausbesitzer, der Grundbesitzer, die überall die ausschlaggebenden Privilegien für die Zusammensetzung der Gemeindevertretungen haben, die in erster Linie die Zusammensetzung auch der Verbandsversammlung bestimmen. Wie will man sich angesichts des Hausbesitzerprivilegs, das eine wesentliche Grundlage unserer Gemeindeverfassung bildet, darüber erstaunen, dass es mit unserer Wohnungspolitik so miserabel bestellt ist! Das ist die notwendige Frucht aus dieser Wurzel, dieser Privilegierung derjenigen, die ein Interesse daran haben, den Boden auszuwuchern, die ein Interesse daran haben, genau dasjenige zu tun, was von dem Herrn Vortragenden des gestrigen Abends als die Grundlage aller: der Schädlichkeiten unserer Wohnungsverhältnisse bezeichnet worden ist: dass aus dem Boden ein Spekulationsobjekt gemacht wird,, aus dem Boden, der die Grundlage ist für das Gedeihen des Wohles der Allgemeinheit.

(Abgeordneter Hoffmann: „Siehe Tempelhofer Feld!")

Ich meine, dass wir wahrhaftig keine Veranlassung haben, die Grundlage dieses Gesetzes zu billigen, schon angesichts der Zusammensetzung der Verbandsversammlung.

Wie ist es nun im Übrigen mit der Organisation? Da wird der Verbandsversammlung noch eine Art Spreepräfekt aufgehängt, der mit königlicher Genehmigung einzusetzen ist. Es ist von meinem Freund Hirsch bei der ersten Beratung bereits zum Ausdruck gebracht worden, dass wir dieser Institution mit äußerstem misstrauen gegenüberstehen und dass sie uns allein schon allen Anlass geben würde, das Gesetz nicht akzeptieren zu können.

Meine Herren und nun die Regelung der Instanzen! Da hat man ein Gebilde geschaffen, das noch schöner ist als wohl alle übrigen sogenannten Selbstverwaltungsbehörden, die wir in Preußens haben: Es ist die „Beschlussbehörde Groß-Berlin". Diese Beschlussbehörde, die wirklich in einem Raritätenkabinett ausgestellt werden müsste, setzt sich zusammen aus dem Oberpräsidenten, aus dem Verwaltungsgerichtsdirektoren der Bezirksausschüsse oder ihren Stellvertretern und aus vier auf sechs Jahre gewählten Mitgliedern. Von letzteren werden zwei von der Stadtverordnetenversammlung, zwei vom Magistrat der Stadt Berlin und zwei vom Provinzialausschuss der Provinz Brandenburg gewählt. Meine Herren, wahrhaftig: Was man zu einer derartigen Behörde für ein Vertrauen haben soll, die nun als Aufsichtsbehörde erster Instanz über die Verbandsleitung gesetzt ist, ist mir unklar. Noch etwas weiteres: Wiederum gegen die Entscheidung dieser Beschlussbehörde Groß-Berlin ist in der Regel die Beschwerde gegeben, die an einen der Herren Minister geht, an den Herrn Minister des Innern oder an den Minister der öffentlichen Arbeiten, zuweilen auch an beide. Ist das nicht das genaue Gegenteil von einem verständigen Rechtsmittelzug? Wenn hier überhaupt irgendwo von Selbstverwaltung die Rede sein soll, von einem Organ, das irgendwie Vertrauen verdient, dann könnte das ja doch in einem gewissen Umfange höchstens der Fall sein bei der Verbandsversammlung. Nach oben hin verschlechtern sich die Instanzen fortwährend. Was hat die Beschlussbehörde Groß-Berlin für ein Vertrauen zu gewärtigen! Sie ist bürokratisiert weit über das hinaus, was wir schon an der Verbandsversammlung verwerfen. Und nun als Spitze darauf, das heißt als diejenige Instanz, die schließlich und endgültig zu entscheiden hat und die nach einem vernünftig geordneten Rechtsmittelzug die beste Instanz sein müsste, die miserabelste Instanz, die man sich überhaupt denken kann: einfach die bürokratische Instanz des einen Ministers, der es nun in seiner Gewalt hat, einfach zu tun, was ihm passt!

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich verstehe nicht, wie man angesichts einer solchen schließlichen, absolutistischen Befugnis des Ministers überhaupt noch von einer Selbstverwaltung zu sprechen die Kühnheit besitzen kann.

Meine Herren, ich will angesichts dieser charakteristischen Züge des Entwurfs nicht noch weiter über die Auflösungsbefugnis und alle jene anderen schönen Sachen, über die Bestätigung usw., reden. In dieser Beziehung ist alles das zu wiederholen, was ich gestern bereits von dieser Stelle ausgeführt habe. Ich möchte einen bildlichen Vergleich aus der aktuellen Mode wählen: Es ist ein Zweckverband im bürokratischen Humpelrock, den man Berlin gnädiglich zu gestatten geruht – es kann sich darin nicht wohl bewegen!

(Abgeordneter Hoffmann: „Sehr gut!")

Was die Einzelheiten des Gesetzes anbelangt, so sind wir selbstverständlich, unserer allgemeinen Taktik entsprechend, immer geneigt, nach aller Möglichkeit kleine Verbesserungen anzuregen und zu unterstützen.

Ich möchte mich zunächst der örtlichen Ausdehnung zuwenden, und da mich mit der Stadt Spandau besondere Interessen verknüpfen, so habe ich auch Veranlassung, mich zu dem auch jetzt wiederum eingebrachten Antrage der Herren Freikonservativen zu äußern.2

Meine Herren, was Herr Abgeordneter Freiherr von Zedlitz zu diesem Antrage gesagt hat, das dürfte etwa Wort für Wort in sein Gegenteil umgekehrt werden, dann würde es vielleicht richtig sein.

(Abgeordneter Hoffmann: „Wie immer!")

Herr Abgeordneter Freiherr von Zedlitz hat gemeint, dass es andere Orte in Osthavelland gäbe, die Berlin näher lägen und dringender einen Anschluss an den Zweckverband erforderten als Spandau. Ich bin begierig, einen solchen Ort nennen zu hören. Meine Kenntnis von Osthavelland, die ziemlich genau ist, vermag einen solchen Ort nicht ausfindig zu machen. Man kann das weder von dem Südwesten, von der Richtung nach Potsdam, sagen, wo Potsdam der nächste Ort ist, noch von der Richtung nach dem Norden hinaus, wo auch durchweg bei weitem kleinere Orte liegen. Wie eng die Verbindung zwischen Berlin und Spandau ist, wie Spandau wirklich durch die Verhältnisse bereits in die wirtschaftliche Einheit Groß-Berlins aufgenommen ist, so dass dieses Gesetz hier nur nachhinkt, das wird jedem ein kleiner Einblick in die Verkehrsverhältnisse, in den Austausch von Arbeitskräften von Berlin nach Spandau, von Spandau nach Berlin zeigen. Wer die so überaus stark besetzten Eisenbahnzüge beobachtet, die am frühen Morgen und am Abend zwischen den beiden Orten hin- und hergehen, der sieht, wie es sich hier in der Tat nur um ein einheitliches Wirtschaftsleben handelt, das Spandau und Berlin gemeinschaftlich umfasst.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, es liegt in der Tat so, dass durch diese besondere Verbindung zwischen Spandau und Berlin, durch diese engen Verknüpfungen Spandau viel eher die Fühlung mit Osthavelland verloren hat, als dass es umgekehrt wäre. Tatsache ist, dass Spandau ein fast fremdes Glied in dem ganzen Kreis Osthavelland bildet – ich meine in dem ganzen Bezirk, der den Kreis Osthavelland mit umfasst – und dass es in allen seinen Beziehungen bei weitem mehr nach Berlin tendiert. Das gilt auch in Bezug auf das Zeitungswesen, wenn auch in Spandau selbst noch ein paar hinterwäldlerische, vorsintflutliche Blättchen erzeugt werden, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit vegetieren; die große Masse der Bevölkerung liest natürlich Berliner Zeitungen. Das gilt von den Lesern fast aller Parteien. Und man kann nur von Neuem betonen, dass das Gegenteil von dem, was Herr von Zedlitz gesagt hat, richtig ist.

Im Übrigen kommt ja noch die bereits hergestellte äußerliche enge Verbindung des Verkehrswesens zwischen Berlin und Spandau in Betracht. Diese Verbindung ist heute bereits auch auf dem Gebiete der Kleinbahnen Tatsache, und die Entwicklung in dieser Richtung vollzieht sich geradezu rapide. Es sind jetzt neue Linien gebaut worden, auch neue, mit dem Stadtbahn- und Vorortverkehr in Verbindung stehende Linien, unter anderem mit Rücksicht auf den starken Verkehr, der durch die Rennbahn hervorgerufen ist. Die ungeheuer starke Bebauung, die sich über Westend hinaus erstreckt, hat auch auf der südlichen Seite der Eisenbahn schon nahezu dahin geführt, dass auch dort – ich möchte sagen – ein Zusammenwachsen bevorzustehen scheint. An dem Nonnendamm ist aber das Zusammenwachsen Tatsache, und wer den Nonnendamm und seine eigentümlichen Verhältnisse kennt – er braucht gar nicht einmal ein Charlottenburger zu sein –, der wird wohl begreifen, dass hier eine Trennung schlechterdings eine Gewaltsamkeit, eine lebensgefährliche Operation bedeuten würde. Es ist bedauerlich, dass mein Freund Hirsch nicht in der Lage ist, speziell auf diesen Punkt hier einzugehen; er ist ja als Charlottenburger gerade mit diesen Einzelheiten genau vertraut; leider ist er durch anderweite Geschäfte dringlich verhindert, heute hier anwesend zu sein.

Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Ministers in der Spandauer Frage kann ich durchweg unterschreiben. So heftig meine Generalattacke gegen den Herrn Minister war, so gern gebe ich zu, dass er hier einen bei weitem weitsichtigeren Standpunkt vertritt als die jetzige Spandauer Stadtverwaltung. Ich bin überzeugt, wenn wir wirklich die Bevölkerung von Spandau und nicht die auf Grund des elenden Wahlrechts zusammengesetzte Stadtverordnetenversammlung von Spandau fragen würden, dann würde man diesen Widerstand nicht finden, den man gegenwärtig dort erfährt.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Es ist ein Widerstand, der aus engherziger Kirchturmspolitik, einer Politik, die auf dem Boden des Dreiklassenwahlsystems erwachsen ist, geboren ist.

Dass in Zukunft auch die Frage des Großschifffahrtsweges hier ernsthaft mit in Betracht gezogen werden muss, kann keinem Zweifel unterliegen.

Ich möchte mich in Bezug auf die örtliche Ausdehnung vorläufig immerhin mit dem begnügen, was gegeben ist, aber doch betonen, dass nach unserer Auffassung auch hier noch etwas weiter hätte gegriffen werden können. Es ist bei einer derartigen Regelung stets in eine fernere Zukunft zu blicken; solch ein Gesetz macht man nicht alle Jahre. Und wer sich vergegenwärtigt, welche Entwicklung in Berlin und den Vororten sich in den letzten 20, in den letzten 10 Jahren vollzogen hat, wer diese absolute Umgestaltung unserer ganzen Oberfläche in der Nähe von Berlin verfolgt hat und sich einigermaßen zurückversetzt, wird sagen: Wie es in 10 Jahren aussehen wird, ist absolut nicht zu überblicken. In 10 Jahren kann Groß-Berlin schon dermaßen über seine jetzigen Grenzen und Bedürfnisse hinausgewachsen sein, dass ihm das Kleid dieses Zweckverbandes viel zu eng ist. Es wäre meiner Ansicht nach deshalb wohl empfehlenswert gewesen, weiter zugreifen und insbesondere den Kreis Osthavelland und auch die Stadt Potsdam mit einzubegreifen. Aber es ist ja wohl in dieser Richtung nichts mehr zu machen, und ich will deshalb weitere Ausführungen unterlassen.

Was die sachliche Kompetenz des Zweckverbandes anbelangt, so ist uns ja nun ein sonderbares Schicksal widerfahren. Der Herr Abgeordnete Cassel hat unsere Anträge mit sachlichen Argumenten bekämpft, mit denen ich mich sofort befassen werde. Er hat dabei eine gewisse Sympathie mit dem Grundgedanken unserer Anträge keineswegs verkennen lassen. Das war aber für den Herrn Abgeordneten Freiherrn von Zedlitz schon hinreichend, um festzustellen, dass unsere Anträge von dem Herrn Abgeordneten Cassel total totgeschlagen worden seien. Herr Freiherr von Zedlitz hat sich nun die Mühe erspart, unseren Antrag noch einmal totzuschlagen, und das ist vielleicht sehr klug gewesen; denn es wäre ihm vielleicht doch nicht gelungen, etwas Verständiges dagegen zu sagen. Dieser angeblich totgeschlagene Antrag ist demnächst auch von dem Minister des Innern für würdig gehalten worden, noch in ausführlichen Erörterungen bekämpft zu werden, und gerade die Stellungnahme zu unseren Anträgen, speziell zu unserem Antrage zu Paragraph 1, war die piece de resistance in der Rede des Herrn Ministers. Es ist dies für uns ein schlagender Beweis dafür, dass unser Antrag keineswegs eine Absurdität enthält, die man mit einer Handbewegung beiseite schiebt, sondern dass er sehr wohl eine ernstliche Diskussion erfordert und einfach durch sein Vorhandensein eine ernstliche Erörterung durch den Herrn Minister erzwungen hat.

Meine Herren, ganz gewiss trifft es zu, dass unser Antrag in einem gewissen Sinne mit dem Grundgedanken des hier vorliegenden Gesetzes in Widerspruch steht. Wir haben uns aber auch niemals mit dem Grundgedanken des hier vorliegenden Gesetzentwurfs dermaßen einverstanden erklärt, dass wir uns für verpflichtet hielten, diesen von der Staatsregierung approbierten Grundgedanken unsererseits aufrechtzuerhalten und zu fördern. Im Gegenteil: Wir setzen unsere Bemühungen dahin, diesen Grundgedanken, den wir nur als einen kleinen Ansatz einer verständigen Umkehr unserer Verwaltung betrachten, umzugestalten und immer mehr an die Forderung anzunähern, die immer wieder aufgestellt werden muss, an die Forderung der Eingemeindung.

Meine Herren, welchen Grundgedanken will man denn nun auch diesem Gesetz hier zugrunde legen? Es soll der Grundgedanke sein: gerade nur diejenigen Angelegenheiten dem Zweckverbande zur Regelung zu übertragen, die von den einzelnen Verbandsgliedern nicht mehr selbständig, allein, isoliert geregelt werden können. Ja, meine Herren, kann man denn wirklich so absolut sagen, dass es Angelegenheiten gebe, die die einzelnen Gemeinden nicht mehr regeln können? Formell ist die Möglichkeit immer noch vorhanden, weiter fort zu wursteln. Das ist nicht nur im Transportwesen der Fall, das ist auch im Bau- und Wohnungswesen der Fall. Gott, um Himmels willen, es kann ja noch schlechter kommen, als es gegenwärtig ist, wenngleich es nahezu unmöglich zu sein scheint! Wie will man uns denn sagen, dass die Erweiterung und die Erwerbung von größeren Flächen und der Bau von Kleinwohnungen usw. es sind, die absolut, einer formellen unausweichlichen Logik folgend, dem Verband zur Regelung aufgezwungen werden! Das sind Versuche der Formulierung des Grundgedankens eines Gesetzes, die durchaus in die Irre führen müssen. Es handelt sich hier in der Tat einfach um Zweckmäßigkeitserwägungen, von denen das Gesetz ausgeht und von denen wir ausgehen, und der Unterschied ist nur der, dass wir weiter gehen als der Gesetzgeber beziehungsweise als die Königliche Staatsregierung und der bisher vorliegende Entwurf. Man hat gegen unsere Anträge zunächst einmal den ernsten Widerspruch erhoben – es ist das der Abgeordnete Cassel gewesen –, dass eine solche Regelung dieser drei Angelegenheiten durch den Verband unmöglich sei, weil dann die Zehntausende von Menschen fehlen würden, die im Ehrenamt gegenwärtig an der Erledigung dieser Angelegenheiten mitwirken. Ich kann den Einwand des Herrn Abgeordneten Cassel nicht recht verstehen. Wer sagt denn, dass diese im Ehrenamt mitwirkenden Zehntausende künftig ausgeschaltet werden sollen! Er unterlegt unserem Antrag etwas, was absolut nicht in ihm enthalten ist.

Dann ist weiterhin gemeint worden, dass es verwaltungstechnisch überhaupt unmöglich sei, speziell das Volksschulwesen im weiteren Umfange vollkommen zu regeln, die Verwaltung des Volksschulwesens auf den Verband zu übernehmen. Warum diese Verwaltung : nicht ebenso gut auf den Verband soll übernommen werden können, wie sie in den einzelnen Kommunen geführt wird, will mir nicht recht klar erscheinen. Wenn wir eine Eingemeindung hätten, wären wir doch so weit. Warum soll nun dasjenige, was bei einer Eingemeindung möglich ist, nicht auch hier stattfinden können, wenn es auch bei der unsäglichen Halbheit dieses Gesetzes schwerer fallen muss als bei der Eingemeindung, derartig weit gesteckte Ziele zu verfolgen? Natürlich liegt ein sehr ernstes Bedenken vor, das der Abgeordnete Cassel zwar heute nicht zum Ausdruck gebracht hat, das aber wohl auch seinem Standpunkt mit zugrunde liegt.

Wir befinden uns in einer zweifelhaften Situation, wenn wir hier die Ausdehnung der Kompetenzen beantragen. Es scheint eine gewisse Unlogik in unserm Verhalten zu liegen, die sich aus der Widersinnigkeit des Gesetzes selbst ergibt. Wir haben misstrauen gegen die Art der Verwaltung des Zweckverbandes, und dennoch beantragen wir, diesem Verband noch andere, weitere Kompetenzen zu übertragen. Unsere Anträge müssen aber in diesem Sinne organisch als eine Einheit verstanden werden. Wir haben den Antrag gestellt, die Verbandsversammlung auf Grund eines demokratischen Wahlrechts zusammenzusetzen und die Schäden der Bevormundung und die Schäden der ungeschickten und unzweckmäßigen Rechtsmittelinstanzen zu beseitigen. Wenn man das aber als eine Einheit zusammenfasst, kommt man zu dem Ergebnis, dass diese scheinbar in unserm Antrag zu Paragraph 1, – wenn man ihn isoliert betrachtet, liegende Unlogik in der Tat nicht vorhanden ist.

Nun ist von dem Abgeordneten Cassel gefragt worden, was mit dem Wort „Regelung" hier gemeint sei. Dieses Wort ist von uns absichtlich sehr vorsichtig gewählt worden, es ist ein Wort, das einen verschiedenen Umfang bezeichnen kann. Ich darf mich hier aber auf den Gesetzentwurf berufen: da ist ja auch von „Regelung" die Rede, insbesondere bei Ziffer 1, und so sehr hier die „Regelung" in diesen Fällen präzisiert worden ist durch die Bestimmungen des Paragraphen 4 usw., so sehr könnte natürlich für den Fall der Annahme unseres Antrages eine speziellere Definition des Begriffes der Regelung in diesen drei Punkten gesetzgeberisch niedergelegt werden. Ich möchte aber hier im Allgemeinen sagen, dass unsere Ansicht die ist, dass wir eine Einwirkungsbefugnis des Verbandes in verschiedenen Graden ermöglichen, eine Elastizität in dieser Richtung gewähren wollen, dass wir den Verband nicht zwingen wollen, das Volksschulwesen von vornherein unter seine Verwaltung zu nehmen, dass wir ihm aber die Möglichkeit geben wollen, nach eigenem einsichtigen Ermessen sich darüber schlüssig zu werden, inwieweit er eine Kontrolle ausüben will, inwieweit er schulsozialpolitische Maßregeln, hygienische Maßregeln einbeziehen will, inwieweit er die Schullastenfrage einbeziehen will usw. Es soll hier Bewegungsfreiheit gegeben und nicht ohne weiteres ein Zwang durch unseren Antrag auferlegt werden, nun etwa das ganze Volksschulwesen sofort auf den Verband zu übernehmen, wenn uns auch naturgemäß eine Überführung der ganzen Volksschulverwaltung auf den Verband, das heißt auf dasjenige, was wir im Grunde genommen als das zu einer Gemeinde zu erhebende Groß-Berlin betrachten, als das letzte erwünschte Ziel vorschwebt.

3Wenn der Herr Minister gemeint hat, dass in Konsequenz unseres Antrags auch das Mittelschulwesen und das höhere Schulwesen in die Regelung einbezogen werden müssen – ein Widerspruch wird auf unserer Seite, wenn die Königliche Staatsregierung diesen Wunsch ausspricht, nicht erhoben werden, wir haben nichts dagegen, würden es sogar begrüßen, wenn man noch weiter gehen würde als unser Antrag. Wir halten es aber für besonders notwendig, das Volksschulwesen in den Vordergrund zu rücken, da gerade hier außerordentlich bedauerliche Missstände bestehen, wesentlich hervorgerufen durch die Trennung der Verwaltung der verschiedenen Gemeinden. In immer weiteren Kreisen sieht man ein, dass das Gegenteil von dem einen Einwand des Herrn Cassel zutrifft, wie durch eine Zusammenfassung der Verwaltung viele überflüssige Verwaltungsorgane, allerhand Apparate, Kosten erspart werden, wie in jeder Weise die Zusammenfassung zum Wohle des Allgemeinen zweckmäßig ist, wenn wir auch keine Schematisierung wollen und nicht den organischen Charakter der Entwicklung unseres Kommunalwesens in überflüssiger Weise von oben herab stören wollen.

Ich will nun die Lage des Volksschulwesens mit einigen Worten erläutern.

Die Ausgestaltung der Schulen, die soziale Fürsorge für die Schulen in Bezug auf die Lehrmittel und Schulärzte, Schulbäder und Schulbauten, Klassenfrequenz liegen durchaus verschieden in den verschiedenen Gemeinden, die für den Zweckverband in Betracht kommen. Ich möchte mich hier gleich im Beginn dagegen aussprechen, dass der Minister gemeint hat, dieser Antrag könne schon um deswillen bei dem Volksschulwesen nicht in Betracht kommen, weil höchstens gewisse unmittelbar an Berlin angrenzende Gemeinden unter diese Bestimmungen fallen könnten, die also eine Art separaten Unterzweckverband bilden würden. Das ist nicht der Gedanke unseres Antrages. Es mag durchaus der Selbstverwaltung überlassen bleiben, inwieweit sie die Regelung auch örtlich verschieden gestalten will. Wir wollen auch in der Beziehung hier Bewegungsfreiheit und Elastizität gewähren; aber was wäre es für ein Unglück, wenn durch den Beschluss der Generalversammlung die Lieferung freier Lehrmittel, die allgemeine Anstellung von Schulärzten, die Lieferung freien Frühstücks, die Einrichtung von Schulbädern auch für entfernter liegende Gemeinden beschlossen würde? Es ist mir nicht verständlich, wie man einen solchen bürokratisch-formalistischen Einwand gegen unseren Vorschlag glaubt machen zu können.

Die Belastung durch das Volksschulwesen schwankt schon in den sechs Städten, die hier in Betracht kommen, zwischen 5,41 in Wilmersdorf und 10,41 in Charlottenburg. Die durchschnittliche Belastung im Kreis Teltow beträgt 7,75, im Kreis Niederbarnim 8,70 pro Kopf der Bevölkerung. Im Einzelnen sind die Gegensätze viel größer. Sie schwanken zwischen 3,14 und 26,60 pro Kopf der Bevölkerung. Das bedeutet ungefähr das Sechsfache der Volksschulbelastung in vielen naturgemäß ärmeren Gemeinden, die gewöhnlich gleichzeitig die kinderreicheren Gemeinden sind; denn die ärmeren Leute sind es ja, die in erster Linie für die Vermehrung unserer Bevölkerung sorgen. Die höheren Schichten sind ja zu bequem dazu.

(„Sehr gut!")

Ich will die Frage nicht näher erörtern; die Missstände, die sich hieraus ergeben, sind eingehend erörtert in einer Petition der Gemeinde Lichtenberg, die, wie ich voraussetzen darf, den Herren aus dem Hause bekannt ist. Im Übrigen haben diese Missstände dazu geführt, dass der Paragraph 53 unseres Kommunalabgabengesetzes, der auch aus derartigen Missständen geboren ist, in Berlin wiederholt zu recht hässlichen Prozessen geführt hat. Sie entsinnen sich, dass Berlin wiederholt von umliegenden Gemeinden auf Grund der Belastung verklagt worden ist, die diesen dadurch auferlegt worden ist, dass sie die Wohngemeinde für die in Berlin als der Betriebsgemeinde beschäftigte Bevölkerung bilden. Das beweist, wie mir scheint, auf das Deutlichste die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Regelung zum allgemeinen Wohl. Die Volksschule soll auch in dieser Beziehung kein Stiefkind sein, sondern sie soll die allergrößte Fürsorge der Allgemeinheit erfahren. Wenn der Herr Minister meint, dass auch die höhere Schule mit einbezogen werden solle, so will ich ihm in dieser Beziehung gern Material geben, weil ich, wie ich bereits gesagt habe, ihm hierin zustimme. Es ist ein unerträglicher Zustand, dass die Gemeinden in der Umgebung von Berlin für auswärtige Kinder vielfach höhere Schulgelder als für einheimische erheben. Das ist wirklich eines solchen großen Gemeinwesens, wie es Groß-Berlin wirtschaftlich und sozial längst geworden ist, nicht würdig. Auch in Bezug auf das Fortbildungsschulwesen wäre eine gemeinschaftliche Regelung auf das Allerdringendste notwendig, und wir sind gern bereit, unseren Antrag nach dieser Richtung auszudehnen.

Im Übrigen ist von dem Herrn Minister ebenso wie auch von den übrigen Herren Vorrednern gegen die anderen Teile unseres Antrages gleichfalls heftig polemisiert worden. Es ist besonders gegen die Regelung des Armen- und Krankenwesens das ernste Bedenken erhoben worden, dass gerade hier die freiwillige unentgeltliche Mithilfe der einzelnen Bürger nicht mehr in gehöriger Weise stattfinden könne, wenn eine Regelung entsprechend unseren Anträgen stattfinde. Dies Bedenken trifft nicht zu, wie ich bereits vorhin ausgeführt habe. Ich möchte aber noch einmal mit einigen näheren Ausführungen darauf hinweisen, wie dringend notwendig es ist, dass das Armenwesen und die Krankenpflege einheitlich geregelt werden. Es sind die verschiedenen Gemeinden in Bezug auf die Armenpflege, die Krankenpflege und die Einrichtung von eigenen Krankenhäusern ganz verschieden gestellt. In zahlreichen großen Gemeinden gibt es noch keine eigenen Krankenhäuser, und die Zahl der verfügbaren Betten ist vielfach – in gewissem Sinne gilt das heute auch noch selbst für Berlin – unzureichend. Die Klagen hierüber wiederholen sich fortgesetzt. Der Herr Minister hat vorhin gesagt, dass, soweit die Gemeinden bisher noch keine eigenen Krankenhäuser hätten, die Kreiskrankenhäuser usw. vollständig ausreichten. Das trifft durchaus nicht zu. Im Gegenteil, gerade für die Umgegend von Berlin ist die Krankenhausfürsorge unzureichend. Wer in dieser Beziehung die Erörterungen verfolgt, die in den Stadtverordnetenversammlungen von Berlin und den umliegenden Orten von unseren Freunden alljährlich geführt werden müssen, der wird so viel Material hören, dass er eine so allgemeine Behauptung, wie sie der Herr Minister aufgestellt hat, nicht länger wird unterschreiben können. Es herrscht auch noch der besonders betrübende Zustand, dass in Bezug auf die Krankenhäuser die Auswärtigen, ähnlich wie dies im höheren Schulwesen der Fall ist, stärker als die Einheimischen herangezogen werden. Das ist nicht nur etwas an und für sich Unwürdiges, sondern auch etwas Barbarisches, etwas, was dem sozialen Gewissen in das Gesicht schlägt.

Dass bei der Waisenpflege die Verhältnisse gleichartig liegen, dass hier eine großzügige Regulierung stattzufinden hat, dass man hier nicht die Gemeinden, in denen in erster Linie die arme Bevölkerung wohnt und wo natürlich die Armenfürsorge besonders stark in Anspruch genommen wird, auf die Dauer ihrem eigenen Schicksal überlassen darf, sondern sie eben durch Einbeziehung in das große, einheitliche Wirtschaftsgebilde eigentlich erst in denjenigen Zustand der Verwaltung rücken muss, der ihnen natürlich und angemessen ist, darüber sollte es weiterer Ausführungen nicht bedürfen.

Wir können doch durchaus nicht mehr verkennen – und das ist ein Gedanke, von dem speziell der Paragraph 53 des Kommunalabgabengesetzes ausgeht –, dass die ganzen Grundlagen unserer kommunal-organisatorischen Gesetze, auch unseres Kommunalabgabengesetzes, durchaus andere sind als die Grundlagen, auf denen die Gemeindeverwaltung in den großen Städten und ihren Vororten heute tatsächlich aufgebaut ist. Wir sehen, dass unsere Gemeindeordnungen davon ausgehen, dass Betriebs- und Wohnsitzgemeinde identisch sind, dass der einzelne Gemeindeeingesessene sowohl durch seine Arbeit wie auch durch seinen Wohnsitz mit der Gemeinde verknüpft ist, so dass einmal, was an öffentlichen Lasten entsteht, von ihm getragen wird, andererseits er auch die Vorteile aus dem Gemeindewesen seinerseits selbst schöpft und durch seine Arbeit zum Aufblühen des Gemeinwesens beiträgt, an dessen Einrichtungen er partizipiert. In den großen Städten und ihren Vororten ist es nun vollständig anders geworden; eine gänzliche Umgestaltung der Verhältnisse hat stattgefunden. Hier wird gearbeitet, dort wird gewohnt; hier werden die Steuern bezahlt, dort wird die Arbeit geleistet. Eine fortgesetzte Verschiebung in der Richtung einer Trennung zwischen Betriebs- und Wohngemeinde findet statt.

Nun haben sich einmal durch Bauspekulationen, durch eine unglückselige Wohnungspolitik und auch durch eine bedauerliche Verkehrspolitik vielfach gewisse Vororte zu Arbeiterquartieren herausgebildet, und diese Vororte sind nun in der eben angedeuteten Richtung naturgemäß besonders schwer belastet. Aber sie sind es eigentlich nur, wenn man sie isoliert betrachtet. Sie sind in der Tat ein organisches Stück von Groß-Berlin, und den Vorteil davon, dass diese bienenfleißige Arbeiterbevölkerung hier unmittelbar an der Weichbildgrenze von Berlin wohnt, hat Berlin oder haben andere Vororte von Berlin, die nun in ihren Steuerverhältnissen und in ihrem Armenwesen unendlich günstiger gestellt sind als die einzelnen Arbeitergemeinden. Hier muss meiner Ansicht nach schon das einfache Gerechtigkeitsgefühl und ein klein bisschen soziale Einsicht uns sagen, dass gerade das Armenwesen, die Waisenfürsorge usw. ein Gegenstand ist, der einer Regelung durch den Gesamtverband bedarf. Denn nichts wächst so sehr aus dem organischen sozialen Wesen unserer heutigen Zeit wie die Armut, die Proletarisierung der Bevölkerung. Das Proletariat in den Berlin umgebenden Orten ist das organischste Produkt des Wirtschaftslebens von Gesamtberlin. Ist es da nun nicht natürlich und verständig, dass man fordert, dass nun auch das aus dieser Proletarisierung, dieser Anhäufung von Arbeitermassen entstehende Armenwesen in derselben großzügigen und organischen Weise reguliert wird, wie es aus dem Gesamtorganismus der Wirtschaftseinheit Groß-Berlin erwachsen ist? Ich meine, wenn man einmal von diesem Grundgedanken des Gesetzes ausgeht, den der Herr Minister vorhin entwickelt hat, dann kann man kaum irgendeinen Punkt als so sehr einer Regelung durch die Allgemeinheit bedürftig bezeichnen wie gerade das Armenwesen und auch das Volksschulwesen, das ja in einem gewissen Sinne verwandt zu beurteilen ist wie das eben von mir ausführlich erörterte Armenwesen.

Mit dem Steuerwesen liegt es ja nun allerdings, wie ich gern zugeben will, etwas schwieriger. Es lässt sich nicht verkennen, dass der Einwand des Herrn Ministers einen berechtigten Kern hat, dass man, wenn man das gesamte Steuerwesen zu einer Angelegenheit des Verbandes machen wolle, damit die kommunalpolitische Selbständigkeit aufhebe, weil ja eigentlich das Steuerwesen nichts weiter ist als der finanzgesetzliche Schlussausdruck dessen, was von den Gemeinden an öffentlichen Aufgaben im allgemeinen erfüllt wird. Aber, meine Herren, wir haben ja zu dem Gesetzentwurf gar nicht so zimperlich Stellung genommen, dass wir Bedenken tragen müssten, in noch weiterem Umfange, als sich das an und für sich aus dem Wortlaute unseres Antrages 370 ergibt, in die Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden einzugreifen. Wenn, was wir für erforderlich halten, unser Antrag 370 in Verbindung gebracht wird mit dem Antrag 3724, dann ist eine solche Organisation des Verbandes garantiert, dass wir ruhig auch die hier an die Wand gemalte Konsequenz akzeptieren könnten.

Im Übrigen ist aber auch in diesen Fragen der Antrag von meinen Parteifreunden so gefasst, dass er durchaus nicht zu so weitgehenden Konsequenzen zu führen braucht, wie sie der Herr Minister vorhin vorausgesetzt hat. Meine Herren, das Steuerwesen ist ja gerade auf kommunalem Gebiete ungeheuer kompliziert. Wenn ich die großen Verschiedenheiten des Gemeindeeinkommensteuerwesens gänzlich außer acht lasse, kommt die Grund- und Gebäudesteuer in Betracht, die in den Gemeinden in sehr verschiedener Höhe erhoben wird, die Gewerbesteuer, die gleichfalls in den verschiedenen Gemeinden sehr stark abweicht, ebenso die Umsatzsteuer, die Wertzuwachssteuer, die Kanalisationsgebühren, die Bier- und Braumalzsteuer und dergleichen Sachen. Die Bier- und Braumalzsteuer wird ja auch noch in einigen Gemeinden der Berliner Umgebung erhoben. Sind denn da nicht eine Masse Angelegenheiten, die bei einer ganz vorsichtigen und gar nicht übermäßig radikalen Auffassung der Sache sehr wohl einer Erörterung, Regelung und Kontrolle durch den Verband unterzogen werden könnten?

Also all diese Bedenken können wir nicht akzeptieren. Sie gehen durchweg fehl und sind nur verständlich entweder aus der Abneigung gegen den Verband an und für sich wegen der mangelhaften Gestaltung, die er in dem Gesetz erfahren hat. Solche Bedenken würdigen wir, anerkennen wir, teilen wir, suchen wir aber zu beseitigen durch die Kombination unserer verschiedenen Anträge, insbesondere durch den Antrag 372. Abgesehen davon sind derartige Einwürfe nur verständlich aus dem Gedanken und dem Willen heraus, der Gemeinde Berlin und den umgebenden Gemeinden nicht um einen Heller mehr zu geben, als absolut gegeben werden muss, und die Interessen der Allgemeinheit hinter die Gesichtspunkte zurückzustellen, die bisher eine wirklich großzügige, die allgemeinen Interessen befriedigende Regelung der uns berührenden schwierigen Verhältnisse verhindert haben.

Meine Herren, wir gehen bei unseren Anträgen noch längst nicht weit genug. Wir haben uns sehr überlegt, ob wir nicht noch weitergehende Anträge stellen sollten. Ich kann Ihnen einige Angelegenheiten aufzählen, die gleichfalls mit hierher gehörten, wenn man in der weitherzigen und verständigen Weise an die Materie heranginge, die der Sachlage entsprechen würde, Angelegenheiten, die aber von uns im Augenblick zurückgestellt worden sind. Ich spreche von der Sonntagsruhe, von dem Ladenschluss, bei denen allerlei komplizierte Gegensätze bestehen. Zwei Häuser in der einen Straße gehören zu dieser Gemeinde, die anderen zu jener, und drei, vier Gemeinden stoßen zusammen mit verschiedenem Ladenschluss, mit verschiedener Geschäftszeit an den Sonntagen. Die Konzessionen im Gastwirtsgewerbe, die Polizeistunden, die Polizeiverwaltung im Allgemeinen, die Regelung der Tanzlustbarkeiten – es gibt eine Menge von Angelegenheiten, die in allerernstester Weise in die Interessen der Gemeindeangehörigen eingreifen und die durchaus einer Regelung durch den Gesamtverband bedürften. Aber wir haben Abstand genommen, in unseren Anträgen weiterzugehen. Ich habe Ihnen nur diese Aufzählung gegeben, um Ihnen zu zeigen, dass unserem Antrage höchstens der Vorwurf gemacht werden kann, dass wir allzu bescheiden gewesen sind.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten. – Widerspruch.)

Wir sind freilich nicht gern bescheiden nach dem Sprichwort: Nur die Lumpen sind bescheiden!

Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt.

Ich resümiere mich dahin, dass wir diesem Gesetze nach seinem ganzen organisatorischen Charakter schroff gegenüberstehen, dass wir an Sie in letzter Stunde noch einmal den Appell richten, in Bezug auf die organisatorischen Grundlagen diejenigen Forderungen zu erfüllen, die wir erhoben haben, und den Zweckverband aufzubauen auf derjenigen breiten demokratischen Grundlage, die notwendig ist, damit der Verband getragen wird von dem Vertrauen der gesamten Bevölkerung, von dem Vertrauen, das wiederum nötig ist, um die ersprießliche Durchführung der wichtigen und ernsten Aufgaben des Verbandes zu garantieren.

1 Entsprechend dem Gesetzentwurf wurden die Stadtkreise Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Rixdorf (Neukölln), Deutsch-Wilmersdorf, Lichtenberg und Spandau sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim zu einem Zweckverbande zur Wahrnehmung folgender Aufgaben, die im § 1 niedergelegt waren, vereinigt: „1. Regelung des Verhältnisses zu öffentlichen, auf Schienen betriebenen Transportanstalten mit Ausnahme der Staatseisenbahn (§ 4); 2. Beteiligung an der Feststellung der Fluchtlinien- und Bebauungspläne für das Verbandsgebiet und Mitwirkung an dem Erlass von Baupolizeiordnungen (§§5–8); 3. Erwerbung und Erhaltung größerer, von der Bebauung frei zu haltender Flächen (Wälder, Parks, Wiesen, Seen, Schmuck-, Spiel-, Sportplätze usw.) (§ 9); 4. Erwerbung von Flächen für den Bau von Kleinwohnungen (§ 10)." Der Punkt 4 wurde durch das preußische Herrenhaus gestrichen. – Zur Erweiterung des Aufgabengebietes des Zweckverbandes hatte die sozialdemokratische Fraktion beantragt: (Antrag 370) „Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, in § 1 Abs. 1 als Nr. 5 bis 7 einzuschalten: 5. Regelung des Volksschulwesens; 6. Regelung der Armen-, Waisen- und Kranken-Pflege; 7. Regelung des Steuerwesens." Dieser Antrag wurde abgelehnt.

2 Sie forderten darin, Spandau nicht in den Zweckverband aufzunehmen. Die Red.

3 Der folgende Absatz fehlt in den „Reden und Schriften“.

4 Antrag Nr. 372 forderte die Wahl der Verbandsversammlung auf Grund eines demokratischen Wahlrechts. Die Red.

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