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Karl Liebknecht 19110316 Preußens Universitäten – ein Kapitel preußischer Unkultur

Karl Liebknecht: Preußens Universitäten – ein Kapitel preußischer Unkultur

Rede im preußischen Abgeordnetenhaus zum Kultusetat

[Nach Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 3. Bd., Berlin 1911, Sp. 4214-4226 und nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 4, S. 254-274]

Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Kultusministers über die Verbindung von Lehr- und Forschungstätigkeit und über die Notwendigkeit, spezielle Forschungsinstitute zu schaffen für solche Arbeiten, die nicht wohl mit der Lehrtätigkeit verknüpft werden können, können im Allgemeinen durchaus unterschrieben werden. Ich meine aber, dass, wenn dieses unzweifelhafte Bedürfnis anzuerkennen ist, darum doch der Weg, auf dem gegenwärtig versucht wird, ihm zu genügen, als ein richtiger nicht anerkannt werden kann.

Meine Herren, über die Kaiser Wilhelm-Gesellschaft habe ich bereits gestern gesprochen; ich will deshalb hier nicht des Näheren darauf eingehen. Aber das möchte ich doch noch betonen: Diese Gesellschaft ist nicht eine sich selbst frei verwaltende, sie trägt durchaus nicht denjenigen selbstverwaltenden republikanischen Charakter, den Forschungsinstitute tragen müssen. Sie steht zu sehr unter dem Protektorate einer allzu hochstehenden Persönlichkeit, als dass es denkbar wäre, dass sie in unbefangener Weise ihre Aufgaben erfüllen könnte. Meine Herren, denken sie daran, dass einer der ersten Akte, mit denen die neu gegründete Kaiser Wilhelm-Gesellschaft in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt hat, die Verleihung von bunten Uniformen und dergleichen war. Meine Herren, eine Wissenschaft und Forschung in Uniform hat bisher kaum jemals gut getan. Ich glaube, von allen anderen Bedenken abgesehen, die bereits vorgetragen sind, genügt das, um unseren Zweifel, ob der von dem Herrn Kultusminister erwähnte Weg nach dem an und für sich erstrebenswerten Ziele richtig ist, zu begründen.

Meine Herren, man hat gestern geglaubt, mich angreifen zu können wegen meiner Ausführungen über den Einfluss des Privatkapitals, das zu Stiftungen von wissenschaftlichem Charakter benutzt wird, auf die Richtung, die in diesen Instituten zur Geltung kommt. Ich wurde besonders angegriffen, weil ich die Art, wie in Amerika das Privatkapital sich mit der Einrichtung von Universitäten und von anderen Forschungsinstituten beschäftigt, bekämpft und nicht als das wünschenswerte Ideal bezeichnet hatte, weil ich speziell betont hatte, dass das Privatkapital in Amerika auf die Züchtung von Intelligenzen gegenwärtig in derselben Weise hinarbeitet, wie es Kohle, Eisen und dergleichen produziert. Selbstverständlich habe ich damit nicht dasjenige sagen wollen, was Herr Dr. Wagner mir imputiert hat, ich habe mit dieser Kennzeichnung der Freundlichkeit der amerikanischen Kapitalisten gegenüber den geistigen Bestrebungen der Zeit unter Hinweis auf die Art der Unterstützung dieser Bestrebungen nur die große Gefahr der Abhängigkeit der Wissenschaft von den Wünschen, Bedürfnissen und Befehlen des Privatkapitals zeigen wollen. Meine Herren, es gilt von den Kapitalisten drüben wie hüben dasjenige, was unser größter Dichter über Mephisto gesagt hat: „Sie tun nicht leicht um Gottes willen, was einem anderen nützlich ist."

Meine Herren, die private Subventionierung von Universitäten ist deshalb von uns grundsätzlich zu bekämpfen. Ganz anders steht es aber mit der Frage, inwieweit man den einzelnen Kommunen die Möglichkeit geben will, sich auf Grund ihrer Selbstverwaltung Forschungsinstitute und Lehrinstitute nach Art der Universitäten einzurichten. Wir sind nicht der Ansicht, dass das Universitätswesen unbedingt dermaßen unter staatlicher Kontrolle und Leitung stehen müsse, wie das gegenwärtig der Fall ist. Wir halten es für viel nützlicher, wenn auch auf dem Gebiete der Begründung von Universitäten und ähnlichen Instituten der freien Initiative speziell der Selbstverwaltungskörper möglichst weiter Spielraum gelassen wird.

Meine Herren, wir können selbstverständlich auch das Bedenken gegen die Universität Frankfurt am Main nicht anerkennen, das sich darauf stützt, dass Frankfurt am Main eine Großstadt ist und der Zug nach der Großstadt an und für sich zu bedauern, zu bekämpfen sei. Der Zug nach der Großstadt ist, wenn Bildungsbestrebungen verfolgt werden sollen, ganz unvermeidlich. Es ist eine notwendige Konsequenz unseres modernen Staats- und Gesellschaftslebens, dass sich die Schätze und Einrichtungen, die zur Bildung und zur Forschung dienen, in allererster Linie in den größeren Städten aufhäufen, und ich bin überzeugt, dass es auch für unsere Studentenschaft von allergrößter Wichtigkeit ist, dass sie während ihrer Studentenzeit das Leben in den großen Städten kennenlernt, etwas von dem großen Hauch unserer modernen Zeit berührt wird und nicht in kleinen Universitätsnestern versauert und verschimmelt,

(„Oho!" rechts.)

wie das gar zu leicht in gewissen kleinen rückständigen Universitätsstädten der Fall ist, wo das kleinbürgerliche Philistertum – nicht in dem bierstudentischen Sinne, aber im Sinne einer modernen, wirklichen Bildung – allenthalben den Hauptton angibt. Das können Sie gar nicht bestreiten, meine Herren. Es ist natürlich bedauerlich, dass das großstädtische Leben mit mancherlei Versuchungen und auch Gefahren für die Gesundheit der studierenden Jugend verknüpft ist. Aber trotz alledem: Ein Mittel gegen diese Gefahren liegt nicht darin, dass man die großen Städte nach Möglichkeit von Universitäten zu entblößen sucht; gegen diese Gefahren für die studierende Jugend müssen andere Mittel angewandt werden.

Meine Herren, aus dem Professorenstreit1, den wir gestern behandelt haben, ist ja inzwischen ein Fall Bernhard, ein Bernhard-Skandal geworden

(Unruhe.)

nach dem, was gestern der Abgeordnete Korfanty vorgetragen hat. Ich spreche hier nicht von dem Professorenstreit, sondern nur von dem, was Herr Korfanty hier gestern über den Professor Bernhard vorgetragen hat.

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Herr Abgeordneter, auf diese Sache dürfen Sie nicht mehr eingehen, die Debatte darüber ist geschlossen.

Liebknecht: Ich füge mich und will nur noch mit einem Worte die Auffassung zurückweisen, als ob von Seiten meiner Partei, wie das nach einer gestrigen Auslassung des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmann den Anschein erwecken könnte, in Bezug auf unsere Professoren von einem Streit um die Futterkrippe gesprochen worden wäre. Ich hebe ausdrücklich hervor, dass das nicht in unserer Presse geschehen ist. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass es durchaus deplatziert ist, den Kampf gegen die auf unseren Universitäten vorhandenen Geistesrichtungen mit derartigen Vorwürfen gegen unsere Professoren zu führen.

Meine Herren, unzweifelhaft ist unsere Universitätsverwaltung nicht so gestaltet, dass wir Sozialdemokraten uns damit zufriedenstellen können. Der Herr Kultusminister war vorhin so liebenswürdig zu erklären, dass er nicht die Absicht habe, die Selbstverwaltung der Universitäten irgendwie zu beschneiden. Er fügte dann allerdings charakteristisch hinzu, dass die bereits gegenwärtig der Bürokratie gegebenen Befugnisse hinreichten. Das ist nur allzu wahr, und die Worte des Herrn Ministers sind ganz gewiss kein Ausfluss einer allzu großen Bescheidenheit. Nachdem dem Kultusminister und unserer Bürokratie überhaupt eine solche Überfülle von Rechten gegenüber den Universitäten eingeräumt worden ist oder sie sich diese Befugnisse genommen haben, kann ich es durchaus begreifen, dass die Bürokratie mit diesen bereits vorhandenen Befugnissen auskommen zu können glaubt und ein Bedürfnis nach weiteren Befugnissen nicht empfindet. Aber, meine Herren, es ist sicherlich von großer Wichtigkeit, auf die besonderen Gefahren dieser Bürokratisierung hinzuweisen, die sich bei verschiedenen Gelegenheiten gerade in der letzten Zeit gezeigt haben.

Zunächst will ich daran erinnern, dass es lange Zeit unmöglich war, den Platz des Herrn Professors Olshausen wieder auszufüllen, dass unausgesetzt Ablehnung auf Ablehnung von den in Aussicht genommenen Koryphäen der medizinischen Wissenschaft erfolgte. Ich zweifle nicht, dass das zum guten Teil mit der Bürokratisierung und Reglementierung zusammenhängt, die auf den preußischen Universitäten zu Hause ist und die einem Gelehrten, der auf süddeutschen Lehrstühlen beschäftigt ist, die Lust nimmt, nach Preußen herüberzukommen. Und, meine Herren, wir können in der Tat über eine Regierungsprotektionswirtschaft an unseren Universitäten klagen. Wir können unsere Klagen speziell auf die Vorgänge fundieren, die sich bei der Berufung des Professors Bernhard abgespielt haben, und auf die Art, wie ihm während des Kampfes gegen seine Kollegen vom Kultusministerium der Rücken gestärkt worden ist. Meine Herren, es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses bürokratisch-protektionistische Eingreifen für die hakatistische2 Tendenzprofessur den inneren Anlass zu dem ganzen Professorenstreit gegeben hat, von dem ich nicht reden will. Aber, meine Herren, zur Kennzeichnung des Geistes, mit dem man die Professorenschaft hier in diesem Hause und auch im Kultusministerium behandelt hat, möchte ich doch darauf hinweisen, dass immer und immer wieder betont worden ist: Wenn dem Professor Bernhard – ich rede nicht von dem Professorenstreit – ein Wortbruch nachgewiesen werden würde, so würde er unzweifelhaft diszipliniert werden müssen. Meine Herren, ein Wortbruch seinen Kollegen gegenüber, das wäre gewiss ein Akt der Unkollegialität und ein Akt der Unehrenhaftigkeit; denn Wortbruch ist unehrenhaft. Meine Herren, dies ist eine Auffassung über die Moral innerhalb der Professorenschaft, die mir sympathisch ist, die ich gern anerkenne. Sie veranlasst mich aber, die Herren an die Paragraphen 152 und 153 der Gewerbeordnung zu erinnern. Meine Herren, es wird der Arbeiterschaft so sehr zum Vorwurf gemacht, wenn sie etwa mit einem Kollegen, der wortbrüchig geworden ist und der ihr bei einem Lohnkampfe in den Rücken gefallen ist, nicht zusammenarbeiten will, weil er sich unkollegial, unsolidarisch betragen habe und dergleichen. Wir sehen, welch feines Empfinden die Herren für die Bedürfnisse der Kollegialität und die persönliche Ehrenhaftigkeit derjenigen haben, mit denen man verkehren soll, wenn es sich um Personen handelt, die ihrem eigenen Stande angehören; wie sie aber mit Feuer und Schwert einschreiten, wenn ähnliche Ehrenanschauungen in der Arbeiterschaft sich geltend machen.

Meine Herren, eine Anzahl von Einzelheiten, die ich anführen könnte, will ich beiseite legen, um nicht zu ausführlich zu werden.

Meine Herren, wenn wir uns gegen die Bevormundung und Reglementierung der Universitätsdozenten wenden, so wenden wir uns selbstverständlich auch gegen jede Zunft und gegen jeden Zopf innerhalb unserer Professorenschaft; so sind wir selbstverständlich keine Freunde einer hermetischen, engherzigen Abschließung der Universitäten, wie sie vielleicht in der Professorenschaft in letzter Zeit hie und da beliebt sein mag.

Meine Herren, das Kultusministerium denkt jetzt im Sinn des alten Worts: Unterm Krummstab ist gut leben. Meine Herren, allerdings ist ja die Universitätsverwaltung in Preußen gegenwärtig mit der Kurie wegen des Modernisteneides3 in einem gewissen Kriegszustande; aber, meine Herren, wir sind wohl berechtigt, daran zu zweifeln, ob das Kultusministerium in diesem Krieg mit ernstem Nachdruck auftreten wird und ob es nicht schließlich doch mit aller Geschwindigkeit vor dem Zentrum und dem Klerus kapitulieren wird. Meine Herren, die Art, wie Herr Dr. Porsch gegenüber der Ankündigung des Herrn Reichskanzlers aufgetreten ist,

(Zuruf im Zentrum: „Sehr schön!")

den Geschichtsunterricht und den Unterricht im Deutschen künftig den mit dem Antimodernisteneid belasteten Professoren nicht mehr anzuvertrauen, und die Art, wie daraufhin alsbald von dem Herrn Kultusminister diese Maßregel dem Zentrum gegenüber gewissermaßen als eine Rückzugskanonade, als eine Flucht gekennzeichnet, ja als eine Friedensmaßregel gewissermaßen entschuldigt worden ist, die lässt in dieser Beziehung das Allerschlimmste erwarten.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Von Herrn Abgeordneten Dr. Porsch speziell ist in Bezug auf die wissenschaftlichen Aufgaben der Universitäten ein Standpunkt vertreten worden, der die schärfste Ablehnung herausfordert.

Meine Herren, Herr Abgeordneter Dr. Porsch hat behauptet, dass die Theologie als die Wissenschaft von Gott in erster Linie in die universitas litterarum hineingehöre.

(„Sehr richtig!" im Zentrum.)

Tatsache ist, dass keine Wissenschaft an sich weniger in die Universitäten hineingehört als die Theologie, soweit sie eine dogmatische Theologie ist. Meine Herren, die Theologie in diesem Sinne ist überhaupt keine Wissenschaft;

(Zuruf aus dem Zentrum: „Keine Ahnung!")

die Theologie kann in diesem Sinne eine Wissenschaft gar nicht sein, weil ihr die wesentlichste Voraussetzung, die Ungebundenheit, fehlt, weil ihr dasjenige fehlt, was die Wissenschaft ausmacht, nämlich die Möglichkeit einer unbeschränkten, freien Forschung. Meine Herren, Sie können Glauben und Wissenschaft in Gegensatz setzen, das hat Sinn und Verstand; aber sagen zu wollen, dass die Theologie eine Wissenschaft sei, das heißt ja eben wieder den Unterschied zwischen Glauben und Wissenschaft konfundieren. Meine Herren, Sie ächten die Wissenschaft – und von Ihrem Standpunkt aus mit Fug und Recht –, soweit sie versucht, mit den Methoden des Verstandes in die Geheimnisse dessen, was im Gebiet des Glaubens liegt, einzudringen. Ja, wenn das zutrifft, dann erklären Sie damit, dass eben auf dem Gebiet des Glaubens und damit der Theologie überhaupt kein Baum ist für die geistigen Tätigkeiten, die für die Wissenschaft allein in Frage kommen. Meine Herren, die Theologie gehört, wenn überhaupt etwas nicht in die Universität gehört, nicht in die Universität hinein. Aber, meine Herren, wir sind selbstverständlich nicht so engherzig, sie heraus weisen zu wollen. Wir sind nur der Ansicht, dass es eine unerhörte Anmaßung ist zu sagen, dass gerade diejenige „Wissenschaft" – in Anführungsstrichen! –, die da nicht sagt, dass sie noch die Wahrheit zu erforschen habe, sondern die bereits behauptet, „die Wahrheit" gefunden zu haben, wie Herr Abgeordneter Dr. Porsch gesagt hat,

(Zuruf im Zentrum: „Mit Recht gesagt hat!")

dass gerade diese „Wissenschaft" den Vorrang vor den anderen Wissenschaften besitze. Meine Herren, eine Wissenschaft, die behauptet, bereits „die Wahrheit" in der Tasche zu haben, erklärt sich damit von selbst als das Gegenteil aller Wissenschaft.

Nun, meine Herren, hat Herr Abgeordneter Dr. Porsch weiter ausgerufen: Was soll man dazu sagen, wenn man auf der einen Seite den Dozenten die venia docendi versagen will, die zu viel glauben, während man auf der anderen Seite kein Hindernis für die Lehrtätigkeit darin erblickt, wenn die Dozenten zu wenig glauben; und er hat dann speziell auf die verwiesen, die „an nichts anderes glauben als an sich selbst". Ja, meine Herren, was ist das für eine unsagbare Verkennung des Standpunktes derer, die nicht an einen persönlichen Gott glauben; was ist das für ein schlagender Beweis dafür, dass Sie sich nie und nimmer auch nur ernste Mühe gegeben haben, in die Gedankenwelt, die Empfindungswelt und das Seelenleben derer einzudringen, die nicht auf Ihrem dogmatischen Standpunkt stehen. Der Glaube an sich selbst gehört am allerwenigsten zu demjenigen, was die Nicht-dogmatisch-Gläubigen charakterisiert. Sie glauben an die Gesetze der Logik; sie glauben an die Naturgesetze, sie bemühen sich mit allen dadurch gegebenen Mitteln, der Wahrheit nachzuforschen; das ist es, was ihre Tätigkeit charakterisiert und nicht ein lächerlicher Glaube an sich selbst. Meine Herren, aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Porsch klangen Ansichten heraus, die wohl zurückgewiesen werden könnten mit jenen Worten aus dem „Faust":

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,

des Menschen allerhöchste Kraft!"

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, dass auch die liberale Theologie nur eine Halbheit ist, will ich hier nicht näher ausführen. Alles, was ich in Bezug auf die katholische Theologie gesagt habe, gilt auch für die protestantische Theologie.

Meine Herren, nun aber eine andere Frage, die ich an Sie richte! Wenn hier von verschiedenen Seiten des Hauses mit so großem Nachdruck die Freiheit der Dozentur auch für die mit dem Antimodernisteneid belasteten Dozenten gefordert worden ist; wenn hier wiederum von der anderen Seite, von den Gegnern des Antimodernisteneides, mit großer Emphase betont worden ist, dass man sich gegen alle Gesinnungsschnüffelei, gegen allen Gewissenszwang wenden müsse, meine Herren, dann frage ich Sie: Wie steht es denn mit der Freiheit der sozialen, der politischen, der ökonomischen Ansichten der Dozenten? Meine Herren, auf die Einzelheiten hier einzugehen erübrigt sich, weil uns die letzten Tage bereits Gelegenheit gegeben hatten, diese Seite der Sache näher zu erörtern. Aber wer es wagt, in Bezug auf unsere Universitäten zu behaupten, dass sie Stätten vorurteilsloser, voraussetzungsloser Wissenschaft seien; wer zu behaupten wagt, dass an unsern Universitäten kein Gewissenszwang ausgeübt werde und dass jede wissenschaftliche Anschauung an unseren Universitäten eine Freistätte fände: der behauptet damit etwas, was den Tatsachen mitten ins Gesicht hineinschlägt.

Unsere Universitäten sind Stätten, von denen das gilt, was ich gestern als die Ansicht des Herrn Kultusministers reproduziert habe: Sie werden von Ihnen als Anstalten im Interesse der herrschenden Klassen, im Interesse der Staatsgewalt betrachtet, die dazu dienen sollen, solche Anschauungen zu erzielen, die Sie für zweckmäßig halten und die von Ihnen deshalb, sobald sie in irgendeiner Weise versuchen, wider diesen Stachel zu löcken, sofort reglementiert und schikaniert werden; für die sofort das Disziplinarverfahren zur Hand ist, um alle Bestrebungen nach wirklich freier Forschung zu unterbinden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich möchte Herrn Abgeordneten Dr. Bell4, der einen sozialeren Geist für unsere Dozenten wünschte, doch einmal ans Herz legen, sich die Ausführungen der „Hamburger Nachrichten" vom 12. Dezember des vergangenen Jahres anzusehen, wo dieses sehr einflussreiche Organ mit außerordentlicher Emphase gegen die Kathedersozialisten zetert. Also selbst derjenige soziale Geist, der gegenwärtig schon auf unseren Universitäten vorhanden ist und durch gewisse Gelehrte vertreten wird, selbst dieser Geist geht der Unterrichtsverwaltung sicher vielfach – davon bin ich fest überzeugt – allzu weit, jedenfalls den Kreisen zu weit, die auf unsere Unterrichtsverwaltung einen sehr maßgeblichen Einfluss haben.

Meine Herren, ich weiß selbstverständlich, dass das, was ich eben angegriffen habe, von Ihnen nicht einmal als eine Untugend empfunden wird, sondern dass die größten Parteien dieses Hauses vielmehr das von mir Bemängelte als ihr gutes Recht betrachten, nämlich das Messen mit zweierlei Maß. Ich erinnere daran, dass am 13. März der Abgeordnete Heckenroth5 es war, der erklärte: Mit zweierlei Maß muss ganz mit Recht gemessen werden, und zwar speziell in Bezug auf die Unterrichtsverwaltung. Damit ist auch klar formuliert diejenige Anschauung, die wir von unserm Standpunkt aus mit der allergrößten Schärfe zu bekämpfen und zu kennzeichnen Veranlassung haben und die zu bekämpfen und zu brandmarken wir nie und nimmer müde sein werden, die Anschauung, die der ganzen Unterrichtsverwaltung und der ganzen Verwaltung des preußischen Staates zugrunde liegt.

Wenn ich so bestreiten muss, dass für unsere Dozenten eine wirkliche Freiheit besteht, so muss ich auch zu meinem lebhaften Bedauern bestreiten, dass für unsre Studenten eine derartige Freiheit besteht.

(„Sehr richtig!" bei den Sozialdemokraten.)

Ich darf wohl erinnern an den Vorgang, der sich im November 1909 in Halle abgespielt hat, wo der Rektor der Universität die Studenten durch Anschlag aufgefordert hat, für den Gegner der Sozialdemokratie bei der Nachwahl unmittelbar als Schlepper usw. tätig zu sein. Hier ist also die Studentenschaft direkt zu einer politischen Aktion durch den Rektor der Universität aufgefordert worden.

(„Sehr wahr!" bei den Sozialdemokraten.)

Nun sind unter den Studenten, wie Sie alle wissen, auch solche unter 21 Jahren. Ich möchte wissen, ob der Herr Kultusminister Veranlassung genommen hat, gegen ein solches Vorgehen einzuschreiten und die nach der damaligen Praxis noch der Fuchtel der Unterrichtsverwaltung und Schulaufsicht unterliegenden jungen Leute zur Räson zu rufen. Wenn wir hören, wie bis in die letzten Tage, nämlich bis zum 27. Februar dieses Jahres, die Königliche Regierung, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen in Liegnitz, sich nicht gescheut hat, der Anschauung folgend, die wir neulich bereits gekennzeichnet haben und die von dem Herrn Kultusminister gegenwärtig anscheinend aufgegeben ist, den Arbeiterturnvereinen nach dem alten Rezept Schwierigkeiten zu bereiten und den sogenannten „Unterricht" an alle Personen unter 21 Jahren von dem Unterrichtserlaubnisschein abhängig zu machen, dann muss man in der Tat sagen – –

(Glocke des Präsidenten.)

Präsident von Kröcher: Herr Abgeordneter, Sie kommen von den Universitäten ab. Provinzialschulkollegien haben doch mit den Universitäten nichts zu tun.

Liebknecht: Ich bin auch bereits fertig.

Meine Herren, nun erinnere ich an den Vorgang, der sich vor wenigen Monaten hier in Berlin abgespielt hat. In Leipzig hatte eine Studentenversammlung stattgefunden, veranstaltet von der Freien Studentenschaft Leipzig, in der mein Parteifreund Bernstein über das sozialdemokratische Programm sprach. In dieser Versammlung trat ein gewisser Dr. Henrici als erster Diskussionsredner auf, und während bis dahin alles sachlich und ruhig verlaufen war, nahm er Anlass zu heftigen agitatorischen Ausfällen gegen die Sozialdemokratie. Als ihm schließlich das Wort entzogen wurde, weil seine Ausführungen nicht zur Sache gehörten, hat er dann, als er sich auf seinen Platz begeben hatte, plötzlich ein Kaiserhoch ausgebracht, und, als er deswegen hinausgewiesen wurde, ungeheuren Lärm geschlagen und in Berlin eine Versammlung zustande gebracht, von der ich eben sprechen will. Diese Versammlung, im wesentlichen zusammenberufen auf Veranlassung antisemitischer Abgeordneter, hat eine Resolution gefasst, die die Tendenz verfolgt, der Studentenschaft die freie politische Betätigung an der Universität nach Möglichkeit zu unterbinden. Es ist in dieser Versammlung unzweifelhaft auf eine geistige, besonders politische Knebelung der studentischen Jugend abgesehen gewesen. Und wenn wir sehen, wie auf diese Versammlung und auf die dort gefasste Resolution, wie auf diesen Henrici-Skandal von den Universitätsaufsichtsbehörden reagiert worden ist, so müssen wir die Überzeugung gewinnen, dass die reaktionären Tendenzen bereits ihr Ziel erreicht haben.

Es ist Ihnen bekannt, dass meinem Parteifreund Dr. Südekum ein Vortrag, den er vor der Freien Studentenschaft in Halle halten wollte, verboten wurde mit Rücksicht darauf, dass man Vorträge über politische Probleme, auch wenn sie theoretischer Natur sind, vor Studenten nicht dulden will.

Wir müssen uns auf das Schärfste gegen diese bürokratische Beschränkung und Knebelung unserer Studentenschaft wenden. Die Freie Studentenschaft ist weit davon entfernt, irgendwie mit der Sozialdemokratie zu liebäugeln. Sie hat sich erst neulich auf das schärfste durch einen Vertreter sogar dagegen ausgesprochen, dass man sie als liberal bezeichnen solle. Die Freie Studentenschaft unterscheidet sich von den anderen Studentenverbindungen und -zusammenschlüssen – denn eine Organisation ist sie ja nicht – nur dadurch, dass sie einmal den Vereinszwang zu vermeiden sucht, und andererseits nach Möglichkeit den ihr aggregierten Studenten die Gelegenheit geben will, sich über alle Fragen des öffentlichen, staatlichen und wissenschaftlichen Lebens selbständig zu orientieren. Dass das eine verständige Aufgabe ist, den Studenten möglichst viel authentisches Material zu unterbreiten zur selbständigen Prüfung, damit sie auf Grund selbständiger Prüfung ihre eigene Weltanschauung, ihre politische, soziale, religiöse Weltanschauung bilden können, das scheint mir ein einfaches Erfordernis jeder weitsichtigen staatsbürgerlichen Erziehung zu sein. Sonst erzieht man einfach Rekruten, aber nicht freie, selbst denkende und ihrer selbst bewusste Menschen.

Aus alledem, was ich eben bemerkt habe, ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass wir allen Anlass haben, von dem Kultusministerium und von den Universitätsbehörden zu fordern, dass sie der Freien Studentenschaft künftig keine Steine mehr in den Weg legen, dass sie ihr nach aller Möglichkeit Bewegungsfreiheit gewähren. Dies kann in höherem Sinne einer weit ausschauenden Politik, selbst vom Standpunkt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, nur der Allgemeinheit und dem Staatswesen nützlich sein. Allerdings kann es nicht nützlich sein den Verdunkelungs- und Verfinsterungsbestrebungen, die in Preußen die Oberhand haben. Und nur daraus erklärt es sich, dass Sie nicht geneigt sind, hier Bewegungsfreiheit zu gewähren. Sie können eben auf diesem Gebiet den Kampf mit gleichen Waffen nicht führen, und deshalb verfolgen Sie die freistudentische Bewegung mit fanatischem Eifer. Ich erinnere daran, welch betrübendes Schauspiel es in Berlin geboten hat, als bei der Jubiläumsfeier die Studentenschaft gespalten war, als gerade auch da die Engherzigkeit der Universitätsverwaltung gegenüber der Freien Studentenschaft den Anlass gab zu einem Zwiespalt innerhalb der Studentenschaft.

Wenn ich sage, dass es ein speziell preußischer Geist ist, der aus diesen Maßregeln gegenüber der Freien Studentenschaft hervorlugt, so habe ich dafür einen schlagenden Beweis. Ich hatte in Jena vor wenigen Wochen die Ehre und Freude, vor der dortigen Freien Studentenschaft einen Vortrag zu halten. Man hat sich auf dieser thüringischen Universität nicht so engherzig und kleinlich gezeigt wie auf den preußischen Universitäten. Es ist beschämend für Preußen, wenn es sich hier wie in so vielen Fragen seiner Engherzigkeit und Beschränktheit andere deutsche Bundesstaaten als Muster vorhalten lassen muss.

Meine Herren, ich frage: wo ist der Gesetzentwurf zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Studierenden, der mit solcher Energie nicht nur von der Studentenschaft, sondern auch von verschiedenen Seiten dieses Hauses gefordert worden ist? Wir müssen fordern, dass durch eine Gesetzesvorlage alsbald den Ansprüchen genügt wird, die hier wiederholt von verschiedenen Seiten übereinstimmend erhoben worden sind, in Bezug auf die wir Sozialdemokraten durchaus nicht allein stehen.

Eine Konsequenz des bürokratischen Geistes, der in der preußischen Unterrichtsverwaltung herrscht, ist ja unter anderem auch die Art gewesen, wie in Berlin das Jubiläum der Universität gefeiert worden ist. Diese Universitätsfeier hätte zu einer großartigen Kundgebung für die Wissenschaft und für die freie Forschung Anlass geben können. Was ist aber aus dieser Veranstaltung geworden? Es ist ein byzantinischer Kitsch geworden. Die ganze Geschichte, die ganze Feier ist hinausgelaufen auf eine Verherrlichung des Hohenzollerngeschlechts, das da als der Urquell aller wissenschaftlichen Weisheit und aller Errungenschaften, die die Berliner Universität zu verzeichnen habe, gepriesen wurde. Wenn man insbesondere die bessere Bierrede liest, die Herr Professor Boethe gegen Schluss dieser Universitätsfeier gehalten hat, wo er von der „bewunderungswürdigen Kulturarbeit des großen Herrschergeschlechts" gesprochen hat und immer wieder und wieder auf das Herrschergeschlecht zu sprechen gekommen ist, wo er von der „Seelen bezwingenden Macht des preußischen Geistes" gesprochen hat, wo er den militärischen Drill gerühmt und erklärt hat, dass die deutsche Freiheit und der Geist preußischer Unteroffizierszucht ein Ehepaar seien, das schlechterdings zusammengehöre, dann muss man sagen: Dieser Herr hat erstens Unsinn geredet, zweitens hat er aber den preußischen Geist richtig gekennzeichnet, und drittens hat er die Feier damit auf ein so niedriges Niveau herabgezogen, dass es im Interesse der Wissenschaft wahrhaftig zu beklagen ist. Ein Symbol – möchte ich sagen – zur Charakteristik des Niveaus, auf dem die Universitätsfeier gestanden hat, sind die Jubiläumstaler, von denen die Herren ja auch einige bekommen haben. Um Himmelswillen, was ist das für eine unglaublich geschmacklose Münze, die da geprägt worden ist! Genauso geschmacklos und geistlos ist die ganze Feier gewesen. Sie ist gefeiert worden, wie irgendein Regimentsjubiläum in Preußen gefeiert zu werden pflegt, nicht aber, wie es der größten Universität des Deutschen Reiches würdig gewesen wäre.

Eine zweite Blamage, die zweifellos auch auf diesen bürokratisch engherzigen Geist unserer preußischen Unterrichts- und Universitätsverwaltung zurückzuführen ist, hat sich die Berliner Universität bei Gelegenheit der Promotion des Expräsidenten Roosevelt zum Ehrendoktor der Berliner Universität zugezogen. Ja, meine Herren, die Sache geht ja ein klein bisschen in das Diplomatische hinein. Aber dass dieser Herr, der hier Ehrendoktor werden sollte, ehe er es war, die Wissenschaft geradezu misshandelt hat, dass er damals durch seine Ausführungen Deutschland vor aller Welt geradezu blamiert, lächerlich gemacht hat, das wird, denke ich, wohl auch von Ihnen gar nicht bestritten werden. Das ist in den weitesten Kreisen der Bevölkerung empfunden worden. Da kommt dieser Abenteurer hier herüber gesegelt, zieht durch ganz Europa hindurch, von einer Universität zur anderen und bekommt hier in Berlin ohne weiteres den Ehrendoktorhut auf das Haupt gedrückt. Für welche Verdienste? Kein Mensch hat eine Ahnung! Aber dass da höhere Einflüsse maßgebend gewesen sind, die hier näher zu bezeichnen mir die Usancen des Hauses verbieten, das ist wohl jedem klar und erhellt wohl auch aus der ganzen äußeren Form, in der jene Ehrendoktorpromotion stattgefunden hat.

Zum Schluss meiner Ausführungen möchte ich dann noch auf gewisse Eigentümlichkeiten des amerikanischen Universitätswesens zurückkommen, die, wie mir scheint, von unserer Universitätsverwaltung wohl beachtet werden könnten. Zunächst möchte ich die ganze äußere Ausstattung der amerikanischen Universitäten, die eine gewisse Verwandtschaft mit der der englischen Universitäten hat, rühmend hervorheben, und ich will den Herren Gelegenheit geben, an einigen Abbildungen von der Yale-Universität in New Haven sich selbst eine Vorstellung von der Einrichtung dieser Universitäten zu machen.

Sehr charakteristisch ist, dass diese Universitäten aus zahlreichen Einzelgebäuden bestehen, die über ein weites Areal verstreut sind und in deren Mitte sich ein großes Feld, der sogenannte Campus, befindet, auf dem allerhand Spiele von der studentischen Jugend betrieben werden können. Die einzelnen Universitätsgebäude sind vielfach mit einem sehr feinen Geschmack künstlerisch ausgestattet. Besonders malerisch ist an diesen Universitätsgebäuden, dass sie zumeist mit einer Pflanze bewachsen sind, die man drüben running ivy – rennender Efeu – nennt, die ungeheuer rasch wächst und die Gebäude bald mit ihrem Grün bedeckt, das sich im Herbst in ein herrliches Purpur verwandelt. Einen solchen Gebäudekomplex anzusehen ist wahrhaftig ein ästhetisches Vergnügen.

Durch diese Dezentralisation der Gebäude wird nun auch die Möglichkeit geschaffen, nicht nur den einzelnen Disziplinen gerechter zu werden, als es bei der Zusammenhäufung in einem großen Gebäude der Fall ist, sondern es wird auch die Möglichkeit zu Einrichtungen geschaffen, die an unseren Universitäten fast überall fehlen. Eine dieser Einrichtungen ist das sogenannte Gymnasium, das Sie an jeder, auch der neuesten und kleinsten Universität in Amerika finden: der Turnsaal. Diese Turnsäle sind groß und mit allen Einrichtungen versehen, die die moderne Turn- und Sporttechnik erfordert. Es ist den Studenten vorgeschrieben, in gewissen Semestern zu gewissen Zeiten diese Säle unter Anleitung zu benutzen. Das dient sicherlich sehr zur Förderung der Gesundheit der studentischen Jugend.

Mit diesen Gymnasien sind regelmäßig auch große Badeanstalten verbunden, mit Schwimmbassins innerhalb der Universität, und auch hier herrscht ein gewisser Zwang für die Studenten, sich zu baden. Den Herren vom Zentrum speziell möchte ich mitteilen: Es ist besonders charakteristisch, dass in diesen Badeanstalten die jungen Leute gewöhnlich sogar ohne Badehose herumlaufen.

(„Pfui!" im Zentrum.)

Ja, Sie rufen Pfui; das erwartete ich von Ihrer Seite. – Das wird mit einer solchen natürlichen paradiesischen Ungeniertheit und Unbefangenheit drüben getan, dass auch, wenn Sie als fremde Besucher dort hineinkommen, diese jungen Leute in ihrer Frische und Ursprünglichkeit absolut gar keinen Anstand daran nehmen, sich überhaupt gar nicht darum kümmern, dass da irgend jemand zugegen ist. Sie haben sich eben in dieser Beziehung das einfache, frische, natürliche Empfinden gewahrt.

Nun ist mit diesen Universitäten gewöhnlich auch ein sogenanntes Stadion verbunden, das Sie auch in den wüstesten Gebieten Amerikas finden können, wo die Sportveranstaltungen im größten Maßstabe stattfinden können, die ja dort auf eine Popularität rechnen können, die bei uns noch längst nicht erreicht wird.

Meine Herren, dann möchte ich darauf hinweisen, dass an den amerikanischen Universitäten nicht nur die Frauen fast überall zum Studium zugelassen sind – nur da, wo es ausdrücklich bemerkt wird in den Universitätspublikationen, sind sie nicht zugelassen! –, dass aber, abgesehen davon, auch die Frauen als Dozentinnen an den Universitäten in weitem Umfange tätig sind. Meine Herren, ich habe hier eine Anzahl Publikationen der Columbia-Universität, die ich zur Verfügung stelle, aus der Sie entnehmen können, in wie ungeheurem Umfange Frauen an der Columbia-Universität tätig sind. Sie wissen, die Columbia-Universität in New York ist die größte der amerikanischen Universitäten.

Dann möchte ich noch auf zwei Einrichtungen hinweisen, die auch von größtem Interesse sind. Es existiert zum Beispiel an der Columbia-Universität, aber auch an anderen Universitäten, ein sogenanntes Committee on employment of Students, ein Komitee, das den Zweck verfolgt, den Studenten, die in dürftigen Verhältnissen leben, Arbeit anzuweisen zum Zwecke des Verdienstes, damit sie in der Lage sind, sich dem Studium widmen zu können. Meine Herren, dieses Komitee, das ein offizielles Komitee ist, trägt ganz wesentlich dazu bei, es auch Angehörigen der unteren Schichten der Bevölkerung in Amerika zu ermöglichen, sich die Universitätseinrichtungen zunutze zu machen. Des weiteren findet sich ein appointment committee, das den Zweck verfolgt, diejenigen Universitätszöglinge, die ihre Examina absolviert, das Ziel erreicht haben, nunmehr unterzubringen. So wird von Universitäts wegen nach aller Möglichkeit dafür gesorgt, durch einen Stellennachweis usw., dass die auf der Universität erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auch alsbald nutzbringend für die Gesellschaft und den einzelnen angelegt werden können.

Meine Herren, es ist des weiteren ein sehr charakteristisches Kennzeichen der amerikanischen Universitäten, dass sie durchaus nicht darauf bestehen, dass man sich in einzelne Fakultäten hermetisch abtrennt; im Gegenteil: In der mir hier vorliegenden offiziellen Publikation der Columbia-Universität vom 19. Februar 1910 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man durch die Einteilung der Universität in Fakultäten in keiner Weise die Freiheit der Studenten, sich eigene Kombination für ihre Studien zu machen, beschränken will. Es heißt da weiter: Wer einmal immatrikuliert ist, mag sich ruhig noch als Student in zwei oder drei Fakultäten immatrikulieren lassen. In vielen Fällen mag ein solches Arrangement als höchst wünschenswert erscheinen.

(Zuruf.)

Natürlich geht das an und für sich auch bei uns. Aber es ist charakteristisch, dass hier offiziell empfohlen wird, der Spezialisierung, die unsere Universitäten in weitem Umfange nötig haben, Individualisierung und Universalierung als Gegengewicht entgegenzusetzen.

Meine Herren, es liegt mir auch daran, auf die freie Universitätsbewegung, auf die sogenannte Extension-teaching-Bewegung, hinzuweisen, die unseren Hochschulkursen verwandt ist. Diese Kurse werden ohne jede Vorbedingung eröffnet – an den Universitäten offiziell! –, und zwar für den Zweck, auch solchen Leuten, die die formalen Voraussetzungen für das Studium nicht erfüllt haben, die Möglichkeit zu geben, sich gegen eine sehr geringe Gebühr alle Institutionen der Universität und auch die Leistungen der Lehrkräfte nutzbar zu machen.

Meine Herren, das ist alles natürlich durchaus nicht etwa geeignet, den kapitalistischen Charakter des amerikanischen Bildungswesens in wesentlichem Umfange abzuschwächen. Auch für Amerika gilt in höchstem Maße dasjenige, was für uns in Preußen gilt: dass die Einrichtungen zur Erlangung der höchsten Bildung vorbehalten bleiben der Jugend der herrschenden, der besitzenden Klassen. Es liegt mir deshalb durchaus fern, ein Loblied auf die amerikanischen Hochschuleinrichtungen anstimmen zu wollen, die natürlich auch ihre sehr erheblichen Mängel haben, denen gegenüber unsere deutschen Universitäten wiederum die besseren Qualitäten repräsentieren. Aber immerhin: Gewisse Seiten des amerikanischen Studentenlebens, die ja auch jüngst durch den Vortrag eines Austauschprofessors in Berlin, der mit Lichtbildern begleitet war, einem größeren Publikum gegenständlicher gemacht worden sind, gewisse Eigenheiten des amerikanischen Universitätswesens verdienen bei uns, nachgeahmt zu werden. Das wichtigste an diesen Eigenheiten ist die verhältnismäßige soziale und politische Vorurteilslosigkeit, von der das ganze amerikanische Bildungswesen in dem jetzigen Augenblicke noch getragen ist, dieser fast vollkommene Mangel an aller bürokratischen Begrenztheit, diese Freude an dem freien Sichauslebenlassen der im Volke vorhandenen Kräfte. Meine Herren, das ist sicherlich mit eine der Ursachen, weshalb drüben, jenseits des Ozeans, sich alles so ungeheuer lebendig regt und auch dem Deutschen Reiche so viele Schwierigkeiten, so gewaltige Konkurrenz erwachsen ist und immer mehr erwächst. Gerade weil man dort die freie Betätigung nach allen Richtungen und allen Möglichkeiten ausnützt, gerade dadurch kennzeichnet sich das amerikanische Leben; das ist es, was ihm seine ungeheure Kraft gibt, auch auf dem Gebiete des Bildungswesens. Meine Herren, da sollte unsere deutsche Unterrichtsverwaltung lernen; sie sollte das Prinzip lernen, dass Freiheit der Forschung, Freiheit für unsere Dozenten, Freiheit für unsere Studierenden, weiteste Freiheit auch auf politischem und sozialem Gebiete eine unerlässliche Voraussetzung ist für die Heranbildung eines neuen Geschlechtes, das fähig ist, das deutsche Volk würdig zu repräsentieren in den künftigen Menschenaltern, in denen dem deutschen Volke ernsteste Aufgaben in Aussicht stehen.

Meine Herren, auch von Ihrem eigenen Standpunkt aus würden Sie viel weitsichtiger und klüger handeln, wenn Sie die Nadelstichpolitik gegenüber den Bildungsbestrebungen, wenn Sie diese kleinliche, engherzige, bürokratische Verwaltung unserer Universitäten preisgeben und zu einer großzügigeren Methode übergehen würden, die durchaus nicht notwendig von selbst schon dazu führen müsste, die gegenwärtige Staats- und Gesellschaftsordnung mehr zu gefährden als bisher. Meine Herren, Sie können fest überzeugt sein, dass genau das Gegenteil der Fall ist, dass gerade die bürokratische Engherzigkeit es ist, die die oppositionellen Bestrebungen viel intensiver fördert, als es geschehen wäre, wenn von dem preußischen Staate mehr Freiheit gewährt wäre.

Aber, meine Herren, wie dem auch sei, die preußische Unterrichtsverwaltung mag nun diesen oder jenen Weg wählen in Bezug auf die Universitäten, in Bezug auf die Freiheit der Dozentur und die Freiheit der Studenten, auf alle Fälle wird der Vorteil, den unsere Universitäten, den überhaupt jede wissenschaftliche Betätigung schafft, im Schlussresultat der Sozialdemokratie zufallen, weil die Sozialdemokratie als diejenige Partei, die auf dem Boden der Wissenschaft steht,

(Lachen rechts.)

als einzige Partei, die sich grundsätzlich auf den Standpunkt einer Fortentwicklung des Menschengeschlechtes und der Gesellschaft stellt, von jeglicher Förderung der Wissenschaft nur Vorteil haben kann.

Meine Herren, es ist für uns Sozialdemokraten nicht ein fern liegendes Gebiet, wenn wir über die Universitäten reden. Freilich: Der proletarischen Jugend sind bisher die Universitäten im großen Ganzen verschlossen; wir fordern aber, dass sie auch ihr geöffnet werden und davon abgesehen: An den Universitäten werden diejenigen Personen ausgebildet, die als Lehrer des deutschen Volkes, als Erzieher der deutschen Jugend tätig sein sollen, die in allen wichtigen Staatsfunktionen tätig sein sollen. Insoweit hat die Allgemeinheit und selbstverständlich auch die Sozialdemokratie, hat auch das Proletariat, das man im Übrigen von den Pforten der Universität aussperrt, ein lebhaftes Interesse an der Gestaltung unseres Universitätswesens, und wir werden allen unseren Einfluss dahin auszuüben versuchen, um zu erreichen, dass die deutschen Universitäten den Idealen mehr und mehr zugeführt werden, die von der Sozialdemokratie vertreten werden zum Heile des gesamten deutschen Volkes, das nach unserer Überzeugung auch auf diesem Gebiete allein von der Sozialdemokratie angestrebt wird.

(„Bravo!" bei den Sozialdemokraten. Heiterkeit rechts.)

1 Der Professor für Nationalökonomie Bernhard wurde durch das Kultusministerium zum Ordinarius an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität ernannt, ohne dass dazu die Philosophische Fakultät gehört wurde. Über den Verbleib des Professors Bernhard an der Universität entspann sich ein Streit zwischen dem Ministerium, der Fakultät und dem Professor Bernhard, der auch in der Öffentlichkeit geführt wurde. Der Abgeordnete Korfanty, ein Vertreter der Polen, wies in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses am 15. März 1911 nach, dass Professor Bernhard von der Königlichen Staatsregierung berufen wurde, weil sie von ihm eine theoretische Begründung ihrer antipolnischen Politik erhoffte. Professor Bernhard wurde außerdem von dem Oberpräsidenten von Posen, von Waldow, und dem früheren Oberpräsidenten von Schlesien, Freiherrn von Zedlitz, zwei erzreaktionären polenfeindlichen Scharfmachern, protegiert.

2 Anhänger des 1894 gegründeten Ostmarkenvereins, einer Propagandaorganisation des deutschen Monopolkapitals und der Junker zur Unterdrückung der Polen. Diente später dem Hitlerfaschismus. Nach den Anfangsbuchstaben ihrer Führer: von Hansemann, Kennemann, von Tiedemann auch Hakatisten-Verein genannt.

3 Glaubenseid, der vom Papst von den katholischen Geistlichen und allen staatlichen Lehrern, die zugleich ein Priesteramt als Prediger oder Beichtiger versahen, gefordert wurde. Er sollte dem „Schutz des Glaubens" dienen, richtete sich gegen die um 1900 innerhalb der katholischen Kirche entstandene Bewegung, die versuchte, die katholische Lehre und modernes (naturwissenschaftliches) Denken (Modernismus) zu verbinden. Er richtete sich gegen den Fortschritt in Wissenschaft, Forschung und Erkenntnis und schränkte damit die Lehrtätigkeit der katholischen Lehrer an den staatlichen Hochschulen ein.

Von den reaktionärsten Kreisen des Zentrums wurde die Eidesleistung als eine innere Angelegenheit der Kirche, in die sich der Staat nicht einzumischen habe, dargestellt. In Wirklichkeit war es der Versuch des Papstes, „einen Konflikt mit der preußischen Staatsregierung herbeizuführen", wie es selbst die „Kreuz-Zeitung" in einem Artikel zum Ausdruck brachte.

4 Zentrumspartei. Die Red.

5 Konservative Partei. Die Red.

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