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Karl Liebknecht 19180115 Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

Karl Liebknecht: Mitteilungen, Briefe und Notizen aus dem Zuchthaus Luckau

[IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 42/43; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 287; Karl Liebknecht: Politische Aufzeichnungen aus seinem Nachlass Geschrieben in den Jahren 1917-1918. Unter Mitarbeit von Sophie Liebknecht herausgegeben, mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Franz Pfemfert, Berlin 1921, S. 9-11; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 96; IML, ZPA, NL 1/25, Bl. 147; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 264; Die Aktion (Berlin), 9. Jg., Heft 29, 19. Juli 1919, Sp. 483; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 24/25; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 175; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 205/206; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 98; IML, ZPA, NL 1/73; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 15/16; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 254; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 187; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 191; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 21/22; IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 288/289; IML, ZPA, NL 1/26, Bl. 319. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 399-411]

Unterschied

1789 kapitalist. Entwicklung erst im Aufkeimen, 1918 in der höchsten Blüte, ja Fruchtreife; 1789 genügte im Vergleich zu heute eine Bagatelle von Kapital, um sich in der Konkurrenz zu behaupten: u. doch war auch 1789 die nivellierende Seite der feudalen Vermögenskonfiskationen für ihre großkapitalistische Entwicklung nicht förderlich – noch heute machen sich die entgegengesetzten Wirkungen in der eher kleinbürgerlichen Struktur Frankreichs mit geltend, die natürlich andere Hauptursachen hat: Mangel1 einer eignen Großindustrie, die verhältnismäßig geringe Entwicklung der eignen Schwerindustrie! (Großkapital nur auf Gebiet des mobilen Kapitals.) Banken, Handel u. Verkehr, verarbeitende Industrie gewisser Gebiete. 1789 kapitalistisch steigernd durch Gewährung der Bewegungsfreiheit u. Förderung der sonstigen Lebensbedingungen des Kapitals (durch bürgerl. Staat) u. durch feudale Vermögenskonfiskationen, soweit sie zu ursprüngl. Akkumulation zugunsten von Großkapital führen.

Gerade dies in Russl. ausgeschlossen – wenn die bolsch. Maßregeln Erfolg haben.

1789 vor allem nur Konfiskation u. Nivellierung des Landbesitzes, nicht des mobilen Kapitalbesitzes: u. im Landbesitz dadurch bis heute kleinbäuerliche Wirkung.

1918: auch das mobile Kapital nicht nur nicht urspr. akkumuliert, wie 1789, sondern konfisziert u. nivelliert. Das mobile Kapital, dessen Akkumulation Voraussetzung der großkapital. u. imper. Entfaltung.

Ob dies Wirken sozialistisch ist, hängt davon ab (nur dann sozialistisch), wenn die technische Zusammenfassung der Arbeitsmittel, die materielle Seite der großkapital. Ordnung erhalten u. nur die soziale Seite verwandelt, nur der Arbeits(Produktions)-Ertrag nivelliert, nicht die Arbeitsmittel, nicht Vermögen verteilt etc.; d. h. wenn die Gesellschaft, der Staat, das Großkapital in die Hand nimmt.

ökon.-soz. Gefahren für Russland

Demobilisation der Armee – z. T. rote Garde, z. T. frei werdende Arbeitskräfte.

Wie wird sich der Übergang (die Umleitung, Umschaltung) in die Friedenswirtschaft vollziehen? Schwere Probleme, große Gefahren – bei gleichzeitiger Auflösung aller bisherigen sozialen Bindungen, der gesamten bisherigen sozialen Grundlage der Ökonomie/Friedenswirtschaft/!!

Warnung an das Proletariat der Entente

Die Sozialisten der Ententeländer, auch die französischen Mehrheitssozialisten, horchen in rührender Sehnsucht über die dunkle Grenze, jedes leise Anzeichen des proletarischen, des sozialistischen Erwachens mit Freude und Hoffnung begrüßend und mit einer Verstärkung ihrer Friedensaktion beantwortend. Als in den ersten Kriegsjahren von uns auf diese internationale Wechselwirkung, auf dieses sozialistische Echo von Land zu Land hingewiesen wurde, erfuhren wir Hohn und Spott von der Fraktionsmehrheit, Wut und Hass antwortete bei den bürgerlichen Parteien. Freilich forderten wir damals offenen Klassenkampf in Deutschland, ehrlichen, ernsten Kampf wollten wir in Deutschland führen und dafür ehrlichen, ernsten Kampf in den Ententeländern eintauschen; das Ansinnen, im Inlande mit der Regierungsunterstützung, dem Burgfrieden, zu pflügen, ins Ausland hinaus aber heimtückisch zur einseitigen Schwächung der Entente Minderheitspolitik zu treiben, wurde von uns als Infamie abgewehrt. Inzwischen haben die Regierungssozialisten und hat die Reichstagsmehrheit, ja hat sogar die Regierung eines Bethmann Hollweg die Ersprießlichkeit einer solchen Infamie, einer Friedenshumbug-Spekulation auf die ehrliche Leichtentzündbarkeit oder Friedensliebe in den Ententeländern erkannt. Der berüchtigtsten, den U-Boot-Krieg vorbereitenden „Friedenskundgebung" vom Dezember 1916 folgte der nicht minder berüchtigte Reichstagsbeschluss vom 19. Juli 19172, und auf verschiedene Ententekundgebungen, die die Demokratisierung Deutschlands zum Ziele erhoben, begann die deutsche Reichstagsmehrheit eifrig zu „demokratisieren", um so die Friedensdemagogie im Auslande zur Schwächung der Entente, zur Erleichterung des deutschen Sieges bequemer treiben zu können und zugleich im Inlande Öl auf die anschwellenden Wogen der Unzufriedenheit zu gießen. Diese „Demokratisiererei" ist, wie gesagt, alles in allem eitel Humbug; selbst wenn wir von der Geringwertigkeit aller durch Preisgabe seiner besten Kraft ergatterter und organisierter, durch Verrat und durch Kastration erkaufter Rechte absehen und überhaupt von der Relativität des Wertes aller politischen Formen. Im Vordergrund steht neben dem preußischen Wahlrecht die „Parlamentarisierung" des Deutschen Reichs.

Ihre neueste Phase wird von den Ententesozialisten zum Teil mit Kommentaren begrüßt, die uns zur Warnung verpflichten. Die „Humanité" spricht von einem großen Schritt vorwärts. Die Wahrheit ist: Es handelt sich um einen groben scheinparlamentarischen Kriegsschwindel, auf den die Ententevölker vielfach hereinzufallen im Begriff stehen. Es handelt sich um einen Durchhalte-Trick nach innen, eine Verwirrungsspekulation nach außen; um ein Mittel zur Herstellung der Befestigung des neuen Durchhalte-Burgfriedens. Das neue deutsche und preußische Kabinett (dessen Vizepräsident Friedberg ein geriebener und entschiedener Freund des demokratischen Wahlrechts ist!) ist weniger „demokratisch" und „parlamentarisch" als das elendeste Koalitionskabinett in irgendeinem anderen Lande, wie es denn der Form und dem Zweck nach nichts anderes ist als ein verspätetes Koalitionskabinett schlechtester Qualität.

Seinen Sinn verkündet die „Nordd. Allg. Ztg." offiziös: „Die Weiterverfolgung des Weges, den der deutsche Kaiser am 4. 8. 14 eingeschlagen hat; die tatsächliche Gewährleistung der Einheit des deutschen Volkes und die Demonstration dieser Einheit vor der ganzen Welt." Die „innere Stärkung der Lage", Sicherung der Grundlage für die siegreiche Beendigung des Krieges. Gemeinsame Hingebung für den Kampf um die Zukunft von „Kaiser und Reich".

Also ein Kriegs- und Siegeskabinett, zudem innerpolitisch reaktionär; keine Spur von Parlamentarismus, keine „Besserung" der Regierungssozialisten, sondern ein Tiefersinken in den imperialistischen Sumpf. Zur selben Stunde, da es mehr als je einleuchtet, dass alles Heil nur von einer konsequenten Opposition, von einem entschlossenen und endgültigen Bruch des „Burgfriedens", von einer revolutionären Kampfestat des deutschen Proletariats abhängt – zur selben Stunde geschieht, dass sich diese Gesellen von neuem und fester als je den bürgerlichen Parteien, der deutschen Regierung, den Hindenburg-Hohenzollern verbinden, verbrüdern! Neu besiegeln die union sacrée, die heilige Allianz. Gegen die revolutionären Völker zur Ausmünzung der russischen Revolution und zur Niederstampfung Italiens, das sich im Beginn der revolutionären Erhebung befand! Nachdem sie auf dem Würzburger Parteitag3 – wie die österreichischen Regierungssozialisten auf ihrem Wiener Parteitag4 –, diesen Sanierungsaktionen für den Imperialismus der Mittelmächte, die Vorbedingungen für die Offensive gegen Italien nach Kräften mit geschaffen hatten. Und all dies nach dem deutschen Thronrat, in dem die Grundlinien für die Annexion nicht nur Polens, sondern auch Litauens, Kurlands beschlossen wurden! Um Hertling, Friedberg, Payer den letzten Rest von politischer Scham preisgegeben: Das ist die Wahrheit von der Besserung der deutschen Regierungssozialisten.

Und wir warnen das Proletariat der Entente auch vor der Falschschätzung der Friedensverwendungs-Propaganda dieser „Sozialisten". Sie können nichts sein als leeres Phrasengedresch, ins Blaue hinein geschwätzte fromme Wünsche – bestenfalls, unter gleichzeitiger höchst handfester Unterstützung der Regierung und ihrer Kriegspolitik (auch die bevorstehenden 15 Milliarden werden sie bewilligen) – und dem Ziele dienend, die ernsten Friedensbewegungen im Proletariat der Entente zum Vorteil der deutschen Siegesziele zu fördern, zu stärken.

Taktik der Mittelmächte in russ. Nationalitätenfrage

(Separatist. Tendenzen gefördert)

Brandfackel der Zwietracht unter die Randvölker etc. geworfen. Divide et impera!

Verhetzung gegeneinander. Und so – als außenpolit. Gefahr – durch einander /gegenseitig/ neutralisieren, (ego: Das kann sich aber leicht als falsche Rechnung – Spekulation – herausstellen – zu fein!! Im eignen Netz fangen/verstricken/!)

Divide et impera – denken die Zentralmächte (u. zw. sozial. Revolution etc. u. national.) in Russland: Sie suchen die Klassenscheidung u. die nationalen Gegensätze für sich auszunutzen – um die verschiedenen soz. u. nat. Parteien gegeneinander auszuspielen.

Friedensverhandl. u. russ. Revolution

Auch die jetzigen Friedensverhandl. In Brest sind nur eine Etappe in der Entwicklung der Revolution – auch „Friedensschlüsse" – u. in ihrer Wirkung allenthalben abhängig (gebunden an) von der weiteren Gestaltung der Revolution.

Friede und Revolution

Jede Friedensverhandlung, die jetzt gepflogen wird, jeder Friede, der jetzt abgeschlossen wird, ist nur eine Etappe auf dem Wege zur Weltrevolution, in ihrer endlichen Bedeutung abhängig von der weiteren revolutionären Entwicklung, die zu ihrer Revision und Superrevision führen wird, zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Einschmelzung und Neuformung. Aber die Art, wie solche Verhandlungen gepflogen werden, und die Art der Friedensschlüsse ist von starkem Einfluss auf die Gestaltung des Tempos der revolutionären Entwicklung.

Soziale Revolution u. Nationalismus

Die vollkommene Souveränität der sozialen Interessen u. Gegensätze über die nationalen Interessen u. Gegensätze erweisen die jetzigen (Januar/Februar 1918) Vorgänge:

Wie sich die poln. Nationalisten aus Angst vor der soz. Revol. Dem deutschen Militarismus an den Hals werfen – von ihm das blasphemische Zerrbild einer Freiheit – des russ.-poln. Fetzens – mit Dank entgegennehmen – vorm Würger der poln. Freiheit auf den Knien rutschen – seine militärischen Siege preisend; u. die russ. Revol. geradezu bekämpfend.

Ähnlich, wenn auch in andrem Grade, in Finnland u. der Ukraine – wo geradezu im Bunde mit den Mittelmächten [mit] Krieg gegen das revol. Russl. gedroht wird: Die deutsche Invasion zur Niederwerfung der russ. Revol. soll so anscheinend doch Wahrheit werden – mit Hilfe nicht des Zarismus, sondern der einst revol. russ. Bourgeoisie!!

Das ist der Kulminationspunkt. Verbünden sich mit äußerem Feind gegen inneren Feind. Das heilige Kapital, das Privateigentum u. die Ordnung in Gefahr u. Kampf gegen russ. Revol.

Zur „Selbstbestimmung" Polens usw. à la Kühlmann-Czernin5 (28. 12. 17 Brest6):

Das ist nicht Annexion, sondern mehr, bösartiger als Annexion! Annexion ist staatsrechtlich Erwerb durch den Friedensvertrag!

Hier erklären die Zentralmächte den Erwerb, das Gestohlene, Geraubte einfach für erworben, angegliedert – vor dem Frieden, ohne jeden Vertrag; auch Staats- u. völkerrechtlich nichts als nicht einmal formell sanktionierter Raub.

Sozialistisches Gesamtinteresse bei Selbstbestimmung wahren

1. Ziel: Nicht Zersplitterung, sondern Zusammenfassung – nur auf andrer Grundlage (freiwillig) u. zu andren Zwecken (allgem. Wohlfahrt) u. [mit] andren Mitteln (nicht Gewalt etc.).

2. Tendenz: Allgemeine Anerkennung! (Nur dann auf die Dauer durchführbar? Nein! Aber durch diese Tendenz: propagandistisch.)

3. Voraussetzung: Vorteil für Entwickl. (histor. polit. Anlass) im soz. Sinne, u. zw. Vorteil im Ganzen: d. h.

a) für die betr. evtl. abzutrennenden Gebiete,

b) für den Rest.

Wenn der Rest durch Abtrennung soz. Entwickl.kraft verlieren würde (oder beeinträchtigt!), z. B. weil ihm ein wichtiger revol. Faktor (Proletariat) genommen würde – vgl. z. B. Polen! Kurland (Letten usw. ) – u. wenn [?] überhaupt durch Abtrennung eine ungünstige soziale Kombination oder mehrere ungünstige soz. Kombinationen (politische Gebilde von ungünstiger soz. Komb, im soz. Sinne) zustande kämen – so ist solcher Trennung zu widerstreben, jedenfalls nicht ohne dringende Not der Weg zu ebnen!

Zur Taktik der Mittelmächte bei Förderung des nationalen Selbstbestimm.rechts in Russland

Durch den Prozess der Bildung der zahlreichen nationalen Staaten in Russland alle gegen alle zu hetzen, damit die russ. Kraft nach außen zu lähmen, u. zw. auf lange Zeit, denn dieser Prozess kann sich nur sehr langsam vollziehen, sehr umständlich, sehr verwickelt; u. indem das russ. Volk so außenpolitisch gelähmt wird, es mindestens ungefährlich (unschädlich) machen für den Imperialismus der Mittelmächte (wenn nicht gar ihm dienstbar!).

Deutscher Imperialismus u. Mehrheit

Der „Vorwärts" sagt: der deutschen Soz.dem./dem deutschen Prol./ sei es gelungen, die deutsche Regierung zum Verzicht auf imper. Kriegsziele zu bestimmen. Ist's Torheit – ist's bewusster Schwindel? Beides zugleich – wer als die Torheit könnte glauben, dass es Toren gibt, die auf diesen Schwindel hereinfallen?

Dazu Davids Leistung in Budg.komm.: 1. sonst Imper. der Entente Vorteil, 2. Koalition zerstört, 3. Keil auf Selbstbest. u. gegen Urabstimmung.

Die bereits vollzogene „Selbstbestimmung" der „Randvölker à la Kühlmann-Czernin – in ihrer ganzen auch juristisch-staatsrechtl. Fadenscheinigkeit u. Verlogenheit:

Sie konstruieren: Die russ. Regier. (der Len./Tr.) habe den Grundsatz freier Selbstbest. bis zur völligen Trennung von Russland auch diesen Völkern gegenüber ausgesprochen.

Die Völker hätten davon Gebrauch gemacht u. sich von Russl. getrennt etc.

1. Die Deklar. des Selbstbest.rechts durch die russ. Regier. ist im Zusammenhang mit ihrer ganzen Politik zu betrachten – als ein Teil von ihr, auch von ihrer Friedenspolitik –, also nur bindend, wenn Vertrag mit Mittelmächten, wenn Friede zustande kommt.

2. Überhaupt gibt es keine Proklam. etc. der russ. Regier., auf die sich die deutsche berufen könnte, ohne dass dies bindend vereinbart wäre.

3. Vor allem: Die russ. Reg. hat die Selbstbest. durch demokratische, unbeeinflusste, auch die evakuierte Bevölkerung, Soldaten etc. umfassende Entscheidung nach Räumung durch Okkup.mächte zugestanden.7 Nur auf eine Selbstbestimmung, die in solcher Art stattgefunden, könnte sich die deutsche Regier. berufen. Die jetzige Berufung auf die Kundgebungen deutscher Regier.kreaturen sind so illoyal u. lügenhaft u. herausfordernd-schamlos, dass man nicht begreifen kann, wie dazu jemand die Stirn haben kann.

4. Die „Kundgebungen" beziehen sich z. T. nicht einmal auf Trennung von Russland!!

Höherentwicklung/Vervollkommnung/der Gaunersprache

Aus Selbstbestimmung der Völker hat sie Selbstbestimmung der herrsch. Kl[assen] gemacht; aus Selbstbestimmung, d. h. Recht, über sich selbst zu bestimmen, Recht, über andre zu bestimmen.

IML, ZPA, NL 1/27, Bl. 193.

Einerseits Auflösung der bisher. Kriegsgegensätze in Klassengegensätze beschleunigt – andererseits Oppos. gegen imper. Erober.pläne: auch aus nation. Gründen gesteigert u. auch darin Gegensatz zu Imper. der Mittelmächte. Durch Imper.: neue kapital.-imperial. Gegensätze geschaffen: poln. Imperialismus erhebt sich!

Revolutionäre Dialektik der Entwicklung

Selbstbest."-Humbug der Mittelmächte – Gefahr für die Betrüger selbst.

Und all das im Namen des Selbstbestimmungsrechts der Völker! Auf Grund jener Formel! -

Freilich auch für Deutschland – vor allem aber Österreich u. Balkan u. Türkei Gefahr, dass sich die Kugel zurückprallend gegen sie selbst kehrt.

Unbequeme revolutionäre Dialektik solcher Beschwindelungs- u. Heucheltaktik.

Zur Polenbefreiung

Wie sehr die „Selbstbestimmung"' der Randvölker – selbst ihrer herrsch. Klassen! – nach dem Willen der Mittelmächte nur Schein, das beweist die willkürliche, eigenmächtige Grenzfestsetzung zwischen Ukraine u. Polen – freilich für Mittelmächte gefährliches Spiel! Völlige Selbstenthüllung! Völlige Offenbarung des wirklichen Charakters ihrer Polenbefreiungspolitik.

Soziale Revol. u. Nationalismus

Die besitz. Kl[assen] Polens hassen u. fürchten das polnische Proletariat u. die soz. Rev., ja jede Gefahr ihrer Förderung mehr als den deutschen Militarismus, als die deutsche Polenpolitik, als eine neue, vierte Teilung u. die verschleierte Annexion des Restes.

Möge sich das Proletariat ein Muster zur Lehre nehmen ! ! an dieser Klarheit u. Rücksichtslosigkeit des Klassenbewusstseins, des Klasseninstinkts, der Klassenparteinahme u. Vertretung der Klasseninteressen.

Landesverrat" der herrsch. Klassen als etwas Selbstverständliches in Kauf genommen.

Kein Missverständnis meiner früheren Bemerkung (von Anfang Januar) „Worauf es ankommt u. worauf es nicht ankommt".8

Worauf es ankommt." Aufgaben der Sozialisten im Kampf mit Diplomaten!

Gefahren diplom. Methoden bei Verhandlungen: Gefahr nicht nur: auf dem Parkett auszugleiten – da ungewohnt –, Gefahr, die klare Sachlage nach außen zu verwirren u. Wirkung auf Massen zu schwächen !

Diplom. Methode = Verwirrung der Massen; Sprache, um Gedanken zu verbergen – Zweideutigkeiten.

Bei Öffentlichkeit der Verhandl. wird diese Wirkung der diplom. Methode an sich so wenig ausgeschaltet wie im Parlament etc.!! Nur falls rücksichtslos entschleiert, jeden Augenblick – nur falls dies als die Aufgabe betrachtet u. ausgeführt wird, nur dann, wenn wirkl. unzweideutige, grobe, volle Klarheit u. gebührend gekennzeichnet – nur dann ev. Vorteil.

Kurz: Die soz. Aufgaben im diplom. Kampf sind (ergeben sich) aus der soz. Aufgabe der Massenrevolutionierung, d. h. aus den soz. Aufgaben im nicht/außer/diplom. u. außerparlamentar. Kampf, aus der Erkenntnis ihrer Kraftquellen u. Kraft, zu entnehmen!9

Deutsche Gendarmen in Ukraine

Deutsches Geld (vgl. CasementGefangenenlager!- Artikel).

Deutsche Waffen, deutsche Soldaten in der Rada: „Selbständigkeits"- u. antibolsch. (Bourgeois-) Bewegung – aber beileibe kein Bündnis!!

Die Rada Kreatur der Mittelmächte? In der Entstehung nein – aber in der Erhaltung.

Klasseninteresse über Patriotismus!

1 Dieses Wort wurde von Karl Liebknecht gestrichen, ohne ein neues dafür zu setzen. Die Red.

2 Im Juli 1917 war von dem Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger im Reichstag eine Friedensresolution eingebracht worden, die die Zustimmung der Reichstagsmehrheit, bestehend aus SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei, fand. Am 19. Juli 1917 wurde die Friedensresolution mit 212 gegen 120 Stimmen angenommen. Sie enthielt kein direktes Friedensangebot an die Gegner des deutschen Imperialismus, sie endete mit der Versicherung, dass Deutschland weiterkämpfen werde, falls die Entente nicht auf der Grundlage der Resolution Frieden schließen würde. Die Friedensresolution diente dazu, die imperialistische Durchhalte-Politik zu rechtfertigen, das Volk zu beruhigen und die Massen vom revolutionären Kampf abzuhalten.

3 Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 14. bis 20. Oktober 1917 in Würzburg. Die Red.

4 Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie vom 19. bis 24. Oktober 1917 in Wien. Die Red.

5 Richard von Kühlmann (1873–1948), 1917/1918 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, schloss als Vertreter Deutschlands die Friedensverträge von Brest-Litowsk (3. März 1918) mit Sowjetrussland und von Bukarest (7. Mai 1918) mit Rumänien ab.

Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz (1872–1932), 1916 österreichischer Außenminister, war Leiter der österreichischen Delegation in Brest-Litowsk.

In den Verhandlungen in Brest-Litowsk behaupteten Kühlmann und Czernin demagogisch, die Völker der (von Deutschland und Österreich-Ungarn!) besetzten Gebiete hätten den Willen zum Ausdruck gebracht, die volle staatliche Selbständigkeit zu gewinnen und aus der russischen Föderation auszuscheiden. In Wirklichkeit war das der Wille der konterrevolutionären Bourgeoisie dieser Gebiete. Die Volksmassen dieser Gebiete waren revolutionär, aber jede politische Willensäußerung ihrerseits wurde durch die Besatzungstruppen im Verein mit der Bourgeoisie brutal unterdrückt.

6 Karl Liebknecht meint wahrscheinlich die Verhandlungen vom 27. Dezember 1917, in denen über die Frage der Räumung der von deutschen Truppen okkupierten Gebiete verhandelt wurde. Kühlmann stellte dem sowjetischen Vorschlag (Verzicht auf Annexionen, Räumung der besetzten Gebiete, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Verzicht auf Kriegsentschädigungen) einen mit Österreich-Ungarn vereinbarten Entwurf entgegen, in dem Deutschland versprach, die besetzten russischen Gebiete zu räumen, sobald der Friede geschlossen und die Demobilisierung der russischen Armee beendet sei, „sofern nicht Artikel 2 etwas anderes bestimmt". In dem von der deutschen Delegation vorgeschlagenen Artikel 2 aber hieß es: „Da die russische Regierung, entsprechend ihren Prinzipien, für ausnahmslos alle dem Russischen Reich angehörenden Völker das Recht auf Selbstbestimmung bis zur vollen Lostrennung verkündet hat, so nimmt sie die Erklärungen zur Kenntnis, in denen der Wille der Polen, Litauen, Kurland und Teile von Estland und Livland bewohnenden Völker zum Ausdruck gebracht worden ist, die volle staatliche Selbständigkeit zu gewinnen und aus der russischen Föderation auszuscheiden.

Die russische Regierung erkennt an, dass diese Erklärungen unter den gegenwärtigen Bedingungen als Ausdruck des Volkswillens zu betrachten sind, und ist bereit, die sich hieraus ergebenden Schlussfolgerungen zu ziehen."

7 In Sowjetrussland lebten 1918 Millionen Menschen, die während des Krieges aus den von Deutschen und Österreichern besetzten und nun für „selbständig" erklärten Gebieten evakuiert worden waren. So z. B. etwa eine Million Evakuierte aus Polen. Hinzu kamen ungefähr eine halbe Million polnischer Soldaten aus der zaristischen Armee. Ihre Rückkehr nach Polen wurde von den deutschen Okkupanten aus Furcht vor revolutionären Einflüssen verhindert.

8 Um welche Bemerkung es sich handelt, konnte nicht eindeutig festgestellt werden. Möglicherweise bezieht sich der Hinweis darauf. Die Red.

9 Ursprünglich endete der Satz: „… der Massenrevolutionierung zu abstrahieren – und danach" (es folgt ein unleserliches Wort). Dieser Teil wurde durch die Einfügung Karl Liebknechts aufgehoben, aber von ihm nicht gestrichen. Die Red.

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