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Rosa Luxemburg 19170331 Die Liebknecht-Wahlen

Rosa Luxemburg: Die Liebknecht-Wahlen

31. März 1917

[Der Kampf (Duisburg) Nr. 43, 31. März 1917. Nach Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 15, S. 714-716. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel in Wirklichkeit von Rosa Luxemburg]

Die Ersatzwahlen für den deutschen Reichs- und den preußischen Landtag, die durch die kriegsgerichtliche Verurteilung des Genossen Liebknecht notwendig geworden waren, boten den Regierungssozialisten eine, wie es scheint, ihnen sehr willkommene Gelegenheit, ihr innerstes Wesen zu enthüllen. Und man muss zugeben, dass sie die Probe trefflich bestanden haben.

Sie achteten den Burgfrieden so weit, dass sie sich nicht nur mit Konservativen, Liberalen und Ultramontanen, sondern selbst mit Antisemiten, Gelben und Reichsverbändlern herzinnig verbrüderten, aber sie missachteten ihn, soweit es auf die Bekenner der alten unverfälschten, unverstümmelten Sozialdemokratie ankam. Die mussten nieder gesäbelt werden, und die Regierungssozialisten rechneten es sich zur besonderen Ehre an, an der Spitze eines Falstaffhaufens zu marschieren, wie er buntscheckiger nie in eine Wahlschlacht marschiert ist.

Selbst nicht in den Angstwahlen von 1887, zu denen die Reichstagswahl in Potsdam-Spandau-Osthavelland sonst ein ganz treffendes Abbild im Kleinen bot. Denn damals fehlten in dem Brei doch die Regierungssozialisten, die ihm diesmal die eigentliche Würze gaben. Wir sind wahrlich die Leute nicht, den Regierungssozialisten mehr zuzumuten als ihren schwachen Leibern frommt, aber wenn wir einmal annehmen wollen, es sei ihre heilige, patriotische Pflicht gewesen, das Siegel auf Liebknechts Verurteilung zu drücken, indem sie hinderten, dass ein Gesinnungsgenosse Liebknechts dessen parlamentarischer Nachfolger wurde, so wäre es kein ganz unbilliger Anspruch gewesen, dass sie den Henkersdienst wenigstens auf eigene Gefahr und Kosten verrichteten. Dass sie dazu noch einen ganzen Heerbann von Gelben und Reichsverbändlern aufboten, war ein beredtes, aber doch eigentlich nicht schönes Zeugnis dafür, dass sie mit Falstaff Vorsicht für den bessern Teil der Tapferkeit hielten.

Indessen ein richtiger Falstaff darf keine Gelegenheit versäumen, sich lächerlich zu machen. Kaum hatte die Angstmehrheit mit ihren 16.000 und soundso viel Zitterern den geschlossenen Heerhaufen von 5000 Mann geschlagen, der treu zur Fahne Liebknechts hielt, als der „Vorwärts" ein ohrbetäubendes Siegesgeschrei erhob: Ha, auch wenn die Gelben und Reichsverbändler uns nicht unterstützt hätten, so hätten wir dennoch gesiegt. Schade, dass diese Einsicht nicht vierundzwanzig Stunden früher kam und die Regierungssozialisten veranlasste, sich den immerhin doch für „unentwegte Männerbrüste" ein wenig kompromittierenden Beistand der Gelben und Reichsverbändler zu verbitten. So hatten diese Biedermänner allzu berechtigten Anlass zu der Klage: Dank vom Haus Österreich! Doch haben sie diese Klage kaum erhoben, denn sie betrachten die Regierungssozialisten nur als „Futter für Pulver", von dem man kein besonderes Aufheben macht, weder im Guten noch im Schlimmen.

Noch in andrer Beziehung spielten sich die Regierungssozialisten am Morgen nach der Reichstagswahl in Potsdam-Spandau-Osthavelland als die wahren Ritter ohne Furcht und Tadel auf. Neben einem übermäßigen Aufgebot von Angstmeierei vor Franzosen, Engländern und Russen hatten die Regierungssozialisten ihre Wahlagitation mit persönlichen Verdächtigungen des Gegenkandidaten Mehring bestritten, durch Aufwärmung von Äußerungen, die dieser vor vierzig Jahren als damaliger Gegner der Partei getan hatte. Besonders Herr Stahl, der Kandidat des gelb-regierungssozialistischen-reichsverbändlerischen Mischmasches, trug diese holden Mären in seinen sorgfältig abgelesenen, also vorher überlegten Reden vor. Darauf hatte Mehring erwidert, damit schlage Herr Stahl seinem geliebten Parteivorstande ins Gesicht, der in voller Kenntnis von Mehrings Vergangenheit diesem seit Jahrzehnten eine Ehrenstelle nach der andern übertragen habe. Sofort nach dem Wahltage erhob sich aber Herr Wels, Mitglied des Parteivorstandes, in seiner ganzen reckenhaften Größe und erklärte, Mehrings Protest sei Schwindel; die Regierungssozialisten hätten sich viel zu vornehm gedacht, um längst vergessene Geschichten gegen ihn geltend zu machen. Welch rührender Edelmut!

Machten die besonderen Verhältnisse des Wahlkreises Potsdam-Spandau-Osthavelland aus Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, einen Erfolg für die Anhänger Liebknechts schon sehr schwierig, so war jede Möglichkeit des Sieges ausgeschlossen, sobald es feststand, dass sich ein bürgerliches Angstheer um Herrn Stahl als den Mann ihres heißen Sehnens scharen würde. Man musste sich damit bescheiden, dass eine Kerntruppe von 5000 Mann, von denen jeder weiß, was er will, und alle dasselbe wollen, ein wenig mehr bedeutet als ein wirrer Haufen, worin Antisemiten, Gelbe, Reichsverbändler und Regierungssozialisten durcheinander quirlen.

Günstiger für uns lagen die Dinge im 11. Berliner Landtagswahlbezirk. Hier hatten die bürgerlichen Parteien „nix to seggen", bis auf die Freisinnigen, die in diesem Wahlkreis anständig genug dachten, für sich zu bleiben und sich jedem Kuddelmuddel mit den Regierungssozialisten fernzuhalten. Hier stand die Schlacht also allein zwischen Sozialdemokraten und Regierungssozialisten, und diese haben denn auch die schönsten Prügel bekommen. Schon bei den Ersatzwahlen am 21. Februar erhielten die Opposition 216, die Scheidemänner genau – 6 Wahlmänner, was der „Vorwärts" mit einer Dreistigkeit, von der man wohl sagen darf, dass sie in der Geschichte der deutschen Presse einzig dasteht, dahin umdichtete, etwa 35 Prozent seien für die Regierungssozialisten abgegeben worden. Wie er dann die endgültige Entscheidung umzufabeln gesucht hatte, ist den Lesern dieses Blattes schon bekannt.

Unter solchen betäubenden Schlägen kann man dann freilich wohl allen Edelmut vergessen. Wie Herr Stahl in Spandau, so kramte Herr Brunner in Berlin 11 „die längst vergessenen Geschichten gegen Mehring" wieder aus und sandte sie, fein säuberlich gedruckt, am Tage vor der Wahl sämtlichen Wahlmännern ins Haus. An deren Verachtung scheiterte der geniale Streich, aber man versteht danach immerhin das Siegesbewusstsein der Scheidemänner. Wie Herr Stahl den gesamten Parteivorstand, so schlug Herr Brunner den Herrn Wels ins Gesicht, und das Klatschen dieser Ohrfeigen werten sie als Zeichen des Beifalls. Es wäre grausam, sie in diesem holden Wahn zu stören.

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