Andreu Nin 19320300 Zur Lage in Spanien

Andreu Nin: Zur Lage in Spanien

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 5 (Anfang März 1932), S. 9 f.]

Aus technischen Gründen konnte der nachstehende Artikel nicht rechtzeitig erscheinen. Trotz der Verspätung bringen wir den Artikel noch auszugsweise wegen seines noch jetzt wertvollen Materials.

D. Red.

Als nach Mauras und Zamoras Rücktritt Azaña Präsident des Ministerrates wurde, gab es viele, die in diesem Ministerwechsel eine Entwicklung nach links sehen wollten. Maurín (der Führer der Katalanischen Föderation) ging so weit zu behaupten, die neue Regierung sei «typisch kleinbürgerlich», und sie mit dem «Kerenski-Regime» zu vergleichen. Im Gegensatz dazu haben wir vom ersten Augenblick an erklärt, diese Lösung der Regierungskrise bedeute einen Schritt vorwärts im Sinne der Befestigung der Großbourgeoisie und ihres Blockes mit den Sozialdemokraten. «In Wirklichkeit», so sagten wir in Nummer 3 unserer Zeitschrift «El Soviet», die der Gouverneur von Barcelona, der Vertreter der angeblichen «Kerenski-Regimes», beschlagnahmte, «in Wirklichkeit ist der wahre Herr der Situation Lerroux oder vielmehr die Großbourgeoisie. Aber er ist noch nicht soweit, dass er völlig die Zügel der Macht in die Hand nehmen könnte.

Die Tatsachen haben gezeigt und zeigen immer noch, dass unsere Einschätzung richtig war. Ermutigt durch die Schwäche der Arbeiterorganisationen, durch die Unfähigkeit der anarchosyndikalistischen Führer der CNT, die aus der Erfahrung nichts gelernt haben, und durch das Fehlen einer starken Kommunistischen Partei, verstärkt die Bourgeoisie ihre Positionen und lauert auf den geeigneten Augenblick, um die demokratische Maske abzuwerfen und unverhüllt ihre Diktatur aufzurichten. Heute ist das noch nicht möglich, denn die demokratischen Illusionen sind noch zu lebendig unter den kleinbürgerlichen Massen und bei einem Teil der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie muss vorläufig diese Illusionen noch aufrechterhalten, und bedient sich dazu eines politischen Faktors, der heute noch nicht völlig sein Ansehen bei den Massen verloren hat, und der schon durch das Gewicht seines Namens eine Garantie gegen den Radikalismus darstellt. Dieser Faktor ist die Sozialdemokratische Partei, deren Führer wie gewöhnlich bereit sind, der Ausbeuterklasse zu Hilfe zu eilen. Aber eine ausschließlich sozialdemokratische Regierung zu bilden, wäre ein gefährliches Abenteuer. Die Sozialdemokratische Partei würde sich dadurch unwiderstehlich in den Augen der Arbeitermassen diskreditieren. Dadurch würde sich die Bourgeoisie einer ihrer wichtigsten Hilfswaffen beraubt sehen. Die Sozialdemokraten, die sich dessen voll bewusst sind, haben eine scheußliche Angst davor, die volle Verantwortungsgewalt zu übernehmen, und haben sich für eine Koalitionsregierung ausgesprochen, in der sie die Leitung haben. Largo Caballero hat sich beeilt, festzustellen, «dass sich eine solche Regierung durch ihre bloße Zusammensetzung vor die Unmöglichkeit gestellt sehe, das Parteiprogramm durchzuführen.»

Sie werden so der Bourgeoisie die Möglichkeit geben, definitiv ihre Positionen zu festigen und hinter der sozialdemokratischen Hülle die wirkliche faschistische Diktatur vorzubereiten. Die Regierung Azaña war die erste Etappe in diesem Prozess: eine Regierung unter dem Vorsitz der Sozialdemokraten wird die zweite sein.

Die dieser Tage veröffentlichten Statuten der nationalistischen Partei «Jung-Spanien» sind der erste bedeutungsvolle Schritt in diesem Sinn. Ihre Organisation, beruhend auf einem Heerbann von fünfhunderttausend Mann, die «eine Uniform mit den Abzeichen der Legion,, graugrünes Hemd und Kragen, tragen werden», ist ein Abklatsch des italienischen Faschismus. Die Warnung, «Furchtsame und Feiglinge und alle die, die die Gefahren eines blutigen Kampfes nicht ertragen könnten, sollten sich nicht anwerben lassen», zeigt klar, was die Väter dieser neuen Organisation im Sinn haben.

Es ist mehr als wahrscheinlich, dass es «Jung-Spanien» nicht gelingen wird, tatsächlich diese fünfhunderttausend Mann anzuwerben, die es braucht, um endgültig die demokratische Revolution zu ersticken und das Proletariat niederzutrampeln. Aber schon morgen kann es sich in eine imponierende Macht verwandeln. Das Schlimmste, was uns geschehen könnte, wäre, dass wir die Augen vor der beginnenden Gefahr schließen. 1920 und noch 1921 blickten die italienischen Revolutionäre mit Verachtung auf die Faschisten, in denen sie nicht mehr als «Räuberbanden» ohne irgendwelche politische Macht sahen. Ende 1922 ergriffen diese «Räuberbanden» die Macht.

Gibt es in Spanien Faktoren, die die Entwicklung einer großen faschistischen Bewegung begünstigen könnten? Ohne jeden Zweifel!

Der erste Faktor, und der wichtigste, ist das Kleinbürgertum. Wie in Italien stellt in Spanien das städtische und ländliche Kleinbürgertums bei weitem die Mehrheit der Bevölkerung dar. Aus demselben Grunde, der dieser Klasse ihre ökonomische Rolle im Lande zuweist – Abhängigkeit vom Großkapital –, ist sie zu keiner eigenen Politik fähig und schwankt dauernd zwischen Großbourgeoisie und Proletariat hin und her. Sie zu gewinnen oder wenigstens zu neutralisieren ist von grundlegender Bedeutung für die Sache der Revolution. Seit dem Zusammenbruch der großen Bewegung der Arbeiterklasse der Jahre 1917-21 hat das Kleinbürgertum faktisch die Diktatur Primo de Rivera, unterstützt. Aber da diese Erfahrung es weder von den Lasten befreit hat, die auf ihm ruhen, noch seine Lage gebessert hat. entwickelte es sich zum Republikanismus hin. Mit dem Sturz der Monarchie und der Ausrufung der Republik ließ das Kleinbürgertum seinen demokratischen Illusionen voll die Zügel schießen. Aber die Illusionen schwinden bereits, und diese großen schwankenden und unentschiedenen Massen werden sich unwiderstehlich von der Klasse angezogen fühlen, die ein klares und konkretes Programm bietet und den unerschütterlichen Willen, dieses in die Wirklichkeit umzusetzen. Diese Klasse kann keine andere sein als die Großbourgeoisie oder das Proletariat. Die Großbourgeoisie besitzt solch ein Programm: Zerschlagung der Arbeiterorganisationen und Befestigung der Herrschaft des Kapitals mit Feuer und Schwert. Das Werkzeug für die Verwirklichung dieses Programms schmiedet ihr bereits Lerroux in seinem «Jung-Spanien». Nichts Leichteres könnte es geben als mit diesem Programm, in geeigneter Weise gewürzt mit einer guten Dosis Demagogie, die enttäuschten kleinbürgerlichen Massen an sich zu ziehen.

Aber es gibt einen zweiten, nicht weniger wichtigen Faktor: das Proletariat. Dem Proletariat bietet sich eine einzigartige Gelegenheit, der Bourgeoisie die entscheidende Schlacht zu liefern und die Macht zu übernehmen. Die objektiven Umstände dafür könnten nicht günstiger sein. Aber subjektiv steht das Proletariat unbewaffnet da. Gewerkschaftlich ist es gespalten;' die Führer der UGT arbeiten offen mit der Bourgeoisie zusammen, und die Führer der CNT sind entweder einem Reformismus verfallen, der dem eines Largo Caballero in nichts nachsteht, (die Gruppe Peiro-Pestaña), oder einem Abenteuertum, das zu nichts weiter als einem blutigen und erfolglosen Putsch führen kann (die Anarchistische Iberische Föderation). Es gibt keine Massenorganisationen wie die Sowjets, die die ganze Arbeiterklasse um sich sammeln und sich in die Werkzeuge des Aufstandes und der Machtübernahme verwandeln könnten. Vor allem aber fehlt eine starke Kommunistische Partei, ohne die der Sieg unmöglich ist. Würde die Arbeiterklasse ohne Kampf oder nach einem heldenmütigen, aber erfolglosen Putsch geschlagen, so würde ihre Niedergeschlagenheit, ihre Passivität die Entwicklung des Kleinbürgertums nach rechts hin begünstigen und es der Bourgeoisie gestatten, sich auf dieses zu stützen, um dem Proletariat des Gnadenstoß zu versetzen. Unter solchen Umständen würde der Faschismus eine großartige Grundlage für seine Entwicklung finden.

Diese Perspektive ist möglich, aber ganz und gar nicht unvermeidlich. Die Arbeiterklasse muss sich diese Perspektive dauernd gegenwärtig halten, um mögliche Gefahren vorauszusehen und den Feind um so sicherer und entschiedener anzugreifen. Die Bourgeoisie verstärkt ihre Stellungen in verzweifelter Anspannung, aber strauchelt unter unerhörten Schwierigkeiten, die einer endgültigen Befestigung entgegenstehen. Mit der Einsetzung einer von den Sozialdemokraten geleiteten Regierung gedenkt sie Zeit zu gewinnen. Die Arbeiterklasse muss sich das klarmachen und der Bourgeoisie keinen Augenblick Ruhe gönnen.

Was fehlt, ist eine Partei, die dieses revolutionäre Bewusstsein in klare Formen kleidet und die Massen zur Aktion organisiert. Diese Partei gibt es noch nicht, obwohl es potentiell einen starken kommunistischen Geist im Lande gibt. Man muss eine starke revolutionäre Partei des Proletariats schmieden, indem man alle im Lande vorhandenen kommunistischen Kräfte vereint und ihr ein klares und bestimmtes Programm gibt. Nur so kann die faschistische Gefahr vermieden werden; und das spanische Proletariat, im Bunde mit den Bauern, wird festen und sicheren Schrittes auf dem Wege fortschreiten, der es zum Siege führen wird.

A. Nin.

Kommentare