Permanente Revolution 19320416 Die Niederlage vom 10. April!

Permanente Revolution: Die Niederlage vom 10. April!

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 8 (Mitte April 1932), S. 1 f.]

«Das Verhalten einer politischen Partei zu ihren Fehlern ist eins der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen. Einen Fehler offen zugeben, seine Ursachen aufdecken, die Um­stände, die ihn hervorgerufen haben, gründ­lich analysieren, die Mittel zur Ausmerzung des Fehlers gründlich prüfen – das ist das Merkmal einer ernsten Partei, das heißt Erfüllung ihrer Pflichten, Erziehung und Schulung der Klasse und dann auch der Masse.» (Lenin, [Sämtliche] Werke, Band 25, S. 243.)

Rund 36,6 Millionen Stimmen sind beim zweiten Wahlgang abgegeben worden. Davon erhielt Hindenburg rund 19.350.000, somit die absolute Mehrheit, Hitler 13.417.000 und Thälmann 3.706.000. Annähernd 800.000 Stimmen konnte Hindenburg gegenüber dem ersten Wahlgang noch gewinnen, Hitler rund 2.080.000, während Thälmann 1.276.000 verloren hat. Die 2,5 Millio­nen für Düsterberg im ersten Wahlgang sind beim zwei­ten Wahlgang größtenteils Hitler zugute gekommen.

«Die Rote Fahne» vom 15. März schrieb gleich nach der Wahl, dass «die fünf Millionen Thälmannwähler am 13. März der klassenbewusste, zur Revolution entschlos­sene Teil des Proletariats» seien. Die gesamte Partei­presse schätzte die Stimmenabgabe für Thälmann «als ein klares Bekenntnis zum revolutionären Klassenkampf» ein. Zweifellos ist ein großer Teil der von Thälmann verlorenen Stimmen beim zweiten Wahlgang in das Lager der Nichtwähler übergegangen. Die Wahl­ergebnisse in einer Reihe von proletarischen Bezirken geben aber ein erschreckendes Bild von der Verwirrung, die die Politik der Stalin-Thälmann-Führung in den kommunistischen Reihen in Deutschland angerichtet hat. Im roten Wedding in Berlin erhielt Hindenburg 98.398 (1. Wahlgang 96.843), Hitler 49.616 (35.851 und Düster­berg 12.274), Thälmann 77.755 (90.693). Ähnliche Verschiebungen von Thälmann zu Hitler gab es in Neukölln, Friedrichshain und Spandau, wo mindestens je 1000 kommunistische Wähler im zweiten Wahlgang Hitler die Stimme gegeben haben. So sieht es in Berlin aus. In noch stärkerem Maße tritt es im Reiche in Erschei­nung. Im Wahlkreis Leipzig hatte Düsterberg am 13. März 36.000 Stimmen. Thälmann verlor 23.000, Hitler gewinnt 39.000 Stimmen. Im Wahlkreis Dresden Bautzen: Düsterberg 77.400, Hindenburg gewinnt 15.000, Hitler 92.000, Thälmann verliert 38.000. Im Wahlkreis Chemnitz-Zwickau: Düsterberg 55.000, Hindenburg gewinnt 35.000, Hitler 70.000, Thälmann verliert 50.000 Stimmen. Ähnliche und noch krassere Ergebnisse sind in Mannheim, Frankfurt a. M., Hessen u. a. Bezirken zu verzeichnen.

«Die Rote Fahne» kann die Tatsache des Überschwenkens von kommunistischen Wählern zu Hitler nicht leug­nen. Sie muss es zugeben in der Nummer vom 12. April, wo es heißt: «Der Versuch des Einbruches der Hitler- und Hindenburgparteien in die Front des Kommunis­mus wurde abgeschlagen … Nur ein sehr geringfügiger Teil ließ sich … dazu verleiten, einem oder dem anderen Kandidaten der Bourgeoisie ihre Stimme zu geben». Was bedeuten diese Worte? Das heißt nichts anderes, dass in einer Zeit, die für den kommunistischen Vormarsch ungeheuer günstig ist, eine kommunistische Partei mit Genugtuung feststellen muss, dass es dem historisch zum Verfaulen verurteilten Klassengegner nicht gelingt, in die kommunistische Front einzudringen, und dass es sich – wo es dennoch gelang – nur um winzige Teile der kommunistischen Anhänger handelt. Das muss die bank­rotte Parteibürokratie schreiben in einer Zeit, wo die KPD tagein, tagaus Einbrüche ins reformistische und kleinbürgerliche Lager machen konnte.

Wie konnte es aber soweit kommen, dass kommuni­stische Wähler Hindenburg und sogar Hitler die Stimme gaben? Waren die Parteigenossen in den Betrieben und auf den Stempelstellen wirklich gegen die Theorie des «kleineren Übels» der SPD gewappnet? Sie haben den SPD-Arbeitern vorgeworfen, dass sie für Hindenburg, somit für die Reaktion sind. Das war richtig. Aber auf die SPD-Arbeiter konnte dieses Argument nicht von ge­waltiger Wirkung sein, nachdem die Partei durch die Thälmannführung in die Politik der Volksentscheide mit den Nazis hineingeraten war. Die SPD-Arbeiter antwor­ten: ja wenn Ihr, Kommunisten, mit Hitler den Volksentscheid gegen Severing-Braun in Preußen durchge­führt habt und heute diese Politik in Sachsen und Ol­denburg noch weiter treibt, warum dürfen wir nicht mit Severing-Braun-Hindenburg gegen Hitler auftreten? Wenn für Euch Hitler das «kleinere übel» ist. so kann auch für uns Hindenburg dasselbe sein!

So hat die Parteibürokratie durch ihre Politik den Parteigenossen die Möglichkeit genommen, gegenüber den SPD-Arbeitern überzeugend aufzutreten. Die Theorie des «kleineren Übels» konnte dank der Helfersdienste der Thälmann-Führung Triumphe feiern.

Warum konnte Hitler kommunistische Stimmen be­kommen? Man darf keinen Augenblick vergessen, dass sich das Gros der Parteimitglieder heute zusammensetzt aus neuen Mitgliedern aus den Jahren 1930-31-32. Diese jugendlichen Elemente waren naturgemäß bar einer marxistischen Erziehung und marxistischer Tra­ditionen. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei war gerade, ihnen das Fehlende durch Kampf und Erziehung beizubringen. Das konnte aber nicht geschehen, weil die Politik der Partei besonders in diesen Jahren eine Kette der Entgleisungen von der marxistischen Linie be­deutet. Wie waren diese neuen Mitglieder erzogen? Auf der Basis der Volksrevolution, des Programms der na­tionalen und sozialen Befreiung, dass die SPD jetzt der Hauptfeind sei, «heraus aus den Gewerkschaften!» (RGO-Politik), auf der Basis der Volksentscheide ge­meinsam mit den Nazis, Ablehnung der Einheitsfront mit der SPD und den übrigen proletarischen Organisationen. Ist es dann verwunderlich, dass Teile der so erzogenen jungen Schichten des Proletariats aus Verzweiflung über die Misserfolge der Partei dem Klassenfeind ihre Stimme abgeben, um den «Knoten schneller zu lösen»?! Sind schuld die Parteiarbeiter in Magdeburg, die in einer Parteikonferenz erklärten, dass sie für Hitler gestimmt haben, um die Entscheidung zu beschleunigen, weil Bemmele sagte: «Nach den Faschisten kommen wir»? Ihre Hand­lung ist ein Produkt der verbrecherischen Politik, die die heutige Parteiführung treibt. Nicht sie sind schuld, sondern diejenigen stalinistischen Theoretiker, die die kommunistischen Reihen verwirren. Ist es nicht unge­heuer, wenn dann der «Vorwärts», das Organ der Partei des organisierten Verrats an den Interessen des Prole­tariats, am 11. März über «den Verrat der KPD» zu schreiben wagt! Nicht die «konterrevolutionären Trotz­kisten» liefern Argumente den SPD-Führern, sondern einzig und allein die heutige Thälmann-Führung.

Die faschistische Gefahr ist groß, aber das Proleta­riat ist noch nicht geschlagen. Die letzten Demonstra­tionen im Reich und besonders in Berlin zeigten einen schon seit Jahren nicht dagewesenen Aufmarsch des Berliner Proletariats. Sowohl die kommunistische, wie die Demonstration der «Eisernen Front» füllten den Lustgarten und dessen Nebenstraßen. Dagegen war die Demonstration der Nazis sehr klein. Das bedeutet, dass sich das Proletariat darüber im Klaren ist. dass die Ent­scheidung zwischen ihm und dem Faschismus auf der Straße ausgetragen werden wird. Bezeichnend für die Demonstration der «Eisernen Front» war die Tatsache, dass die SPD-Redner nur dann Beifall hatten, als sie von dem außerparlamentarischen Kampf gegen den Faschis­mus sprachen. Ihren Ausführungen über die Republik und die Weimarer Verfassung hörten die Demonstran­ten stumm zu. Die parlamentarischen Illusionen sind bei den SPD-Arbeitern gewaltig erschüttert. Die Tat­sache, dass die Reichsbanner-Arbeiter nicht mehr, wie früher, vor den Faschisten ausweichen, sondern sich gegen die Faschisten praktisch wehren, zeigt, dass sie ge­gen den Willen ihrer Führer bereit sind, auf der Straße zu kämpfen.

Diese erfreulichen Tatsachen versteht die Thälmann-Führung nicht auszunutzen. Anstatt dauernd zu schwät­zen, dass «Severing ein Sozialfaschist ist» und in der «Roten Fahne» vom 7. April im Leitartikel an einigen Stellen zu schreiben: «Severing kann die SA. nicht verbieten», wäre es die Aufgabe der Partei, die «Aktion» Severings im Sinne der Revolution auszunützen. Die Tatsache, dass die Faschisten bereit sind, sogar die Wasserleitungen in den proletarischen Vierteln durch Anilinfarben zu vergiften, um an die Macht zu kommen, wie die Dokumente aus Wiesbaden zeigen, musste für die Partei zum Anlass werden, eine entscheidende Wen­dung in der Einheitsfrontfrage durchzuführen. Hier ist eine Möglichkeit gegeben für das Herangehen an die SPD und an die Gewerkschaften zwecks Herstellung der Klassenfront des Proletariats. Welchen gewaltigen Ein­druck – stellen wir uns einmal vor – hätte das gemeinsame Aufmarschieren des Berliner Proletariats auf die Bourgeoisie und den Faschismus gemacht! Ein solcher Aufmarsch könnte 3-4 Lustgärten füllen – 1 Million Berliner Arbeiter auf der Straße.

Und jetzt bei den Preußenwahlen geht es nicht um normale Parlamentswahlen. Es geht um viel mehr! Die Legalitätspolitik der Faschisten soll hier zu einem ge­wissen Abschluss gelangen. Sie fürchten noch immer die offene Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse, ob­wohl diese noch immer nicht in der Einheitsfront geeinigt ist. Die Eroberung des Staatsapparates in Preu­ßen auf legalem Wege soll ihnen die Voraussetzung schaffen für den günstigen Ausgang ihres außerparla­mentarischen Kampfes um die Macht. Es ist nicht die Aufgabe der Kommunisten, die Braun-Severing-Regierung gegen die Faschisten zu stützen. Das ist klar. Noch weniger ist es aber die Aufgabe der Kommunisten, die Faschisten zu unterstützen, ihnen den Weg zur Macht zu erleichtern. Es kommt gerade jetzt darauf an. dass sich die Partei in die vorderste Reihe des Kampfes gegen den Faschismus stellt. Es muss gelingen, die SPD-Führer, denen es in den letzten Monaten dank der falschen Politik der Thälmann-Führung gelungen ist, sich als Kämpfer gegen den Faschismus vor breiten Ar­beitermassen aufzuspielen, zu entlarven, zurückzudrän­gen. Das kann jedoch nur geschehen unter den Parolen der Einheitsfrontpolitik gegenüber den SPD-Arbeitern, bei vollständigem Verzicht auf alle national-bolschewi­stischen Theorien. Nur so kann es gelingen, die Partei zu einem Erfolg zu führen, aus der Niederlagenstim­mung bei den Reichspräsidentenwahlen herauszukom­men. Die Partei darf jetzt keine Niederlage erleiden, das würde sie in ihrer Aktionsfähigkeit entscheidend lähmen. Die Linke Opposition spekuliert nicht auf die Niederlage der Partei. Wir brauchen die Gesundung der Partei durch richtige Aktionen. Überall muss die größte Aktivität einsetzen, um die Partei bei den Land­tagswahlen vorwärts zu stoßen. Jeder revolutionäre Ar­beiter hat für die KPD propagandistisch zu wirken und ihren Kandidaten die Stimme zu geben.

Lenin verlangte von einer Kommunistischen Partei die Überprüfung ihrer Politik, die offene Anerkennung ihrer Fehler. Das muss heute geschehen. Überprüfen die gesamte Politik der letzten Jahre, Anerkennung der ge­machten Fehler vor der Arbeiterklasse. Das Gesicht den SPD- und freigewerkschaftlichen Arbeitern zuwen­den, aufräumen mit den national-bolschewistischen Theo­rien – Einheitsfront mit der SPD und den freien Ge­werkschaften. Es darf nicht geschehen, wie zuletzt in Hamburg, dass von Faschisten überfallene Reichsbannerarbeiter die angebotene Hilfe der Kampfbundgenossen abgelehnt haben mit der Begründung: Ihr seit genau so wie die Faschisten! Einstellung aller Volksentscheide mit den Faschisten, weil dadurch nur die Kluft zwischen KPD- und SPD-Arbeitern vergrößert wird.

Die Charlottenburger Genossen haben in 4 Zellen mit 83 Stimmen gegen 13 gegen die Theorie vom «Sozial­faschismus» gestimmt. Das ist ein gewaltiger Fort­schritt angesichts des Zustandes in der Partei. Diesem Beispiel müssen alle Arbeiter-Kommunisten folgen. Zer­reißt stückweise in Fetzen die «Generallinie» der Nieder­lagenpolitik der Parteibürokratie! Erzwingt die innere Parteidemokratie! Steuert auf eine Wendung der Politik der Partei! Fordert den außerordentlichen Parteikongress. Ohne gründliche Reform der Partei ein Sieg über den Faschismus, kein Kampf um die Diktatur des Proletariats! Nur auf dem Wege Lenins: offen vor der Klasse die Politik zu ändern, der Stimmung der Masse Rech­nung zu tragen, sie durch eine richtige Politik vorwärtszustoßen – nur auf diesem Wege ist der Sieg des Pro­letariats denkbar!

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