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Karl Radek 19200805 Bericht über die endgültige Fassung der Leitsätze über die Gewerkschaftsfrage

Karl Radek: Bericht über die endgültige Fassung

der Leitsätze über die Gewerkschaftsfrage

    Siebzehnte Sitzung des zweiten Weltkongresses der Komintern, 5. August

[Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale. Hamburg 1921, S. 614-625]

Genossen, die Kommission zur Frage der Gewerkschaften nahm entsprechend dem Beschluss des Plenums die Thesen des Exekutivkomitees als Basis und ergänzte sie nur durch eine Reihe von Amendements. Bevor ich zu diesen übergehe, möchte ich darauf hinweisen, dass die Kommission in einem entscheidenden Punkte zu keinem gemeinsamen Beschluss gelangt ist, und dass deshalb hier ein Vertreter der Minorität der Kommission noch das Wort ergreifen wird. Es handelt sich darum, dass die amerikanischen Genossen in der Form eines Amendements die tatsächliche Aufhebung des Hauptinhaltes der Thesen vorgeschlagen haben.

Die Haltung des Kongresses, wie sie in der Abstimmung Ausdruck gefunden hat, besteht erstens darin, dass wir allen Genossen, allen kommunistischen Parteien die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften zur Pflicht machen. Die Minderheit der Kommission, die amerikanischen Genossen in erster Linie, haben äußerlich diesen Beschluss akzeptiert. Sie haben keinesfalls einen Antrag gestellt, der diesen Beschluss in Worten aufhebt. Sie haben aber Amendements vorgeschlagen, die den Beschluss des Kongresses faktisch aufheben. Ich habe schon in meinem Referat darauf hingewiesen, dass die Thesen, die wir vorgeschlagen haben, in einem gewissen Sinne zu eng gefasst sind, dass sie nicht berücksichtigen, dass in Amerika 80 Prozent der Arbeiter unorganisiert sind, dass die Federation of Labor nicht nur nichts tut, um diese unqualifizierten Arbeiter zu organisieren, sondern, dass sie durch sehr hohe Beiträge ihnen den Eintritt in die Gewerkschaften unmöglich macht. Aus diesem Grunde schlagen wir vor, neben den Fällen, wo wir als Ursache des Austritts aus den alten Gewerkschaften und der Bildung neuer Gewerkschaften die Unterdrückung der revolutionären Agitation in den Gewerkschaften angeben, noch einen zweiten Fall zu erwähnen, nämlich die Notwendigkeit der Bildung neuer Gewerkschaften in den Fällen, wo die alten Berufsorganisationen aus aristokratischen Gründen die unqualifizierten Arbeiter nicht organisieren. Die amerikanischen Genossen schlagen eine andere Fassung vor, die darauf hinausgeht, den amerikanischen Kommunisten zu ermöglichen, den Beschluss des Kongresses zu sabotieren. Ich will hier nicht das ganze Amendement vorlesen, das drei Punkte unserer Resolution ersetzen soll, sondern nur den entsprechenden Punkt. Darin wird folgendes gesagt: (Verlesung von „Die neuen Gewerkschaften" bis „darstellen"1). Unter diese drei Rubriken, wo man aus den alten Gewerkschaften austreten und neue Gewerkschaften bilden soll, kann man jeden Fall einreihen. Die Kommunisten, die keine Lust haben, in den Gewerkschaften zu arbeiten, die es für viel kommunistischer halten, viel Papier mit Artikeln über die Schlechtigkeit der Gewerkschaftsbürokratie voll zu schreiben und außerhalb der Gewerkschaften zu bleiben, können immer vorschützen, dass entweder die Struktur der Gewerkschaften es nicht erlaubt, sie zu andern, oder, dass sich so starke revolutionäre Gefühle im Proletariat angehäuft haben, dass es dafür in den Gewerkschaften keinen Platz mehr gibt, Dass wir hier keine Gespenster sehen, dass es sich hier um eine strikte Aufforderung zum prinzipiellen Boykott der großen amerikanischen Gewerkschaften handelt, das beweist am besten der Beschluss der Vereinigten Kommunistischen Partei Amerikas. Wir haben eben jetzt die Nummer der Zeitschrift der Kommunistischen Partei bekommen mit ihrem Beschluss über die Gewerkschaften. Dieser Beschluss besagt folgendes: (Verlesung von „Craft Unionism”2). Jetzt kommt der entscheidende Punkt (Verlesung von „Die Taktik“ bis „durchgeführt werden“). Wir haben also in diesem Beschluss die strikte Negierung des Beschlusses, den wir angenommen haben, der es den Kommunisten zur Pflicht macht, für die Eroberung der Gewerkschaften von innen heraus zu kämpfen. Es handelt sich hier also nicht nur um die Frage, ob man in die Gewerkschaften gehen soll, um sie zu zerstören. Es wird das Bohren von innen, der Kampf innerhalb der Gewerkschaften überhaupt abgelehnt. Dieser Standpunkt steht im Gegensatz zum Standpunkt unserer Thesen, und das, was die Genossen von der United Communist Party hier vertreten, bedeutet nichts anderes als eine sinnfällige Negierung unseres Standpunktes. Die Genossen suchen, um ihren Standpunkt zu retten, von der Verteidigung zum Angriff überzugehen. Sie weisen darauf hin, dass dieser Standpunkt, den die United Communist Party jetzt angenommen hat, noch vor ein paar Monaten der Standpunkt der Exekutive war. Man beruft sich auf einen Brief der Exekutive an die amerikanische Partei, in dem gesagt worden ist (Verlesung3). Ich stehe nicht an, offen zu sagen, dass dieser Brief der Exekutive, der keinesfalls von der Exekutive in ihrer Gesamtheit angenommen worden ist, ein falscher war, und dass die Genossen sich formell auf diesen Standpunkt berufen können, obwohl er nicht ganz identisch mit dem ihrigen ist; denn in diesem Aufruf wurde eben das Ziel der Federation of Labour festgestellt. Aber hier handelt es sich nicht darum, ob die Exekutive in der Vergangenheit einen falschen Standpunkt in dem einen Brief vertreten hat oder nicht, sondern augenblicklich handelt es sich darum, ob die Vertreter der United Communist Party hier offen den Standpunkt ihrer Partei vertreten oder nicht. Sie hatten die Möglichkeit, hier den Standpunkt ihrer Partei zu vertreten, und sie haben es nicht getan. Sie haben behauptet, sie seien Gegner der Spaltung als Prinzip. Sie suchen uns ein trojanisches Pferd in die Resolution einzusetzen. Ich glaube, es wird Sache des Kongresses sein, nicht nur dieses Amendement abzulehnen, sondern in einem besonderen Beschluss den Standpunkt der amerikanischen Genossen hervorzuheben als einen, der sich im Widerspruch befindet mit dem Standpunkt der Kommunistischen Internationale. In dieser Frage muss der Kongress mit der ganzen Schärfe auftreten, weil es sich nicht darum handelt, ob wir den amerikanischen Genossen, wenn sie diese konterrevolutionäre Organisation zerstören könnten, das Recht zugestehen, es zu tun; sondern es handelt sich darum, ob sie sich selbst zerstören werden oder nicht.

Da dieser Punkt einen Nachklang auch bei dem Genossen Bombacci fand, so müssen noch ein paar Worte darüber gesagt werden. Der Standpunkt Bombaccis unterscheidet sich vom Standpunkt der amerikanischen Genossen darin, dass er eine Spielerei ist und nicht ein revolutionärer Standpunkt. Denn, wenn die Amerikaner einerseits sagen: „Nieder mit der F. of L.‘‘, so rufen sie andererseits: „Hoch die IWW! Wir wollen neue Gewerkschaften bilden!“ Nicht so Genosse Bombacci, der mit Nonchalance erklärt: „Ich pfeife auf die Gewerkschaften, sie sind dazu verurteilt, immer konterrevolutionär zu sein.“ Aber wenn er davon ausgeht, dass die Gewerkschaften in Italien sich in den Händen von Reformisten mit sehr ehrwürdigen Bärten befinden oder in den Händen von Syndikalisten, so sagen wir ihm öffentlich, das ist ein Spiel, eine Sportpolitik, aber keine kommunistische Politik. Wenn Bombacci für den marxistischen Standpunkt eintritt, dann soll er dafür in der italienischen Partei kämpfen und nicht hier sagen: Die Gewerkschaften haben keine Bedeutung, sie werden immer konterrevolutionär sein. Wir erheben Einspruch gegen eine solche Behandlung der ernstesten Frage der Arbeiterbewegung, und wir legen besonders Gewicht darauf, eine vollkommen klare Stellungnahme des Kongresses in dieser Frage herbeizuführen.

Ich sagte früher, ich wäre bereit, weitere Amendements entgegenzunehmen. Bei der jetzigen Situation jedoch, nach diesem Beschluss der United Communist Party ist jeder Kompromiss, jedes Zurückweichen unmöglich. Man muss den Kommunismus dorthin führen, wo die kommunistische Arbeit beginnt und wo kommunistische Sektenmacherei und Sektenspiel enden.

Die weiteren Fragen, die zur Debatte standen, sind die folgenden. Es handelt sich um unsere Stellungnahme zu den Betriebsräten. Wir schlagen ein Amendement vor, in dem folgendes gesagt wird: (Verlesung von „indem die Kommunisten“ bis „unterstützt“4), und dann sagen wir (Verlesung von „nur in dem Maße“ bis „zu unterstützen“). Dieser letzte Passus besagt, dass in den Ländern, wo die Gewerkschaftsbürokratie das Heft in den Händen hat, die Kommunisten die Pflicht haben, den Kampf der Betriebsräte und aller gleichartigen Organisationen um ihre selbständige Existenz zu unterstützen. Nur dann kann es den Kommunisten gelingen, das Heft in den Gewerkschaften in die Hand zu bekommen, wenn sie aus diesen Betriebsorganisationen in den Fabriken die Keimzellen der neuen Gewerkschaften und ihrer kommunistischen Fabrikorganisationen machen. Ich habe zu diesen Amendements zwei ergänzende Ausführungen zu machen. Vorerst da, wo gesagt wird: (Verlesung von „wo sich in dem Rahmenbis „unterstützen'). Es wurde die Frage gestellt: „Wenn Ihr Gegner der Bildung kleiner revolutionärer Gewerkschaften, die sich im Gegensatz zu den großen befinden, für die aber die Nötigung zu einer Sondergründung nicht vorliegt, seid, wie könnt Ihr dann die Unterstützung all dieser Betriebsorganisationen fordern?“ Ich mache darauf aufmerksam, dass wir hier sagen: „die sich im Rahmen der Gewerkschaften bilden oder außerhalb derselben, aber nicht gegen sie“. Die Betriebsräte in Deutschland sind keinesfalls Organisationen, die bestimmt sind, den Gewerkschaften das Wasser abzugraben. Sie sind Organisationen, die zum Teil selbständige Funktionen haben, zum Teil aber die Gewerkschaftsbürokratie vorwärts treiben sollen. Sie sind nicht gegen die Existenz der Gewerkschaften gerichtet, soweit es sich um die Organisation handelt. Die Organisationen, die gegen die Gewerkschaften sind, stehen außerhalb unserer Unterstützung, denn wir haben in den Thesen gesagt, in welchen Fällen wir die Bildung besonderer Gewerkschaften für zweckmäßig halten.

Nun zur zweiten Frage. Wir sagen, dass nur in dem Maße, wie die Gewerkschaften zu revolutionären Organisationen werden, wir ihr Bestreben, sich die Betriebsräte unterzuordnen, unterstützen. Da wurde auf die Lage in Deutschland hingewiesen, auf die Tatsache, dass in Deutschland in erster Linie gesetzliche Betriebsräte bestehen, in denen die Kommunisten die Aufgabe haben, ihre Funktionen über den Rahmen des Gesetzes hinaus auszubreiten, dass aber diese Betriebsräte den Gewerkschaften schon untergeordnet seien. Ich behaupte auf Grund des mir vorliegenden Materials, dass das nicht der Fall ist. Der Kampf der Gewerkschaftsbürokratie um die Beherrschung und Einreihung dieser Betriebsräte ist erst im Gange, und da sagen wir, dass wir es für die Pflicht der Kommunisten halten, selbst wenn es sich später herausstellen würde, dass wir nicht die Kraft haben, den Kampf gegen die Bemühungen der Legien, diese Räte in die Hand zu bekommen, zu führen, dennoch den Kampf um die Beherrschung der Betriebsräte zu unterstützen. Ich halte es für fehlerhaft, von vornherein hier auf den Kampf zu verzichten, denn er entscheidet nicht nur über eine formelle Frage, sondern über die zukünftige Haltung der Kommunisten in den Betriebsräten. Selbst wenn die große Mehrheit der Betriebsräte sich den Gewerkschaften freiwillig unterordnet und es unzweckmäßig wäre, die revolutionär gesinnten Betriebsräte innerhalb der anderen zu halten, ist es klar, dass unser jetziger Kampf, wo wir die Masse vor Legien und seinen Zwecken warnen, seine Folgen haben wird, indem er unsere Position in den den Gewerkschaften untergeordneten Betriebsräten für die Zukunft stärken wird. Es ist eine andere Frage, ob man – wenn schon der Kampf aussichtslos sein sollte – sich kaprizieren sollte auf die Isolierung kleiner Gruppen; wenn der Kampf einstweilen nicht zum Siege führte, würden wir dann auf dem Boden der den Gewerkschaften untergeordneten Betriebsräte weiterzukämpfen? Aber so steht einstweilen die Frage nicht. In großen Bezirken in Mitteldeutschland und in Berlin tobt der Kampf, und wenn die deutschen Kommunisten sagen, man soll den großen Kampf gegen die Legien nicht in einen Kampf um die Form verwandeln, so sagen wir: es ist Eure Sache, dafür zu sorgen, dass dieser Kampf als prinzipieller Kampf ausgefochten wird und nicht nur als Kampf darüber, wem diese Betriebsräte untergeordnet sein sollen. Es handelt sich um eine prinzipielle Sache, um die Stärkung des Widerstandsgeistes gegen die Gewerkschaftsbürokratie.

Wir schlugen schließlich ein Amendement vor, das die in der Resolution bisher zerstreuten einzelnen Bemerkungen über die zukünftige Rolle der Gewerkschaften in einem besonderen Paragrafen zusammenfasst. Dieser sagt (Verlesung von „indem die Kommunistenbis „durchführen“5).

Ich möchte nur in ein paar Worten darauf hinweisen, welcher Unterschied zwischen dieser Auffassung der Funktionen der Gewerkschaften nach der Eroberung der politischen Macht seitens des Proletariats und der syndikalistischen Auffassung liegt. Die Syndikalisten haben sich die Entwicklung des Sozialismus in der Weise vorgestellt, dass das Proletariat, nachdem es durch allgemeine Streiks die Bourgeoisie niedergeworfen hat, sich in den großen Gewerkschaften zu einer Föderation der Gewerkschaften organisiert, und diese Föderation würde im freien Abkommen, zusammen mit den Kommunisten, ohne proletarischen Staat das Wirtschaftsleben leiten. Wir halten diese Auffassung für falsch. Erstens kann das Proletariat ohne die Diktatur, ohne die Aufrichtung des proletarischen Staates als eines Organs, mit dessen Hilfe das Proletariat den Widerstand der Bourgeoisie brechen soll, nicht die Macht in die Hände bekommen, und zweitens ist die Leitung des Wirtschaftslebens weder eine Sache, die jede Gewerkschaft für sich erledigen könnte, noch ist sie eine Sache, die nur durch ein freies Abkommen der Gewerkschaften geregelt werden könnte, und zwar, weil einzelne Kategorien der Arbeiterklasse im Industrieprozess eine hervorragende Rolle spielen und weil diese Arbeiterkategorien für ihre Mitglieder eine aristokratische, privilegierte Stellung im ganzen Wirtschaftsprozess schaffen und unter Ausnützung dieser Lage für sich Privilegien gegenüber den schwächer entwickelten, weniger wichtigen Gruppen der Arbeiterklasse durchsetzen könnten. Die Arbeiterklasse muss im proletarischen Staat die Wirtschaft so leiten, dass neben den Organisationen, die die Arbeiterschaft der einzelnen Industriezweige zusammenfassen, die Arbeiter in diesen Industriezweigen noch eine weitere große Aufgabe erhalten. Neben den Organisationen, die ihre Aufgaben vom Standpunkte eines Industriezweiges ansehen, muss die Arbeiterklasse, in der Form ihres proletarischen Staates, den Gedanken an die proletarische Gesamtheit vertreten. Der wirtschaftliche Plan und seine Durchführung muss unter dem starken Druck des proletarischen Gesamtinteresses stehen. Aus diesem Grunde sehen wir hier, wie neben der hervorragenden, entscheidenden Rolle der Gewerkschaften die regulierende Form der Staatsorganisationen sich vorzüglich in Gestalt der Räte ausgebildet hat, dass also die Gewerkschaften die Wirtschaft mitleiten durch die allgemeinen staatlichen Organe.

Das wären die Hauptamendements, die in die Thesen hineinkommen. Wir haben dabei mehr als im ersten Entwurf die Tatsache berücksichtigt, dass in vielen Ländern die Gewerkschaften eine aristokratische Politik treiben. Wir haben es den Kommunisten zur Pflicht gemacht, in diesen Fällen selbständig zur gewerkschaftlichen Organisation der Massen zu schreiten. Zweitens machen wir den Kommunisten die Unterstützung der jetzt spontan entstehenden neuen ökonomischen Gebilde des Proletariats, der Betriebsräte, zur Pflicht. Die Kommunisten müssen die Unabhängigkeit der Betriebsräte gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie verteidigen, aber sie als einen Teil der Gewerkschaften ansehen, wo die Gewerkschaften revolutioniert sind.

Das dritte Amendement begrenzt die Aufgaben der Gewerkschaften nach der Eroberung der politischen Macht.

Die vierte Frage ist die Frage der internationalen Vereinigung der Gewerkschaften.

Wir haben uns in der Kommission in dieser Frage einstweilen mit der Annahme des schon abgedruckten dritten Punktes unserer Thesen begnügt. Aber dieser Punkt sprach nicht über die konkrete jetzige Lage, über die Bildung des internationalen revolutionären Gewerkschaftsrates, der hier in Moskau von den Vertretern der italienischen, eines Teiles der englischen, der russischen, der bulgarischen Gewerkschaften gebildet worden ist. Wir hatten hier einerseits den Standpunkt der amerikanischen und englischen Genossen, der hier entwickelt wird, die diese Bildung in ihrer vorliegenden Form für verfehlt und für verfrüht halten, auf der anderen Seite den Standpunkt der russischen Parteigenossen, die eine Resolution vorlegten. Da eine solche von einzelnen Mitgliedern der Exekutive verworfen wurde und es gestern schon vier Uhr morgens war, lehnte ich es ab, mich dort irgendwie festzulegen. Genosse Sinowjew wird seinen Standpunkt hier vertreten.

In der Gewerkschaftsfrage bestehen tiefgreifende Meinungsunterschiede, Sie haben auf dem Kongress nicht den Charakter der prinzipiellen Auseinandersetzung bekommen. Aber wir sollen die Augen nicht davor verschließen, dass die Gärung, in der sich die Arbeiterklasse befindet, in allen Ländern zu Versuchen der Bildung neuer Gewerkschaften geführt hat, dass auf diesem Standpunkt viele Mitglieder in allen kommunistischen Parteien stehen. Wir sollen uns über die Gefahren, die darin liegen, nichts vormachen lassen, Der Kongress muss diese Gefahren ins Auge fassen und den kommunistischen Parteien eine klare Marschroute geben,

Die zweite Frage, die die Aufmerksamkeit des Kongresses in Anspruch nehmen kann, und in Zukunft die der Internationale in viel größerem Maße als bisher, ist die Frage der Betriebsräte, aller neuen Organisationen, der Shop-Steward-Committees usw, Hier müssen wir eins sagen: Nicht, dass die Frage wenig geklärt ist, sie ist in der Entwicklung. Es handelt sich nicht um die Klärung. Wir müssen die Möglichkeit ins Auge fassen, dass die Entwicklung der Revolution hier ganz neue Dinge schafft, dass die Kommunisten diesen neuen Erscheinungen gegenüber keinen starr ablehnenden Standpunkt einnehmen sollen. Das, was bisher gesagt werden konnte, versuchen wir in den Thesen niederzulegen; aber Jeder von uns hat das Gefühl, dass das nicht das letzte Wort sein kann, dass sich diese Organisationen entwickeln, uns vor ganz neue Fragen stellen werden, dass wir dieser Frage mit der Bereitschaft, die neuen Tatsachen zu würdigen, entgegentreten müssen. Die Kommunistische Internationale wurde gebildet in der Zeit revolutionärer Gärung, wo vieles den Eindruck des Chaos macht, das später zu festen wertvollen Gebilden wird. Ich unterstreiche mit voller Absicht den werdenden Charakter dieser Erscheinungen, damit die Kommunistische Internationale auf diese Erscheinungen vorbereitet wird, damit wir nicht in die Rolle des alten Zopfes der Gewerkschaften verfallen und alles Neue verpönen. Wir wissen noch nicht, was die englischen Shop Stewards werden. Sie sind erst in der Bildung begriffen. Wir wissen nicht, was aus den deutschen Betriebsräten werden wird; sie sind einstweilen noch Produkte der zurückgehenden Revolutionswoge. Sie wurden gebildet, als sich die Arbeiter an die Idee der Räte klammerten, ohne politische Räte zu bilden. Wir wissen noch nicht, welches neue Leben die neue Woge der Revolution, die zweifellos im Anzuge ist, in diese Organisationen bringen wird. Wir wissen sogar noch nicht, ob diese Organisationen als vollkommen revolutionierte Elemente in den Gewerkschaften auftreten werden. Eins aber ist zu sagen. Wie die Dinge bis heute liegen, ist es die Aufgabe der Kommunisten, den Arbeitern zu erklären: „Ihr dürft die Gewerkschaften nicht fallen lassen. Sie sind die größten Massenorganisationen des Proletariats". Das zweite, was wir sagen können, ist, dass wir tastend an die Aufgabe der Betriebsräte herantreten und festzustellen suchen, welches ihre Aufgaben sind und welche die Aufgaben der Gewerkschaften, dass wir uns über das Verhältnis der beiden Organisationen zueinander klar zu werden suchen. Aber das ist nicht unser letztes Wort. Wenn die Revolution in Westeuropa einen schleppenden Gang nehmen wird, wenn die kapitalistische Zersetzung weitergreifen wird und das Proletariat nicht in schnellen Schlägen die Macht erobert, so kann auf diesem Gebiete für die von uns vorbereiteten Massen ein neues Feld der Arbeit liegen, indem wir diesen Dingen nicht mit starren Formeln entgegentreten, sondern mit prüfendem Verstand und dem Willen, der bereit ist, zu handeln und die neuen Erscheinungen zu formen.

Über die Aufgaben der Kommunisten in den Gewerkschaften werde ich mich jetzt nicht lange auslassen. Das Richtunggebende ist das unverrückbare Bewusstsein, dass wir in der Massenbewegung des Proletariats und ihrer Organisationen wohl eine kommunistische Propaganda haben können, aber keine kommunistische Kampfpartei. Wenn wir den Kommunisten diese Marschroute geben, so handeln wir auf Grund der einfachen Erwägung, dass Organisationen, in denen Millionen von Arbeitern zusammengefasst sind, keine Kristalle sind, die man zerstören muss. Der Vergleich zwischen dem bürgerlichen Staat und den Gewerkschaften hinkt auf beiden Füßen. Wie canaillenhaft die Gewerkschaftsbürokratie auch sein mag, wie sehr sie auch der Lakai der Bourgeoisie ist, so kann sie doch nur so lange den Charakter der Gewerkschaften bestimmen, als die Entwicklung nicht in starken Fluss kommt. Tritt dieser Fall ein, dann bestimmt die Arbeiterschaft den Charakter ihrer Gewerkschaften. Gorter, der jetzt der Theoretiker des linken Kommunismus ist, sagt in seiner Broschüre; „Die Kraft der Gewerkschaftsbürokratie besteht in der mangelhaften Selbständigkeit der Massen". Und gleichzeitig behauptet er, man könne die Gewerkschaften nicht erobern. Das bedeutet, dass dieser Genosse, der die Weltrevolution in 24 Stunden kommen sieht, dem nichts radikal genug ist, überzeugt ist, er kann die Revolution machen trotz der vorhandenen Unterwürfigkeit und Unselbständigkeit der Massen. Denn falls er auf die Abnahme der Unselbständigkeit rechnet, so kann er nicht den Satz formulieren, die Gewerkschaften seien dazu verurteilt, die Keimzellen der kapitalistischen Gesellschaft zu sein und zu bleiben. Wir sehen der Entwicklung entgegen mit dem gesunden revolutionären Optimismus, auf den eine revolutionäre Bewegung aufgebaut werden muss. Wir sind überzeugt, dass die Massen in Bewegung geraten, dass sie die sklavische Unterwürfigkeit abwerfen werden. Wenn wir in dieser Überzeugung zum Kampfe gegen die Gewerkschaftsbürokratie auffordern, so geschieht das nur darum, weil wir wissen, dass die Geschichte sich nicht außerhalb unseres Willens abspielt, sondern dass wir selbst Faktoren dieser Entwicklung sein müssen. In diesem Sinne sind wir der festen Überzeugung, dass in den Gewerkschaften für die kommunistischen Parteien das große Feld liegt, auf dem sie die Hauptmassen der Arbeiter für den Kommunismus gewinnen sollen, nicht nur durch Propaganda, nicht durch Traktätchen, sondern durch die Teilnahme am Kampf, und in diesem Sinne bitten wir den Kongress, nicht nur die Thesen anzunehmen, sondern sie zur Richtschnur der Tätigkeit in den Gewerkschaften zu machen.

1 Fehlt im Stenogramm.

2 Fehlt im Stenogramm.

3 Er Brief fehlt im Stenogramm.

4 Es handelt sich um Ziff. II, 5 der Gewerkschaftsthesen.

5 Vgl, Ziffer II, 7 der Gewerkschaftsthesen.

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