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Leo Trotzki 19171130 Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets über die internationale und innere Lage

Leo Trotzki: Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets über

die internationale und innere Lage

(17. November)

[Prawda Nr. 194, 19. November/2. Dezember 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Die Sitzung wird durch eine Rede des Vorsitzenden des Sowjets, den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Genossen L. Trotzki eröffnet, der die Anwesenden mit den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Außenpolitik vertraut macht. Genosse Trotzki teilt die Antwort des österreichischen Außenministers Czernin mit und betont, dass der von der russischen Revolution diktierte Friede – ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage der Selbstbestimmung der Völker – von der österreichischen Regierung akzeptiert wird, erinnert aber gleichzeitig daran, dass die bürgerliche Diplomatie mit besonderer Kunst mit den höchsten Losungen operiert und die scheinbar unzweifelhaftesten Wahrheiten in Frage stellt. In Verhandlungen mit unseren gegenwärtigen Alliierten und Feinden werden wir natürlich auf der Hut sein und auf keinen Fall erlauben wir die Verzerrungen jener Prinzipien des allgemeinen Friedens, die von der russischen Revolution ausgerufen wurden. Wenn wir mit ihnen am selben Tisch sitzen, werden wir kategorische Fragen stellen, Ausflüchte vermeiden, und der ganze Verlauf der Verhandlungen, jedes Wort, das von uns und ihnen ausgesprochen wird, wird aufgezeichnet und per Radiotelegrafie an alle Völker verbreitet, die die Richter unserer Verhandlungen sein werden. Unter dem Einfluss der Unteren haben sich die Regierungen in Deutschland und Österreich bereits bereit erklärt, sich auf der Anklagebank niederzulassen. Seid versichert, Genossen, dass der Staatsanwalt in Gestalt der russischen revolutionären Delegation an seiner Stelle sein wird und zu gegebener Zeit seine donnernde Anklagerede an die Adresse der Diplomatie aller Imperialisten halten wird.

Was unsere Verbündeten anbelangt, so scheinen sie im Zustand völliger Verwirrung zu sein. Das allein kann das fast gleichzeitige Erscheinen zweier in der heutigen Ausgabe der Prawda veröffentlichter Dokumente erklären: Oberstleutnant Kerths Brief an General Duchonin und einen Brief seines Kommandeurs General Jadson. Wenn ihr sie gelesen habt, dann wisst ihr, dass der eine von ihnen den anderen vollständig dementiert. Das ist jedoch nicht der Punkt. Heute hatte ich hier im Smolny-Institut zwei Amerikaner, die enge Beziehungen zu den kapitalistischen Elementen des amerikanischen Volkes haben, die mir versicherten, dass die Stimmung der Vereinigten Staaten durch den Brief Jadsons und nicht durch Kerth richtig widergespiegelt wird. Ich neige dazu zu glauben, dass dies der Fall ist. Natürlich nicht, weil ich an die platonische Sympathie für das russische Volk glauben würde, von der die amerikanischen Imperialisten mich überzeugen wollen, sondern weil nach all dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, amerikanische Diplomaten, erkannt haben, dass sie die russische Revolution nicht überwinden können, und sie deshalb „freundliche" Beziehungen zu uns aufbauen wollen, weil sie glauben, dass dies ein ausgezeichnetes Mittel in der Konkurrenz mit den deutschen und insbesondere den englischen Kapitalisten nach dem Krieg sein wird. Wir sind jedoch überhaupt nicht daran interessiert, wie die alliierten oder feindlichen Imperialisten sich uns gegenüber verhalten. Wir werden eine unabhängige Klassenpolitik betreiben, ganz gleich, wie sie uns behandeln, und ich erwähne ihre Aussagen nur, weil ich darin ein Symptom der unerschütterlichen Stärke der russischen Revolution und ihrer Regierung sehe.

Was unsere Beziehungen zu Großbritannien betrifft, so zeichnen sie sich immer noch durch völlige Unsicherheit aus. Als Antwort auf meinen Brief an den britischen Botschafter über die Genossen. Tschitscherin, Petrow usw. erschien bei mir im Smolny-Institut nach dem Ausreiseverbot aus Russland für alle englischen Staatsbürger der englische Konsul und fragte mich: Was wird geschehen, wenn die Reaktion der britischen Regierung sich in die Länge zieht? Ich habe nicht eine Minute geschwankt und sagte ihm, wenn unsere Genossen gemäß dem bösen Willen der britischen Regierung weiterhin in Konzentrationslagern bleiben würden, dann wird das revolutionäre Russland es für möglich halten, die Lage englischer Konterrevolutionäre in Russland ihrer Lage anzugleichen. Unsere Alliierten und Gegner im Ausland müssen endlich verstehen, dass die Zeiten der Zaren und Kerenskis mit Miljukow vergangen sind, dass jeder russische Staatsbürger, sei er politischer Emigrant oder revolutionärer Soldat in Frankreich, jetzt unter dem Schutz der Staatsmacht der russischen Revolution steht.

Vielmals von stürmischem Beifall unterbrochen, beendet Genosse Trotzki seinen Tatsachenbericht dazu. Zur Frage, ob Japan Russland wegen Verletzung der Vertragspflichten den Krieg erklären werde, antwortet Genosse Trotzki, dass Japan nicht als Richter in den Beziehungen auftreten kann, die wir mit allen Ländern aufbauen; im Allgemeinen kann man von jeder bürgerlichen kapitalistischen Regierung zu jeder Zeit einen räuberischen Überfall erwarten, wenn sie es als für sich nützlich erachtet. Es scheint jedoch, dass ein Angriff Japans auf uns unwahrscheinlich ist. Vor kurzem kehrten Leute aus Japan zurück, die ich in dieser Angelegenheit für kompetent halte. Sie haben mir eine Menge Daten geliefert, aus denen ich schließe, dass ein Angriff Japans auf Russland ein sehr schlechter Schritt sein würde. Außerdem darf man niemals den Widerspruch der Interessen vergessen, der Japan jederzeit von hinten von Seiten der Vereinigten Staaten bedroht.

Auf die Frage, ob die Soldaten mit oder ohne Waffen demobilisiert würden, antwortete Genosse Trotzki, dass das Programm der Bolschewiki die allgemeine Volksbewaffnung einschließt, um ihre Klasseninteressen gegen die aggressive Tendenz der Bourgeoisie zu verteidigen. Es ist daher klar, dass jeder rechtschaffene Soldat (seine Genossen in der Kompanie werden darüber urteilen) die Möglichkeit haben wird, so nach Hause zurückzukehren, dass dort eine ständige Rote Garde gebildet wird, um Freiheit und Revolution zu schützen. Für den Fall, dass die Waffen nicht ausreichen, wird es notwendig sein, welche den älteren Jahrgängen der Armee abzunehmen.

Ferner beantwortet Genosse Trotzki die Frage, wie es mit der Beschlagnahme von warmer Kleidung steht. Er stellt fest, dass das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten angesichts der jüngsten Ereignisse fast den gesamten Personalbestand an verschiedene verantwortliche Stellen delegiert hat. Angesichts dessen schlägt Genosse Trotzki folgende Resolution vor:

Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten beschließt:

Es stellte sich heraus, dass nicht nur die Kapitalisten, sondern auch eine bedeutende Anzahl hochrangiger Beamter und Angestellter, die mit Tausenden von wirtschaftlichen und sozialen Fäden mit diesen verbunden sind, in staatlichen und öffentlichen Institutionen die Arbeit der Provisorischen Arbeiter- und Bauern- Regierung sabotieren.

Ein solcher Widerstand gegen die Sache des Sozialismus seitens der Bourgeoisie und ihrer Handlanger ist nicht unerwartet für das Proletariat und die ärmste Bauernschaft, die niemals auf ein Kompromisseln mit den Ausbeutern zählten, sondern nur darauf, ihren Widerstand durch die organisierte Macht von Millionen der Arbeitenden und Ausgebeuteten zu überwinden.

In Petrograd als dem Zentrum des Kapitalismus, dem Hauptzentrum der Banken und des Finanzkapitals, dem Zentrum der Bürokratie, ist der Widerstand der Bourgeoisie und ihrer Handlanger besonders stark.

Deshalb ruft der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten alle Arbeiter und Soldaten Petrograds, insbesondere alle Mitglieder der Bezirkssowjets und des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten auf:

1) Mit dem verrotteten bürgerlichen Vorurteil entschlossen und unmittelbar zu brechen, als ob nur bürokratische Beamte den Staat lenken könnten.

2) Ohne jede Verzögerung die Stadtbezirks- und Stadtsowjets in Abteilungen aufzuteilen, von denen jede die unmittelbare Beteiligung an diesem oder jenem Staatsverwaltungsgebiet auf sich nimmt.

3) Für jede dieser Abteilungen die bewusstesten und fähigsten Genossen aus Fabriken und Regimentern heranzuziehen und die so gewonnenen Kräfte zur Hilfe für jeden Volkskommissar hin zu lenken.

Möge jeder klassenbewusste Arbeiter und Soldat verstehen, dass nur die Unabhängigkeit, Energie und Begeisterung der Werktätigen den Sieg der begonnenen sozialen Revolution stärken kann. Möge jede Gruppe von Arbeitern und Soldaten die organisierenden Kräfte auswählen, die im Volk versteckt sind und bis zum heutigen Tag durch den Druck des Kapitals und der Not niedergehalten werden.

Mögen diese Kräfte mutig die schwierige, verantwortungsvolle, aber dankbare Arbeit übernehmen, eine wahrhafte Volksregierung von unten aufzubauen.

Alle arbeitenden Menschen zur Hilfe für den Rat der Volkskommissare!

Hoch der Sieg des Sozialismus!“

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