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Leo Trotzki 19171008 Rede in der Sitzung des Petrograder Sowjets zum Bericht über den gegenwärtigen Moment

Leo Trotzki: Rede in der Sitzung des Petrograder Sowjets

zum Bericht über den gegenwärtigen Moment

(25. September)1

[„Rabotschij Putj“ Nr. 23, 12. Oktober (29. September), 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

Genossen! Der ehemalige Arbeitsminister fand es notwendig, daran zu erinnern, dass die Revolution für ihn von vorne beginne, denn er ist wieder im Petrograder Sowjet. Ich sehe nur, dass der ehemalige Minister bei uns bereitwilliger erscheint als der amtierende.

Sie erschienen sehr selten bei uns, und daraus schlossen wir, dass die von Skobelew empfohlene Koalition mit der Bourgeoisie Reden amtierender Minister bei uns schlecht erträgt. Die Hauptforderung der Kadettenbourgeoisie ist die Unabhängigkeit der Minister von den Organen der Demokratie, und in dieser Frage gewann die Kadettenbourgeoisie immer, denn die Geschichte des Koalitionskabinetts war die Geschichte der allmählichen Befreiung der Herren Minister von der Kontrolle durch die Organe der revolutionären Demokratie.

Nun, nachdem diese Befreiung erreicht worden ist, scheint auch die eher fragwürdige „sachliche Verantwortlichkeit“ der Behörden gegenüber dem Vorparlament für den ehemaligen Minister eine große Leistung zu sein … So sind die Ansprüche nach dem Zerstören ihre Verantwortlichkeit gegenüber den Sowjets zurückgegangen.

Heute kam Skobelew zu uns und gab uns wieder wie früher Ratschläge, und wie früher würden wir gerne einen Rechenschaftsbericht hören. (Beifall.)

Warum hat er uns nicht gesagt, wem er auf Kosten der Arbeiter Zugeständnisse machen musste, als er Minister war? Klar, eine Koalition ist, weil sie eine Koalition ist, eine Institution, wo die Skobelews den Konowalows dienen.

Skobelew rät uns: wir sollen uns unserer Verantwortung bewusst sein.

Aber es gibt eine doppelte Verantwortung. Es gibt eine ministerielle Verantwortung gegenüber dem bürgerlichen Staat, und es gibt eine Verantwortung gegenüber dem Proletariat.

Um die Verantwortung der Minister für die Bourgeoisie zu verbergen, wurde der Begriff „Staatswesen“ eingeführt. Aber wir sind uns sehr bewusst, dass, als in Westeuropa die sozialistischen Minister in das Lager der Bourgeoisie gingen, sie sich auch hinter dem „Staatswesen“ versteckten. Doch Marx lehrte uns, dass der Staat immer eine Klassenbasis hat. Wir wollen unser „Staatswesen“ – eines, in dem den Arbeitern die Macht, den Bauern das Land geben wird. Jetzt ist der Staat in den Händen unserer Klassenfeinde, mit denen wir nicht durch gemeinsame Verantwortung verbunden sind, sondern durch rücksichtslosen Kampf.

Nach Skobelew ist uns unser Petrograder Sowjet als starkes Erbe der Koalitionspolitik verblieben. Nein, unser Sowjet hat sich nicht durch Knechtschaft gegenüber der Bourgeoisie entwickelt, sondern im Kampf gegen sie. Wir beleben den Rat im Geiste der Feindschaft und des rücksichtslosen Kampfes gegen die drohende Diktatur der liberalen Bourgeoisie.

Und wir können sagen: Wie der Zarismus die russische Revolution großzog, so zog die Politik des Bürgers Skobelew und anderer den gegenwärtigen Petrograder Sowjet groß.

Wir verstehen, dass sich unsere Verantwortung erhöht hat, dass jedes Wort von uns jetzt mehr Gewicht hat, aber wir sind zwar eine Mehrheit des Sowjets geworden, wir sind noch keine Regierungspartei, wir bleiben die Organisation des revolutionären Proletariats, des unversöhnlichen Feindes der Klassenstaats. Die Menschewiki wollten den Rat auch zu einem Regierungsorgan machen.

Deshalb haben sie uns den Rücken gekehrt und sich mit den … Genossenschaftlern vereinigt, einer neuen „sozialen Stütze“ für die Revolution.

Bisher haben wir keine Genossenschaftsdemokratie gekannt.

Was ist diese neue Klasse? Dass bekannte Persönlichkeiten als Beamte dienen, zum Beispiel in der bäuerlichen Genossenschaft, bedeutet nicht, dass sie den revolutionär-politischen Willen der Bauern ausdrücken, so wie ein Arzt, der Arbeiter behandelt, noch nicht der Sprecher ihres politischen Willens ist. Genossenschaftler sollten gute Organisatoren, Kaufleute, Buchhalter sein, aber Bauern und Arbeiter vertrauen den Schutz ihrer Klassenrechte ihren Sowjets an.

Tatsächlich forderten sie [die Skobelews] die Genossenschaften auf, revolutionäre Macht zu schaffen, wozu sie ihre Wähler nicht bevollmächtigten

Wir sind sicher, dass wir bei der Bauerndemokratie größere Unterstützung finden werden als die Genossenschaften. Nehmen wir ein Beispiel. Wenn die Revolutionsregierung sofort das Land an die Bodenkomitees übertrüge und die Pacht für das Land den Soldaten übergeben würde, würde die ganze Bauerndemokratie eine solche Regierung unterstützen. Und Berkenheim und Prokopowitsch sind dagegen!

Wir stellen die Losung auf: „Alle Macht den Sowjets!“ Wir wissen, dass sie nicht alle Geschwüre sofort heilen wird.

Wir brauchen eine Macht von der Art einer Gewerkschaft, die den Streikenden alles gibt, was sie kann, nichts verbirgt und offen zugibt, was sie nicht kann.

Wir brauchen Macht, die von den Reihen der Bauern, Arbeiter und Soldaten ausgeht, die auf ihnen ruht, ihnen verantwortlich ist. Mit solch einer Macht würden die Eisenbahner nicht auf Streiks zurückgreifen müssen. Sie würden im Voraus wissen, dass diese Macht ihnen alles geben wird, was gegeben werden kann.

Wir stehen vor einer wirklich großen Gefahr im Falle einer Demobilisierung, wenn eine gequälte, hungrige Armee durch das Land ziehen wird, aber nicht mit Unterdrückungsmitteln gegen die sogenannte „Anarchie“. Es ist notwendig, dass jeder ehrliche russische Soldat weiß, dass eine ehrliche Volksmacht alle Ressourcen des Landes in ihren Händen hält und sie ohne Betrug verteilt, ohne Marodeure zu verwöhnen. Nur eine Macht, der geglaubt wird und zu Recht geglaubt wird, kann uns vor dem Bruderkrieg, vor grausamem Chaos retten. Und man erzählt uns über den Erfolg, über diese Schande – ja, Schande –, dass junge Leute im Winterpalast mit uns verhandeln, in welchem Ausmaß sie uns gegenüber unverantwortlich sein werden! Und das ist euer Ergebnis der Revolution?

Die Resolution Skobelews läuft darauf hinaus, dass vielleicht, wenn wir uns im Vorparlament ordnungsgemäß verhalten – dass der Teufel keinen Scherz treibt! – die Minister mit der Verantwortlichkeit einverstanden sind, und sogar die Todesstrafe abgeschafft wird…

Das ist ein völliges Missverständnis der Lage und Stimmung der Volksmassen. Die Regierung wurde schon gegen uns gebildet, gegen das Volk, und morgen wird sie zweifellos einen Kreuzzug gegen die Sowjets erklären. Und jetzt, wenn Kerenski, Konowalow und Tretjakow, die sich auf das Vorparlament stützen, ihre Kampagne gegen die Sowjets beginnen werden, wo wird dann die Skobelew-Partei sein? Bei einer Strafexpedition gegen die Sowjets oder bei den Sowjets?

Wir, der Petrograder Sowjet, riefen in der letzten Sitzung alle Sowjets auf, gegen die bevorstehenden konterrevolutionären Anschläge bereit zu sein.

In diesem Kampf, zu dem wir gezwungen werden, werden wir nicht mit denen sein, die demokratische Organe auf den Boden schmettern und nicht mit Verteidigern, sondern mit denen, die die Organe der russischen Revolution bis zum Ende verteidigen und vorwärts führen.

1 Bei diesem Treffen des Petrograder Sowjets berichtete Kamenew über den gegenwärtigen Moment. Die Hauptthese seiner Rede war, dass der Versuch, eine Koalition zu schaffen, ein Provozieren des Bürgerkrieges bedeute. Nach der Rede von Skobelew sprach Genosse Trotzki. Die Menschewiki zeigten in dieser Sitzung wieder einmal ihr platt-feiges kleinbürgerliches Gesicht und sagten durch Bogdanow, dass die Diktatur des Proletariats zu den „katastrophalen Folgen der Pariser Kommune“ führen könne. In der angenommenen Resolution qualifizierte der Petrograder Sowjet die provisorische Regierung als die Regierung des Bürgerkrieges und erklärte, dass „die Arbeiter und die Garnison von Petrograd der Regierung der konterrevolutionären Gewalt keine Unterstützung geben werden“.

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