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Leo Trotzki 19170924 Rede in der Sitzung des Petrograder Sowjets zur Frage der Demokratischen Beratung

Leo Trotzki: Rede in der Sitzung des Petrograder Sowjets

zur Frage der Demokratischen Beratung

(11. September)1

[Iswestija Nr. 169, 13. September 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 1. Москва-Ленинград, 1924]

Dan sagt uns, dass die russische Revolution sich durch große Schwierigkeiten hindurcharbeiten muss, die keine Revolution kannte. Aber je mehr Schwierigkeiten wir haben, desto radikaler müssen die Mittel sein, und wir haben seit sieben Monaten noch nicht einmal eine konstituierende Versammlung. Das gab es in keiner Revolution. Es wird uns gesagt, dass wir die Schwierigkeiten nicht berücksichtigen und die Bedeutung der arbeitenden Massen überschätzen. Ich möchte Sie an die Sitzung des Petrograder Sowjets vom 3. Mai erinnern, als die neugebackenen sozialistischen Minister sich vorstellten: Sie erinnern sich an die Begeisterung, die ihr Auftritt im Sowjet hervorgebracht hat, und dann kritisierte nur eine kleine Gruppe von Bolschewiki die Pläne von Skobelew und Tschernow, denen wir voraussagten, dass die Kadetten und andere Vertreter der Zensuselemente ihnen nicht erlauben würden, ihr Programm bezüglich Land und Arbeit umzusetzen. Wir haben Recht gehabt und ich kann diese Minister nicht anders als politische Bankrotteure nennen.

Hier bezieht sich Dan auf Westeuropa, aber es gab noch nie eine solche politische Lage wie die, in der die russische Republik jetzt ist.

Es gibt zwei Wege: Ein Weg ist, durch die Todesstrafe und andere repressive Maßnahmen die Kampfkraft der Armee zu schaffen und die Revolution zu ersticken; ein anderer Weg ist, die Forderungen der breiten Massen zu befriedigen.

Wir sagten auf dem Allrussischen Sowjetkongress, dass die Offensive der russischen Armee unseren Truppen ungeheure Zerstörung bringen würde, und wir statt einer Offensive einen Rückzug haben würden, den Verlust von neuen Landstücken, die Zerstörung unserer Revolution. Wir wurden hier an die Tage des 3. bis 5. Juli erinnert, aber um den Moment zu beurteilen, gibt es ein Kriterium: zu sehen, wie die Massen auf die Ereignisse reagieren. Schlecht sind Politiker, die die Massen verlieren, wie die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre; wir waren immer mit dem Volk und im Volk. Und mit wem geht nun das Proletariat – mit uns, die wegen Verrats eingesperrt wurden, oder mit Zereteli und Dan, die das Volk entwaffneten, Soldaten und Arbeiter entwaffneten? (Freundlicher Beifall, Zuruf aus dem Plenum: Wer hat sie gerufen?) Man ruft mir zu: wer hat sie gerufen? Ich beantworte dies: Sie wurden durch die Politik der Koalition herbeigerufen. Was brauchten die Massen am 3. Juli? Sie sagten: Gehen Sie nicht in eine Koalition mit den Miljukow und Gutschkowisten, sondern sehen Sie uns an und machen Sie eine Koalition mit uns. Uns wird gesagt, dass unser Programm nicht realisierbar sei, dass wir die Arbeit stören, aber haben denn wir Tschernow gehindert, die Bodenprojekte für die provisorische Regierung durchzuführen? Und ist es unsere Schuld, dass viele Mitglieder der Bodenkomitees verhaftet wurden? Sie suchten nicht nach einer Koalition, um Russland zu retten, sondern weil Ihnen sonst die englische und französische Börse nicht trauten. Und solange Sie gezwungen sind, den Krieg auf der Grundlage des Imperialismus zu führen, müssen Sie eine Koalitionsregierung haben. Aber jetzt müssen wir ein für allemal sagen, dass dieser Krieg mit der russischen Revolution unvereinbar ist, und deshalb haben wir von Anfang an gesagt, dass wir den Krieg sofort beenden müssen. Und zur gleichen Zeit, als wir die Arbeiter anderer Länder drängten, mit ihren Regierungen zu brechen, nahmen wir Tereschtschenko und Konowalow in unsere Regierung hinein.

Wie soll die Macht jetzt beschaffen sein? Die Macht muss jetzt so sein, dass sie alle Kräfte nutzt, um die französischen und britischen Imperialisten zu bekämpfen. Was haben wir in die Hände des Kaisers gegeben, den ich mehr hasse als Sie, als Sie am 18. Juni die Offensive begannen? Hier ist seine Antwort: „Wir haben die Russen seit einigen Monaten nicht angetastet und jetzt mögen sie sich selbst die Schuld geben, wenn sie die Offensive fortsetzen wollen." Und Sie wissen bereits, was danach geschah. Sie stehen jetzt zwischen zwei Stühlen, und auf der einen Seite macht Ihnen die Bourgeoisie Angebote und auf der anderen Seite das Proletariat von Petrograd und Moskau. Wenn Sie zusammen mit der fortgeschrittenen Arbeiterklasse der Bourgeoisie Zügel anlegen wollen, dann muss die bevorstehende Demokratische Beratung aus ihrer Mitte die demokratische Macht der Soldaten, Arbeiter und Bauern schaffen, denn nur diese Macht wird in der Lage sein, ein unbesiegbares Russland zu schaffen.

1 Es gab drei Fragen auf der Tagesordnung dieser Sitzung des Petrograder Sowjets: 1) Demokratische Beratung, 2) Wahl der Vertreter zu dieser Beratung, 3) Präsidium. Ein Bericht über die Demokratische Beratung wurde vom Genossen Kamenew gehalten. Nach der Rede von Dan hielt Genosse Trotzki eine Rede. Nach der Debatte wurde eine Resolution angenommen, die von Kamenew verlesen wurde. Als Delegierte des Petrograder Sowjets zur Demokratischen Beratung wurden von den Bolschewiki unter anderem Lenin und Sinowjew gewählt, die sich damals noch versteckt hielten. Als er Lenin und Sinowjew für die Demokratische Beratung wählte, drückte der Petrograder Sowjet ganz demonstrativ seine Haltung gegenüber der provisorischen Regierung aus. Diese Wahl wurde von der bürgerlichen Presse als politische Herausforderung wahrgenommen:

Uh, wie wütend ist die bürgerlich Boulevardpresse“, schreibt Suchanow aus diesem Anlass - „Einerseits eine unverschämte Herausforderung, ein Schlag ins Gesicht, den die russische Gesellschaft nicht ertragen kann. Sucht ihn, arretiert ihn, sperrt ihn ein! Ja, und es gibt zuverlässige Informationen, dass Lenin aus Finnland kam, jetzt hier in Petersburg ist … Der Innenminister gab den Befehl und veröffentlichte ihn in der Presse: Lenin ist sofort zu verhaften, sobald ihn jemand sieht … Die Zeitungen fragten sich: wird er erscheinen oder wird er nicht erscheinen? („Anmerkungen zur Revolution", Buch VI, S. 91).

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