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Leo Trotzki 19180710 Die Schaffung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee

Leo Trotzki: Die Schaffung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee

Bericht auf dem 5. Sowjet-Kongress in der Sitzung vom 10. Juli 1918

[nach Leo Trotzki, Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 86-101]

Unsere Gegner und um so mehr unsere Feinde – obwohl man sagen darf, dass im Lauf der Revolution unsere Gegner sich in unsere Feinde verwandeln – machen uns den Vorwurf, dass wir erst nach und nach, nur mit Verspätung die Notwendigkeit erkannt hätten, eine Armee zu schaffen, und zwar eine Armee, die auf festen, planmäßigen, wissenschaftlichen Prinzipien aufgebaut ist.

Das Programm unserer Partei, wie das Programm jeder sozialistischen Arbeiterpartei, spricht keineswegs von der Zerstörung und der Vernichtung jeder Armee in der gegenwärtigen Periode des Kampfes, sondern bloß von dem Aufbau der Armee auf neuen demokratischen Prinzipien, auf Prinzipien der Miliz, auf der Grundlage der allgemeinen Bewaffnung.

Ich werde des Weiteren davon zu sprechen haben, welche Veränderung dieses Prinzip der allgemeinen Bewaffnung unter den revolutionären Verhältnissen der Epoche des Bürgerkrieges erfährt. Jetzt aber, bevor ich diese Frage anschneide, muss ich mich fragen: warum ist die alte Armee verschwunden, die ja eine reguläre Armee war und die den materiellen und geistigen Kräften und Mitteln des alten Regimes entsprechend auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut war?

Die Hauptursache des Unterganges der Zarenarmee besteht nicht in dem Antimilitarismus der Revolution, nicht darin, dass die Revolution die militärische Verteidigung als solche ablehnt, sondern sie liegt ausschließlich und allein in der Klassenstruktur der alten Armee selbst, darin, dass diese Armee, die natürlich in ihrer Hauptmasse aus Bauern und Arbeitern bestand, einen Verwaltungsapparat hatte, der so aufgebaut, erzogen und geschult war, dass diese Armee automatisch der damals herrschenden Klasse mit ihrer monarchischen Spitze dienen musste.

Dies lassen wir natürlich niemals außer Acht. Und deshalb erscheint uns die Behauptung mancher Militärfachleute unhaltbar und kindisch, dass die Armee von der Politik zugrunde gerichtet worden sei, und dass die Armee nur dann als gesunder und schlagkräftiger Organismus bestehen kann, wenn sie außerhalb der Politik gestellt wird.

Vor kurzem z. B. hat einer der bekanntesten alten Generale, Brussilow, aus Anlass der Erinnerungen Kerenskis, die als besondere Broschüre erschienen sind, in der bürgerlichen Presse verkündet, dass der Zerfall der alten Armee ein Prozess war, der durch die Revolution als solche hervorgerufen wurde, und dass der Wiederaufbau der Streitkräfte nur möglich sei im Fall der Trennung der Armee von der Politik. Unter dem Namen „Politik" figurieren in dieser Behauptung selbstverständlich die Interessen der Arbeiter- und Bauernmassen, denn noch nie gab es in der Geschichte eine Armee – und gibt es auch jetzt nicht –, die außerhalb der Politik gestanden hätte.

Der Krieg“, sagt der berühmte deutsche Kriegstheoretiker Clausewitz, „ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, d. h. die Armee eines Landes ist der Politik des betreffenden Landes untergeordnet.

Daraus folgt, dass die Armee des Zarismus nichts anderes war als eine bewaffnete Kraft, die angepasst war den Interessen des Zarismus und namentlich die Politik des Zarismus verfocht. Als weiteren Beweis will ich nicht an den äußeren Zustand der Armee, die Eidleistung auf die Zarentreue, die sogenannte Nationalhymne, die ja eine Hymne des Zarismus war, die Dynastie-Feste und Paraden erinnern, an all das, was rings um die Armee eine Atmosphäre der konzentrierten zaristischen Politik schuf; – ich will bloß an das Kommandopersonal erinnern, das zu einem Apparat zur Unterordnung der Arbeiter- und Bauernmassen unter die Forderungen der herrschenden Klassen des Landes gemacht worden war.

Wenn die alte Armee zerfallen ist, so geschah dies nicht infolge dieser oder jener böswilligen Losungen, sondern darum, weil die Revolution selbst, d. h. die Empörung der Arbeiter- und Bauernmassen gegen die früher besitzenden Klassen ausgebrochen ist. Die alte Armee hat bloß das Schicksal des ganzen alten Russland geteilt. Wenn der Aufstand der Bauern gegen die Gutsbesitzer, der Arbeiter gegen die Kapitalisten, des ganzen Volkes gegen die Herrschaft des Bürokratismus und gegen den Zaren selbst einen Zerfall des alten Russland bedeutete, so war der Zerfall der Armee dadurch selbst vorausbestimmt. Er lag im Keime der ganzen inneren Mechanik der Revolution und der Dynamik ihrer Klassenkräfte.

Wenn man uns jetzt den Vorwurf ins Gesicht schleudert, dass die Oktoberrevolution der Armee eine unheilbare Wunde zugefügt und sie zersetzt hat, so kann ich, der diese Periode in Petrograd miterlebt hat, mich wohl besinnen, Genossen, und viele von Euch besinnen sich auch darauf, wie im Laufe der Monate September und Oktober bis zum Ausbruch der Oktoberrevolution in den Petrograder Sowjet Delegierte von Regimentern, Divisionen, Korps und ganzen Armeen zu uns kamen und meldeten: „In den Schützengräben reift etwas Furchtbares heran. Die Armee wird nicht länger in den Schützengräben bleiben, wenn nicht entschiedene Schritte zugunsten des Friedens unternommen werden.“

In jener Periode wurden in den Schützengräben selbst angefertigte Soldaten-Flugblätter verbreitet, in denen geschrieben stand: wir, d, h. die Soldaten, wollen nur bis zum ersten Schneefall bleiben, dann verlassen wir die Schützengräben und gehen fort.

Wenn diese erschöpfte und innerlich geschlagene Armee – die geschlagen war noch unter dem Zarismus, vor allem durch die fürchterlichen äußeren Schläge seitens der deutschen Armee, dann infolge der Niederträchtigkeit und Perfidie des Zarenregimes und schließlich durch den Betrug der Sozialopportunisten und der Bourgeoisie nach der Februarrevolution, als die Armee in die Offensive vom 18. Juni gehetzt wurde –, wenn diese dreifach geschlagene Armee im Verlaufe des November, Dezember und Januar während der entsetzlichen Flucht aus den Schützengräben dennoch auf ihren Posten verblieben war, so war sie einzig und allein durch den geistigen Druck der Oktoberrevolution auf ihnen zurückgehalten worden.

Aber keine Macht der Welt konnte diese Armee als solche weiter aufrechterhalten, denn sie war im Innern zerstört: sie musste atomisiert, zerstäubt werden; jeder Soldat – ob Arbeiter oder Bauer – musste demobilisiert werden, musste seiner Wirtschaft wieder zugeführt werden, um von dort mit erneuten Kräften in die neue Armee einzutreten, die entsprechend den Interessen und Aufgaben der neuen machthabenden Klassen aufgebaut war, nämlich dar Arbeiter und Bauern, die keine fremde Arbeit ausbeuten.

Ihr habt Euch doch bemüht, die Armee auf dem Prinzip der Freiwilligkeit aufzubauen“, wurde uns entgegengehalten.

Ich kenne keinen einzigen Menschen in unserem Kreise, der je geglaubt hätte, dass das Prinzip der Freiwilligkeit ein gesundes Prinzip in der Organisation einer wahrhaft volkstümlichen demokratischen Armee darstellt. Das Freiwilligkeitsprinzip wurde von England akzeptiert, einer räuberischen Macht, für die die wichtigste militärische Aufgabe in der Organisierung der Flotte bestand; die Flotte erforderte aber keinen großen Menschenaufwand. Das Freiwilligkeitsprinzip wurde auch von den Vereinigten Staaten angewandt, die bis in die letzte Zeit außerhalb Amerikas keine imperialistische Eroberungspolitik trieben, weil das amerikanische Territorium selbst genügend Spielraum für die Bourgeoisie der neuen Welt bot.

Mit Ausnahme Amerikas und Englands wurde in allen bürgerlich-demokratischen Ländern das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht dauernd aufrechterhalten, weil es auch dort durch die allgemeinen Verhältnisse, das Regime des politischen Lebens usw., diktiert war.

Weder die Partei der Arbeiter und Bauern, noch die Sowjetregierung, die sich auf diese Klassen stützt, konnte die Frage der Landesverteidigung vom Zustrom der Freiwilligen abhängig machen. Sie waren zu einer vorübergehenden Anwendung des Freiwilligkeitsprinzips nur deshalb gelangt, weil sie die schwerste, kritische Periode der Revolution durchmachten, als die alte Armee zerfallen und zerstoben war und zugleich mit ihr sowohl im Zentrum wie an der Peripherie der alte Apparat der Militärverwaltung zerfiel und zerstob.

Damit ein neue Armee nach den Gesetzen, die von den Interessen der werktätigen Klassen diktiert waren, aufgebaut werden konnte, war es notwendig, erstens, dass die alte Armee endgültig ihren alten Platz in der Arbeit und der Klasse einnahm und sich in Rohmaterial verwandelte, aus dem man nachher eine neue sozialistische Armee aufbauen konnte, und zweitens, dass zuerst im Zentrum und dann an der Peripherie ein Apparat der Militärverwaltung geschaffen wurde, der imstande war, das gesamte vorhandene Menschenmaterial zu übersehen, und es planmäßig zur Tragung der wichtigsten Bürgerpflichten, d. h. der Pflicht der Verteidigung des Sowjetregimes und des Arbeiter- und Bauernvaterlandes, heranzuziehen.

Das ist der Grund, Genossen, warum wir in jenem Moment – als wir noch keine Zeit gehabt hatten, Organe zu schaffen für die Registrierung, Einberufung und Schulung von neuen Kadern, aber als man auch nicht länger warten konnte, denn die Feinde, unsere inneren und äußeren Feinde, schliefen nicht – nichts anderes tun konnten, als uns an das Volk zu wenden und zu sagen: „Ihr Arbeiter, Ihr Bauern, die Ihr die schwierige Lage der Sowjetregierung, unserer Regierung, kennt, meldet Euch; diejenigen von Euch aus den Reihen der alten Armee, aus den Betrieben und aus den Dörfern, die das sozialistische Vaterland retten wollen, mögen ungesäumt sich um das Banner der Roten Armee nach dem Prinzip der Freiwilligkeit scharen.“

Das war kein Prinzip, das von uns verfochten und durchgeführt worden wäre.

Das war eine notwendige Kompromissmaßnahme für den gegebenen Moment, denn es blieb nichts anderes übrig. Wenn Ihr alle unsere prinzipiellen Erklärungen seit der Oktoberrevolution, alle unsere Programmreden betrachtet, so werdet Ihr feststellen können, dass wir das Prinzip der Freiwilligkeit nur als vorübergehende Maßnahme betrachteten, als Palliativ, als Maßnahme, die in prinzipiellem Gegensatz zu den Aufgaben des Aufbaus einer wirklichen Arbeiter- und Bauernarmee steht.

Das ist der Grund, warum wir uns die Aufgabe stellten, vor allem ein Organ der Militärverwaltung an der Peripherie zu schaffen, ein Organ zur statistischen Rechnungslegung, Anwerbung, Formierung and Schulung. Die lokalen Militärkommissariate bilden nicht mehr Sektionen der lokalen Sowjets, sondern befinden sich in hierarchischer Unterordnung eines Organs unter das andere, bis zum Volkskommissariat für das Heereswesen.

Am 8. April haben wir das Dekret über die Schaffung von Gemeinde-, Bezirks-, Gouvernements- und Kreiskommissariaten erlassen.

Die Kreiskommissariate unterstehen dem Volkskommissariat für das Heereswesen.

Genossen, dies ist eine höchst wichtige militärisch-administrative Reform; ohne die gewissenhafte und genaue Durchführung dieser Reform im Lande werden wir niemals eine ernsthafte Mobilisierung durchführen können, selbst dann nicht, wenn die Bedingungen für sie besser werden, und sie werden in dem Moment besser werden, wo wir die neue Ernte eingebracht haben werden.

In der Arbeit zur Schaffung der Armee spiegelt sich der allgemeine Zustand des Landes, seine wirtschaftliche Lage, das Vorhandensein von Lebensmittelvorräten, der Zustand des Verkehrs usw. wider. Alle jene Schwierigkeiten, über die die einzelnen Volkskommissare und die einzelnen Delegierten aus der Provinz klagen, die allgemeine Zerrüttung mit ihren Begleiterscheinungen, – all das spiegelt sich in der Tätigkeit des Kriegsamtes wider und erschwert die Arbeit zur Schaffung der Armee. Ich sage das nicht, um bei irgendjemandem die Skepsis zu stärken. Im Gegenteil, ich bin von demselben Glauben durchdrungen, der unzweifelhaft in jedem von Euch wach ist, von dem Glauben, dass wir mit allen Schwierigkeiten und Gefahren fertig werden, dass wir alles überwinden und die Bedingungen für die Stärkung der Sowjetrepublik schaffen werden.

Jetzt müssen wir vor allem einen Apparat der Militärverwaltung in den Gemeinden, Bezirken, Gouvernements und Kreisen schaffen. Ich will nichts mehr über die Gemeindekommissariate sagen. Sie bestehen bloß in ganz wenigen Gemeinden. Aber selbst Bezirkskommissariate gibt es nicht überall, sie sind nicht vollkommen organisiert, haben nicht alle Sektionen und verfügen nicht immer über den Stab, der von uns bewilligt worden ist, d. h. sie haben keine Fachleute. Selbst die Gouvemementskommissariate lassen an manchen Orten viel oder sogar alles zu wünschen übrig und haben nicht genügend kompetente Arbeiter, maßgebende und tüchtige Kommissare. Ohne sie werden wir keine Armee schaffen können, Genossen.

Ferner ist es notwendig, dass jedes Kommissariat sich genau seiner hierarchischen Abhängigkeit von dem ihm übergeordneten Kommissariat bewusst ist: das Gemeindekommissariat hängt vom Bezirkskommissariat, das Bezirkskommissariat vom Gouvernementskommissariat, das Gouvernementskommissariat vom Kreiskommissariat und das Kreiskommissariat hängt vom Zentrum, d. h. von Moskau ab. Das ist eine einfache Mechanik, aber man muss sie sich zu eigen machen, und das geschieht nicht immer. Der Sowjetzentralismus befindet sich überhaupt erst im embryonalen Zustande, aber ohne diesen Zentralismus werden wir nichts zustande bringen, sei es im Verpflegungswesen oder auf anderen Gebieten, und am wenigsten in militärischer Hinsicht.

Die Armee ist ihrem Wesen nach ein streng zentralisierter Apparat, der mit engen Banden mit seinem Zentrum verknüpft ist. Fehlt der Zentralismus, so fehlt auch die Armee.

Ihr habt hier die Behauptung vertreten gehört, dass wir angeblich auch keine Armee brauchen, die auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut ist, sondern nur Partisanentrupps. Aber das ist ebenso, als wenn man zu uns sagen wollte: „Die Arbeiter- und Bauernregierung braucht keine Eisenbahnen; wir werden uns des Fuhrwerkverkehrs bedienen; hinweg mit den Dampfpflügen, dort wo sie vorhanden sind, kehren wir zu dem Pflug unserer Vorväter zurück; gehen wir überhaupt zu der Gesellschaftsordnung des 16, und 17. Jahrhunderts über", denn die Rückkehr zu den Partisanentrupps ist ein Sprung um ganze Jahrhunderte zurück.

Ja, wahrhaftig, als wir in der Illegalität arbeiteten, schufen wir Partisanentrupps, aber selbst ihnen suchten wir ein Maximum von Zentralisation und Aktionseinheit zu verleihen. Wir eroberten die Staatsgewalt, jedoch nicht um mit den Methoden des Kleingewerbes unserem Ziele entgegen zu schleichen. Nachdem wir den ganzen zentralisierten Staatsapparat an uns gerissen haben, wollen wir ihn auf neuer Grundlage aufbauen und ihn in einen Apparat der Massen verwandeln, die gestern noch unterdrückt und ausgebeutet waren Es handelt sich hier um das größte Experiment, das die Geschichte je gekannt hat, ein Experiment, das wir machen müssen: es handelt sich um den Aufbau eines Arbeiter- und Bauernstaates und seiner Wirtschaft und der Schaffung einer zentralisierten Arbeiter- und Bauernarmee.

Dazu müssen wir zuallererst den strengsten sowjetischen Zentralismus einführen. In der Provinz stoßen wir leider in einem fort auf Widerstand, und ich fürchte, dass wir diesen Widerstand selbst bei den Genossen antreffen, die hier anwesend sind. Psychologisch ist dieser Widerstand begreiflich: er entstand schon während der Herrschaft des alten bürokratischen Zentralismus, der jede freie Initiative, jede freie Persönlichkeit erdrosselte. Jetzt, wo wir diesen alten bürokratischen Apparat beseitigt haben, glauben wir, dass jeder von uns ganz selbständig verfahren kann, alles weiß und alles machen wird. Wir sind gewöhnt, das Zentrum als Hindernis und Bedrohung zu betrachten. Genossen, an das Zentrum wenden wir uns dann, wenn wir Geld oder Panzerautos brauchen, und alle Gemeinden haben jetzt eine große Sympathie für Panzerautos. Es gibt keine einzige Gemeinde, die nicht mindestens ein Dutzend Panzerautos anforderte.

Aber das Zentrum kann Euch bloß das geben, was notwendig ist, und nur dann, wenn Ihr versteht, es richtig zu verwerten. Dem Zustand muss ein Ende gemacht werden, dass aus den Bezirken Delegierte nach Moskau abgeordnet werden, schier wegen jeder Unterhose, weil man glaubt, dass es so rascher gehe. Gerade das schafft das größte Durcheinander und die größten Schwierigkeiten. Es muss so werden, dass die Gouvernementssowjets im Kriegsamt ihren Kommissaren die Kontrolle der Bezirkssowjets übertragen, damit alle Kostenvoranschläge und Anträge über die Kreise geleitet werden. Nur auf diese Weise werden wir den militärischen Apparat in Ordnung bringen, der uns helfen wird, eine Armee zu schaffen.

Natürlich ist dieser militärische Apparat lediglich das administrative Gerüst. Um eine Armee zu schaffen, muss man mit Hilfe dieses Apparates das lebendige, schöpferische Menschenmaterial, die bewussten Elemente, heranziehen, denn darin besteht eben der Unterschied zwischen unserer und der alten Armee. Auch die Zarenarmee war hauptsächlich eine Bauernarmee, aber die Bauern waren nicht bewusst, waren unwissend; ohne zu überlegen, gingen sie dahin, wohin sie geführt wurden. Die Disziplin prägte sich dem individuellen Bewusstsein jedes einzelnen Soldaten nicht ein.

Jetzt wird im Lande oft geklagt und auch wir klagen, dass es an Disziplin fehlt. Die alte Disziplin brauchen wir nicht, jene Disziplin, unter der jedes dumpfe Bäuerlein und jeder Arbeiter in sein Regiment, seine Kompanie und seinen Zug getrieben wurde und er hinging, ohne zu fragen, wozu, wofür er sein Blut vergießen solle. Die Revolution weckte in dem unwissenden Bauern und dem unterdrückten Arbeiter die menschliche Persönlichkeit, und dies ist die wichtigste Errungenschaft der Revolution.

Die Revolution hat den Bauern Land gegeben, die Revolution hat dem Arbeiter und dem Bauer Macht verliehen; dies sind gewaltige Errungenschaften, aber es gibt keine wichtigere Errungenschaft der Revolution als das Erwecken der menschlichen Persönlichkeit in jedem unterdrückten, erniedrigten Menschen.

Dieser Prozess des Erwachens der Persönlichkeit nimmt in der ersten Zeit eine chaotische Form an. Wenn sich gestern noch der Bauer nicht für einen Menschen hielt und auf den ersten Ruf der Obrigkeit hin bereit war, blind hinzugehen und sein Blut zu verspritzen, so will er jetzt nicht mehr blind gehorchen. Er fragt: Wohin soll ich, was will man von mir? und er erklärt: Ich will nicht gehorchen, ich gehe nicht! Er spricht deshalb so, weil in ihm zum ersten Mal das Bewusstsein seiner menschlichen Würde und seiner Persönlichkeit erwacht ist, und dieses Bewusstsein, das noch zu verworren ist, als dass es sich in Handlungen offenbaren könnte, nimmt anarchistische Formen an.

Wir müssen ein solches gegenseitiges Verhältnis erreichen, dass jeder Bauer, jeder Arbeiter sich als menschliche Persönlichkeit fühlt, die Recht auf Achtung hat, die sich aber auch als Teil der werktätigen Klasse des republikanischen Russland fühlt, und imstande ist, wortlos ihr Leben für dieses republikanische Sowjetrussland hin zu opfern.

Wenn der Werktätige sich früher selbst geringschätzte, so schätzt er jetzt im Gegenteil die Gesamtheit nicht. Man muss die Gesamtheit im Auge behalten, man darf die Interessen der ganzen Klasse der Werktätigen und unser ganzes werktätiges, sozialistisches Vaterland nicht vergessen.

Das ist der psychologische Kitt, mit Hilfe dessen wir eine neue Armee, eine wirkliche, bewusste Sowjetarmee schaffen können, von einer Disziplin zusammengehalten, die aus den Leuten selbst kommt, und nicht aus dem Kadavergehorsam. Eine solche Disziplin erstreben wir, eine andere wollen wir nicht haben.

Aber dazu braucht man, wie gesagt, einen zentralisierten Apparat und die allgemeine Wehrpflicht. Da wir diese aber nicht einführen, so hagelt es Vorwürfe seitens der bürgerlichen Zeitungen und der bürgerlichen Politik. Man erwartet von uns, dass wir die allgemeine Wehrpflicht einführen.

Die allgemeine Wehrpflicht ist für die Epoche der friedlichen, demokratischen Ordnung ein notwendiges Regime. Aber wir leben unter Verhältnissen des offenen Bürgerkrieges einer Klasse gegen die andere. Das ist die Grundtatsache, von der wir ausgehen. Ob diese Tatsache gut ist oder nicht – darüber wollen wir nicht sprechen. Der Bürgerkrieg ist kein Prinzip, sondern eine Tatsache, die durch Jahrhunderte der historischen Entwicklung, Jahrhunderte der Unterdrückung der Werktätigen vorbereitet worden ist. Wir können nicht umhin, dieser Tatsache Rechnung zu tragen.

Der Bürgerkrieg sprengt erbarmungslos die nationale Hülle. Die besitzenden Klassen sind in jedem beliebigen Moment bereit, jedem beliebigen fremdländischen Unterdrücker die Hand zu reichen, um nur die Arbeiter und Bauern des eigenen Landes zu zerschmettern. Das ist ebenfalls eine Tatsache, die ihre Bestätigung gefunden hat in den Ereignissen in der Ukraine, am Don, an der Murmansk-Küste und im ganzen Wolgagebiet. Überall bringen die bürgerlichen Klassen der Arbeiter- und Bauernregierung mehr Hass entgegen, als der Macht der deutschen oder anglo-französischen Imperialisten oder der tschechoslowakischen Platzhalter der französischen Börse.

Nachdem der Bürgerkrieg einmal ausgebrochen ist, so ist es natürlich, dass wir nicht daran interessiert sind, unsere Klassenfeinde zu bewaffnen, die ja zugleich Verbündete aller unserer äußeren Feinde sind. Wir wollen die Bourgeoisie nicht bewaffnen, die bereit ist, die empfangenen Waffen in den Dienst des ausländischen Imperialismus zu stellen.

Wir lehnen die Konstituierende Versammlung ab, weil diese demokratische Hülle eine hohle Form überall dort ist, wo eine Klasse gegen die andere vorgeht, und die Frage der Regierungsgewalt mit den Waffen ausgetragen wird. Die allgemeine Wehrpflicht ist im jetzigen Moment, unter den obwaltenden Verhältnissen eine ebensolche hohle Hülle. Die allgemeine Wehrpflicht würde in Wirklichkeit für die Bourgeoisie zu der Pflicht ausarten, zu Krasnow nach dem Ural, zu den Tschechoslowaken zu eilen, sich mit allen Feinden zu verbünden und sich auf uns zu stürzen; für uns hat diese Pflicht nur den Sinn, die Bourgeoisie und unsere äußeren und inneren Feinde niederzuringen.

Dadurch wird das Prinzip bestimmt, auf dem wir unsere Armee aufbauen. Wir verleiben unserer Armee Arbeiter und Bauern ein, unsere Armee ist ein Abbild des ganzen Systems der Sowjets, ein Abbild des Allrussischen Sowjetkongresses. Es ist nur allzu begreiflich, dass die bürgerlichen Agenten – die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki – unsere Methode der Schaffung der Armee scharf angreifen. Natürlich, sie hassen unsere Armee, da sie ein Werkzeug des Sowjetregimes ist. Wenn wir die von mir zitierten Worte des deutschen Theoretikers als Muster nehmen, dass der Krieg und die Armee ein Abbild der allgemeinen Politik sind, können wir sagen, dass die sowjetische Arbeiter- und Bauernpolitik eine sowjetische Arbeiter- und Bauernarmee braucht.

Aber unter den Bauern und Arbeitern wird eine Agitation geführt, dass die Sowjetregierung ihnen die Militärpflicht auferlege, aber die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer verschone. Auf dieses Argument müsst Ihr, Genossen, so antworten:

In der Zeit, in der wir leben, ist das Gewehr keine Last, sondern ein Vorrecht, es ist das Monopol der herrschenden Klasse."

Aus Mangel an Zeit und infolge des Nichtvorhandenseins eines vollendeten militärischen Apparates hatten wir bisher noch nicht die Zeit, der Bourgeoisie Pflichten aufzuerlegen, von denen die bürgerlichen Klassen natürlich nicht befreit sein dürfen. Im Sowjet der Volkskommissare werden eine Reihe von Dekreten ausgearbeitet und hoffentlich in den nächsten Tagen angenommen werden, die der Bourgeoisie die entsprechenden Pflichten auferlegen. Es werden aus der Bourgeoisie Truppen für das Hinterland, Arbeiter- und Dienstkolonnen gebildet werden.

Es wird uns gesagt, dies sei hartherzig. Darauf antworten wir: wenn die bürgerliche Jugend durch Taten beweisen wird, dass sie der Bauern- und Arbeiterklasse ergeben und gewillt ist, mit uns zu leben, mit uns aus einem Kessel zu essen, bereit ist, gegen unsere äußeren und inneren Feinde zu kämpfen, so werden wir dieser Jugend selbstverständlich die Tore der Roten Armee weit öffnen. Aber diejenigen, denen die Revolution noch nicht den Gedanken der Wiederherstellung der Gutsbesitzer- und Bourgeois-Macht ausgetrieben hat, jene bedürfen der Zucht. Wir werden sagen: „Unsere Väter, Großväter und Urgroßväter dienten Euren Urgroßvätern und Vätern, schafften ihnen den Dreck weg; so werden wir Euch ebenfalls zwingen, den Dreck fortzuschaffen. Solange Ihr nicht anerkennt, dass Sowjetrussland ein Land der Arbeitsgleichheit, der Arbeitspflichten, sowohl der Zivil- wie der Militärpflichten ist, solange werden wir Euch in strenger Zucht halten."

Damit diese Frage praktisch gelöst werden kann, müssen in der Provinz Militärkommissariate geschaffen werden, braucht man Rechnungslegung und Kontrolle für die Arbeiterklasse, die zur Armee herangezogen wird, und für die Bourgeoisie, die nur für das Hinterland ausgenutzt wird.

Die Frage der allgemeinen Wehrpflicht wird von uns, wie gesagt, auf Grund des allgemeinen Prinzips des Sowjetregimes gelöst. Wir beginnen (und begannen bereits) mit der allgemeinen Wehrpflicht der Arbeiter und Bauern, die keine fremde Arbeit ausbeuten. Aber diese gewaltigen Kader, die geschult werden sollen, sind noch keine Armee, sondern bloß schwere Reserven, die im kritischen Augenblick einberufen werden können. Indes brauchen wir jetzt den Grundkern einer Armee, die in jedem beliebigen Moment schlagkräftig ist. Diesen schlagkräftigen Kader bildeten wir bisher auf Grund des Freiwilligenprinzips, aber wir müssen auf dieses Prinzip verzichten und gelangen praktisch zu der Methode der Zwangsmobilisierung.

Die schwierigste Frage bei der Schaffung der Roten Armee ist die Frage des Kommandopersonals. Die Krisis der alten Armee hat eine Spaltung zwischen den werktätigen Massen und der herrschenden Klasse hervorgerufen, und dies hat zu einem Bruch zwischen den Soldatenmassen und den Offizieren geführt. Das war unvermeidlich.

Sowohl die Arbeiterklasse wie die Bauernmasse haben noch keine Erfahrungen in der Verwaltung, verfügen nicht über die Kenntnisse, die auf allen Gebieten der Wirtschaft, der Staats- und Militärverwaltung erforderlich sind. Das ist eine unzweifelhafte Tatsache, der wir uns nicht verschließen dürfen. Wir haben außerordentlich wenig Ingenieure, Ärzte, Generale und Offiziere, die Fleisch vom Fleische und Blut vom Blute der Arbeiterklasse und Bauern wären. Alle bürgerlichen Fachleute haben ihre Erziehung in solchen Lehranstalten, in einer solchen Atmosphäre genossen, dass sie die Überzeugung gewonnen haben, die werktätigen Massen könnten den Apparat der Staatsmacht nicht beherrschen, nur die gebildeten bürgerlichen Klassen verstünden zu herrschen. In dem Moment, als wir ans Ruder kamen, standen sie in ihrer Majorität im Lager unserer Feinde; nur wenige blieben vorsichtshalber neutral und warteten ab, wer siegen würde, um dann dem Sieger ihre Dienste anzubieten.

Genossen, daraus darf man noch nicht den Schluss ziehen, den naive und oberflächliche Leute ziehen, dass wir auf die Dienste des alten Kommandopersonals verzichten und auf uns selbst angewiesen bleiben müssen. Sonst bleiben wir bei den Methoden des Bandenkrieges.

Die Herrschaft der Arbeiterklasse und der Bauern beginnt nicht dort, wo wir mit den Knüppeln des Bürgerkrieges die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer vom Apparat der Staatsmacht fort getrieben haben: die Macht beginnt dort, wo wir diesen Apparat in unsere Hände genommen und die anderen gezwungen haben, den Interessen unserer eigenen Klasse zu dienen.

Die zaristischen Kanonen, die zaristischen Maschinengewehre, die Panzerautos, die Ingenieure, die Generale, die Fachleute jeder Art – all das registrieren wir und erklären: „Ihr Herren, bisher befand sich all das in den Händen der besitzenden Klassen und diente ihnen, jetzt aber seid Ihr so gut und dient der Arbeiterklasse!“

Ferner wird uns gesagt: „Aber wie, wenn sie Verrat üben?" Gewiss, Verrat kommt vor. Haben denn die Eisenbahnmagnaten, all diese Herren nicht Sabotage getrieben, nicht zu Streiks aufgerufen? Kam es denn nicht vor, dass sie den Transport unserer Rotarmisten aufhielten? Das geben wir alles zu! Was folgt aber daraus? Natürlich nicht, dass wir auf die Eisenbahnen verzichten sollen, sondern dass wir die Saboteure abfangen und sie erbarmungslos abwürgen müssen; die ehrlichen Ingenieure, die ehrlichen Eisenbahner wollen wir unterstützen. Genau dasselbe gilt für das Kommandopersonal.

Es wird unter Euch in der Provinz gesagt: „Nun werden die alten Generale engagiert." Viele fügen hinzu: „Das alte Regime wird wieder eingeführt." Aber wenn es ernst wird, telegraphiert man uns: „Schickt erfahrene Spezialisten, militärische Leiter!" Unter den militärischen Leitern, den militärischen Fachleuten, behaupte ich, gibt es eine ganze Kategorie von Personen, die jetzt gewissenhaft dem Sowjetregime gegenüber ihre Pflicht tun, weil sie eingesehen haben, dass dieses Regime ein festes Regime ist, das zu herrschen versteht. Es wäre eine klägliche Kinderei, wenn man auf ihre Dienste verzichten wollte. Im Gegenteil. Wir müssen den militärischen Fachleuten, die gewissenhaft unsere Vorschriften erfüllen, die energischste Unterstützung angedeihen lassen. Die lokalen Sowjets und die Sowjetfunktionäre müssen das Vorurteil und das Misstrauen der Massen ihnen gegenüber zerstören und den letzteren beibringen: „Du Arbeiter und Bauer, Du hältst die Regierungsgewalt in Deiner Hand, Du bist ein Teil dieser Regierungsgewalt; also müssen die Offiziere und die Generale jetzt Dir dienen."

Aber wenn wir nicht aufpassen?” sagt Ihr.

Genossen, wenn Ihr nicht aufpasst, dann ist Eure ganze Macht keinen zerbrochenen Heller wert!“

Dass bei uns außer den ehrlichen militärischen Fachleuten auch ein paar Dutzend Burschen sich einschleichen können, die ihren Posten für eine gegenrevolutionäre Verschwörung ausnutzen möchten – das ist wohl möglich. Es gab solch einen Fall in der baltischen Flotte und Ihr wisst, welches Ende er genommen hat.

Wir brauchen nicht eine Armee, die auf irgendeinem selbst ausgetüftelten Prinzip aufgebaut ist, sondern wir brauchen eine wirkliche, zentralisierte Armee, die auf den Prinzipien der Kriegswissenschaft und Technik basiert. Dazu muss sie über genügende Kader militärischer Spezialisten verfügen.

Momentan gibt es noch nicht genug neue Militärspezialisten aus der Arbeiterklasse. Deshalb ziehen wir die alten heran.

Unter den Stammoffizieren, deren Bewusstsein und Urteilsfähigkeit sich erst während des Krieges und der Revolution bildeten, gibt es viele, an denen die Ereignisse nicht spurlos vorübergegangen sind. Sie haben begriffen, welch tiefen, organischen Prozess die Revolution hervorruft; sie haben eingesehen, dass das Volk und die Armee aus der Revolution als andere hervorgehen werden, dass die Armee anders, auf Grund anderer Methoden aufgebaut werden muss. Unter diesen jungen Offizieren gibt es auch solche, die Euch verstehen und mit Euch marschieren.

Zu gleicher Zeit haben wir alles getan, um einen neuen Offizierstamm aus jenen Arbeitern und Bauern heranzubilden, die die Schule des Krieges durchgemacht haben und militärische, kriegerische Begabung besitzen. Wir schicken sie in die Instrukteurkurse. Die Zahl dieser Kurse werden wir mit jedem Monat vermehren und das ganze Land mit ihnen überziehen.

Die Zöglinge der Instrukteurkurse sind aus den treuesten, den zuverlässigsten Soldaten der Sowjetregierung zusammengesetzt. Wenn wir sie an die Spitze kleiner Truppeneinheiten, der Züge und Kompanien stellen, werden sie eine Stütze des Sowjetregimes bilden, eine Stütze, an der alle Machenschaften in der Roten Armee zerschellen werden.

Gleichzeitig haben wir die Tore der Generalstabsakademie, unserer jetzigen Kriegsakademie, auch denjenigen geöffnet, die keine Zeugnisse haben. Früher konnten nur Militärfachleute mit einem bestimmten Bildungsnachweis in die Akademie eintreten. Wir sagten: Jeder Soldat, der über eine gewisse Kommandoerfahrung verfügt, der Intelligenz, eine gewisse Phantasie und die Fähigkeit der militärischen Kombination besitzt, kann zu der Kriegsakademie zugelassen werden. In zwei, drei Monaten werden wir sagen können, ob er seiner Arbeit gewachsen ist. Sollte es nicht der Fall sein, so wird er in die Vorklasse versetzt und dann erst in die Kriegsakademie aufgenommen. Wir haben zirka 150 neue Schüler aufgenommen, die die treuesten Soldaten der Sowjetregierung sind. In den nächsten 10 bis 12 Monaten werden die ersten Absolventen unserer Akademie Generalstabsoffiziere sein.

Um ein neues Kommandopersonal aus jenen Klassen zu bilden, die jetzt an der Macht sind, werden wir einstweilen das alte Kommandopersonal in allen seinen gesunden Teilen ausnutzen und den Vertretern dieses alten Kommandopersonals Gelegenheit zur weitgehenden Betätigung geben.

Wenn ich von den Schwierigkeiten spreche, auf die wir bei der Schaffung der neuen Armee stoßen, muss ich darauf hinweisen, dass die größte Schwierigkeit – der Lokalpatriotismus ist. Es kommen Fälle vor, dass Organe der lokalen Sowjetmacht Militärgüter, Ämter, usw. abfangen, verhehlen, besetzen usw.

Jeder Bezirk, fast jede Gemeinde glaubt, dass die Sowjetregierung besser beschirmt ist, wenn innerhalb der betreffenden Gemeinde möglichst viel Aviationsmaterial, Radiomaterial, Gewehre und Panzerautos konzentriert ist, und jeder ist bestrebt, alle diese Güter zu verbergen! nicht nur in der Provinz, sogar in den Hauptstädten, selbst im Petrograder Rayon kann man dieses kindische Treiben immer noch wahrnehmen.

Eis ist selbstverständlich, dass vom Standpunkt des allgemeinen Staatswohls wir unseren militärischen Besitz übersehen müssen. Er ist im Prozess der Demobilisierung der alten Armee an verschiedenen Orten steckengeblieben und wurde dort verteilt, auseinandergenommen, gestohlen, verkauft. Jetzt muss er gesammelt, gebucht werden, den Instanzen weitergegeben und in Magazinen aufgestapelt werden, um dem ganzen Lande zur Verfügung zu stehen.

Sieht man denn nicht ein, dass irgendein Bezirk Zarewo-Kokschajsk oder irgendeine Gemeinde besser vor dem äußeren Feind und der Konterrevolution geschützt sind, wenn die zentrale Sowjetregierung die ganze Munition und Bewaffnung in den Händen hat, anstatt dass die Militärvorräte in einer Gemeinde liegen, die weder mit ihnen umzugehen, noch über sie zu verfügen versteht? Wir schicken wegen dieser Missstände Telegramme und Klagen in die Gouvernementssowjets, aber in 9 Fällen von 10 finden wir nicht genügend aktive Unterstützung Eurerseits, Genossen.

Dem muss ein Ende gemacht werden; es gilt, aufs Strengste dagegen anzukämpfen, dass die lokalen Sowjets Militärgut abfangen, sich aneignen und verhehlen.

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Kalamitäten allgemeinerer Natur; von ihnen reden die vielen Meldungen, die wir allein am heutigen Tag erhalten haben. Ich will sie nicht alle zitieren, ich will beispielshalber nur einige heraussuchen.

Da haben wir ein Telegramm aus dem Bezirk Usjman im Gouvernement Tambow: „Organisation der Roten Armee geht mit viel Mühe vor sich. In die Armee haben sich sehr wenige aufnehmen lassen. Die reichen Bauern führen eine energische Agitation gegen die Sowjetregierung; in einigen Gemeinden haben sie die Sowjets auseinandergejagt. Es wird überhaupt energisch konterrevolutionäre Agitation geführt.“

Dieselben reichen Bauern, die die Lebensmittelämter zerstören und Getreide verbergen, führen den Kampf auch gegen die Rote Armee. Das bedeutet, dass die Rote Armee nichts anderes ist, als das Abbild des ganzen Sowjetregimes, und sie stößt auf dieselben Schwierigkeiten, auf dieselben Feinde.

Da haben wir eine Meldung aus Wjatka: „Die Organisierung der Roten Armee ist in befriedigendem Zustand. Die armen Bauern verhalten sich zu der neuen Roten Armee gut. In der Vollversammlung wurde eine Resolution angenommen zur Begrüßung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee. Die Stimmung unter den Rotarmisten ist ausgezeichnet, aber in bezug auf die Eisenbahner lässt sich das nicht sagen. Unter ihnen wird konterrevolutionäre Agitation geführt. Das Kriegskommissariat ist jetzt erst im Entstehen begriffen.”

Dort, wo die Eisenbahner aus den alten reaktionären Elementen bestehen, wo sie sich von ihrer Verwaltung am Gängelband führen lassen – dort rebellieren sie gegen die Sowjetregierung und gegen die Sowjetarmee der Arbeiter und Bauern.

Aus der Kalejewschen Gemeinde des Bezirks Wolokolamsk im Gouvernement Moskau erhielt ich die Meldung, dass die Bauern eines Dorfes dort erklärt haben, sämtliche Männer, die in der Roten Armee dienen, hätten unverzüglich ihren Dienst zu verlassen und am 30. Juni wieder in ihren Dörfern zu sein. Im Übertretungsfall dieser Anordnung würden die Schuldigen ihren Bauernbesitz (so heißt es in der Anordnung) einbüßen und in das Dorf nicht wieder aufgenommen werden. Das meldet ein Kommissar und sagt, dies hätte auf die Rote Armee einen sehr schlechten Eindruck gemacht. Genossen, ich benutze diese hohe Tribüne des Allrussischen Sowjetkongresses, um den reichen Bauern und dem Schwarzen Hundert der Kalejewschen Gemeinde im Wolokolamsker Bezirk eine erste Warnung zukommen lassen. Sie haben nicht das Recht, dem Rotarmisten seinen Bauernbesitz zu entziehen. Sie selber werden jeden Besitz einbüßen, wenn sie es wagen werden, gegen die zu schaffende Arbeiter- und Bauernarmee zu arbeiten.

Laut den Berichten, die wir von unseren Kommissaren haben, findet die Idee der allgemeinen Wehrpflicht in den meisten Fällen eine durchaus günstige Aufnahme bei den Arbeitern und armen Bauern. So empfing ich ein Telegramm von unserem Kreiskommissar bezüglich des Gouvernementskongresses von Jaroslawl. Er schreibt, dass der Jaroslawler Gouvernementskongress das letzte Dekret über die allgemeine Wehrpflicht bewillkommnet, und meint, dass zu den wichtigsten Aufgaben im Augenblick die Formierung, technische Ausbildung und Bewaffnung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee nach allen Regeln der Kunst gehört; vielleicht ist dies sogar die Hauptaufgabe. Der Kongress verleiht der festen Überzeugung Ausdruck, dass es Sowjetrussland gelingen wird, seine innigsten Wünsche zu verwirklichen und in der Zukunft imstande zu sein, den Imperialisten der Welt nicht nur eine geistige, sondern auch eine schlagkräftige militärische Kraft entgegenzustellen. Unterschrieben vom Vertreter des Kongresses, Nachimson.

Nachimson war unser Kreiskommissar. Er wurde in Jaroslawl während eines weißgardistischen Putsches ermordet. Er war einer der treuesten Arbeiter des Sowjetregimes, einer unserer besten Kommissare. Den Gedanken, den er hier vertritt, werden wir verwirklichen und eine Arbeiter- und Bauernarmee schaffen, die technisch nach allen Regeln der Kunst bewaffnet und ausgezeichnet geschult ist.

Zum Schluss muss ich sagen, dass zu dieser Überzeugung alle diejenigen gelangt sind, die früher daran gezweifelt haben. Im Parteikomitee des Nordwestdistriktes gab es Genossen, die kritisch und mit einem gewissen Misstrauen unserem Bestreben gegenüberstanden, eine Armee auf der rationellen Grundlage der Militärwissenschaft, unter Heranziehung der nötigen Anzahl von Spezialisten zu schaffen. Ich erhielt von dort ein Telegramm, das nunmehr fordert, die strengste Disziplin einzuführen, die notwendige Anzahl der alten Militärspezialisten heranzuziehen, zwangsweise und unter besonderen Bedingungen alle jene Offiziere für den Militärdienst zu verpflichten, die in verschiedenen anderen Kommissariaten verstreut sind und andere Arbeiten tun, und neue Kader militärischer Leiter aus den Reihen der Sowjetarbeiter zu schaffen.

Ich kann einen der ausgezeichnetsten Arbeiter der Sowjetregierung nennen, nämlich Genossen Mjasnikow, der sich früher selbst, wenn nicht argwöhnisch, so doch abwartend gegenüber den von uns angewandten Methoden zur Schaffung einer Arbeiter- und Bauernarmee verhalten hat. Ich weiß nicht, ob er hier ist; er wollte in dieser Frage sprechen. Jetzt ist er auf Grund der Erfahrung zu derselben Überzeugung gelangt wie wir und wollte es öffentlich vor dem Kongress sagen.

Wir hören immer häufiger, dass dieselben Sowjetmänner, die manchmal offen und manchmal versteckt über uns räsonierten, weil wir eine wirkliche Armee, keine Puppenarmee, nicht irgendwelche Milizabteilungen schaffen wollen – dass diese Männer sich jetzt zu unserm Standpunkt bekennen. Diejenigen aber, die dagegen protestieren, haben bis jetzt noch nicht begriffen, dass die Arbeiter- und Bauernklasse am Ruder steht und dass gerade deshalb alles, was wir tun, nicht dilettantisch, nicht Kleinkrämerei sein darf, sondern auf festen wissenschaftlichen Prinzipien aufgebaut werden muss.

Dem Räsonieren muss ein Ende gemacht werden! Man will uns Angst machen: „Nun engagieren wir die alten Generale, die Rotarmisten werden es erfahren und werden glauben, dass wir sie engagieren, um das alte Regime wiederherzustellen". Wir aber sagen: „Hast Du, Arbeiter und Bauer, die Macht ergriffen? Du willst, dass wir sie festigen? Das können wir, aber es müssen Bedingungen geschaffen werden, unter denen wir mit Erfolg arbeiten können. Dazu müssen wir die Spezialisten engagieren. Um eine Arbeiter- und Bauernarmee zu schaffen, brauchen wir Generale; wenn hierbei Irrtümer und Misserfolge vorkommen, wenn wir sehen, dass irgendein General konterrevolutionäre Arbeit betreibt, werden wir ihn verhaften.“

Jeder Fall muss einzeln betrachtet werden, die Spezialisten dürfen nicht in Bausch und Bogen abgelehnt werden. Zum Glück verstehen die Arbeiter und Bauern, dass wir, um die Armee auf neuer Grundlage aufzubauen, ohne Fachleute nicht auskommen können. Wollte sich der bürgerliche Ingenieur, der in einer Fabrik angestellt wird, in seinen Handlungen von dem Gedanken leiten lassen, dass die Industrie zum Kapitalismus führe, so würde ihn die proletarische Verwaltung natürlich eines Besseren belehren. Jeden Militärspezialisten haben wir es gelehrt und lehren es. Unsere Aufgabe besteht darin, den Mechanismus der neuen Ordnung ins Leben zu rufen. Diese Aufgabe ist gar nicht so einfach.

Wenn es dem zaristischen Regime gelungen ist, eine Armee zu schaffen, gelungen ist, Disziplin zu schaffen in der Armee, die nicht dem Volke, sondern den Feinden des Volkes dienstbar war, so zweifeln wir, die wir eine Armee zur Verteidigung der Volksinteressen schaffen, nicht daran, dass wir eine zehnmal festere Disziplin werden schaffen können. Es gilt bloß, die Kinderkrankheiten zu überwinden, die Krankheiten des Wachstums, der Schlappheit und der Schwäche, die eine Folge des verfluchten Krieges und des Zarenregimes sind.

Die Frage, ob wir es werden vollbringen können, ist eine Frage des Seins oder Nichtseins unserer Regierung. Wenn wir versagen, so heißt das, dass die Arbeiterklasse den Kopf in das alte Joch stecken muss

Aber diesen Gedanken weisen wir von uns. Wir wissen wohl, dass die Arbeiterklasse alle Schwierigkeiten überwinden wird und sich diese außerordentlich schweren paar Wochen wird halten können, wo unsere Feinde alle Anstrengungen machen, Aufstände und Putsche anzetteln, Lebensmitteltransporte und Züge anhalten und bestrebt sind, auf jede Weise Zerrüttung zu säen; da im Grunde genommen alle Parteien zu einer einzigen verschmolzen sind und diese es sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeiter- und Bauernregierung zu stürzen; da sämtliche Mittel in Bewegung gesetzt sind – sowohl Verleumdung als Sabotage und Appell an die fremden Bajonette.

Wir sind überzeugt, dass Ihr hier neue Energie, neuen Willen zur Macht schöpfen werdet und so gerüstet von diesem Kongress die Überzeugung nach Hause mitnehmen werdet, dass keine Macht der Welt uns überwinden kann, denn wir alle sind eng miteinander verkettet. Die neue, noch engere Verkettung ist unsere Arbeiter- und Bauernarmee, die wachsen, erstarken und sich befestigen wird.

In anderthalb Monaten werden wir eine Etappe hinter uns haben, wir werden die neue Ernte eingebracht haben, und sie wird uns die Möglichkeit verleihen, die Organisationsbasis unserer Armee zu schaffen. Wir werden die Möglichkeit bekommen, unseren Rotarmisten nicht dreiviertel Pfund Brot, sondern anderthalb oder vielleicht zwei Pfund Brot zu geben, wie es ein junger gesunder Bursche braucht, der 6 Stunden am Tag der militärischen Ausbildung und 3 Stunden seiner politischen Aufklärung widmet.

Wir werden immer neue und neue Kader von Arbeitern und Bauern formieren, und Ihr auf dem Lande werdet uns unterstützen, werdet jeden Lokalpatriotismus ausrotten, weil Ihr begreift, dass Sowjetrussland ein einheitlicher, ungeteilter Organismus ist, dass die Armee einen Teil dieses Organismus darstellt, dass eine straffe Disziplin und eine feste konsequente Politik erforderlich sind zur Konsolidierung des sozialistischen Arbeiter- und Bauernregimes.

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