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Leo Trotzki 19241130 Unsere Meinungsverschiedenheiten

Leo Trotzki: Unsere Meinungsverschiedenheiten

[Nach Die Linke Opposition in der Sowjetunion, Band III. Westberlin 1976, S. 20-56, ob Trotzki das Manuskript auf eigenen Wunsch nicht veröffentlicht hat, ist unklar. Die Seiten sind 1-34 und 43-54 nummeriert. Ob das ein Nummerierungsfehler ist, oder Seiten in Kapitel 6 fehlen, ist ebenfalls unklar]

1. Der Zweck dieser Erklärung

In der Diskussion, die jetzt über mein Buch zu 1917 im Gang ist (in der dieses Buch – das wird aus dem Verlauf der Diskussion deutlich – nur als Vorwand diente), sind viele Streitfragen sachlicher, theoretischer und persönlicher Art aufgetreten. Ich möchte hier einige Klarstellungen zu diesen Fragen beitragen die, so glaube ich, vor allem die Interessen der Partei berühren.

1. Ist es wahr, dass ich unter dem geheimen Banner des „Trotzkismus" eine Revision des Leninismus durchführe?

2. Stimmt es, dass ich das Vorwort zu meinem Buch 1917 von einem besonderen „trotzkistischen" Standpunkt aus geschrieben und sogar eine Reihe von Fragen falsch behandelt habe, nur mit dem Ziel, den Leninismus herabzusetzen?

3. Ist es wahr, dass mein Vorwort eine „Plattform" darstellt und dass ich allgemein meine Aufgabe im Aufbau eines „rechten Flügels" in der Partei sehe?

Natürlich steht hier nicht nur zur Debatte, was ich wirklich sagen wollte, sondern auch, wie das, was ich gesagt habe, verstanden wurde. Es ist sicherlich möglich, an das Problem auf folgende Weise heranzugehen: Trotzki versucht nicht bewusst, den Leninismus durch den Trotzkismus zu ersetzen; ihn dessen zu beschuldigen wäre höchst unbillig. Aber Trotzki versteht den Leninismus, oder zumindest einige seiner entscheidenden Aspekte, nicht. Auf diese Weise hat Trotzki, ohne es zu wollen oder anzustreben, in der Praxis den Leninismus entstellt und eine ideologische Plattform für eine mit dem Leninismus unvereinbare Gruppierung geschaffen.

Auf der anderen Seite könnte anerkannt oder vermutet werden, dass die Umstände der Vergangenheit, die schwierige Situation, die nach Lenins Tod entstanden ist und zusätzlich der eine oder andere persönliche Sachverhalt, eine gewisse Prädisposition geschaffen haben, die die Leute „Trotzkismus" sehen lässt, wo es ihn gar nicht gibt oder wo bestenfalls bestimmte unvermeidliche Schatten von Differenzen im Gesamtgefüge des Bolschewismus auftauchen.

Welchen Zweck also kann oder sollte die Partei in meiner Erklärung sehen?

Erstens erscheint es mir notwendig, zu erklären, was ich eigentlich zu sagen wünschte; und zweitens, falsche Interpretationen zu beseitigen, wo sie aufgetaucht sind, wenn auch nur zu den wichtigsten Fragen. Auf diesem Wege könnten schließlich unnötige Differenzen, die auf Missverständnissen oder schiefer Interpretation beruhen, geklärt und aus dem Weg geräumt werden. Das allein schon würde einen großen Fortschritt darstellen, denn es würde zur Klärung der Frage beitragen, ob es eine wirklich ernstzunehmende Grundlage für die zentrale und entscheidende Beschuldigung gibt, ich versuchte bewusst oder unbewusst, dem Leninismus eine spezifisch trotzkistische Linie entgegenzusetzen. Falls sich nach Beseitigung von Missverständnissen, partiellen Irrtümern, ungenauen Interpretationen, usw. herausstellte, dass dennoch zwei unterschiedliche Linien bestehen, käme natürlich irgendeine Beschönigung eines solch wichtigen Sachverhalts nicht in Frage. Die Partei ist verpflichtet, die Geschlossenheit ihrer revolutionären Methode, ihres politischen Kurses, ihrer Traditionen – die Einheit des Leninismus – mit allen erdenklichen Anstrengungen und strengen Mitteln sicherzustellen. In einem solchen Fall wäre es fehl am Platze, auf den Gebrauch von „Repression" zu verzichten, wie es einige Genossen getan haben (und gleichzeitig mir vorzuwerfen, ich verfolge einen besonderen, nicht-bolschewistischen Kurs).

Ich glaube allerdings nicht für einen Augenblick daran, dass es dazu kommen wird – trotz der Tatsache, dass die Diskussion bereits reichlich fortgeschritten ist und trotz der Tatsache, dass eine bestimmte Interpretation meines Buches und meiner Ansichten der Partei bereits nahegelegt worden ist.

Es wird meine Aufgabe in dieser Erklärung sein zu zeigen, dass der Versuch, das Gespenst des „Trotzkismus" als Gefahr für die Partei hervor zu kramen, jeglicher Grundlage entbehrt. Es ist einleuchtend, dass ich nicht auf sämtliche Argumente, Hinweise, Zitate und Anspielungen eingehen kann, die von den Genossen hervorgebracht wurden, die in letzter Zeit über und gegen den „Trotzkismus" geschrieben haben. Es wäre zwecklos, diesen Weg einzuschlagen und einfach unmöglich, ihn durchzuführen. Ich glaube, es ist für den Leser hilfreicher und um auf den Kern der Angelegenheit zu kommen nützlicher, wenn ich mit der Behandlung jener aus meinem Vorwort gezogenen Schlussfolgerungen beginne, die als die schlagendsten und auffälligsten Anzeichen von „Trotzkismus" hingestellt wurden und die aus eben diesem Grund als Ausgangspunkt für die ganze jetzt im Gang befindliche Kampagne dienten. Ich hoffe, anhand der strittigsten Fragen beweisen zu können, dass ich mich bei meiner Interpretation des Oktober nicht nur durch die Methode des Leninismus habe leiten lassen, sondern dass ich mich auch in völliger Übereinstimmung mit Lenins absolut genauen und spezifischen Analysen und Schlussfolgerungen zu diesen Fragen befand.

Allerdings kann ich mich nicht auf diese Klarstellungen beschränken. Wäre der Vorwurf des „Trotzkismus" lediglich auf meine Erklärungen, Reden und Artikel der letzten Jahre gegründet, so würde er sich von selbst als völlig unglaubwürdig erweisen. Tatsache ist jedoch, dass, um diesem Vorwurf Gewicht und Bedeutung zu verleihen, meine politische Vergangenheit – d.h. meine revolutionäre Tätigkeit vor meinem Beitritt zur Bolschewistischen Partei – ins Spiel gebracht wird. Ich erachte es daher für notwendig, auch auf diesem Gebiet für Klärung zu sorgen.

Dies also ist der grundlegende Inhalt des vorliegenden Artikels.

Würde ich selbst annehmen, dass ich mit meinen Erläuterungen Öl ins Feuer der Debatte gieße, oder würden die Genossen, von denen das Erscheinen dieses Artikels abhängt, mir dieses offen und direkt erklären, so würde ich von einer Veröffentlichung absehen, wie belastend es auch sei, unter dem Vorwurf, ich liquidiere den Leninismus, stehen zu müssen. Ich würde mich mit der Hoffnung trösten, dass ein besonnenerer Verlauf des Parteilebens eines Tages, wenn auch verspätet, die Chance bringen wird, die unwahren Beschuldigungen zu widerlegen. Jedoch scheint es mir, dass eine offene Erklärung – d.h. eine Antwort auf die gröbsten Vorwürfe, die gegen mich erhoben werden – zum jetzigen Zeitpunkt die gespannte Atmosphäre in der Partei eher entlasten als steigern wird, indem der Sachverhalt auf seine wirklichen Proportionen zurückgeführt wird.

Sollte es sich tatsächlich als wahr erweisen, dass ein trotzkistischer Kurs gegen den Kurs des Leninismus gesteuert wurde, so würde das bedeuten, dass wir es mit dem beginnenden Kampf verschiedener Klassenströmungen zu tun hätten. In diesem Fall würden Erklärungen nicht helfen. Die proletarische Partei erhält sich dadurch, dass sie sich selbst reinigt. Falls es aber in Wirklichkeit keinen Trotzkismus gibt; falls das Gespenst des Trotzkismus nichts als ein Ausdruck der vorrevolutionären Vergangenheit einerseits, des Anwachsens von Misstrauen nach Lenins Tod andererseits ist; falls das Gespenst des Trotzkismus nur dadurch heraufbeschworen werden kann, dass Trotzkis Brief an Tschcheidse aus den Archiven hervor gekramt wird, usw. – in diesem Fall könnte eine offene Erklärung nützlich sein. Sie könnte die Anhäufung alter Vorurteile wegräumen, sämtliche Gespinste auflösen und die Luft in der Partei säubern.

Eben dies ist das Ziel der vorliegenden Erklärung.

2. Die Vergangenheit

Ich erwähnte bereits, dass mein Vorwort zu dem Buch 1917 in der Diskussion mit meinen ganzen früheren Aktivitäten in der revolutionären Bewegung verknüpft und als Ausdruck eines Versuchs des „Trotzkismus" hingestellt wurde, sich selbst als Lehre und politische Methode der Partei an die Stelle des Leninismus einzusetzen.

Indem die Angelegenheit auf diese Weise behandelt wurde, stellte es sich als notwendig heraus, die Aufmerksamkeit der Partei weitgehend weg von Gegenwart und Zukunft und hin zur Vergangenheit zu lenken. Alte Dokumente, Zitate aus längst vergessenen Polemiken usw. zirkulierten plötzlich in der Partei. Unter diesem Material wurde besonders ein Brief gedruckt, den ich am 1. April 1913, also vor fast 12 Jahren, an Tschcheidse schrieb, der damals sozialdemokratischer (menschewistischer) Abgeordneter in der Duma gewesen ist. Dieser Brief musste einfach einen denkbar schlechten Eindruck auf alle Parteimitglieder machen, vor allem aber auf diejenigen, die niemals die Erfahrungen der Vorkriegsauseinandersetzungen unter den Bedingungen der Emigration gemacht haben und denen daher dieser Brief als totale Verwirrung vorkommen muss.

Der Brief wurde in einer Zeit äußerst scharfer Fraktionskämpfe geschrieben. Es wäre sinnlos, dem Leser alle Umstände aufzuzählen, unter denen jener Brief zustande kam. Es mag hier genügen, die entscheidenden Ursachen ins Gedächtnis zurückzurufen, die es möglich machten, dass ein solcher Brief überhaupt geschrieben wurde. Die wesentlichen Gründe lagen darin, dass ich zu jener Zeit eine Haltung gegenüber dem Menschewismus einnahm, die grundlegend von derjenigen Lenins abwich. Ich hielt es für absolut notwendig, für die Vereinigung von Bolschewiki und Menschewiki in einer einzigen Partei zu kämpfen. Lenin hielt es für erforderlich, den Bruch mit den Menschewiki zu vertiefen, um so die Partei vor der stärksten Quelle bürgerlichen Einflusses auf die Arbeiter abzudämmen. Zu einem viel späteren Zeitpunkt schrieb ich, dass mein grundlegender politischer Fehler damals gewesen sei, dass ich nicht rechtzeitig den unüberbrückbaren Graben zwischen Bolschewismus und Menschewismus begriffen habe. Aus eben diesem Grund verstand ich nicht die Bedeutung von Lenins organisatorisch-politischem Kampf sowohl gegen den Menschewismus als auch gegen die versöhnlerische Linie, die ich selbst damals vertrat.

Die tiefen Unterschiede, die mich für eine ganze Reihe von Jahren vom Bolschewismus trennten und mich in vielen Fällen in scharfe und feindliche Opposition zu ihm versetzten, traten besonders angesichts meines Verhältnisses zur menschewistischen Fraktion hervor. Ich ging von der völlig falschen Perspektive aus, dass der Verlauf der Revolution und der Druck der proletarischen Massen beide Fraktionen letzten Endes dazu zwingen würde, denselben Weg zu verfolgen. Deshalb betrachtete ich eine Spaltung als ein unnötiges Zerreißen der revolutionären Kräfte. Und da das aktive Betreiben der Spaltung bei den Bolschewiki lag – denn nach Lenins Auffassung war es nur durch rücksichtslose Abgrenzung, ideologisch und organisatorisch, möglich, den revolutionären Charakter der proletarischen Partei zu bewahren (und die ganze folgende Geschichte hat die Richtung dieser Politik bestätigt) – führte mich mein „Versöhnlertum" an vielen scharfen Wendungen des Weges zu feindseligen Zusammenstößen mit dem Bolschewismus. Lenins Kampf gegen den Menschewismus war unvermeidlich ergänzt durch den Kampf gegen das „Versöhnlertum", dem oft der Name „Trotzkismus" gegeben wurde.

Alle Genossen, die Lenins Werk gelesen haben, wissen dies. Es ist daher lächerlich, so zu tun, als ob hier jemand „irgend etwas zu verbergen" hätte. Es käme mir heute, lange nach jenen Ereignissen, nicht einmal mehr in den Sinn, an der grundsätzlichen Richtigkeit und dem großartigen historischen Weitblick von Lenins Kritik am russischen „Versöhnlertum", das in seinen wesentlichen Merkmalen verwandt mit der internationalen Strömung des Zentrismus war, zu zweifeln. Ich betrachte dies, und zwar schon seit geraumer Zeit, als so offensichtlich und für jedes Mitglied der Bolschewistischen Partei einfach undiskutabel, dass mir allein schon der Gedanke an eine Diskussion über diese Angelegenheit – nach allem, was die Partei in diesem Zusammenhang getan, geschrieben, in sich aufgenommen, geprüft und für richtig befunden hat – schlicht absurd erscheint.

Beim Kampf gegen eine „generelle Konfrontation" und Spaltung in der sozialdemokratischen Bewegung geriet ich, wie gesagt, in einige schroffe Konflikte mit den ideologischen und organisatorischen Methoden, mit denen Lenin unsere Partei, wie sie heute ist, vorbereitete, aufbaute und ausbildete. In der Bolschewistischen Fraktion existierte der Begriff „Leninismus" damals nicht. Lenin selbst würde es nicht zugelassen haben. Seit seiner Krankheit und erst recht seit seinem Tod hat die Partei den Begriff „Leninismus" in ihr ständiges Vokabular aufgenommen und absorbierte damit sozusagen über Nacht das gesamte schöpferische Werk, das Lenins Leben darstellte. Dieser Begriff wird natürlich nicht dem Marxismus gegenübergestellt, sondern er umfasst alles das, wodurch die weltweite Schule des Marxismus unter Lenins Führung theoretisch und praktisch bereichert worden ist. Wenn wir uns nun die vorrevolutionäre Periode betrachten, so sehen wir, dass dort der Begriff „Leninismus" nur von den Gegnern des Bolschewismus verwandt wurde, die damit genau das kennzeichneten, was sie als das negativste und destruktivste in der bolschewistischen Politik ansahen. Für einen „Versöhnler" wie ich es war, bestand die negativste Eigenschaft des Bolschewismus in seinem Sektierertum, seiner Neigung zu Spaltungen, seinem Aufstellen organisatorischer Prinzipien usw. Es war genau in diesem Sinne, dass ich in jenen Tagen, wenn die Polemik sich erhitzte, den Begriff „Leninismus" gebrauchte.

Es ist nun natürlich ein Leichtes, ein unerfahrenes oder uninformiertes Parteimitglied mit der Frage zu beeindrucken „weißt du, was Trotzki über den Leninismus sagt?" und dann aus alten Artikeln und Briefen einige fraktionsbedingte Ausbrüche gegen den Leninismus vorzulesen. Aber dies ist wohl kaum das richtige Vorgehen. Es stützt sich auf den Mangel an Information. Heute klingen solche Zitate für meine Ohren nicht weniger barbarisch, als für die eines jeden Parteimitgliedes. Sie sind nur verständlich aus der Kenntnis der vergangenen Geschichte, d. h. dem Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Bolschewismus und Versöhnlertum, einer Auseinandersetzung, in der sowohl das historische Recht als auch der Sieg auf Seiten des Bolschewismus lag. Außerdem beweist der ganze Verlauf von Lenins Aktivitäten, dass man ihn nur verstehen kann – als politische Figur und auch als menschliche Persönlichkeit – wenn seine Geschichtskonzeption, seine Ziele und die Techniken und Methoden seines Kampfes begriffen sind. Lenin lässt sich nicht ohne den Rahmen des Leninismus beurteilen. Er kann auch nicht mit halbfertigen Wendungen erfasst werden. Sein politischer Charakter schließt alle Halbherzigkeiten aus. Durch sein Verhalten zwang er jeden, entweder mit ihm zu marschieren oder ihn zu bekämpfen. Insofern ist es leicht zu verstehen, dass die Person Lenins in den Augen des Versöhnlertums, das gleichbedeutend ist mit Halbherzigkeit in allen wesentlichen Fragen der Revolution, fremd und in vieler Hinsicht sogar unbegreiflich erschien. Indem ich für das eintrat, was ich damals für richtig hielt – die Einheit aller sozialdemokratischen Fraktionen um einer imaginären „Einheit" der Arbeiterbewegung willen – befand ich mich auf einem Kurs, der mich mehr als einmal in Konflikt mit Lenin brachte.

Solange ein Revolutionär nicht den korrekten Standpunkt zu der grundlegenden Aufgabe des Parteiaufbaus und zu den Methoden, durch die eine Partei funktioniert, entwickelt hat, kann keine Rede von einer richtigen, stabilen oder konsequenten Teilnahme einer solchen Person an der Arbeiterbewegung sein. Ohne ein angemessenes Verhältnis von Theorie, Forderungen, Taktik und Arbeit der Parteiorganisation kann es keine revolutionäre marxistisch-bolschewistische Politik geben. Es war genau dieser Gedanke, den Lenin in einer scharfen polemischen Art und Weise zum Ausdruck brachte als er erklärte, dass meine revolutionären Ideen oder Vorschläge auf nichts als „Phrasen" hinausliefen, seitdem ich mit meinem Versöhnlertum in Konflikt mit dem Bolschewismus geriet, der den Kern der proletarischen Bewegung schuf. Hatte Lenin Recht? Voll und ganz.

Ohne die Bolschewistische Partei hätte die Oktoberrevolution nicht zum Erfolg geführt und gefestigt werden können. Deshalb bestand die einzige wirklich revolutionäre Tätigkeit darin, bei dem Aufbau und der Stärkung dieser Partei zu helfen. Im Vergleich zu dieser vorrangigen Aufgabe führten alle anderen revolutionären Tätigkeiten ein Schattendasein, ohne jede innere Garantie des Erfolgs oder der Verlässlichkeit und oftmals direkt abträglich für die eigentliche revolutionäre Arbeit jener Zeit. In diesem Sinne hatte Lenin Recht wenn er darauf hinwies, dass durch die versöhnlerische Haltung, die dem Menschewismus Förderung und Schutz verschaffte, häufig revolutionäre Forderungen, Perspektiven, usw. in pure Phrasen verwandelt wurden. Diese grundsätzliche leninistische Einschätzung des Zentrismus ist absolut unanfechtbar. Es wäre einfach absurd, über diese Angelegenheit innerhalb der Bolschewistischen Partei eine Diskussion zu entfachen. Was mich betrifft, so sehe ich jedenfalls keine Basis für irgendeine Diskussion dieser Art.

Ein Umdenken in diesen Fragen entstand bei mir mit dem Ausbruch des imperialistischen Krieges. In Übereinstimmung mit der allgemeinen Tendenz meiner Vorstellungen, die ich nach 1907 kontinuierlich äußerte, würde ein Krieg in Europa eine revolutionäre Situation hervorrufen. Aber im Gegensatz zu allen Erwartungen endete die revolutionäre Situation im totalen Verrat durch die Sozialdemokratie.

Nach und nach korrigierte ich meine Ansichten über das Verhältnis von Partei und Klasse und von revolutionärer Aktion und proletarischer Organisation. Unter dem Eindruck des sozialpatriotischen Betrugs des internationalen Menschewismus gelangte ich Schritt für Schritt zur Einsicht in die Notwendigkeit nicht nur des ideologischen Kampfes gegen den Menschewismus (die ich schon früher besaß – obwohl, um genau zu sein, mit ungenügendem Nachdruck), sondern auch des kompromisslosen organisatorischen Bruchs mit ihm. Dieses Umdenken vollzog sich nicht von einem Tag zum anderen. In meinen Artikeln und Reden während des Krieges wird man Zögern und auch Rückschritte finden. Lenin hatte völlig Recht, jeglichen Anflug von Zentrismus meinerseits anzugreifen, herauszustellen und sogar absichtlich aufzubauschen. Betrachtet man jedoch die Periode des Krieges im Zusammenhang, so wird deutlich, dass die furchtbare Demütigung des Sozialismus zu Kriegsbeginn für mich den eigentlichen Wendepunkt vom Zentrismus zum Bolschewismus darstellte – in allen Fragen ohne Ausnahme. Und in dem Maße, wie ich mich der bolschewistischen Konzeption des Verhältnisses von Klasse und Partei, Theorie und Politik, Politik und Organisation annäherte, wurde auch meine generelle revolutionäre Haltung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft mit lebendigerem und realistischerem Inhalt angefüllt.

Von dem Augenblick an, als ich die absolute Notwendigkeit eines Kampfes bis zum Äußersten gegen die Vaterlandsverteidiger erkannt hatte, wurde mir Lenins Haltung in vollem Umfang deutlich. Was mir als „Sektierertum", „Zersetzung", usw. erschienen war, erkannte ich nun als reinigenden und unvergleichlich weitsichtigen Kampf für die revolutionäre Unabhängigkeit der proletarischen Partei. Nicht nur Lenins politische Methoden und organisatorische Praktiken, sondern seine ganze politische und menschliche Persönlichkeit erschienen mir in neuem Licht, in einem bolschewistischen, d. h. wahrhaft leninistischen Licht. Erst als Bolschewik kann man Lenin verstehen und in seiner Bedeutung erkennen. Der Gedanke des „Trotzkismus" als einer besonderen Tendenz ist mir seit jener Zeit nicht wieder gekommen. Es kam mir nicht mehr in den Sinn, die eine oder andere Frage unter einem besonderen „trotzkistischen" Blickpunkt zu betrachten.

Es ist unwahr und hinterhältig zu behaupten, ich wäre mit dem Vorsatz in die Partei eingetreten, den Leninismus durch den Trotzkismus zu ersetzen. Ich schloss mich der Bolschewistischen Partei als Bolschewist an. Als Lenin in einer Diskussion über die Vereinigung von Meschrajonka und Bolschewiki die Frage erhob, welchen meiner Gesinnungsgenossen ich gerne im Zentralkomitee sehen würde, antwortete ich, dass diese Frage für mich politisch nicht mehr existiere, seitdem es nichts mehr gab, was mich vom Bolschewismus trennte.

Natürlich kann man mir vorhalten, dass ich nicht schon eher zum richtigen Verständnis des Menschewismus vorgedrungen sei. Das hieße mir vorwerfen, dass ich nicht bereits 1903 Bolschewik wurde. Aber niemand kann seine Entwicklung eigenmächtig bestimmen. Ich fand über einen langen und komplizierten Weg zum Bolschewismus. Auf diesem Weg kannte ich keine anderen Interessen als die der Revolution und des Proletariats. Ich kämpfte gegen den Leninismus weil ich glaubte, dass er die Arbeiterklasse zu deren Schaden spalten würde. Nachdem ich als Ergebnis jahrelanger Erfahrung meinen Irrtum erkannte, schloss ich mich dem Leninismus an. Ich trage selbstverständlich die politische Verantwortung für die Umwege meiner Entwicklung.

Immerhin war meine gesamte Vergangenheit dem Zentralkomitee unserer Partei und allen ihren älteren Mitgliedern gründlich und vollständig bekannt, als ich im Mai 1917 aus Amerika zurückkehrte und mich der Bolschewistischen Partei zur Verfügung stellte. In meiner Vergangenheit gab es politische Fehler, aber es gab nichts, das auch nur den geringsten Makel an meiner revolutionären Ehre hinterließ. Wenn ich auch später als viele andere Genossen zum Leninismus fand, so kam ich dennoch rechtzeitig, um als einer von Lenins engsten Mitarbeitern an den Juliereignissen, der Oktoberrevolution, dem Bürgerkrieg und den übrigen Aufgaben der Sowjetjahre teilzunehmen. Wenn ich einst die Meinung äußerte (dies wird mir heute unerbittlich vorgehalten), dass der Weg, auf dem ich zum Bolschewismus fand, nicht schlechter sei als andere Wege auch, so bezog ich mich natürlich auf einzelne Personen und nicht auf den kollektiven proletarischen Weg der Partei. Ich wollte damit lediglich sagen, insoweit Menschen über sich selbst ein Urteil abgeben können, dass mein Weg mich gefestigt und im Guten zum Bolschewismus geführt hat.

Einzig um meinen Fall zu verdeutlichen nehme ich mir die Freiheit, ein historisches Beispiel zu zitieren. Franz Mehring, der bekannte deutsche Marxist, fand erst spät in seinem Leben und nach verbittertem Kampf zu Marx und Engels. Ja, Mehring näherte sich zuerst der Sozialdemokratie an, wandte sich dann wieder von ihr ab, um schließlich für immer zu ihr zu finden. In bestimmten alten Archiven findet man barsche Bemerkungen Mehrings gegen Marx und Engels und vernichtende Äußerungen von Engels über Mehring. In den Auseinandersetzungen innerhalb der Partei wurde Mehring häufig an seine Vergangenheit erinnert. Trotzdem fand Mehring entschieden zum Marxismus und blieb ihm bis zum Ende treu. Er starb als einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Genosse Kamenew hat mit großer Sorgfalt alle die Zitate Lenins zusammengetragen, die den Irrtum meiner Ansichten zum Gegenstand haben. Die polemischen Schläge, die Lenin über viele Jahre austeilte, verdreht Kamenew nun zur endgültigen Charakterisierung meiner Politik. Aber der Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Charakterisierung unvollständig ist. Zum Beispiel wird der Leser keinerlei Antwort auf die Frage finden, ob denn meine revolutionäre Tätigkeit (vor 1914 oder vor 1917) nur aus Fehlern bestand oder ob sie bereits Züge aufweist, die mich mit dem Bolschewismus verbanden, auf ihn verwiesen und mich schließlich zu ihm hinführten. Ohne eine Antwort auf diese Frage bleibt die Bedeutung meiner späteren Rolle in der Parteiarbeit völlig unerklärlich. Darüber hinaus ruft Kamenews Charakterisierung unvermeidlich Fragen anderer Art hervor, Fragen schlicht sachlicher Natur. Sind die Äußerungen, die Kamenew zusammengetragen hat, wirklich das einzige, was Lenin hierzu gesagt oder geschrieben hat? Gibt es nicht ebenso gut andere Bemerkungen Lenins, Bemerkungen, die auf den Erfahrungen der revolutionären Jahre beruhen? Ist es wirklich fair und aufrichtig, heute, Ende 1924, der Partei nur etwas über die Äußerungen der vorrevolutionären Jahre mitzuteilen, nichts jedoch über die Äußerungen, die unter dem Eindruck unserer gemeinsamen Arbeit und unseres gemeinsamen Kampfes entstanden? Dies sind Fragen, die sich zwangsläufig jedem ernsthaften Leser aufdrängen. Alte Zitate reichen hier nicht hin. Sie werden die Leute nur in der Folgerung bestärken, dass tendenziöse Absichten und Vorurteile im Spiel sind.

3. Die Rolle der Partei

Um diese oder jene aktuelle Ansicht, diesen oder jenen aktuellen Artikel von mir als „Trotzkismus" zu entlarven und sie zu diesem Zweck mit meinen Fehlern der Vergangenheit zu verknüpfen, ist es erforderlich, vieles zu übergehen, vor allem aber das Jahr 1917. Um dies zu bewerkstelligen muss rückblickend bewiesen werden, dass es mir nie gelang, die Ereignisse von 1917 wirklich zu begreifen, dass meine bedingungslose Unterstützung von Lenins Aprilthesen nur das Resultat von Missverständnissen war, dass ich die Rolle der Partei im revolutionären Prozess nie wirklich verstand, dass ich die ganze Geschichte der Partei ignorierte und so weiter und so fort. Dies alles lässt sich keinesfalls aus den Ereignissen von 1917 konstruieren, da meine Rolle in jener Zeit weder damals noch heute irgend jemandem auch nur den geringsten Anlass lieferte, mich der Verfolgung eines eigenen, besonderen Kurses zu bezichtigen. Deshalb wird der Vorwurf des Trotzkismus nicht mit jenen Ereignissen oder meiner Rolle in ihnen verknüpft, sondern mit meinem Artikel, der einige der Lehren jener Ereignisse zusammenfasst Der ganze gegen mich erhobenen Vorwurf des „Trotzkismus" steht und fällt daher mit der Frage, ob es wahr ist, dass ich den Leninismus bei meiner Darstellung der Ereignisse von 1917 verfälscht und ihm einen eigenständigen, besonderen, unvereinbaren Kurs gegenübergestellt habe. Der Vorwurf des „Trotzkismus" gegen meine „Lehren des Oktober" wird damit zum zentralen Knoten, der das ganze Netz einer „trotzkistischen" Gefahr in der Partei zusammenhält. Überdies – und das ist der Kern der Angelegenheit – besteht der Knoten, durch den dieses ganze künstliche Gespinst zusammengehalten wird, aus einem Geflecht von Lügen. Es genügt, sich ihm ernsthaft zu nähern, und bei der geringsten Berührung fällt er in Staub zusammen. Nur außergewöhnliche Spitzfindigkeit gepaart mit einem noch größerem Maß an Vorurteil kann jemanden dazu bringen, meine „Lehren des Oktober" als Abweichung vom Leninismus zu interpretieren, anstatt als seine gewissenhafte und sorgfältige Anwendung. Das ist es, was ich nun anhand der hauptsächlichen Streitfragen nachweisen möchte.

Es ist höchst erstaunlich (weil es eine besonders abscheuliche Lüge ist), die Behauptung zu hören, ich hätte bei meiner Bilanz des Oktoberumsturzes die Partei ignoriert. Denn das zentrale Anliegen des Vorworts und der eigentliche Grund, weshalb es geschrieben wurde ist die Anerkennung der entscheidenden Rolle der Partei in der proletarischen Revolution. „Das Hauptinstrument des proletarischen Umsturzes ist die Partei". Diesen Gedanken veranschaulichte ich am Beispiel der Niederlagen, die die revolutionäre Bewegung der Nachkriegszeit in vielen Ländern hinnehmen musste. Unser Irrtum, sagte ich und wiederhole es hier, als wir vorschnell den Sieg des europäischen Proletariats als direktes Resultat des Krieges erwarteten, lag genau darin, dass wir immer noch nicht in erforderlichem Maße die Bedeutung der Partei für die proletarische Revolution erkannt hatten. Den deutschen Arbeitern gelang es deshalb nicht, 1918 oder 1919 den Sieg zu erlangen, weil ihnen das wichtigste Rüstzeug hierzu – eine bolschewistische Partei – fehlte. Mehrfach in meinem Vorwort hob ich die Tatsache hervor, dass die Bourgeoisie, da sie die Macht in den Händen hält, als Klasse eine große Anzahl von Vorteilen genießt, und dass das Proletariat das Fehlen dieser Vorteile nur durch die revolutionäre Partei ersetzen kann.

Wenn es einen Gedanken gibt, den ich seit der Niederlage der deutschen Revolution ständig wiederholt, hervorgehoben und mit großem Nachdruck ausgebreitet habe, so ist es eben der, dass selbst die günstigsten revolutionären Bedingungen nicht den Sieg für das Proletariat herbeiführen können, solange es nicht von einer wirklich revolutionären Partei geführt wird, die in der Lage ist, diesen Sieg zu sichern. Dieses war das Hauptthema meines Berichts in Tiflis „Auf dem Weg zur europäischen Revolution" (11. April 1924), zweier weiterer Berichte – „Perspektiven und Aufgaben im Osten" (21. April 1924), „Der 1. Mai in Ost und West" (29. April 1924) – des Vorworts zu meinem Buch ,Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale' mit dem Titel „An einem neuen Wendepunkt" (20. Mai 1924), „In welchem Stadium befinden wir uns?" (21. Juni 1924), usw. In meiner Rede von Tiflis, auf die ich eben hinwies, analysierte ich die Gründe für die Niederlage der deutschen Revolution: „Warum also hat es in Deutschland bisher keinen Sieg gegeben? Ich glaube, darauf kann es nur eine Antwort geben: weil Deutschland weder eine Bolschewistische Partei noch einen Führer besaß, wie wir im Oktober … Was also fehlte? Eine Partei mit der Leidenschaft, die unsere Partei auszeichnet… Dies, Genossen, ist der zentrale Punkt und wir müssen lernen, Charakter, Natur und Bedeutung unserer eigenen Partei, die den Sieg des Proletariats im Oktober und eine ganze Reihe von Siegen seitdem errungen hat zu begreifen und entschiedener und gründlicher anzuerkennen".

Ich wiederhole, dies ist, besonders seit der Niederlage in Deutschland im letzten Jahr, der zentrale, leitende Gedanke aller meiner Berichte und Artikel gewesen, die sich mit dem Problem der proletarischen Revolution beschäftigten. Ich könnte Dutzende von Zitaten anführen, um das zu beweisen. Ist es sinnvoll, anzunehmen, dass dieser zentrale Gedanke, diese unbedeutendste Lehre der gesamten historischen Erfahrung, insbesondere unserer eigenen Erfahrung des letzten Jahrzehnts, plötzlich von mir vergessen sein sollte, ausgelassen oder verfälscht wurde, als ich an den „Lehren des Oktober" arbeitete? Nein, das ist unmöglich und es ist nicht geschehen. Es gibt nicht den geringsten Hinweis dafür. Im Gegenteil, mein ganzes Vorwort baut auf den Leitgedanken auf, die ich in meinem Bericht von Tiflis entwickelt hatte: „Wir müssen lernen, Charakter, Natur und Bedeutung unserer eigenen Partei, die den Sieg des Proletariats im Oktober und eine ganze Reihe von Siegen seitdem errungen hat, zu begreifen und entschiedener und gründlicher anzuerkennen".

Selbstverständlich werde ich diesen Gedanken hier nicht noch einmal entwickeln, weil ich diese „Lehre" des Oktober für bewiesen, geprüft, unbezweifelbar und unwiderlegbar erachte. Aber es war eben der Gedanke der ausschlaggebenden Rolle der Partei und ihrer Führung, der das zentrale Thema meines Vorworts darstellte. Um dies zu beweisen brauchte ich nur die ganze Arbeit zu zitieren und ihre wichtigsten Gedanken mit Bleistift zu unterstreichen. Unglücklicherweise ist das nicht möglich. Ich kann stattdessen den interessierten Leser nur darum bitten, das Vorwort unter diesem Gesichtspunkt mit dem Bleistift in der Hand zu lesen oder wieder zu lesen und dabei besondere Aufmerksamkeit zu richten auf die Seiten 195-198, 226-28, 231-2 und auf das Kapitel „Noch einmal über die Räte und die Partei in der proletarischen Revolution". Hier möchte ich mich auf ein einziges Beispiel beschränken.

Im Schlusskapitel des Vorworts weise ich die in unserer Presse im Verlauf des letzten Jahres aufgekommene Auffassung zurück, dass in England die Revolution „nicht über die Partei, sondern die Gewerkschaften" verlaufen könnte. Im Vorwort sage ich dazu: „Ohne die Partei, außerhalb der Partei, unter Umgehung der Partei, durch ein Parteisurrogat kann die proletarische Revolution nicht siegen. Das ist die Hauptlehre des letzten Jahrzehnts. Es ist richtig, dass die englischen Gewerkschaften zu einem mächtigen Hebel der proletarischen Revolution werden können. Sie können z. B. unter bestimmten Verhältnissen und für eine bestimmte Zeit sogar die Arbeiterräte ersetzen. Sie können aber eine solche Rolle nicht ohne die Kommunistische Partei und erst recht nicht gegen sie spielen, sondern allein unter der Bedingung, dass der kommunistische Einfluss in den Gewerkschaften entscheidend wird. Diese Lehre – bezüglich der Rolle und Bedeutung der Partei in der proletarischen Revolution – haben wir allzu teuer bezahlt, um sie leichtfertig aufzugeben oder ihre Bedeutung auch nur abzuschwächen." Und nun werde ich eines nicht Geringeren beschuldigt, als diese Lehre nicht zu beherzigen und ihre Bedeutung zu schmälern!

Nach allem, was ich schon gesagt habe, genügt dieses eine Zitat um zu zeigen, dass mir eine Tendenz mit dem Namen „Trotzkismus" zugeschrieben wird, die das genaue Gegenteil nicht nur von Geist und Buchstaben meines Vorworts, sondern meiner ganzen Konzeption der proletarischen Revolution darstellt. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen auch die Hinweise auf mein angebliches Vergessen oder wissentliches Versäumnis, die Rolle des Petersburger Komitees in der Revolution zu erwähnen, als allesamt unangebracht spitzfindig. Mein Vorwort ist keine Schilderung, die die Rolle einzelner Institutionen oder Gliederungen in der Partei zum Gegenstand hat. Es ist keine umfassende Darstellung der Ereignisse. Es ist der Versuch, die allgemeine Rolle der Partei im Verlauf der proletarischen Revolution zu beschreiben. Ich zähle die Tatsachen nicht im Einzelnen auf; ich gehe vielmehr davon aus, dass sie im Großen und Ganzen wohlbekannt sind. Mein Ansatzpunkt ist die grundlegende Einsicht in die führende Rolle der Partei – natürlich in Form ihrer lebendigen und funktionierenden Einheiten. Es kann keine Rede davon sein, dass ich etwas stillschweigend ignorierte oder wegließ, wenn ich im Verlauf meiner Darstellung annehmen kann, dass es verstanden ist. Keine Spitzfindigkeit und keine Verdrehung der Wahrheit kann die Tatsache leugnen, dass der Hauptvorwurf, der gegen mich erhoben wird – das Verkennen der Bedeutung der Partei – durch und durch eine Lüge ist und in schreiendem Widerspruch zu allem steht, was ich in meinem Vorwort tatsächlich gesagt und aufgezeigt habe.

Nicht minder falsch sind die Behauptungen, in meiner Beurteilung der Partei verlagerte ich die Aufmerksamkeit von den Parteimassen auf die „höheren Ränge", auf die Führer. Hierzu haben einige sogar das Märchen einer angeblichen Theorie von „Helden" und „der Menge" verbreitet. Dabei geht es lediglich darum, dass ich, nachdem ich die allgemeine Bedeutung der Partei im Prozess der proletarischen Revolution dargelegt hatte – und zwar in einer solch grundlegenden Weise, dass schwerlich noch etwas zu ergänzen war – die spezielle, partielle, aber außergewöhnlich wichtige Frage der Rolle einer zentralen Führung in der Periode der Revolution aufwarf. Hierbei tritt natürlich das Problem der sogenannten „Führer" auf.

Bei der Charakterisierung von Lenins Tätigkeit im Oktober wies ich zweimal darauf hin, dass die Entschiedenheit seiner Opposition gegenüber jedem Anzeichen von Zögern darauf beruhte, dass er sich im entscheidenden Moment immer auf die „Parteibasis" verlassen konnte. Hätte ich das ganze Problem der Revolution oder auch nur der Parteiführung auf die Frage von „Führern" reduziert, so hätte ich mich gründlich im Widerspruch zum Marxismus befunden. Wenn ich hingegen auf Basis einer marxistischen Definition der Rolle der Partei in der proletarischen Revolution die Frage nach dem Verhältnis von Führungskern der Partei, Gesamtpartei und Arbeitermassen als eine spezielle, aber für die Revolution außerordentlich wichtige Frage stellte, so war das ein völlig berechtigter Weg, um an das Problem heranzugehen, und nach der letztjährigen Niederlage der deutschen Revolution mehr als je zuvor ein unumgänglicher. Aber darauf werden wir weiter unten zurückkommen.

Man sagt mir, dass die Partei nicht nur zur Machtergreifung benötigt wird, sondern auch, um die Macht festzuhalten, den Sozialismus aufzubauen und in internationalen Angelegenheiten zu manövrieren. Als ob ich mir dessen nicht bewusst wäre! Tatsache ist jedoch, dass die europäischen Parteien erst einmal vor der Aufgabe stehen, die Macht in ihrem ganzen Ausmaß zu erobern. Das ist es, worauf sie sich zu konzentrieren haben, dem sie alle ihre Anstrengungen unterzuordnen haben. Nach Eroberung der Macht werden sich ihnen neue Schwierigkeiten in den Weg stellen. Hier lässt sich sogar mit Gewissheit voraussagen, dass der Übergang von einem siegreichen bewaffneten Umsturz zur „organischen" Arbeit mit ihrer notwendig langsameren Gangart, in jeder oder fast jeder Partei unvermeidlich neue Krisen hervorbringen und sich ein unzufriedener linker Flügel herausschälen wird. Das wird natürlich in den verschiedenen Ländern in unterschiedlichem Maße eintreten. Aber dies sind Gefahren und Schwierigkeiten eines späteren Stadiums. Der Kommunismus wird damit fertig werden; zuvor muss erst einmal die Macht erobert werden.

Ähnlicher Art – d. h. offensichtlich voreingenommen und in peinlicher Weise die Wahrheit verdrehend – ist der Vorwurf, meine Bilanz der Lehren des Oktober übergehe die Vergangenheit unserer Partei, also ihre Geschichte vor Krieg und Revolution. Wie bereits gesagt, läuft aber meine ganze Argumentationskette gerade auf die Schlussfolgerung hinaus, dass das Proletariat nicht einmal aus der günstigsten revolutionären Situation einen Vorteil ziehen kann, wenn in der vorhergehenden, vorbereitenden Periode die Avantgarde des Proletariats nicht die feste Gestalt einer wirklich revolutionären, d. h. bolschewistischen Partei angenommen hat. Diese ist die zentrale Lehre des Oktober. Alle anderen sind ihr nachgeordnet.

Die Partei darf nicht auf die Erfordernisse des Augenblicks unvorbereitet sein oder erst zum Zweck einer bewaffneten Erhebung zusammenfinden: dies wurde durch die Erfahrungen des europäischen Proletariats seit dem Krieg nur allzu unwiderlegbar bewiesen. Mehr brauchte nicht gesagt zu werden, um die Bedeutung der ganzen Geschichte unserer Partei in der Zeit vor dem Oktober umfassend und vollständig deutlich zu machen, selbst wenn ich nicht ein einziges Wort direkt dazu gesagt hätte. Tatsächlich aber sprach ich sehr eingehend und detailliert über die Bedingungen, unter denen sich die Partei entwickelte und auf ihre Rolle im Oktober danach vorbereitete. Ich schrieb dazu Folgendes in meinem Vorwort: „Die Geschichte sicherte unserer Partei wahrhaft unbezahlbare revolutionäre Vorteile. Die Tradition des heroischen Kampfes gegen die zaristische Monarchie; die aus den Bedingungen der Untergrundtätigkeit hervorgehende Selbstverständlichkeit revolutionärer Aufopferung; das breite theoretische Studium und die Aneignung revolutionärer Erfahrungen der ganzen Menschheit; der Kampf gegen den Menschewismus, gegen die Narodniki und gegen das Versöhnlertum; die überragende Erfahrung der Revolution von 1905; das theoretische Studium und die Aneignung dieser Erfahrung in den Jahren der Konterrevolution; die Verarbeitung der Probleme der internationalen Arbeiterbewegung im Lichte der revolutionären Lehren von 1905 – dieses waren die Elemente, die in ihrer Gesamtheit unserer Partei eine außerordentliche revolutionäre Stählung, ein überragendes theoretisches Vermögen und einen beispiellosen revolutionären Elan verliehen".

Wo ist hier ein „Ignorieren" der Partei oder ihrer vorrevolutionären Geschichte? Nicht nur die gesamte gedankliche Ausrichtung des Vorworts zielt darauf ab, die entscheidende Bedeutung der Vorbereitung und Stählung der Partei für die proletarische Revolution hervorzuheben. Es ist eine durch und durch präzise, konkrete und trotz ihrer Kürze im Grunde abschließende Einschätzung der Bedingungen der Parteientwicklung, unter denen sie zu dem wurde, was sie heute ist. Natürlich behandle ich nicht die ganze Geschichte der Partei auf den Seiten des Vorworts, denn das Thema des Buches ist die Geschichte nicht der Partei sondern des Oktober, d. h. einer besonderen Periode ihrer Geschichte. Aber mir ist unbegreiflich, welche Einwände gegen diese Charakterisierung der Entwicklungsbedingungen der Partei, durch die „wahrhaft unbezahlbare revolutionäre Vorteile" geschaffen wurden, vorzubringen sind.

Das ist aber noch nicht alles. Es würde an dieser Stelle genügen, den Vorwurf, ich „überginge" den Kampf des Bolschewismus gegen die Tendenz, für die ich selbst in der Vergangenheit eintrat, mit dem Hinweis zurückzuweisen, dass es erneut nicht die vorhergehende Geschichte, nicht der Kampf gegen das Versöhnlertum vor der Revolution ist, der zur Debatte steht, sondern der Oktober. Aber selbst für diesen Hinweis besteht keine Notwendigkeit. Denn unter den von mir aufgezählten Bedingungen, die der Partei ihre außerordentliche Stählung, ihr überragendes theoretisches Vermögen und ihren unvergleichlichen revolutionären Elan verschafften, nannte ich nicht nur den Kampf gegen den Menschewismus und die Narodniki, sondern auch denjenigen gegen das Versöhnlertum.

Nirgends deute ich auch nur den Gedanken an, dass der Bolschewismus, wie er aus seiner vorrevolutionären Geschichte entstanden ist, irgendeine Veränderung seines Charakters durch das Mittel des „Trotzkismus" nötig hätte. Im Gegenteil erkläre ich ohne jeden Vorbehalt, dass ein wesentliches Element der Entwicklung des Bolschewismus der Kampf gegen jene Tendenzen war, die unter dem Namen Trotzkismus bekannt sind. Mit anderen Worten, ich sage das genaue Gegenteil von dem, was man mir anhängt. Wenn es meinerseits keine Schmälerung der Rolle der Partei und kein Ignorieren von Bedeutung und Gewicht der beispiellosen vorrevolutionären Vorbereitungsphase gibt, dann verliert das ganze Gespinst der wieder erweckten Gefahr des Trotzkismus seinen zentralen Halt. Aber auf eine solche Schmälerung und ein solches Ignorieren gibt es nicht den geringsten Hinweis in meiner Arbeit. Ich habe hier meinen Leitgedanken, um den sich alles andere wie um eine Achse dreht, dargestellt und will ihn nun noch einmal wiederholen: „Wir müssen lernen, Charakter, Natur, und Bedeutung unserer eigenen Partei, die den Sieg des Proletariats im Oktober und eine ganze Reihe von Siegen seitdem errungen hat, zu begreifen und entschiedener und gründlicher anzuerkennen". Dieses ist der zentrale Gedanke des Leninismus. Ich versuche nicht, ihn zu ersetzen oder zu verwässern. Ich trete für ihn ein und verteidige ihn.

4. „Die demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern"

Wir haben gesehen, wie die Dinge um die „trotzkistische" Konzeption der Rolle der Partei stehen. Aber die bei mir vermutete Kritik am Leninismus wird noch auf anderen Wegen hergeleitet, zweideutigen obendrein. Erstens wird gesagt, wenn ich die Oktober-Position des Genossen Kamenew und anderer, die gegen den Umsturz waren, charakterisiere, ich benutze die Kritik an Lenins Gegnern jener Zeit als Vorwand, um Lenin selbst zu treffen. Die zweite Linie meiner Kritik an Lenin besteht in dem, was man als meine schonungslose Bilanz von Lenins „Irrtümern" im Oktober und meine angeblichen Korrekturen dieser Irrtümer bezeichnet. Es ist notwendig, sowohl der ersten als auch der zweiten Angelegenheit sorgfältige Beachtung zu schenken.

Was war das Wesen der Differenzen zwischen Genosse Kamenew und Lenin im Oktober? Die Tatsache, dass Genosse Kamenew einem Abschluss der bürgerlichen Revolution unter der Parole der „demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" das Wort redete, während Lenin mit der Begründung, dass die bürgerliche Revolution ihre Möglichkeiten bereits ausgeschöpft habe, die sozialistische Diktatur des Proletariats, das die arme Bauernschaft mit sich reißen würde, vorbereitete und forderte. Dies waren die beiden Positionen im Oktober in ihrem eigentlichen Kern. Lenin bekämpfte Kamenews Position unerbittlich und lehnte die „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern" als überholte Formel ab. „Jetzt gilt es, sich die unbestreitbare Wirklichkeit zu eigen zu machen, dass der Marxist mit dem lebendigen Leben, mit den exakten Tatsachen der Wirklichkeit rechnen muss, statt sich an die Theorie von gestern zu klammern …"1 Und Lenin fährt fort: „Erfasst die altbolschewistische Formel des Genossen Kamenew ,die bürgerlich-demokratische Revolution ist nicht abgeschlossen' diese Wirklichkeit? Nein, die Formel ist veraltet. Sie taugt nichts. Sie ist tot. Vergeblich werden die Bemühungen sein, sie zu neuem Leben zu erwecken."2

Bedeutet dies, dass Lenin auf die Formel einfach „verzichtete"? Keinesfalls. Ich habe nicht im Geringsten versucht, ihm einen solchen Verzicht nachzusagen. Im Gegenteil sage ich in aller Deutlichkeit (siehe S. 201), dass Lenin – im Gegensatz zur gesamten oberflächlich verwestlichten Tradition der russischen Sozialdemokratie, angefangen mit der Gruppe ,Befreiung der Arbeit' – mit der Formel „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern" der Besonderheit der russischen Geschichte und der russischen Revolution Ausdruck verlieh. Aber für ihn war diese Formel, wie alle anderen politischen und taktischen Formeln auch, eine ganz und gar dynamische, handlungsanweisende und entschieden konkret bestimmte. Sie war kein Dogma, sondern eine Anweisung zum Handeln.

In meinem Vorwort stelle ich die Frage, inwieweit die „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern" unter den Umständen der 1917er Revolution zur Anwendung gelangte und ich antworte, wobei ich mich fest auf Lenin stützte, dass dies nur in Form der Arbeiter- und Soldatenräte geschah, die lediglich die halbe Macht innehatten und sich nicht anschickten, die ganze anzustreben. Lenin erkannte seine eigene Formel in dieser höchst modifizierten und gebrochenen Wirklichkeit wieder. Er erkannte die Tatsache, dass diese alte Formel in der vorhandenen historischen Situation nicht mehr ausdrücken konnte, als diese Halbherzigkeit der Revolution. Während die Gegner der Machtergreifung meinten, wir müssten die demokratische Revolution „vollenden", antwortete Lenin, dass alles, was entlang dem „Februar"-Kurs erreicht werden könne, schon erreicht sei, Realität geworden sei; die alte Formel hatte sich bereits selbst überlebt. Es war notwendig geworden, aus der Entwicklung der Realität ein neues Handlungsschema zu gewinnen.

Lenin warf seinen Gegnern vor, nicht zu erkennen, welche Form die „demokratische Diktatur" unter den Bedingungen der Februarrevolution angenommen hatte. Bereits Anfang April erklärte er unermüdlich: „Wer jetzt lediglich von revolutionär-demokratischer Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft' spricht, der ist hinter dem Leben zurückgeblieben, der ist faktisch zum Kleinbürgertum übergegangen, der ist gegen den proletarischen Klassenkampf, der gehört in ein Archiv für ,bolschewistische' vorrevolutionäre Raritäten (Archiv ,alter Bolschewiki' könnte man es nennen)."3

Lenin wiederholte beharrlich, dass sich seine Gegner, die den Erfordernissen der Revolution ein überholtes Schema gegenüberstellten, „hilflos dem kleinbürgerlichen Revolutionarismus auslieferten".4 Dies ist der leninistische Weg, an das Problem heranzugehen. Es ist genau der Weg, auf dem auch ich es angegangen habe. Wieso entpuppt sich nun meine Solidarität mit Lenin und nicht mit Genosse Kamenew in dieser Kardinalfrage der Oktoberrevolution als eine Revision des Leninismus? Wie geht es an, dass in dem Konzept des Leninismus zum Oktober Kamenew, der in den prinzipiellen Fragen Lenin bekämpfte, Platz hat, ich jedoch nicht, obwohl ich hinter Lenin stand? Ist nicht der Begriff Leninismus in diesem Fall zu dehnbar und anpassungsfähig geworden?

Um nun wenigstens den Anschein eines Bezuges zu solch einer höchst erstaunlichen und unglaubwürdigen Unterscheidung zwischen Leninismus und Anti-Leninismus hinsichtlich der Oktoberereignisse herzustellen, ist es erforderlich, es so aussehen zu lassen, als ob ich den Irrtum von Kamenew und anderen in ihrem konsequenten Festhalten am Bolschewismus liegen sähe, als ob ich sagen würde, „Seht, wie diese Genossen tatsächlich bis zum Ende die Linie von Lenins Formel verfolgten und dadurch zu Gefangenen des kleinbürgerlichen Revolutionarismus wurden". Ich habe aber nie behauptet, der Irrtum von Lenins Gegnern im Oktober läge in deren „konsequenter" Anwendung seiner Formel. Nein. Ihr Irrtum lag darin, dass sie sich der Leninschen Formel in einer nicht-leninistischen Weise bedienten; sie erkannten nicht den eigentümlichen und besonderen Weg, auf dem diese Formel Wirklichkeit wurde; sie verstanden nicht den Übergangscharakter dieser Formel von 1905, ihre Anwendbarkeit nur für ein spezielles Stadium; sie benutzten Lenins Wort, um mit einer auswendig gelernten Formel das Studium der Realität zu ersetzen; mit anderen Worten, sie verstanden Lenins Formel nicht auf leninistische Weise. Lenin selbst wies daraufhin und analysierte diesen Irrtum genauestens

Aus demselben Grund, nämlich um meine (richtiger: Lenins) Kritik an Kamenew und den anderen in eine vorgebliche Kritik am Leninismus zu verkehren, wurde es erforderlich, meinen Artikel von 1909 zu zitieren – nicht mein Vorwort von 1924, sondern meinen Artikel von 1909 – in dem ich auf die Gefahr aufmerksam machte, dass die Formel,,demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" auf einer bestimmten Stufe der Revolution ihre antirevolutionären Momente enthüllen würde. Ja, dies schrieb ich im Jahre 1909 in der Zeitschrift Rosa Luxemburgs. Dieser Artikel wurde Bestandteil meines Buches 1905, das nach 1917 mehr als einmal sowohl auf russisch als auch in anderen Sprachen wiederveröffentlicht wurde, ohne den geringsten Protest oder Einwand irgendeiner Seite, denn jedermann wusste, dass dieser Artikel nur aus der Zeit, in der er geschrieben wurde, verständlich war. Jedenfalls ist es grotesk, einige Sätze aus einem polemischen Artikel von 1909 herauszureißen und sie über mein Vorwort von 1924 zu kleben.

Was dieses Zitat von 1909 betrifft, so lässt sich mit vollem Recht sagen, dass ich darin nicht der Tatsache Rechnung trug, dass für mich die Formel, gegen die ich argumentierte, keine selbstgenügsame Größe, sondern ein Modell für ein bestimmtes Entwicklungsstadium darstellte. Ein solcher Vorwurf wäre berechtigt und würde von mir akzeptiert werden. Aber schließlich waren es gerade Genosse Kamenew und andere, die versuchten – gegen Lenin – diese dynamische Formel in ein Dogma zu verwandeln und es den Anforderungen der sich entwickelnden Revolution entgegenzusetzen. Und es war niemand anderes als Lenin, der sie darauf hinwies, dass ihre Position die notwendige Weiterentwicklung der Revolution aufhielt. Ich tat nichts anderes, als seine Ansicht und Kritik in einer sehr gemilderten und zusammenfassenden Form zu wiederholen. Wie lässt sich daraus irgendeine Tendenz zur Revision des Leninismus ableiten?

Das einzige, was sich hinsichtlich des fortwährenden Versuchs sagen lässt, einen „Trotzkismus" hervor zu kramen, der eigentlich längst durch die Geschichte zu den Akten gelegt worden war, ist folgendes: In seinem Vorwort solidarisiert sich Trotzki mit Lenins Position in der Frage des Übergangs von der demokratischen zur sozialistischen Revolution; doch gleichzeitig unterlässt es Trotzki, seine alte Formel von der permanenten Revolution zu verwerfen. Hieraus muss man schließen, dass Trotzki aufgrund der Erfahrungen der 1917er Revolution seine alte Formel im leninistischen Sinne interpretiert. Das ist die einzige Folgerung, die sich in dieser Hinsicht ziehen lässt – und selbst sie ist nicht aus dem Vorwort herzuleiten, in dem die Frage der permanenten Revolution, nachdem sie durch die Geschichte gelöst worden ist, gar nicht mehr auftaucht, sondern nur aus dem Vergleich des Vorworts mit meinen alten Artikeln, die die unterschiedlichsten politischen Entwicklungsstadien widerspiegeln. Und eine solche Folgerung wäre in einem bestimmten Grade zutreffend. Was mir bei der Formulierung der sogenannten permanenten Revolution wesentlich erschien, war die Überzeugung, dass die Revolution in Russland zwar als bürgerliche Revolution beginnt, aber nur durch eine sozialistische Diktatur vollendet werden kann. Wenn mich auch, worauf ich oben hinwies, zentristische Anwandlung hinsichtlich taktischer Fragen vom Bolschewismus trennten und in Opposition zu ihm brachten, so befand ich mich doch mit meiner grundsätzlichen politischen Überzeugung – dass die russische Revolution das Proletariat an die Macht bringen würde – in Opposition zum Menschewismus und tendierte damit in allen Stadien dazu, ins Lager des Bolschewismus zu wechseln. Aber dies gehört nur am Rande zu der Angelegenheit, die uns hier beschäftigt. Auf jeden Fall weise ich die mir unterstellte Auffassung als völlig absurd zurück, Lenin oder die Bolschewistische Partei seien auf „meine" Formel der Revolution übergeschwenkt, als sie die Irrtümlichkeit ihrer eigenen erkannt hatten.

Ich muss allerdings zugeben, dass sich hinsichtlich der Vorspiegelung eines Trotzkismus, der den Leninismus verdrängt, jede gewünschte Folgerung erreichen lässt, wenn man nur rücksichtslos Zitate der verschiedensten Perioden aus zwei Jahrzehnten benutzt und diese willkürlich zusammenwürfelt, besonders aber dann, wenn man mir Dinge nachsagt, die ich niemals geäußert habe. Wie allseits bekannt sein wird, hatten wir in dieser Debatte vor allem die Gelegenheit, die Formel „Kein Zar, sondern eine Arbeiterregierung" zu vernehmen. Ich glaube, dass nicht weniger als ein Dutzend Autoren (und wie viele Redner erst!) sich darin überschlugen, diese falsche politische Formel mir zuzuschreiben. Ich muss jedoch darauf hinweisen, dass der populäre Aufruf mit dieser Überschrift „Kein Zar, sondern eine Arbeiterregierung" im Sommer des Jahres 1905 von Parvus verfasst worden ist, der damals nicht im Lande war, wohingegen ich zu jener Zeit illegal in Petersburg lebte und nicht den geringsten Kontakt zu ihm hatte. Dieser Aufruf wurde mit Parvus' eigener Unterschrift von einem ausländischen Verleger veröffentlicht und niemals in Russland selbst nachgedruckt. Ich habe nie die Verantwortung für diese vereinfachende Formel von Parvus übernommen. Zur gleichen Zeit schrieb ich eine Reihe von Aufrufen, deren wichtigste durch die geheime Presse der Bolschewiki in Baku (im Sommer 1905) abgedruckt wurden. Einer davon richtete sich speziell an die Bauern. In keinem dieser Aufrufe, die nun wieder ausgegraben werden, ist irgendein „Überspringen" der demokratischen Phase der Revolution zu finden. Sie alle enthalten die Forderung nach einer Konstituierenden Versammlung und einer Agrarrevolution.

Die gegen mich gerichteten Artikel sind voll von Irrtümern dieser Art. Aber es ist nicht erforderlich, sich länger dabei aufzuhalten. Die Kernfrage ist schließlich nicht, welche Formel ich persönlich in irgendeinem der verschiedenen Stadien meiner politischen Laufbahn verwendet habe, um Aufgaben und Perspektiven der Revolution zu umschreiben, sondern ob heute – im Jahre 1924 – meine Analyse des leninistischen Herangehens an die fundamentale Frage der Taktik in ihrer inneren Verknüpfung mit dem Verlauf der Oktoberrevolution richtig ist.

Keiner meiner Kritiker hat einen Irrtum meinerseits zu diesem Bereich herausgefunden. Mit meiner theoretischen Interpretation der Oktoberrevolution stehe ich fest auf dem Boden des Leninismus, ebenso wie ich mich bei der praktischen Durchführung der Revolution in Einklang mit Lenin befand.*

5. Leninismus und Blanquismus

Kehren wir nun zu dem monströsesten und unhaltbarsten Vorwurf zurück. Sehen Sie, – ich habe Lenin als „Blanquisten" bezeichnet und mich selbst fast als Retter der Revolution vor Lenins Blanquismus. Nur die völlige polemische Blindheit kann jemanden zu so einer Anklage reizen.

Doch was ist der Vorwand für diese ganz unglaubwürdige Blanquismusdebatte?

Während der Demokratischen Konferenz im September schlug Lenin dem Zentralkomitee aus seinem Versteck in Finnland vor, den Tagungsort der Konferenz, die Alexandrinka, einzuschließen, ihre Mitglieder festzusetzen, die Peter-Paul-Festung zu erobern usw. Im September war es noch nicht möglich, diesen Plan im Namen des Petersburger Sowjets durchzuführen, weil die Bolschewiki noch zu wenig Einfluss in der Sowjetorganisation besaßen, die sich für diese Aufgabe darum nicht eignete: das Militärische Revolutionskomitee existierte noch nicht. In meiner Einleitung (S. 230 f.) sage ich in Bezug auf Lenins Septembervorschlag: ,Die obige Formulierung des Problems setzte voraus, dass die Vorbereitung und Ausführung des Aufstands durch die Partei und im Namen der Partei geschehen musste, und der Sieg anschließend vom Sowjet-Kongress hätte sanktioniert werden müssen." Aus irgendwelchen Gründen haben einige Genossen daraus geschlossen, dass ich Lenins Septembervorschlag für Blanquismus hielt. Ich verstehe absolut nicht, was das mit Blanquismus zu tun hat. Tatsächlich bedeutet Blanquismus die Absicht einer revolutionären Minderheit, die Macht ohne eine Basis in der Arbeiterklasse zu ergreifen. Aber das ganze Problem der Situation vom September – Oktober 1917 bestand darin, dass die Mehrheit der Arbeiter unserer Partei folgte, und diese Mehrheit sichtlich wuchs. Infolgedessen lautete die Frage, ob das Zentralkomitee der Partei mit Gefolgschaft der Mehrheit die Aufgabe übernehmen sollte, den bewaffneten Aufstand zu organisieren, die Macht zu ergreifen, den Sowjetkongress einzuberufen und die Revolution als vollendete Tatsache sanktionieren zu lassen. In Zusammenhang dieses Vorschlags von Blanquismus zu sprechen ist eine groteske Inhaltsverdrehung grundlegender politischer Konzepte.

Der Aufstand ist eine Kunst; das Problem des Aufstands lässt verschiedene Lösungen offen, die einen effektiver, die andren weniger. Lenins Septembervorschlag hatte den unzweifelhaften Vorteil dafür zu sorgen, den Gegner zu überraschen und ihm die Chance zu rauben, verlässliche Truppen aufzutreiben und zur Gegenoffensive überzugehen. Die Ungeschicklichkeit der Sache lag aber darin, bis zu einem gewissen Grade nicht nur den Gegner zu überraschen, sondern einen Teil der Arbeiter und der Garnison genauso. Dies hätte Konfusion in ihre Reihen tragen und so die Stoßkraft unseres Angriffs schwächen können. Eine wichtige Frage, jedoch eine rein praktische, die im Prinzip nichts mit dem Konflikt zwischen Blanquismus und Marxismus zu tun hat.

Wie jeder weiß, akzeptierte das Zentralkomitee Lenins Septembervorschlag nicht und ich stimmte in dieser Angelegenheit mit allen anderen. Angesprochen war keine allgemeine Definition der ganzen Entwicklungslinie, und sicher kein Konflikt zwischen Blanquismus und Marxismus, sondern eine spezifische konkrete Einschätzung der rein praktischen, teilweise technischen Bedingungen des Aufstands, während die politischen Vorbedingungen bereits abgeklärt waren.

In diesem Sinne habe ich herausgestellt, dass Lenin die rein praktischen Verhältnisse in Petersburg ,aus dem Untergrund' zu beurteilen hatte. Diese Worte haben ganz unerwarteten Protest ausgelöst. Und auch hier wiederhole ich nur, was Wladimir Iljitsch selbst dazu schrieb und sagte. Während des 3. Weltkongresses schrieb er ,zum Trost' einiger ungarischer Genossen, mit denen er am Vorabend des Kongresses rau umgegangen war, wegen ihrer extravaganten ,Links'-Tendenz. „Als ich selbst Emigrant war …, nahm ich einige Male einen ,linksextremen' Standpunkt ein, wie ich heute weiß. Im August 1917 war ich ebenfalls Emigrant und brachte in das Zentralkomitee unserer Partei einen viel zu ,linken' Vorschlag ein, der glücklicherweise glattweg abgelehnt wurde. Für Emigranten ist es ganz natürlich, häufig ,linksextreme' Haltungen anzunehmen."** Wir können sehen, dass Wladimir Iljitsch seinen eigenen Plan zu links nannte, und seine ,Linkstendenz' damit begründete, dass er zur Emigration verurteilt war. Hier habe ich ebenfalls nur Lenins eigene Einschätzung wiedergegeben. Nichtsdestoweniger hatte dieser vom Zentralkomitee zurückgewiesen Plan eine positive Wirkung auf den Lauf der Dinge. Lenin wusste, dass an Vorsicht und Bremsbereitschaft kein Mangel herrschte; deshalb drängte er jeden verantwortungsbewussten Parteiarbeiter und alle gemeinsam mit Macht dazu, den bewaffneten Aufstand als unaufschiebbare praktische Aufgabe anzusehen. Lenins Septemberbrief, der mit Blanquismus nichts zu tun hatte, war ein Teil dieser systematischen Druckausübung auf die Partei. Sein Nutzeffekt war, die Leute zu zwingen, die Probleme des Aufstands konkreter, energischer und mutiger in den Griff zu bekommen.

Eine weitere kritische Episode ist eng mit Kerenskis Versuch verknüpft, die Petersburger Garnison zu versetzen.

Ich halte mich nicht bei dieser Episode auf, weil ich irgendetwas Neues hinzuzufügen hätte, was nicht bereits bekannt wäre, sondern allein darum, weil mein Bericht davon Genossen Kamenew den Vorwand geliefert hat, die Sache so zu präsentieren, als ob ich meine ,korrekte' Politik Lenins ,unkorrekter', blanquistischen Politik gegenüberstellen wollte. Ich will hier nicht all die wirklich abstoßenden Argumente und Beleidigungen wiederholen, die diesbezüglich gemacht worden sind. Wenn ich den relevanten Teil meiner Einleitung erneut lese, bin ich mir sicher, dass sich, im Laufe der Zeit natürlich, nicht die Spur dessen darin findet, was mir zugeschrieben wird. Aber ich fand noch mehr in meiner Einleitung: es gibt darin einen Absatz, der sehr präzise die Möglichkeit einer Fehlinterpretation irgendeines ,speziellen' strategischen Plans von mir ausschließt, bezüglich der Petersburger Garnison. Folgendes steht in der Einleitung: „Als wir Bolschewiken im Petersburger Sowjet die Mehrheit bekamen, setzten wir nur die Methoden der Doppelherrschaft fort und vertieften sie. Wir verantworteten, den Plan zur Verlegung der Truppen an die Front zu revidieren. Durch diese bloße Maßnahme deckten wir den tatsächlichen Aufstand der Petersburger Garnison mit der Tradition und Methode der legalen Doppelherrschaft. Das war nicht alles. Während wir unsere Agitation zur Machtfrage auf die Eröffnung des zweiten Sowjetkongresses richteten, entwickelten und vertieften wir die bereits bestehenden Traditionen der Doppelherrschaft und bereiteten den Rahmen einer Sowjetlegalität für den bolschewistischen Aufstand auf gesamtrussischer Ebene vor."

Also ist die Darstellung in der Einleitung nicht im Namen irgendeiner Person, sondern im Namen der Partei gegeben (,wir Bolschewiken'). Und folglich ist die Darstellung des Kampfs um die Garnison nicht von irgendeinem Plan her entwickelt, sondern vom Regime der Doppelherrschaft, das wir von den Sozialrevolutionären und Menschewiken geerbt haben. Kerenski wollte die Truppen an die Front verlegen; das konnte traditionsgemäß nicht geschehen, ohne die Soldatenabteilung des Sowjets zu konsultieren. Der Generalstab wandte sich an das Präsidium der Soldatenabteilung, doch hier waren die Bolschewiken schon fest verankert. So entstand der Konflikt, der in seiner weiteren Entwicklung voller bedeutender Konsequenzen für die Oktoberrevolution war. In dieser Form habe ich die Episode der Petersburger Garnison beschrieben, in voller Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Gang der Ereignisse. Doch selbst das ist noch nicht alles. Wie um absichtlich die Möglichkeit irgendeiner Fehlinterpretation wie die des Genossen Kamenew auszuschalten, fuhr ich offen fort: „Unser,Trick' erwies sich hundertprozentig erfolgreich – nicht, weil er ein kunstvoller Plan war, den listige Strategen zur Vermeidung des Bürgerkriegs entworfen hatten, sondern weil er sich natürlich aus der Desintegration des versöhnlerischen Regimes und dessen klaffenden Widersprüchen ableitete." Das Wort ,Trick' steht in Anführungsstrichen, um anzuzeigen, dass es nicht die Frage von irgendjemandes persönlicher Schläue war, sondern aus der objektiven Entwicklung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Doppelherrschaft resultierte. Die Einleitung konstatiert geradezu, dass keine ,kunstvollen Pläne, von listigen Strategen entworfen' beteiligt waren. Also ist die Darstellung der Ereignisse nicht nur von der Seite der Partei, d. h. ihrer Repräsentanten im Sowjet gesehen, sondern offen und deutlich wird festgestellt, dass individuelle Pläne oder persönliche Schläue keine Rolle gespielt haben.

Worauf ist also die Versicherung gebaut, ich hätte meine eigene Politik auf Lenins Kosten übertrieben? Definitiv auf Nichts. Natürlich konnte Lenin von Finnland aus nicht alles von dieser Episode sehen und wissen, vom Ursprung an bis in alle Entwicklungsstufen verfolgen. Man mag annehmen, dass wenn Lenin rechtzeitig über alle Einzelheiten der Verhandlungen mit der Petersburger Garnison informiert gewesen oder direkt beteiligt gewesen wäre, seine Sorge über das Geschick der Revolution sich vielleicht verringert hätte. Doch hätte ihn das mit Sicherheit nicht davon abgebracht, all den Druck auszuüben, wie er es tat. Unzweifelhaft war seine Forderung richtig, die Macht vor der Eröffnung des Sowjetkongresses zu ergreifen, und nur durch seinen Druck ist das auch vollbracht worden.

6. ,Der kombinierte Staatstyp'

In den Oktoberdifferenzen war die zentrale Frage der bewaffnete Aufstand zur Machtergreifung. Wer Lenins Herangehen an diese Frage nicht gründlich versteht, der kann sicher die Oktoberdifferenzen selbst nicht verstehen. In diesem Zusammenhang möchte ich nun an einem Beispiel, das in der jetzigen Diskussion eine wichtige Rolle gespielt hat, zeigen, dass viele Genossen, die mich beschuldigen, vom Leninismus abzurücken, in Wirklichkeit Lenin nicht besonders kennen und nicht sehr intensiv über Lenins Behandlung der Machtfrage nachgedacht haben.

In der Einleitung bezog ich mich beiläufig auf die Tatsache, dass die Autoren des Briefes „Über die Gegenwärtige Situation" in ihrem Widerstand gegen die Machtergreifung gezwungen waren, ungefähr denselben Standpunkt wie Hilferding einzunehmen. Dieser hatte an einem bestimmten Punkt der deutschen Revolution von 1918-19, damals als Vorsitzender der USPD, vorgeschlagen, die Räte sollten in der demokratischen Verfassung verankert werden.

Dieser Vergleich von mir ist besonders ernstlich kritisiert worden. Zuerst werde ich angeklagt, Genossen Kamenews Position völlig falsch und entehrend mit der Hilferdings zu verknüpfen. Gleichzeitig erzählen sie mir, dass auch Lenin Aussagen gemacht hat, die Sowjets könnten mit der Konstituierenden Versammlung verbunden werden, und dass ich folglich wieder den Leninismus revidiere. Man wirft mir vor, die Übergangsphase nicht begriffen zu haben, als die Partei für Sowjetmacht kämpfte, aber zur gleichen Zeit die Konstituante noch nicht aufgegeben hatte. Schließlich denunziert man mich dafür, dass ich selbst bei der Agitation für die Sowjetmacht für die Einberufung der Konstituante gesprochen habe. Die Hauptanklage aber ist, wie in allen anderen Fällen, dass ich angeblich Lenins Position mit der Hilferdings verknüpfe; dies wiederum eine Revision des Leninismus, eine Herabsetzung des Leninismus. Sehen wir, ob dem so ist. Eine Klärung dieser hoch bedeutenden Episode wird ein deutliches Licht auf die Fragen der 1917er Debatte überhaupt werfen.

Es ist tatsächlich wahr, dass die Partei zu dieser Zeit für die Macht der Sowjets und gleichzeitig für die Einberufen einer Konstituierenden Versammlung kämpfte. Eine der populärsten Agitationsparolen versicherte, dass ohne die Machtübernahme der Sowjets die Konstituante nicht einberufen würde, und wenn sie einberufen würde, sie zum Instrument der Konterrevolution werde. Genauso stellten Lenin und die Partei das Problem dar. Der Weg zur Konstituante ging nicht durch die Provisorische Regierung und das Vorparlament, sondern über die Diktatur des Proletariats und der armen Bauern. Zumindest eine Konstituante, die ein zentraler Teil eines Arbeiter- und Bauernstaates sein sollte. Das war der kritische Punkt. Auf Lenins Weg zum Aufstand antworteten die Gegner der Machtergreifung mit Hoffnungen auf die Konstituante. Sie argumentierten (wie im Brief ,Über die Gegenwärtige Situation'), dass die Bourgeoisie ,nicht wagen würde', die Einberufung der Konstituante zu verhindern und auch nicht in der Lage sei, die Wahlen zu beeinflussen. Sie behaupteten, dass unsere Partei zu einer mächtigen Opposition von etwa 2/3 der Stimmen in der Konstituante werden würde. Das führte sie zu folgender Perspektive: „Die Sowjets, die sich im Leben verankert haben (?), können nicht zerstört werden. Die Konstituante wird Unterstützung für ihre revolutionäre Arbeit (?) allein bei den Sowjets finden können. Die Konstituante und die Sowjets, das ist der kombinierte Typ der Staatsinstitution, auf den wir zugehen."

Also heißt der kombinierte Typ des Staatssystems, dass über die Provisorische Regierung, das Vorparlament und die von ihnen einberufene Konstituante die Macht in den Händen der bürgerlichen Klassen verbleibt. Wir spielen in der Konstituante die Opposition und bleiben gleichzeitig die führende Partei in den Sowjets. Mit anderen Worten haben wir hier die Perspektive einer Fortführung der Doppelherrschaft, die eine bestimmte Zeit lang unter den professionellen Klassenkollaborateuren, den Sozialrevolutionären und Menschewiken möglich war, aber absolut unmöglich wurde unter Bedingungen, wo die Bolschewiki eine Mehrheit bei den Sowjets und eine Minderheit in der Konstituante gehabt hätten.

Natürlich hatte Lenins Position nichts damit gemeinsam. Er sagte: Zuerst werden wir die Macht ergreifen, dann die Konstituante einberufen und falls notwendig mit den Sowjets kombinieren. Worin unterschied sich Lenins Position von der der oppositionellen Autoren des Briefs ,Über die gegenwärtige Situation'? Hinsichtlich der zentralen Frage der Revolution: der Machtfrage. Lenin sah die Konstituante und die Sowjets beide als Organe ein und derselben Klasse an, oder eines Bündnisses der besitzlosen Klassen des Proletariats und der Dorfarmut. Die Frage der Kombination von Konstituante und Sowjets hatte für Lenin eine technisch-organisatorische Bedeutung. Für seine Gegner repräsentierten die Sowjets eine Klasse, das Proletariat und die Dorfarmut, und die Konstituante blieb das Organ der besitzenden Klassen. Einen solchen Kurs anzusteuern ist nur möglich, wenn man von phantasmagorischen Hoffnungen ausgeht, wie dass die machtlosen Sowjets als ,Revolver im Tempel der Bourgeoisie' dienen würden, und die Bourgeoisie ihre Politik mit den Sowjets ,kombinierte'.

Genau hier lag auch die Ähnlichkeit mit Hilferdings Position. In seinen linkslastigsten Augenblicken wandte sich Hilferding gegen die Diktatur des Proletariats mit dem Vorschlag, dass die Räte als Druckmittel auf die besitzenden Klassen in die Verfassung einzugliedern seien, d. h. als Revolver, der nicht schießt.

Oder ist dies noch unklar? Dann wenden wir uns dem Interpreten und Zeugen zu, der bei uns allen die meiste Autorität genießt: Lenin. Wenn meine Kritiker dies rechtzeitig und aufmerksam getan hätten, wäre ihren Lesern ein Großteil Konfusion erspart geblieben. Wenn wir Lenins Werke öffnen, finden wir im „Brief an die Genossen" vom 16./17. Oktober 1917 folgende bemerkenswerten Zeilen: „Unsere traurigen Pessimisten werden sich da nie und nimmer herausreden können. Der Verzicht auf den Aufstand ist der Verzicht auf die Übertragung der Macht an die Sowjets, ist ,Übertragung' aller Hoffnungen und Erwartungen auf die gütige Bourgeoisie, die ,versprochen' hat, die Konstituierende Versammlung einzuberufen. Ist es denn schwer zu begreifen, dass die Konstituierende Versammlung gesichert und ihr Erfolg garantiert ist, wenn die Macht in den Händen der Sowjets liegt? Das haben die Bolschewiki tausendmal gesagt. Niemand hat je den Versuch gemacht, das zu widerlegen. Einen solchen ,kombinierten Typus' ließen alle gelten. Aber mit dem Wörtchen kombinierter Typus' jetzt den Verzicht auf die Übertragung der Macht an die Sowjets einschmuggeln, heimlich einschmuggeln, weil man Angst hat, sich offen von unserer Losung loszusagen – was ist das? Kann man zur Charakterisierung dieses Verhaltens einen parlamentarischen Ausdruck finden? (Man beachte besonders die beiden letzten Sätze. L.T.) Man hat unserem Pessimisten treffend geantwortet: ,Eine Pistole ohne Kugel?' Wenn ja, so bedeutet das das direkte Überlaufen zu den Liberdan, die tausendmal die Sowjets für eine ,Pistole' erklärt und tausendmal das Volk betrogen haben, denn die Sowjets blieben unter ihrer Herrschaft eine Null.

Ist das aber eine Pistole ,mit Kugel', so bedeutet das eben die technische Vorbereitung des Aufstands, denn die Kugel muss beschafft, die Pistole geladen werden, auch wäre eine Kugel ein bisschen wenig. Entweder Übertritt zu den Liberdan und offener Verzicht auf die Losung ,Alle Macht den Sowjets' oder Aufstand. Einen Mittelweg gibt es nicht."5

Wenn man diese schlagenden Zeilen liest, dann scheint es, als ob Lenin in die gegenwärtige Diskussion eingriffe. Ohne sich von jemandem weitere Erklärungen anzuhören, stellt Lenin fest, dass die Formel ,kombinierter Staatstyp' benutzt wird, um politische Ideen einzuschmuggeln, die seinen – Lenins – konträr entgegenstehen. Und wenn meine Einleitung in gedämpftem Ton die Leninsche Charakterisierung des ,kombinierten Staatstyps' auf Basis der Doppelherrschaft wiederholt, so erklären meine Kritiker, dass ich das Banner des Leninismus schwingend den ,Trotzkismus' einschmuggle. Ist das nicht erstaunlich? Legt dies nicht den ganzen Mechanismus offen, mit dem die ,trotzkistische' Gefahr in der Partei erfunden worden ist? Wenn unter ,Trotzkismus' im alten Vorkriegssinn der Versuch zu verstehen ist, grundsätzlich unversöhnliche Tendenzen zu versöhnen, dann müsste in diesem Wortsinne der ,kombinierte' Staatstyp ohne Machtergreifung mit theoretischem Recht fraglos als ,Trotzkismus' bezeichnet werden. Ich allerdings war nicht der Befürworter dieses ,Trotzkismus'. Und ich bin nicht derjenige, der ihn nachträglich gegen Lenin verteidigt.

Ich nehme an und hoffe, dass diese Frage jetzt klar ist. Jedenfalls steht es nicht in meinen Kräften, sie noch klarer zu machen. Man kann nicht für Lenin etwas klarer sagen als er selber. Und immer noch tadelt man mich mit der Behauptung, dass selbst Mitglieder der Kommunistischen Jugend meinen Irrtum erfasst hätten. Nun ja! Im Schlepptau einiger älterer Genossen haben solche Kommunistische-Jugend-Mitglieder bloß demonstriert, wie miserabel sie den Lenin betreffs der grundlegenden Frage der Oktoberrevolution, der Machtfrage, gelesen oder verstanden haben.

Das Leninzitat, das unsere Debatte über den ,kombinierten Staatstyp' endgültig zusammenfasst und erschöpft, datiert von Mitte Oktober, d. h. wurde zehn Tage vor dem Aufstand verfasst. Später kam er jedoch auf das gleiche Problem zurück. Mit rücksichtsloser theoretischer Klarheit formulierte Lenin den revolutionär-marxistischen Standpunkt zu diesem Thema am 26. Dezember 1917, zweieinhalb Monate nach dem grade zitierten ,Brief an die Genossen'. Der Oktoberaufstand lag bereits seit längerem hinter uns. Die Macht lag in den Händen der Sowjets. Trotzdem fühlte Lenin, der nicht ohne zwingende Ursache alte Kontroversen künstlich am Leben erhielt, dass es nötig war, vor Einberufung der Konstituante auf den fraglichen Disput zurückzukommen. Folgendes lesen wir darüber in seinen ,Thesen über die Konstituierende Versammlung': „Jeder direkte oder indirekte Versuch, die Frage der Konstituierenden Versammlung vom formaljuristischen Standpunkt aus im Rahmen der gewöhnlichen bürgerlichen Demokratie, unter Außerachtlassung des Klassenkampfs und des Bürgerkriegs zu betrachten, ist Verrat an der Sache des Proletariats, bedeutet Übergang zur Position der Bourgeoisie. Es ist die unbedingte Pflicht der revolutionären Sozialdemokratie, jedermann vor diesem Fehler zu warnen, in den einige wenige bolschewistische Spitzenfunktionäre verfallen, die den Oktoberaufstand und die Aufgaben der Diktatur des Proletariats nicht richtig einzuschätzen vermochten."6

Man sieht, dass Lenin es für die „unbedingte Pflicht" hielt, Jedermann" vor dem schweren Irrtum, der um den ,kombinierten' Staatstyp herum aufgetaucht war, zu warnen. Er hielt es für notwendig, eine solche Warnung in rigidem Ton zu äußern, zwei Monate nach dem siegreichen Aufstand. Wir haben allerdings gesehen, dass der Gegenstand dieser Warnung von gewissen Genossen halb missverstanden und halb vergessen worden ist. Sie behält nichtsdestoweniger auf internationaler Ebene, und darum für uns alle ihre volle Bedeutung bis auf den heutigen Tag. Denn schließlich steht jede Kommunistische Partei vor der Aufgabe, den gegenwärtigen bürgerlich-demokratischen Staat zu stürzen. Dies ist eine enorm schwierige Aufgabe, die in den Ländern, wo die Demokratie schon seit langem existiert tausendmal schwieriger sein wird als für uns. Formal teilen alle Kommunisten den Standpunkt der ,Ablehnung' formaler Demokratie. Natürlich löst das überhaupt nicht das Problem. Relevant ist allein der revolutionäre Umsturz einer Demokratie, die tief in den nationalen Sitten und Gebräuchen verankert ist.

Der Druck der bürgerlich-demokratischen Öffentlichkeit stellt den stärksten Widerstand auf diesem Wege dar; das muss von vornherein verstanden und richtig bewertet werden. So ein Widerstand dringt unvermeidlich in die Kommunistische Parteien selbst ein und bringt in ihnen Gruppierungen hervor, die auf den Druck reagieren. Man kann sich schon im Voraus darauf verlassen, dass die typischste und verbreitetste Form des „Kollaborierens" mit der bürgerlichen Demokratie genau die Idee des ,kombinierten Staates' ist, zum Zweck der Vermeidung des Aufstands und der Machtergreifung. Das geht aus der ganzen Situation hervor, den ganzen Traditionen und den Zwischenbeziehungen der Klassen. Deshalb ist es notwendig, „jedermann zu warnen" vor dieser unvermeidlichen Gefahr, die sich für weniger ausgewogene Parteien als fatal erweisen könnte. Deshalb müssen wir den europäischen Genossen sagen: Seht nach Russland! Sogar in unserer außergewöhnlichen Partei haben demokratische Illusionen im entscheidenden Augenblick das Bewusstsein hervorragender Genossen ergriffen; auch wenn sie noch rechtzeitig zerstreut wurden. Diese Gefahr ist für euch unendlich größer. Bereitet euch darauf vor. Lernt aus den Erfahrungen des Oktobers. Überlegt sie in aller revolutionären Konkretheit, damit sie euch in Fleisch und Blut übergehen. Solche Warnungen loszulassen ersetzt nicht den Leninismus, sondern hält ihm tatsächlich die Treue.

Genosse Sinowjew fragt, ob die Vor-Oktober- und Oktoberopposition gegen die Machtergreifung eine rechte Gruppierung, eine rechte Tendenz oder eine rechte Fraktion war. Diese Frage, die anscheinend gar keine Frage ist, beantwortet Sinowjew im Negativen. Seine Antwort ist eine rein formale: weil die Bolschewistische Partei eine geschlossene ist, kann sie nicht im Oktober eine rechte Fraktion in ihrem Innern gehabt habe. Ganz offensichtlich aber ist die Bolschewistische Partei nicht in dem Sinne geschlossen, dass nie eine Rechtstendenz in ihr auftaucht, sondern dass sie stets erfolgreich mit ihr fertig wird. Das eine Mal schließt sie sie aus, das andere Mal absorbiert sie sie. Dies geschah in der Oktoberperiode. Daran gäbe es nichts zu deuten, wenn nicht genau in dem Moment, wo die Revolution ihr Reifestadium betreten hatte, eine Opposition gegen sie in der Partei auftrat. Dies war also eine Opposition von rechts und nicht von links. Als Marxisten können wir uns schließlich nicht selbst auf eine rein psychologische Charakterisierung der Opposition beschränken: ,Unsicherheit, Zweifel, Entschlusslosigkeit usw.' Dieser Wankelmut war von politischer Art und keiner anderen. Dieser Wankelmut stellte sich in Opposition zum proletarischen Kampf um die Macht. Der Opposition war ein theoretisches Fundament gegeben und sie ließ sich von politischen Parolen leiten.

Wie kann man sich weigern eine Parteiopposition politisch zu charakterisieren, die sich im kritischen Moment gegen die Machtergreifung durch das Proletariat stellt? Und warum soll nötig sein, sich einer politischen Bewertung zu enthalten? Ich lehne es ab, dies zu verstehen. Man kann das Problem natürlich in persönlicher und psychologischer Weise aufwerfen; beispielsweise, war ein Zufall oder nicht, dass dieser oder jener Genosse in den Reinen derer landete, die sich der Machtergreifung widersetzten? Ich habe diese Fragen überhaupt nicht aufgegriffen, weil sie auf einer anderen Ebene, als die der Bewertung der Parteigeschichte und -tendenzen liegt. Dass die Opposition einiger Genossen wochenlang, anderer dagegen monatelang währte, kann nur persönliche, biographische Bedeutung haben, betrifft aber nicht die politische Bewertung ihres Standortes. Ihre Haltung spiegelte den Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit auf die Partei in einem Moment wieder, wo sich tödliche Gefahren auf dem Haupt der bürgerlichen Gesellschaft sammelten.

Lenin warf den Vertretern der Opposition vor, einen ,fatalen' Optimismus hinsichtlich der Bourgeoisie und ,Pessimismus' hinsichtlich der revolutionären Kraft und Befähigung des Proletariats zu zeigen. Wer sich schlicht Lenins Briefe, Artikel und Reden aus dieser Periode durchliest, kann unschwer wie einen roten Faden die Charakterisierung der Opposition als eines rechten Flügels verfolgen, der den Druck der Bourgeoisie auf die proletarische Partei am Vorabend der Machteroberung reflektiert. Und diese Charakteristik ist nicht auf die Periode der harten Bekämpfung der rechten Opposition beschränkt, sondern wird von Lenin noch beträchtlich später wiederholt. So gegen Ende Februar 1918, 4 Monate nach der Oktoberrevolution, als Lenin während des ,wilden' Kampfs gegen die Linkskommunisten die Oppositionellen vom Oktober die ,Oktoberopportunisten' nannte (Lenin, ,Die revolutionäre Phrase'). Man könnte natürlich auch diese Wertung angreifen. Kann es Opportunisten in einer Opposition innerhalb der Bolschewistischen Partei geben? Aber diese Art formalistischer Argumentation besitzt keinen Sinn bei politischen Wertungen. Und dies war eine von Lenin vorgenommene und substantiierte politische Wertung, die im Allgemeinen in der Partei für erwiesen galt. Ich weiß nicht, jetzt ein Fragezeichen darüber gesetzt wird.

Wozu ist eine korrekte politische Wertung der Oktoberopposition gut? Weil sie internationale Bedeutung hat, die sich erst in Zukunft voll herausstellen wird. Hier gelangen wir geradewegs zu einer Hauptlehre des Oktobers, die nach der negativen Erfahrung des deutschen Oktobers neue gigantische Dimensionen bekommt. Diese Lehre werden wir in jeder proletarischen Revolution begegnen.

Unter den vielen Problemen der proletarischen Revolution gibt es ein absolut endgültiges und spezifisch konkretes: das Problem der revolutionären Parteiführung. Bei einem plötzlichen Wechsel in der Entwicklung läuft selbst die revolutionärste Partei Gefahr zurückzubleiben und die Parolen und Methoden des gestrigen Kampfes den neuen Aufgaben und Erfordernissen entgegenzustellen; Lenin hat dies oft gesagt. Und es kann in der Regel keinen schärferen Wechsel geben als den durch die Notwendigkeit eines bewaffneten Aufstands des Proletariats hervorgerufenen. Und hieraus entsteht die Gefahr des Ungleichgewichts zwischen der Parteiführung, der Parteipolitik als Ganzem und dem Verhalten der Klasse. Unter ,normalen' Bedingungen, d. h. wenn das politische Leben relativ langsam läuft, können solche Ungleichgewichte ohne jede Katastrophe ausgeglichen werden, sogar mit Verlusten. Aber zu Zeiten schwerer revolutionärer Krisen bleibt nicht genügend Zeit Ungleichgewichte zu beseitigen, und die Front sozusagen unter Beschuss zu begradigen. Die intensivsten Monate in einer revolutionären Krise gehen ihrer Natur nach sehr schnell vorüber. Widersprüche zwischen der revolutionären Führung und den objektiven Aufgaben der Revolution, Unsicherheit, Wankelmut und Abwartehaltung können manchmal im Laufe weniger Wochen, ja selbst Tagen Katastrophen herbeiführen und den Verlust all dessen, was in jahrelanger Arbeit vorbereitet wurde.

Natürlich können die Widersprüche zwischen Führung und Partei (oder Klasse oder Gesamtsituation) auch einen ganz entgegengesetzten Charakter haben, und zwar wenn die Führung der Entwicklung der Revolution voraus läuft, und den fünften Monat der Schwangerschaft für den neunten hält. Eklatantestes Beispiel dieser Art von Widerspruch war in Deutschland der März 1921. Dort gab es in der Partei eine extreme Ausprägung der ,ultralinken Kinderkrankheit' und als Ergebnis revolutionäres Abenteurertum und Putschismus. Auch diese Gefahr ist für die Zukunft eine sehr reale. Darum behalten die Ergebnisse des Dritten Weltkongresses ihre volle Gültigkeit.

Die deutsche Erfahrung des letzten Jahres aber zeigte uns in harten lebendigen Einzelheiten die gegenteilige Gefahr. Die Situation war reif, aber die Führung hinkte zurück. Während sich die Führung mit der Situation auseinandersetzte, änderte sie sich; die Massen zogen sich zurück und die Kräfteverhältnisse verschlechterten sich abrupt.

In der deutschen Niederlage vom letzten Jahr gab es sicherlich viele spezifisch nationale Züge, doch sah man auch ein paar grundtypische Sachen, die eine allgemeine Gefahr darstellen. Dies kann man als Krise der revolutionären Führung bezeichnen. Denn an ihrer Basis reagiert die proletarische Partei relativ viel geringer auf den Druck der bürgerlich-demokratischen Öffentlichkeit. Doch unvermeidlich werden bestimmte Elemente in den mittleren und oberen Gliederungen der Partei im entscheidenden Moment mehr oder weniger zu Opfern des materiellen und ideologischen Terrors der Bourgeoisie werden. Diese Gefahr kann man nicht beiseite wischen.

Natürlich gibt es für diesen Fall kein Sicherheitsventil für alle Gelegenheiten. Doch ist der erste Schritt im Kampf gegen diese Bedrohung das Verständnis ihrer Natur und Herkunft. Das Auftauchen oder Anwachsen einer rechten Gruppe in der Kommunistischen Partei in einer „Oktoberphase" drückt einerseits die enormen objektiven Schwierigkeiten und Gefahren aus und andererseits den immensen Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit. Das ist die essentielle Bedeutung einer rechten Gruppierung. Genau darum tauchen Unsicherheit und Wankelmut in der Kommunistischen Partei unvermeidlich dann auf, wenn sie am gefährlichsten sind. Die Schwankungen und Debatten hatten in unserem Falle einen Minimalcharakter, das machte bei uns den Oktober möglich. Das andere Extrem ist die Deutsche Kommunistische Partei, wo eine revolutionäre Situation verfehlt wurde und sich die innere Parteikrise so zuspitzte, dass es zur totalen Auswechselung des Führungsapparates kam. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Kommunistischen Parteien in ihren „Oktoberphasen" irgendwo zwischen diese zwei Extreme fallen. Die wichtigste Aufgabe jeder Partei und der Komintern insgesamt ist die Reduzierung der unvermeidlichen Krise der revolutionären Führung auf ein Minimum. Auf einfachem Wege kann hierzu das Verständnis unserer Oktobererfahrung und des politischen Inhalts der Oktoberopposition in unserer Partei beitragen.

7. Gegenwärtige Probleme

Um von Einschätzung und Lehren der Vergangenheit zu den aktuellen Problemen überzugehen, will ich mit einem halben, jedoch äußerst anschaulichen und zugespitzten Vorwurf beginnen, der mich beeindruckte, weil er ganz unerwartet kam.

Einer der Kritiker ging soweit zu sagen, dass ich in meinen Erinnerungen an Lenin die ,Verantwortung' für den Roten Terror auf Lenin wälze. Was bedeutet so eine Idee genau? Sie unterstellt offensichtlich ein gewisses Bedürfnis, sich selbst von der Verantwortung für den Terror als einem Instrument des revolutionären Kampfes zu distanzieren. Ich kann das nicht verstehen, weder politisch noch psychologisch.

Wahr ist, dass bürgerliche Regierungen, die durch Palastrevolutionen, Konspiration etc. zur Macht gelangen, immer das Bedürfnis gespürt haben, den Mantel des Vergessens über ihre Machtergreifung zu werfen. Verharmlosung und Verfälschung ihrer ,illegalen' Herkunft, Ausradierung aller Erinnerungen an blutige Gewaltanwendung sind die Dauereigenschaften jener bürgerlichen Regierungen, die gewaltsam zur Macht gekommen sind, sobald sie sich einmal konsolidiert und den nötigen konservativen Habitus entwickelt haben.

Aber wie kann ein solches Bedürfnis unter proletarischen Revolutionären auftauchen? Wir existieren seit sieben Jahren als Staat. Wir haben diplomatische Beziehungen selbst mit der erzkonservativen Regierung von England. Wir haben akkreditierte Botschafter. Aber wir weichen kein Jota von den Methoden zurück, die unsere Partei an die Macht gebracht haben, und die durch die Oktobererfahrungen in das gewaltige Arsenal der revolutionären Weltbewegung eingegangen sind. Heute haben wir nicht mehr Gründe, der revolutionären Gewalt zu entsagen oder sie zu verschweigen, als in den Tagen, wo wir gezwungen waren, Zuflucht zu ihr zu nehmen, um die Revolution zu retten.

Wir empfangen nicht nur akkreditierte Botschafter, wir lassen auch privatkapitalistischen Handel zu, eine Errungenschaft, die eine Menge Ideen à la Sucharewka-Markt wiederbelebt hat. Natürlich ist diese gesamtrussische Sucharewka gezwungenermaßen der Sowjetmacht unterstellt, träumt aber hoffnungsvoll davon, dass die ,illegal' und ,barbarisch' zur Macht gelangte Sowjetregierung etwas an Grazie gewinnt und möglicherweise eine wirklich ,zivilisierte', ,ehrenhafte' und demokratische, d. h. konservative bürgerliche Macht wird. Unter diesen Umständen würde nicht nur unsere eigene unterentwickelte Bourgeoisie, sondern auch die Weltbourgeoisie der Sowjetmacht ihre ,illegalen' Ursprünge nachsehen, sofern man sich sicher darin wäre, dass wir selber aufhörten, andere Leute daran zu erinnern. Aber da wir nicht daran denken, unseren Klassencharakter nur die Spur zu verändern, und unser revolutionärer Ekel vor der bürgerlichen Öffentlichkeit voll intakt ist, kann bei uns keine Notwendigkeit bestehen, unsere Vergangenheit zu widerrufen und die Verantwortung für den Roten Terror ,fort zu weisen'.

Was ist das für eine ganz unwürdige Idee bereits die Verantwortung Lenin aufzubürden. Wer könnte ihm dies ,aufbürden'? Er trägt bereits die volle Verantwortung dafür. Für den Oktober, die Revolution, den Umsturz der alten Ordnung, den Roten Terror, den Bürgerkrieg, – dafür trägt er die volle Verantwortung vor der Arbeiterklasse und der Geschichte und wird es ,alle Zeit hindurch' weiter tun.

Vielleicht aber ist das, was hier gemeint ist, eher der Exzess, die Überreaktion? Aber wann und wo sind Revolutionen je ohne Fälle von Übertreibungen und Exzessen abgelaufen? Wie oft hat Lenin diesen einfachen Gedanken den Philistern erklärt, die bei den Exzessen des Aprils, Julis und Oktobers vor Schreck zusammenbrachen.

Keine Macht der Welt kann Lenin vor der ,Verantwortung' für den Roten Terror befreien. Nicht einmal bestimmte über-gefällige ,Verteidiger'. Der Rote Terror war eine notwendige Waffe der Revolution; ohne ihn wäre sie untergegangen. Mehr als einmal sind Revolutionen aus Weichherzigkeit, Unschlüssigkeit und der allgemeinen Gutmütigkeit der Arbeiter gescheitert. Trotz all ihrer früheren Härteproben enthielt selbst unsere Partei Teile dieser gutmütigen und bequemen Revolutionshaltung. Niemand hatte die ganzen unglaublichen Schwierigkeiten der Revolution, ihre inneren und äußeren Gefahren so gründlich im Voraus durchdacht wie Lenin. Sogar vor dem Umsturz begriff er so klar wie kein anderer, dass die Arbeitermacht ohne Repressalien gegen die besitzenden Klassen, ohne Aktionen, die an die ernstesten Formen von Terror heranreichten, die die Geschichte kennt, durch Feinde von allen Seiten eingekreist sein würde und außerstande wäre zu überleben! Stück für Stück vermittelte Lenin seine Auffassung davon, die Umsetzung des guten Willens in Kampfbereitschaft an seine engsten Mitarbeiter und mit und durch sie an die ganze Partei und die Arbeitermassen. Genau darüber habe ich in meinen Erinnerungen an Lenin geredet. Ich beschrieb den Weg, wie Lenin während der ersten Tage der Revolution angesichts von Nachlässigkeit, Sorglosigkeit und übertriebenem Selbstbewusstsein vor drohender Gefahr und Katastrophe bei jeder Gelegenheit seinen Mitarbeitern sagte, dass die Revolution nur zu retten sei, wenn sie ihren Charakter in ernsthaftere Bahnen lenkte und sich mit dem Roten Terror bewaffnete. Das habe ich in meinen Erinnerungen beschrieben; und Lenins Scharfsichtigkeit, seine hohe Charakterfestigkeit, und seine revolutionäre Rücksichtslosigkeit, die neben seiner persönlichen Menschlichkeit bestand. Wer in meinen Worten nach mehr sucht, das Bedürfnis in ihnen entdeckt, die Verantwortung für den Terror ,vor Lenins Tür zu packen', bezeugt damit nur politischen Schwachsinn und psychologische Kleingeistigkeit.

Wenn ich mit giftigen Verdächtigungen so freigebig um mich werfen wollte wie einige Kritiker, dann würde ich vorschlagen, die Suche nach NEP-Tendenzen nicht bei mir zu beginnen, sondern bei denen, die auch nur den bloßen Einfall der Widerrufung des Roten Terrors haben. Wenn irgend jemand aus dem Sucharewka-Abschaum solche und ähnliche Anklagen ernst nimmt und Hoffnungen darauf baut, dann heißt das bloß, dass meine Ankläger ein Gespenst des Trotzkismus nach Maß der Sucharewka aufgebaut haben. Daraus lässt sich kein Zusammenhang zwischen diesem Gespenst und mir konstruieren.

Argumentationen, die sich aus der Marktideologie der Sucharewka herleiten, sind im allgemeinen mit größter Vorsicht zu genießen. Natürlich freuen sich unsere Gegner jeglicher Couleur an allen Differenzen und Debatten unter uns und versuchen, jeden Zwiespalt auszudehnen. Jedoch um aus ihren Einschätzungen diese oder jene Schlussfolgerung zu ziehen, muss man zuvor prüfen, ob sie wissen, wovon sie reden; denn nur eine seriöse, professionelle und solide begründete Einschätzung eines intelligenten Gegners kann symptomatische Bedeutung haben. Zum Zweiten muss geprüft werden, ob seine Ansichten eigens zur Verschärfung unserer Differenzen fabriziert worden sind, um Öl ins Feuer unserer Debatten zu schütten. Dies bezieht sich besonders auf die Emigrantenpresse, die keine unmittelbaren politischen Ziele erreichen kann, weil sie keine massenhafte Leserschaft besitzt und darum größtenteils darauf spekuliert, ein Echo auf ihre Anschauungen in der Sowjetpresse zu erzielen.

Ich will nur ein Beispiel zitieren, das mir allerdings typisch erscheint. Unsere Presse hat davon berichtet, dass der menschewistische ,Sotsialistitscheskij Westnik' während der letztjährigen Diskussion große Hoffnungen auf die ,Opposition' bzw. bestimmte Elemente in ihr gesetzt hat. Ich habe diese Berichte nicht nachgeprüft, räume aber gern ein, dass so scharf blickende Realisten wie Dan und Konsorten, die ihr Leben damit verbrachten, auf die Demokratisierung der Bourgeoisie zu warten, heutzutage voller Hoffnung sind auf die Menschewisierung der Bolschewistischen Partei. Zufälligerweise fiel mein Blick auf die Nr. 7 des rechts-menschewistischen Organs ,Sarja' (Morgendämmerung) und fand dort einen Artikel eines gewissen S. Iwanowitsch, der sich mit der folgenden Kritik gegen die Hoffnungen der Dans auf eine Evolution der Bolschewistischen Partei kehrte: „Vielleicht ist ihnen (Dan und Konsorten – L.T.) etwas über diese Opposition bekannt, wovon alle anderen nichts wissen. Aber wenn ihnen nicht mehr bekannt ist als uns auch, dann müssen sie ja wissen, dass grade unter den Oppositionellen innerhalb der RKP die allerutopischsten Befürworter der Diktatur, die dickschädeligsten Anwälte der Orthodoxie zu finden sind, deren Einfluss in dem kürzlichen Ausbruch linker Tollheit, der Anti-NEP-Linie, spürbar war. Wie sollen denn genau diese orthodoxen Oktober-Leute Dans Plattform zufolge ,fähige Elemente' darstellen, die ,auf Grund ihrer Position eine vorrangige Rolle bei der Vorbereitung der demokratischen Liquidierung der Diktatur spielen könnten'? In der Plattform heißt es, dies alles ließe sich unter dem Druck der Arbeiterbewegung, die langsam zu Klassenbewusstsein kommt herstellen'. Doch dies ist eine komplett willkürliche Hypothese, und dazu noch eine, die das Leben selbst widerlegt hat, noch bevor sie ihren Weg in die Plattform nahm. Denn grade unter dem Eindruck einer langen und stürmischen Streikwelle, die manchmal sogar zu politischen Forderungen vorstieß, hat die RKP-Opposition nach einer Stärkung der Diktatur, dem Blut der Bourgeoisie und einem neuen Kurs gerufen. In Wirklichkeit hat sich gezeigt, dass die Opposition die eingefleischtesten Demagogen der Diktatur hervorbringt; die Plattform dagegen hält Ausschau nach Elementen der Demokratie, die aus einer solchen Quelle entspringen soll Wie irrational von der Wirklichkeit, sich soweit von der Plattform zu entfernen!" (Sarja Nr. 7, S. 197) Ich zitiere diesen weißen menschewistischen Halunken in einem Aufsatz über unsere Parteiprobleme mit einem natürlichen Widerwillen. Der Gedanke liegt mir fern, politische Schlussfolgerungen aus diesem Zitat zu ziehen, – mit einer Ausnahme. Vorsicht vor den Kommentaren und Meinungen der Emigranten! Vorsicht vor bedarfsweise exzerpierten Beobachtungen der bürgerlichen Presse Europas!

Es ist stets nützlich, die Ansichten des Feinds zu beachten. Doch hat dies in kritischer Weise zu geschehen und ohne dem Feind mehr Durchblick zuzuschreiben, als er tatsächlich hat. Vergessen wir nicht, dass die Bourgeoisie blind und absolut unverständig über Dinge urteilt, die Hauptgegenstand unserer Arbeit sind. Vergessen wir nicht, dass die kapitalistische Weltpresse mehr als einmal in der Existenz der Sowjetherrschaft erklärte, dass Lenin versuche, Russland zurück zusteuern auf die national-konservative Bahn, dass aber die „Linken" ihn daran hinderten, eine Bezeichnung, unter der Bucharin, oder Sinowjew oder ich zu figurieren pflegten. Waren diese Ansichten wirklich für etwas anderes symptomatisch, als für das flachköpfige bürgerliche Denken angesichts der Aufgaben der proletarischen Diktatur? Es ist ganz und gar unzulässig, so vorzugehen, dass man die von Hoffen und Bangen geplagte bürgerliche Presse mit unseren eigenen künstlichen Anschuldigungen und Vorurteilen irreführt, und sodann den Zerrspiegel unserer eigenen Worte als bourgeoise Einschätzung auftischt, der man Beachtung schenken soll. So präsentieren wir Realitäten, die die Schatten von Gespenstern eigener Herstellung sind.

Um dem Gespenst des ,Trotzkismus' Umlauf und Nahrung zu geben, die man aus alten Zitaten zusammenklaubt, haben einige Kritiker, der Genosse Sinowjew besonders, laufende politische Fragen vorgeschoben, wenn auch in sehr allgemeiner und unbestimmter Form. Ich für meinen Teil habe keine Diskussion zu diesen Fragen initiiert. Und Genosse Sinowjew bezieht sich auch auf keine spezifischen Streitfälle in diesen Fragen.

Meine Einleitung gibt keine Basis zu ihrer Diskussion ab. Nirgendwo habe ich die Entschlüsse des 13. Parteikongresses angefochten, sondern sie in meiner Arbeit buchstabengetreu ausgeführt. Nichtsdestotrotz hat man meine Einleitung nicht vor dem Hintergrund der deutschen Revolution interpretiert, sondern vor dem der letztjährigen Debatte. In diesem Zusammenhang ist meine Einleitung zum Vorwand genommen worden, die Frage nach meiner ,Linie' als einer Einheit aufzuwerfen.

Genosse Sinowjew führt eine ganze Serie von Punkten an, die seiner Meinung nach meine Linie als eine solche charakterisieren, die gegen die Partei gerichtet ist. Angeblich versuche ich, die führende Rolle der Partei im Staat zu schwächen. Diesen Vorwurf kann ich nicht akzeptieren, nicht im geringsten. Um diese allgemeine Frage in ganz spezifischer Weise anzugehen, will ich nur daran erinnern, dass das Zentralkomitee sich jüngst in einer Reihe politischer Stellungnahmen ein weiteres Mal und absolut kategorisch dagegen ausgesprochen hat, dass Parteikörperschaften sich selbst an die Stelle lokaler Instanzen der Sowjetmacht setzen. Sieht dies nach einer Schwächung der Rolle der Partei aus? Keinesfalls; der angemessene Vollzug dieser Linie wird die Rolle der Partei lediglich kräftigen und konsolidieren. In diesem Rahmen kann es natürlich zu Unterschieden praktischer Natur kommen. Bezüglich solcher Differenzen führt Genosse Sinowjew jedoch keine Beispiele an, weil es in unserer praktischen Arbeit keine gegeben hat.

Keineswegs kann ich auch die Anschuldigung akzeptieren, dass ich versuche, die Partei nach dem Muster der englischen Labour Party in ein Konglomerat von Fraktionen und Gruppierungen zu verwandeln. Der groteske Charakter dieser Behauptung spricht für sich selber. Ob mein Verständnis der Lehren des Oktober zutreffend ist oder nicht, – es ist jedenfalls ganz unmöglich, mein Buch über den Oktober als Werkzeug der Fraktionierung anzusehen. Ein solches Ziel habe ich selbst mir nicht gesetzt, und nicht setzen können, denn ganz allgemein ist es eine absurde Idee, dass in einer regierenden Partei mit Massenmitgliedschaft eine ,Gruppierung' auf der Grundlage von historischen Interpretationen einzurichten wäre.

Ich will nicht auf ,Spezialfragen' wie Finanzen, Staatsplanungskommission usw. eingehen, weil ich hier überhaupt keinen Gegenstand zur ,Diskussion' sehe, noch in irgendeiner Hinsicht Vorwände geliefert hätte, diese Fragen neuerlich anzuschneiden.

Zurück bleibt das Problem meiner Unterschätzung der Bauernschaft, als der angeblichen Quelle meiner Irrtümer, der realen und der eingebildeten. Ich will mich nicht darüber verbreiten, dass mein Irrtum von Brest-Litowsk nicht aus der Ignorierung der Bauern stammte – ich rechnete nicht darauf, dass sie einen revolutionären Krieg durchhalten würden – sondern auf der Hoffnung beruhte, dass sich die revolutionäre Bewegung in Deutschland rascher entwickelte.*** Doch angesichts zukünftiger Zeiten fühle ich mich zu einer Auseinandersetzung mit diesem grundlegenden und doch so konturlosen und hartnäckigen Vorwurf veranlasst

Vor allem ist es nötig, die groteske Idee zurückzuweisen, dass die Formel ,permanente Revolution' für mich eine Art Fetisch oder religiöses Symbol darstellt, aus dem ich alle politischen Schlussfolgerungen ableite, besonders in Bezug auf die Bauernschaft. Diese Darstellung ist äußerst unrichtig. Seit der Zeit, wo ich über die permanente Revolution geschrieben habe, um mir den zukünftigen Verlauf der Revolution zu verdeutlichen, sind viele Jahre vergangen. Die Revolution selbst ist gemacht, und die reichhaltige Erfahrung des Sowjetstaates bekannt geworden. Kann irgendjemand ernsthaft glauben, dass meine jetzige Haltung zur Bauernschaft nicht von der kollektiven Erfahrung der Partei abhängt sondern von denen meiner Person und theoretischen Reminiszenzen, wie ich mir in diesem und jenem Jahr die Entwicklung der russischen Revolution vorstellte?

Wir sind durch die Periode eines imperialistischen Krieges gegangen, durch das Kerenski-Regime, die Agrarkomitees, die Bauernkongresse, den Kampf gegen die rechten Sozialrevolutionäre und die Tage der Non-Stop-Versammlungen der Soldaten-Deputierten im Smolny, als wir um Einfluss unter den Bauern-in-Waffen kämpften; aus all dem haben wir etwas gelernt. Da war die Erfahrung des Brest-Litowsker Friedens, wo ein bedeutsamer Parteiflügel aus Alt-Bolschewiken, die nichts mit der ,permanenten Revolution' zu tun hatten, Hoffnungen auf den revolutionären Krieg setzten, und der Partei durch ihre Fehler eine wichtige Lehre vermittelten. Da war die Aufbauphase der Roten Armee, wo die Partei über eine Reihe von Versuchen ein militärisches Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern herstellte. Da war die Periode der Getreide-Requisitionen und der daraus entstandenen ernsten Klassenkonflikte usw.

Dann nahm die Partei Kurs auf den Mittelbauern und das führte schrittweise zu einem substantiellen Orientierungswechsel in der Partei, allerdings auf der gleichen Prinzipiengrundlage. Nachher wurde der Übergang zur NEP vollzogen und der freie Getreidehandel mit allen Konsequenzen eingeführt.

Kann man tatsächlich in die eine Waagschale diese ganze gewaltige geschichtliche Erfahrung werfen, von der wir allesamt zehren, und in die andere meine alte Formel der Permanenten Revolution, die mich angeblich immer und überall, gleichgültig gegen konkrete Bedingungen, zur Unterschätzung der Bauern führt? Das ist unglaubhaft und unrichtig. Ich weise eine derart theologische Haltung zur Formel der Permanenten Revolution zurück.

Diese Formel selbst reflektiert ein Entwicklungsstadium, das wir längst passiert haben. Heutzutage wird sie hervorgezogen und aufgeblasen, weil es anderweitig schwierig wäre, einen Grund für die jetzige angebliche ,Unterschätzung der Bauern' aufzutreiben und das Gespenst des Trotzkismus zu beschwören.

In seinem Artikel zur Arbeiter- und Bauerninspektion (Rabkrin) schrieb Lenin, dass die politische Hauptgefahr, die unter Umständen Quelle einer Parteispaltung werden könne, die Trennung zwischen Proletariat und Bauernschaft sei, als den zwei fundamentalen Klassen, deren Zusammengehen unabdingbar für die Entwicklung und Entfaltung der Oktobererrungenschaften wäre.7 Wenn wir diese Gefahr aus der Interessenperspektive der zwei Fundamentalklassen angehen, steht folgendes fest: Nur durch die Aufrechterhaltung einer gewissen Balance zwischen den materiellen Interessen der Arbeiter und Bauern können wir die politische Stabilität des Sowjetstaates sichern. Diese Balance muss von der regierenden Partei unter stets sich verändernden Umständen hergestellt werden, da ja das ökonomische Niveau des Landes fluktuiert; ebenso wie der Beitrag jedes der beiden Partner zu den gesellschaftlichen Unternehmen, wie der Betrag, der beiden vom Privatkapital gestohlen wird und wie das Äquivalent, das beide Partner für ihre gegenseitigen Dienste erhalten.

Was kann unter diesen Umständen die Unterschätzung der Bauern oder mangelnde Aufmerksamkeit ihnen gegenüber wirklich bedeuten? Wenn der führende Partner der Allianz, das Proletariat, durch die Partei versucht, seine eigne Basis, d. h. die Industrie so schnell wie möglich zu stabilisieren, dann wird der Bauernschaft eine zu große Last aufgebürdet. Das könnte auf Initiative der Bauern einen politischen Bruch herbeiführen. Soweit diese ungeduldige und schmalspurige Tendenz aufgetreten ist, haben wir sie als trade-unionistische und nicht kommunistische Linie charakterisiert, die sich ausschließlich um Fragen des Jobs kümmert. Die Frage des heutigen Anteils des Proletariats an der Nationalwirtschaft, so extrem wichtig sie auch ist, kann nicht über die Frage gestellt werden, wie die Diktatur des Proletariats als Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus erhalten bleibt. Ich denke, dass wir alle darin übereinstimmen und auch nicht erst seit gestern.

Es ist uns allerdings auch etwas anderes klar, und zwar, dass uns die gleiche historische Gefahr eines Bruches von der entgegengesetzten Seite droht. Wenn sich die Verhältnisse dahin entwickeln, dass das Proletariat zu zu vielen Opfern gezwungen wird, um das Bündnis zu erhalten, wenn die Arbeiterklasse über eine Reihe von Jahren zu dem Schluss kommt, dass es im Namen seiner politischen Diktatur einer extremen Selbstverleugnung seiner Klasseninteressen zustimmen muss, würde das den Sowjetstaat von der anderen Seite her untergraben.

Wir sprechen über diese zwei Seiten derselben historischen Gefahr eines Bruches zwischen Proletariat und Bauern nicht, weil wir sie für bevorstehend und dringlich halten. Keiner von uns denkt daran. Wir betrachten eine solche Gefahr aus der historischen Perspektive, um uns in der Tagespolitik besser orientieren zu können. Diese kann fraglos nur eine Politik des Manövrierens sein, die mit größter Aufmerksamkeit die Resonanz der Basis beachtet, mögliche Klippen umschifft und sorgfältig steuernd das rechte wie das linke Ufer vermeidet. Es steht gleichfalls außer Frage, dass im gegenwärtigen Stadium das Interessengleichgewicht umgeworfen worden ist, hauptsächlich zum Vorteil des Dorfes; dies muss ernsthaft bedacht werden, in ökonomischer und politischer Hinsicht.

Die oben vorangestellten allgemeinen Erwägungen beziehen sich zuerst und vor allem auf die Industrieentwicklung und ihre günstigste Entwicklungsrate.

Wenn der Sowjetstaat sich auf Basis der Allianz von Arbeitern und Bauern aufrechterhält, dann stützt sich die sozialistische Diktatur des Proletariats auf die staatliche Industrie und staatliche Transportmittel. Ohne sozialistische Diktatur wäre der Sowjetstaat ein Körper ohne Seele. Er wäre unausweichlich zur bourgeoisen Degeneration verurteilt. Jedoch beruht die Basis der sozialistischen Diktatur, die Industrie, auf der Landwirtschaft. Aber diese Abhängigkeit besteht auch umgekehrt. Die Landwirtschaft hängt ihrerseits auch von der Industrie ab. Von diesen beiden Elementen ist die Industrie das dynamischere und vorwärts preschende. Den stärksten Einfluss, den die Sowjetmacht auf das Dorf ausüben kann, geht über Industrie und Transport. Alle anderen Einflussmöglichkeiten, so wichtig sie an und für sich auch sind, bleiben stets zweitrangig. Ohne ein deutliches Wachstum der Staatsindustrie, ohne die Stärkung ihrer organisierenden Wirkung auf das Dorf müssen die restlichen Maßnahmen kraftlos bleiben.

Die industrielle Entwicklungsrate, deren Beschleunigung in beider Interesse ist, des Dorfes und der Stadt, hängt selbstverständlich nicht allein von unserem guten Willen ab. Hier bestehen objektive Grenzen, wie das Niveau der Landwirtschaft, die gegenwärtige Industrieausrüstung, das Vorhandensein von Kapital, das allgemeine Kulturniveau usw. Jeder Versuch, diese Grenzen zu überspringen, würde sich sowohl am Proletariat wie an den Bauern bitter rächen. Die Gefahr wäre jedoch nicht geringer, wenn die Industrie heute dem ökonomischen Aufschwung des restlichen Landes hinterher hinkte. Das würde solche Erscheinungen nach sich ziehen wie Warenhunger und Anstieg der Einzelhandelspreise, was seinerseits zur Bereicherung des Privatkapitals führen müsste Wenn die Rate der sozialistischen Akkumulation und industriellen Entwicklung nicht unbegrenzt sein kann, dann ist sie andererseits nicht nur durch ein gewisses Maximum, sondern auch ein gewisses Minimum bestimmt. Dieses Minimum ergibt sich exakt aus dem Wettbewerb mit dem Privatkapital im Inneren, und dem Druck des internationalen Kapitals von außen.

Die Gefahren, die sich aus unserer Gesamtentwicklung ableiten, haben einen zweiseitigen Charakter. Die Industrie kann nicht zu weit vorauseilen, weil ihr dann die nötige ökonomische Basis fehlen würde. Genauso gefährlich ist es jedoch zurück zu hinken. Jeder Verzug, jedes Versäumnis der Staatsindustrie bedeutet Wachstum ihres Rivalen, des Privatkapitals, Anwachsen der Kulaken und Ausdehnung ihres ökonomischen und politischen Einflusses im Dorf. Ein Rückstand in der Industrie bedeutet eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse von der Stadt zum Dorf und innerhalb des Dorfes von den armen Bauern zu den Kulaken des neuen Sowjettyps. Das Proletariat, von dieser Veränderung im Gravitationszentrum geschwächt, ist folglich zu weiteren ökonomisch-politischen Konzessionen im Namen der Erhaltung der Arbeiter- und Bauernallianz gezwungen. Es liegt allerdings auf der Hand, dass auf diesem Weg die Diktatur des Proletariats von ihrem sozialistischen Inhalt geleert würde.

Dementsprechend werden alle Probleme und Gefahren, die aus der Übergangsphase unserer ökonomischen Entwicklung entstehen, – nimmt man sie nun zusammen oder jedes für sich – stets einen zweiseitigen und keinen einseitigen Charakter haben, weil das Proletariat den Aufbau des Sozialismus auf einer millionenfachen Basis von Kleingewerbetreibenden vornimmt.

Das Erzwingen einer zu schnellen Wachstumsrate der Industrie ist genauso gefährlich, wie ein Verlangsamen dieser Rate.

Ich hoffe doch, dass diese Erwägungen gar keiner Diskussion bedürfen. Sie mögen als zu allgemein angegriffen werden, doch ist es noch weit allgemeiner und unbestimmter, mich der Unterschätzung der Bauern zu beschuldigen, von der Einseitigkeit ganz zu schweigen! Die Bauern müssen nicht besonders und separat „eingeschätzt" werden, sondern im Rahmen der wechselhaften Balance der Klassen. Da gibt's keine mathematische Formel vorweg, die uns mitteilen würde, wie weit man im Interessenausgleich von Proletariat und Bauern gehen darf und wann man stoppen muss. Solch eine Formel gibt es überhaupt nicht. Man muss sich in der Situation selber durch aktives und konstantes Manövrieren zurecht finden. Dieses Manövrieren jedoch hat nicht diesen prinzipienlosen Hin-und-Her-Charakter, wie ihn die Menschewiken und Anarchisten schildern, und wird ihn auch nie haben. Unser ökonomisches und politisches Manövrieren reduziert sich auf eine Reihe von Maßnahmen, auf dem Arbeiter-und Bauernbündnis basierend, durch die die Diktatur des Proletariats und folglich die Möglichkeit weiteren sozialistischen Aufbaus gewährleistet werden kann. Das ist unser oberstes Kriterium.

Die hartnäckige Anschuldigung der „Unterschätzung der Bauern", so verkehrt in ihrer Einseitigkeit, ist desto schädlicher durch ihre unvermeidliche Erzeugung von Ängsten, die, wenn auch völlig grundlos, darauf hinauslaufen, dass eine theoretische Basis für einen Kurswechsel von der sozialistischen Diktatur zu einer Bauern- und Arbeiterdemokratie geschaffen wird. Dies ist natürlich Unsinn. Bei voller Manövrierfreiheit steht unsere Partei von A bis Z auf unserem Programm der sozialistischen Umgestaltung der gesellschaftlichen Beziehungen. Das ist das uns von Lenin hinterlassene Haupterbe, dass wir einmütig durchzuführen versprochen haben. Und wir werden es machen.

1 Lenin, Briefe über die Taktik, Lenin Werke, Bd. 24, S. 27

2 Ebd. S. 33

3 Briefe über Taktik, a.a.O., S. 27

4 ebd. S. 33

* Ein Autor ist sogar mit der Beschuldigung gekommen, dass ich den Oktober à la Suchanow interpretiere. Dann referiert er als Gegensatz Lenins wohlbekannte Artikel über Suchanows Buch. Offensichtlich widerspricht der Trotzkismus dem Leninismus! Unser werter Herr Autor ist ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Am 5.2.1923, also lange vor Lenins Kommentar, schrieb ich einen Brief an die Herausgeber der Prawda, wo ich unter anderem folgende Charakteristik des Buches von Suchanow gab: „In den letzten Tagen habe ich einen der kürzlich erschienenen Bände von Suchanows ,Erinnerungen an die Revolution' durchgeblättert. Ich glaube, dass man eine vernichtende Rezension zu diesem Buch bringen muss. Eine weitergehende Karikatur intellektuellen Egozentrismus ist wohl kaum vorstellbar. Erst kriecht er (Suchanow) zu Kerenskis Füßen, dann hakt er sich am linken Arm von Zeretelli und Dan unter, um ihnen auf höfliche Art und Weise Verhaltensmaßregeln zu geben, um dann den Bolschewiki eine Lektion über wirklich revolutionäres Verhalten zu erteilen. Suchanow war so benebelt, dies netterweise immer noch zu tun, als sich Lenin nach den Julitagen in den Untergrund begeben musste. Er selbst (Suchanow) hätte so etwas niemals getan." usw. In der Prawda erschien dann auch eine Besprechung, die im Geiste meines Briefes geschrieben war und sogar Teile daraus enthielt. Der Leser wird daraus ersehen, wie sehr ich doch mit der Sicht der Revolution ,à la Suchanow' geschlagen bin. L.T.

** In diesen Zeilen steht ein Druckfehler: der bewusste Plan wurde nicht im August, sondern im September verfasst. L. T.

5 Lenin, Brief an die Genossen, LW Bd. 26, S. 187

6 Lenin, Thesen über die Konstituierende Versammlung, LW Bd. 26, S. 380 f.

*** Ich kann hier jedoch nicht umhin, die barbarischen Verdrehungen der Geschichte von Brest-Litowsk durch Kuusinen zu kommentieren. Seine Version lautet so: ich ging nach Brest-Litowsk mit Instruktionen der Partei, im Falle eines Ultimatums den Vertrag zu unterschreiben. Dies durchbrach ich auf eigene Faust und verweigerte die Unterschrift. Das ist eine grenzenlose Lüge. Ich ging nach Brest-Litowsk mit dem einen Auftrag: die Gespräche so weit wie möglich hinzuziehen und im Falle eines Ultimatums eine Vertagung auszuhandeln, nach Moskau zurückzukehren und mit dem Zentralkomitee eine Entscheidung zu treffen. Nur Genosse Sinowjew schlug vor, mich zu einer unmittelbaren Zeichnung des Vertrags zu instruieren. Das aber wurde von allen anderen, eingeschlossen Lenin, verworfen. Jeder wusste natürlich, dass eine Verzögerung der Verhandlung die Kampfbedingungen verschlechtern würde. Doch fanden alle, dass dieser Minus-Faktor durch die positive Propagandawirkung ausgewogen würde.

So ging ich in Brest-Litowsk vor. Als die Lage auf ein Ultimatum zusteuerte, erreichte ich einen Konsens, die Verhandlungen zu unterbrechen, und die Frage wurde im Zentralkomitee diskutiert. Nicht ich, sondern das Zentralkomitee beschloss auf meine Initiative hin, nicht zu unterschreiben. Das war auch die Entscheidung der Gesamtrussischen Parteikonferenz. Ich ging ein letztes Mal nach Brest-Litowsk mit der absolut klaren Entscheidung der Partei, den Vertrag nicht zu unterschreiben. Das alles kann man auch in den Protokollen des Zentralkomitees leicht nachprüfen. Kuusinen dagegen hat die Geschichte von Brest-Litowsk völlig entstellt, allerdings räume ich die Möglichkeit ein, dass dies nicht aus bösem Willen, sondern aus Mangel an Information und Verständnis geschehen ist. L. T.

7 Lenin, ,Wie wir die Arbeiter- und Bauerninspektion reorganisiseren sollen', 13. 1. 23, LW Bd. 33

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