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Leo Trotzki 19270510 Kommunistische Partei und Guomindang

Leo Trotzki: Kommunistische Partei und Guomindang

[Nach Schriften 2.1, Hamburg 1990, S. 222-227, dort mit umfangreichen Fußnoten]

Ich glaube, die neue Situation macht es erforderlich, die Frage der Beziehungen zwischen KP und Guomindang noch einmal zu überprüfen. Warum sollten wir in der linken Guomindang bleiben?

1. In diesem Zusammenhang wird häufig folgendermaßen argumentiert: »Wir sollten in der Guomindang bleiben, um die Arbeiter und die Bauern, die ja der linken Guomindang folgen, auf die Seite der KP zu ziehen.« Diese Argumentation lässt sich wohl kaum aufrechterhalten. Hinter der Sozialdemokratie und hinter Amsterdam stehen sehr viel mehr Arbeiter als hinter der Guomindang. Dasselbe Argument gilt auch für das Anglo-Russische Komitee.

In der Regel treten wir, wenn wir die Arbeiter von einer Organisation losreißen und auf unsere Seite ziehen wollen, nicht in diese Organisation ein, sondern aus ihr aus.

2. Als zweites Argument wird vorgebracht: »Jetzt, wo man sowohl uns als auch die linken Guomindang-Genossen aufs Haupt schlägt, ist ein Austritt nicht zu vertreten.« Ich glaube, dass es in einer Phase, in der man uns schlägt, noch gefährlicher ist, die Organisationen miteinander zu vermengen, als dann, wenn wir selbst losschlagen. Davon legen die Erfahrungen Bela Kuns in Ungarn beredtes Zeugnis ab. In derart schwierigen Situationen erkennt man am deutlichsten, was revolutionäre Standhaftigkeit heißt. Wenn wir mit den Wang Jingweis in einer Organisation blieben, müssten wir auch unseren Teil der Verantwortung für ihr Schwanken und ihren Verrat übernehmen. Nein, wir wollen den Feind gemeinsam schlagen, aber die politische Verantwortung soll jeder für sich tragen!

3. Aus dem ersten Argument folgt, dass wir so lange in der linken Guomindang bleiben müssten, bis wir alle Arbeiter und Bauern von ihr getrennt haben. Aber dann werden wir nie aus der Guomindang austreten: erstens, weil das nationaldemokratische Banner Chinas noch lange Zeit nicht nur Bauern, sondern auch Arbeiter anziehen wird, zweitens, weil wir, wenn wir in der Guomindang bleiben, die Arbeiter nicht zwingen, zwischen der KP und der Guomindang zu wählen.

Für die Bauern kann die Guomindang, wie es bei uns [in Russland] mit den Sozialrevolutionären ging, bis zur Diktatur des Proletariats die maßgebliche Partei bleiben. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit eines Blocks.

Das zweite Argument besagt, wir sollten bis zum Ende unseres Rückzugs (unserer Vernichtung) in der Guomindang bleiben. Aber an Stelle des Rückzugs könnte es auch zu einem Angriff kommen, und dann wird man sagen: Der Angriff darf nicht durch den Austritt aus der Guomindang desorganisiert werden.

4. Die Analogie mit dem Eintritt der britischen KP in die Labour Party entfällt von selbst. Die britische Labour Party ist ihrer Zusammensetzung nach eine proletarische Partei. Ihre politische Differenzierung entwickelt sich relativ langsam. Die Guomindang hingegen ist eine »Partei« verschiedener Klassen. Hier vollzieht sich die politische Differenzierung infolge der Revolution äußerst rasch. Die KP bleibt fortwährend hinter dieser Differenzierung zurück.

5. Nach dem Staatsstreich von Tschiang Kaischek spitzt sich die Frage weiter zu. Offenbar war es Wang Jingwei, der auf dem letzten Guomindang-Plenum die niederträchtigsten, gegen die KP und die Arbeiterklasse gerichteten Anträge vorgebracht hat. Das war am Vorabend des Staatsstreichs. Alles deutet darauf hin, dass die Hankou-Regierung diese Linie fortsetzt, während die KP als linke Opposition in der Guomindang verbleibt. Und aus Moskau verlautet tatsächlich: »In der Guomindang bleiben – bei voller (?) politischer und organisatorischer (?) Selbständigkeit.« Was bedeutet das aber praktisch? Stehen doch in Hankou alle diese Fragen auf des Messers Schneide. Das ZK der chinesischen KP ist offenbar außerstande zu begreifen, was wir eigentlich vorschlagen. Unklarheit ist aber in solchen kritischen Augenblicken das Allerschlimmste.

6. Ferner wurde folgendes Argument vorgebracht: Es ist unbedingt notwendig, aus der Guomindang auszutreten, zur Vorbereitung muss man aber der KP gewisse Fristen einräumen. Diese Formulierung des Problems lässt sich am ehesten akzeptieren. Doch muss man das der KP Chinas dann auch offen sagen. Die Vorbereitung soll offenbar darin bestehen, dass auf den Austritt aus der Guomindang ein Block mit ihr sowie Zusammenarbeit auf der ganzen Linie folgen soll, allerdings unter Teilung der politischen Verantwortung. Leider hat man diese rein praktische Frage zur Zeit zurückgestellt und durch allgemeine Argumente ersetzt, wie wir sie oben kurz erörtert haben.

7. Außer Zweifel steht, dass, wenn die KP in der linken Guomindang bleibt, auch weiterhin ihre Politik von ihrer organisatorischen Abhängigkeit geprägt sein wird. Bedenkt man, wie jung und unerfahren die chinesische KP ist, so kann das nur dazu führen, dass sie alle Fehler der Vergangenheit wiederholt.

Im Brief des Genossen Radek vom 3. März wurde die Notwendigkeit, noch eine gewisse Zeit in der Guomindang zu bleiben, folgendermaßen begründet: »Die Aktionen der Guomindang – genauer gesagt, ihres rechten Flügels und ihres militärischen Teils –, die den Interessen der Gutsbesitzer und der Kapitalisten entsprechen und sich gegen die Interessen der Massen richten, haben ebenso wenig wie die Louis-Blanc-Politik des ZK der Guomindang bei den Massen zu einem Umschwung gegen die Guomindang geführt; sie haben nicht einmal das Verständnis für die Notwendigkeit einer besonderen Klassenpartei des Proletariats und der ärmsten Bauern zu wecken vermocht.«

Seinerzeit habe ich mich gegen diese Argumentation gewandt, die darauf hinausläuft, dass die Gründung einer selbständigen Arbeiterpartei so lange aufgeschoben wird, bis die Massen die Notwendigkeit einer solchen Partei erkennen. Doch will ich jetzt die prinzipielle Seite des Problems einmal beiseite lassen. Der Sinn der zitierten Worte des Genossen Radek ist klar: Man muss darauf warten, dass der rechte Flügel und der militärische Teil [der Guomindang] so agiert, dass die Massen die Notwendigkeit einer eigenen Partei begreifen. Genügen denn dafür nicht die »April-Aktionen«? Das sollte man doch denken.

Aber prompt ergeben sich neue Schwierigkeiten: Die »April-Aktionen«, die doch, dem Brief vom 3. März zufolge, als Signal für die Selbständigkeit der KP hätten dienen können, werden jetzt zum Haupthindernis dieser Selbständigkeit erklärt. Wir stellen uns selbst eine organisatorische Falle, aus der wir auch mit Hilfe immer neuer Argumente nicht herauskommen.

Ich verstehe sehr wohl, dass unsere Meinungsverschiedenheit in Bezug auf diesen Aspekt der Frage nicht prinzipieller Art ist, aber unter den jetzigen Umständen in China ist die organisatorische Antwort auf die Frage von größter Bedeutung. Dieselben chinesischen Kommunisten, die unter Tschiang Kaischek ein linkes Anhängsel waren, werden im Zuge der weiteren Entwicklung – innerhalb von zwei, drei Jahren – zu einem linken Anhängsel Wang Jingweis.

8. Juni 1927

PS Die obigen Zeilen sind vor ungefähr einem Monat geschrieben worden. Alles, was seither geschehen ist, bestätigt nur, wie nötig es ist, in der Grundfrage der Selbständigkeit der chinesischen KP Klarheit zu gewinnen. Wenn man die Guomindang als eine formlose Organisation beschreibt, die zu nichts verpflichtet, so verfälscht man den Kern der Frage. Wie formlos auch immer die Guomindang an ihrer Peripherie sein mag – ihr zentraler Apparat hält die revolutionäre Diktatur fest in der Hand. In dieser Beziehung hat die Guomindang von Kanton die KPdSU nachgeahmt. Die Guomindang von Hankou ahmt die von Kanton (oder die von Nanjing) nach. Für das ZK der KP in Hankou ist der Vorschlag, der Guomindang beizutreten und dabei die volle politische und organisatorische Selbständigkeit zu bewahren, ein unlösbares Rätsel, sonst nichts. Wir wissen, dass sich sogar das gegenwärtige ZK der gegenwärtigen chinesischen KP im vergangenen Jahr für einen Block von außen anstelle eines Blocks von innen ausgesprochen hat, d.h. für den Austritt aus der Guomindang. Jetzt aber wird man zweifellos das chinesische ZK wiederholt darauf hinweisen: »Seht, sogar die Opposition in der KPdSU ist gegen den Austritt aus der Guomindang.« Zweifellos benutzt man dieses Argument in China jetzt und in Zukunft genauso breit, wie man bei uns das Argument benutzt, die Opposition trete für den Austritt aus der Guomindang ein.

Die erste Rede des neuen Ministers Tan Pingshan zeigt nur allzu deutlich, dass der Verbleib der KP in der Guomindang – nicht »generell«, sondern unter den gegebenen konkreten zeitlichen und lokalen Umständen – es den Führern der KP möglich macht zu erklären, dass sie das Programm der Guomindang und nicht das Programm der eigenen Partei erfüllen werden und, was noch schlimmer ist, dass die Partei solche Führer duldet, die die Grenzen der eigenen Partei verwischen. Damit muss um jeden Preis Schluss gemacht werden. Über dieser Frage muss es in der KP zu einer wirklichen Differenzierung in Bolschewiki und Menschewiki kommen.

Was muss jetzt geschehen? Die Gründe dafür, dass wir bis zum heutigen Tag in der Guomindang geblieben sind, müssen formuliert werden. Außerdem, und das ist das allerwichtigste, muss in einer ebenso klaren wie genauen Formulierung begründet werden, warum wir sofort aus der Guomindang austreten müssen. Gründe für den Austritt lassen sich täglich finden, man muss nur die Depeschen mit dem Vermerk »nicht zur Veröffentlichung bestimmt« durchsehen.

Eine weitere Verzögerung der Lösung dieser Frage kann die Situation nur noch verschlechtern.

Anlagen:

1. Brief des Genossen Radek vom 3. März 1927.

2. Antwort des Genossen Trotzki vom 4. März 1927.

3. Schreiben des Genossen Trotzki vom 22. März 1927.

4. Brief des Genossen Trotzki vom 29. März 1927.

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