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L. A.: Zum Pariser Attentat

L. A.: Zum Pariser Attentat

[Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 6. Jahrgang, Nr. 6-7, Mitte Dezember 1938, S. 5]

Der politische Mord und der individuelle Terror können dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse nur Schaden zufügen Mit der Einschränkung, dass sich beider Bedeutung allerdings in der Revolution wandelt, sind sie deshalb als Kampfmittel völlig untauglich und strikte abzulehnen.

Man ist peinlich berührt, solche Erklärung in einem Augenblick wiederholen zu müssen, wo neben wenigen Ehrlichen die große Masse der bezahlten Heuchler ähnliche Erklärungen benutzt, um die Verzweiflungstat eines Halbwüchsigen erbarmungslos «anzuprangern», d.h. das wirkliche Opfer, den «Mörder», feige zu begeifern und den «Demokratismus» wieder einmal ad absurdum zu führen.

«Die Mordtat eines unreifen Einzelgängers, von der alle abgerückt sind, die alle verabscheut haben...». Das «Attentat des 17 jährigen Polen» (!), der «kein Emigrant war. schon gar nicht ein politischer Emigrant, sondern ein polnischer (!) Staatsbürger». «Er ist der Sohn einer von der Hitlerregierung des Landes verwiesenen polnischen Familie, einer zwangsweise vom «Dritten Reich» heimatlos gemachten Familie, die mit vielen anderen im Niemandsland zwischen den Grenzen herumirrt. Die Tragödie in Paris nahm hier ihren Ausgang, sie hatte menschliche und nicht politische Motive». «Wir erklären ganz offen, dass die Tat des polnischen (!) Staatsbürgers von uns wie ein Verbrechen gegen die Freiheitskämpfer in allen Ländern empfunden wird».

Das ist buchstäblich alles, was zwei willkürlich aus der Emigrantenpresse (denn wir kehren aus naheliegenden Gründen zunächst vor der «deutschen» Tür) herausgegriffene Artikelchen dem unglücklichen «Polen» nachzuwerfen haben («Pariser Tageszeitung», 19. November: «Die Rache als Vorwand», und «Deutsche Volkszeitung», 13. November. «Das Attentat»). Und mit diesen von Servilität durchdrungenen Gemeinplätzen wird ein bis aufs Blut gepeinigter Mensch seinem Schicksal überlassen und zum «Kampf» gegen den Hitlerschen «Rachefeldzug gegen die Juden» angetreten. Den Vogel schießt noch dazu die «Deutsche Volkszeitung» mit der im gleichen Artikel enthaltenen Erklärung ab: «Der politische Mord gehört zu den faschistischen Methoden».

Es soll m diesem Zusammenhang nicht untersucht werden, wo denn mit den bestialischen Morden an Ignaz Reiss und Rudolf Klement (um nur diese beiden Namen zu nennen) die wirklichen Faschisten sitzen. Der Erklärung zufolge sitzen sie in der Komintern, wie ja auch die «Rache als Vorwand» durch Stalin (z.B. beim Kirow-Mord) in von Hitler noch immer unerreichten Dimensionen vorgebildet worden ist. Man kann sich für den vorliegenden Fall auf die trockene Bemerkung beschränken Wenn (nach Renan) die menschliche Dummheit uns eine Vorstellung von der Unendlichkeit vermittelt, so veranschaulicht uns der Stalinismus den Begriff der unendlichen Gemeinheit.

Das Attentat auf Herrn von Rath hat jedenfalls mit «faschistischen» Methoden nichts zu tun. Wir setzen Stolz gegen gebeugte Rücken, Mut gegen Feigheit und stellen uns schützend vor den «Mörder».

Er ist unschuldig! Er ist so unschuldig, wie es der Mörder Petljuras war! Wir grenzen uns von seiner Tat ab, aber wir werfen ihn nicht denselben Mächten zum Fraß vor, die ihn erst zu dieser verzweifelten Tat getrieben haben. Ob menschliche oder politische Motive ihn leiteten, ist nebensächlich: wir verteidigen die menschlichen und politischen Motive in gleichem Maße, wie wir Hitler die menschliche und politische Verantwortung auferlegen. Herr von Rath war für den Attentäter der Vertreter seines politischen Systems, das ihn, seine Familie, seine Rasse in namenloses Unglück gestürzt und unerhörten Verfolgungen ausgesetzt hatte. Auch als «Pole» bleibt er (doppelt gepresst und geknechtet) ein Unterdrückter, dessen Sache unsere Sache, dessen Empörung unsere Empörung ist. Hitler unterstreicht die politischen Zusammenhänge mit Behagen und rächt sich für die Tat eines Einzelnen an allen. Die Demokratie dagegen verrät sie alle, indem sie sich vor dem Einen zurückzieht, es Hitler gleichtut und Onkel und Tante des Unglücklichen (wohl durch «Blutsbande» mitschuldig!) verhaftet. Gerade das zeigt die «faschistischen Methoden» in grellstem Licht: in den Fällen Ignaz Reiss, Leo Sedow und Rudolf Klement ist man von solcher Dienstbeflissenheit unendlich weit entfernt. Aber für uns ist der Attentäter nicht dann unschuldig, wenn er im Auftrag der GPU oder der Gestapo handelt. Er ist dann unschuldig, wenn er sich von allen verlassen fühlt und der individuelle Protest ihm als einziger Ausweg erscheinen muss. Die letzte Ursache der Pariser Tragödie ist im Versagen der Arbeiterbewegung zu suchen — die wahren Schuldigen sind die Führer der 2. und 3. Internationale.

L.A.

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