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Zerfall der Sozialrevolutionäre 1907/08

Eine scharfe ideologische und Organisationskrise setzte bei den Sozialrevolutionären bereits 1906 ein. Die bäuerlichen Elemente der Partei gingen zu den Trudowiki über; die sozialrevolutionären Intellektuellen, die für die ganze Taktik und Politik der Partei bestimmend waren, traten zum Teil zu der halbkadettischen, legalen Volkssozialistischen Partei über, teils kehrten sie jeder politischen Tätigkeit den Rücken; die Arbeiter gingen zu den Maximalisten und Anarchisten. Im Februar 1907 fand der 2. Parteitag statt, dessen Zentralpunkt die Frage der Beteiligung an der Reichsduma und die Taktik der Partei in Verbindung mit der Duma bildete. Der Parteitag fasste eine Resolution über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion aller revolutionären Kräfte des Landes. Im Juli 1908 tagte in London die 1. Allgemeine Konferenz der Partei der Sozialrevolutionäre. Auf dieser wurde die Provokation in der Parteizentrale zur Sprache gebracht. Die zentristische Gruppe (Tschernow, Rakitnikow u. a.) versuchte, den Zerfall und die faktische Spaltung der Partei zu verheimlichen und ihre offizielle Einheit zu wahren, indem sie die Schuld an den Misserfolgen der „Fesselung der Energie der Volksmassen" zuzuschieben suchte. Die Resolution der Konferenz konstatiert sowohl „Übermüdung" der Intellektuellen als auch, ihre „Abkehr vom revolutionären Kampf".

Im Jahre 1908 erreichte der Zerfall der Partei der Sozialrevolutionäre seinen Höhepunkt. Im Februar ging die bedeutendste Kampfgruppe der Partei hoch, die „Fliegende Kampfgruppe des Nordens". Im März flog eine Reihe von Geheimdruckereien der Partei in Provinzstädten auf, und gleichzeitig wurden Massenverhaftungen vorgenommen. Eine gewaltige Erschütterung erlitt die Partei anlässlich der von Burzew herbeigeführten Aufdeckung der provokatorischen Tätigkeit eines Mitgliedes des ZK, des Führers der Kampforganisation und Leiters der ganzen terroristischen Arbeit der Partei, Asefs, die nachher auch vom ehemaligen Direktor des Polizeidepartements, Lopuchin, bestätigt wurde. Die „Rewoluzionnaja Mysl", Organ der oppositionellen Sozialrevolutionären Gruppe, bekämpfte die Provokation auch weiter und begann lange Listen von Verrätern, Provokateuren und Spitzeln zu veröffentlichen.

Dieser organisatorische und ideologische Zerfall der Partei wurde noch verschärft durch das Misstrauen und die gegenseitigen Verdächtigungen, die die Mitgliedschaft in Verbindung mit der Aufdeckung der Provokation in der Parteizentrale erfasst hatten. „Die Partei der Sozialrevolutionäre als Organisation existiert nicht mehr … Sie ist zerschlagen, hat sich zersetzt", heißt es im Leitartikel der „Rewoluzionnaja Mysl" im Februar 1909. „Der Wagen liegt im Graben, die Pferde sind aus den Sielen heraus. Der Vorreiter sitzt auf dem Meilenstein, die Mütze aufs Ohr gedrückt und ,gratuliert' sich selbst zur ,Einmütigkeit'. Das ist das Bild der Partei der Sozialrevolutionäre", schrieb Lenin (siehe den Artikel „Wie die Sozialrevolutionäre eine Bilanz der Revolution ziehen und wie die Revolution die Bilanz der Sozialrevolutionäre gezogen hat", „Proletarij" Nr. 41, Januar 1909 [Sämtliche Werke, B. XIV]). [Band 12]

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