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Karl Kautsky 19050906 Noch einmal die unmögliche Diskussion

Karl Kautsky: Noch einmal die unmögliche Diskussion

[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ - 23.1904-1905, 2. Band.(1905), Heft 50, S. 776-785, 9. September 1905]

1. Kleineres

Der „Vorwärts" hat eine Artikelserie gegen mich begonnen, deren Ende ich nicht abwarten kann, soll meine Entgegnung noch vor dem Parteitag in der „Neuen Zeit" erscheinen. Ich antworte daher hier auf die ersten drei Artikel der Serie: „Debatten über Wenn und Aber".

Leider muss ich wieder etwas ausführlicher werden. aber es handelt sich dabei auch um eine nicht geringe Sache: um die Frage, ob unser Zentralorgan den Aufgaben gewachsen sei, die ihm aus seiner Stellung zukommen.

In dem Artikel über den Massenstreik hatte ich als Beweise dafür, dass die heutige Redaktion unfähig ist, bei der Diskussion der inneren Parteifragen vertiefend und klärend voranzugehen, folgende Behauptungen aufgestellt und Fragen aufgeworfen:

1. Der „Vorwärts" hat erst sehr verspätet in die Diskussion der Partei über den Massenstreik eingegriffen.

2. Er hat sich dabei in Widersprüche verwickelt.

3. Er hat den alten Unfug der Staatsanwälte wiederholt, wissenschaftliche Untersuchungen über die Revolution als „Drohen mit der Revolution" zu denunzieren.

4. Er hat erklärt, wenn uns die Gesetzlichkeit versperrt sei, werde die Stilllegung der Produktion Pflicht aller Staatsbürger, und in diesem Falle sei jedes Mittel des Kampfes gerechtfertigt.

5. Er hat die Schrift der Genossin Roland-Holst gründlich missverstanden.

Daraus entgegnet der „Vorwärts" folgendes:

1. Er beantwortet einen Vorwurf, den ich nicht erhoben, indem er erklärt, er sei das erste Parteiorgan gewesen. das die Schrift der Genossin Roland-Holst kritisch beleuchtete. Das habe ich nie geleugnet. Aber schon vor dem Erscheinen dieser Schrift war der Massenstreik in unserer Partei lebhaft diskutiert worden, namentlich im Anschluss an den Kölner Gewerkschaftskongress. Will der „Vorwärts" leugnen, dass er dabei den anderen Parteiorganen nachgehinkt ist?

2. Als einen seiner Widersprüche hatte ich die Tatsache hingestellt, dass der „Vorwärts" am 8. Juni die Diskussion des Massenstreiks für eine Aufgabe erklärte, die nur die politische Partei angehe, am 25. Juni für eine Aufgabe, die, wenn sie überhaupt für uns von Interesse sei, nicht bloß der Partei, sondern auch den Gewerkschaften zufalle. Darauf antwortet der „Vorwärts" einmal, das sei kein Widerspruch, sondern nur eine „Nuance", dann aber, seine Redakteure seien eben „selbständige Köpfe", die nicht aus Kommando denken und umlernen. Damit wird aber die Tatsache, dass Widersprüche in der Haltung des „Vorwärts" vorkommen, nicht widerlegt, sondern nur erklärt. Diese Erklärung beweist aber bloß, dass entweder die selbständigen Köpfe in der Redaktion so uneinig sind, dass sie nicht vermögen, sich über eine Frage zu einigen wie die, welchen Organisationen die Diskussion des Massenstreiks zufalle, oder dass diese Frage ihnen zu unwichtig erscheine, eine Einigung darüber zu versuchen.

Nachdem der „Vorwärts" aber das Lob seiner „selbständigen Köpfe" gesungen, entrüstet er. sich sehr über mich, dass ich mich mit „den internen Redaktionsverhältnissen" des „Vorwärts" beschäftige, was „ein frivoler Parteizank" sei, wobei ich meine Urteile nicht „nach sachlichen Leistungen", sondern „vermuteten Personen" einrichte. Man sieht, die „selbständigen Köpfe" im „Vorwärts" sind sehr empfindlich. Ich habe in Wirklichkeit von den „internen Redaktionsverhältnissen" des „Vorwärts" nicht das mindeste enthüllt und keine einzige Person angegriffen. Meine Ausführungen über den „Vorwärts" beruhten einzig auf seinen eigenen Artikeln, die er selbst vor aller Welt veröffentlicht hat, die er also nicht zu den „internen Redaktionsverhältnissen" rechnen wird und ich weiß bis heute nicht, wer die Verfasser der einzelnen Artikel sind. Dass der eine von ihnen aus Bernsteins Feder, des früheren Mitredakteurs der „Neuen Zeit", stammt. mag Joc für ein glänzendes Argument gegen mich halten. Ernsthafte Leute werden darüber nur lächeln.

Was ich tat, war nicht, Redaktionsinterna, die der Welt unbekannt waren, auszukramen und zu „enthüllen", sondern zu versuchen, allbekannte Tatsachen sachlich zu erklären. Es blieb dem „Vorwärts" vorbehalten, daraus den Vorwurf der „ethischen und ästhetischen Verlumpung" gegen eine bestimmte Person herauszulesen.

3. Der „Vorwärts" hatte sich nicht gescheut, dies eifrige Diskutieren des Massenstreiks als ein „Drohen mit der Revolution" zu bezeichnen. Auf die Frage, wo bei dieser Diskussion eine derartige Drohung vorgekommen, antwortet er gar nicht, wiederholt aber, er halte das „verantwortungslose Drohen mit der Revolution, das billige Schwatzen über sie für widerwärtig". Er wiederholt also seine Verdächtigung, als ob die Genossin Roland-Holst oder ich oder sonst jemand bei der Erörterung des Massenstreiks mit der Revolution gedroht oder billig darüber geschwätzt hätte. Ich fordere den „Vorwärts" nochmals aus, klipp und klar meine Frage zu beantworten: Wer hat mit der Revolution gedroht?

Solange er diese Frage nicht beantwortet, bleibt der Vorwurf auf dem Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie sitzen, dass es sich in seiner Diskutierung innerer Parteifragen alter Polizeikniffe bedient.

4. Auch auf die Fragen, was sich der „Vorwärts" unter der Arbeitseinstellung „aller Staatsbürger" denkt, und welches alle Mittel sind, die uns in äußersten Fällen neben dem Massenstreik zu Gebote stehen, antwortet er mit keinem Worte, wenn er auch viele Worte darüber macht. Oder ist das eine Antwort, wenn er erklärt: „Jedes Mittel ist dann anwendbar, sofern es tauglich ist, und nicht bloß der Generalstreik"? Aber die Frage ist ja eben die, ob es noch andere taugliche Mittel gibt!

Man steht, auf alle meine Fragen weiß der „Vorwärts" keine Antwort, und er sucht bloß über sie hinwegzureden.

Aber das alles waren nur Kleinigkeiten. Nun jedoch werden wir den Dingen auf den Grund kommen, wenn wir das eigentliche „große Missverständnis" behandeln, Nummer 5.

2. Endkampf und Klassenkampf

Ich hatte dem „Vorwärts" vorgeworfen, er habe das Buch der Genossin Roland-Holst gründlich missverstanden, indem er seinen Inhalt in folgender Weise darstellte:

Der politische Streik wird (in dem Buche) aus einem unter ganz bestimmten Verhältnissen möglichen und erforderlichen Akte der proletarischen Notwehr zur Methode des Klassenkampfes, zum eigentlichen Mittel des proletarischen Sieges."

Ich hatte ein Zitat vorgebracht, das das Gegenteil besagte; die Genossin Roland-Holst selbst bestritt, dass die vom „Vorwärts" wiedergegebene Anschauung die ihrige sei. Was weiß dieser zu erwidern?

Unsere Kritik", sagt er, „wies auf die Zwiespältigkeit der Schrift der Genossin Roland-Holst hin: Einmal der Massenstreik als auch ein Mittel zur Erzwingung bedeutender politischer Veränderungen, und zweitens der Generalstreik als das einzige Kampfmittel in jenem politischen Endkonflikt, in dem sich die alle politischen Rechte raubende Bourgeoisie mit dem um die Eroberung der politischen Macht ringenden Proletariat misst."

Wo ist da die Methode des Klassenkampfs hingeraten? Kann ein einzelner Konflikt, sei es ein Endkonflikt oder ein anderer, jemals identifiziert werden mit dem Klassenkampf? Das scheint allen Ernstes die Meinung des „Vorwärts" zu sein, denn weiter unten führt er aus:

Der realistische, revolutionäre Generalstreik, der in bestimmter Situation möglich ist. verflüchtigt sich bei der Genossin Roland-Holst in den, wenn nicht utopistischen, so doch spekulativen Generalstreik, des großen Zusammenbruchs, der Entscheidungsschlacht, der dann ebenso notwendig angewandt werden muss, wie der Endkonflikt selbst unvermeidlich ist. Damit aber wurde ein Mittel des Klassenkampfes zu dem Mittel des Klassenkampfes – das ist der klaffende Widerspruch des Werkes."

Wer das nicht begreift, dem ist nicht zu helfen.

Da wir nicht erwarten dürfen, dass alle unsere Leser das Buch der Genossin Roland-Holst kennen, wollen wir versuchen, ihnen seinen Gedankengang in einfachen Sätzen klarzulegen und zu zeigen, was hinter dem „realistisch-revolutionären" und dem „wenn nicht utopistischen, so doch spekulativen" Generalstreik eigentlich steckt.

Genossin Roland-Holst untersucht in ihrem Buche zuerst die verschiedenen Arten von Streiks und dann Ziel und Formen sowie Voraussetzungen des politischen Massenstreiks. Sie zeigt. dass diese Art Streik allerdings möglich ist, jedoch nur selten, in bestimmten geschichtlichen Situationen. Ist er aber auch nötig? Das ist die Frage, die sie nun untersucht. Aus der fortschreitenden Verschärfung der Klassengegensätze schließt sie, dass in dem Maße, in dem das Proletariat an Kraft zunimmt und die demokratischen Rechte immer mehr zu Angriffswaffen gegen das Kapital zuspitzt, dass in demselben Maße in den herrschenden Klassen die Geneigtheit wächst, dem Proletariat diese demokratischen Rechte zu nehmen, und dass, wenn es so weit kommt. dem Proletariat als einziges letztes Mittel, diese Rechte zu verteidigen oder, wo sie verloren gegangen, wieder zu erobern, der politische Massenstreik bleibt.

Dies der Inhalt des Buches der Genossin Roland-Holst. Man sollte meinen, es sei unmöglich, ihn misszuverstehen, so einfach und klar ist er. Und ebenso sollte man annehmen, dass der Weg klar ist, auf dem allein man ihre Schlussfolgerungen widerlegen könnte. Wer das wollte, müsste nachweisen, entweder dass die Verschärfung der Klassengegensätze nicht eintritt oder dass dem Proletariat außer den demokratischen Rechten und dem Massenstreik noch andere Mittel des politischen Kampfes zu Gebote stehen.

Aber freilich, es dürfte etwas schwer fallen, diese Nachweise zu führen. Der „Vorwärts" schlägt einen anderen Weg ein. Zunächst wird der Gedankengang des Buches etwas ins Lächerliche verzerrt. Er lässt die Genossin Roland-Holst den Massenstreik als Waffe im „Endkonflikt" mit der Bourgeoisie hinstellen und spricht von „ihrem revolutionären, universalen Endstreik". Das riecht allerdings nach lächerlichem Utopismus: wer vermöchte auch über die Endkonflikte im proletarischen Klassenkampf etwas zu sagen? Aber ich kann mich nicht entsinnen, diese Worte im Roland-Holstschen Buche gesehen zu haben, konnte sie auch trotz eifrigsten Suchens nicht finden; sie widersprechen aber ganz dem Gedankengang der Verfasserin, die ausdrücklich den Massenstreik als eine Waffe bezeichnet, „die die Arbeiterschaft ihrem Ziele – der Eroberung der politischen Macht als Hebel zur Umgestaltung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaft – näher bringen kann." (S. 161.)

Das ist etwas ganz anderes als die Waffe im „Endkonflikt", als der „universale Endstreik".

Aber das ist nur Nebensache, die Hauptsache der „klaffende Widerspruch", den zu begreifen mir unmöglich war und auch heute noch unmöglich ist. Dieser Widerspruch wird auf folgende kunstvolle Art konstruiert: Das Buch untersucht zuerst die Möglichkeit, dann die Notwendigkeit des Massenstreiks. Diese Betrachtung derselben Art Streiks von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus verwandelt der „Vorwärts" im Handumdrehen in zwei verschiedene Arten Streiks, denen er gleich höchst gelahrte Namen beilegt: hier den „realistischen, revolutionären Generalstreik", der in bestimmten Situationen möglich, und dort den „wenn nicht utopistischen, so doch spekulativen Generalstreik", der „ebenso notwendig ist wie der ,Endkonflikt'". Dass das Buch diese beiden Arten Streiks einander gleichsetzt. darin soll der große, klaffende Widerspruch liegen, der Grundfehler des ganzen Buches, die Ursache „der heillosen Verwirrung, die es hier und dort angerichtet hat", wie der „Vorwärts" sagt.

Ich bin der letzte, diese „heillose Verwirrung" zu bestreiten Und ebenso wenig will ich bestreiten, dass hier in der Tat ein „klaffender Widerspruch" vorhanden ist, wenn auch nicht im Buche, so doch in dem „selbständigen Kopfe" seines Kritikers.

Der Widerspruch liegt darin, dass der Nachweis der Möglichkeit des Massenstreiks den „Vorwärts" gar nicht geniert, dass ihn dagegen der Nachweis höchlichst empört, wie die Klassengegensätze sich immer mehr zuspitzen und die herrschenden Klassen infolgedessen dem Proletariat seine Rechte immer mehr verkümmern, so dass dieses nach neuen Kampfmitteln ausschauen muss, von denen nur eines Erfolg verspricht, der Massenstreik.

Dieser Nachweis der Notwendigkeit des Massenstreiks erbittert ihn; aber was kann er dagegen sagen? Widerlegen kann er ihn nicht. So muss er versuchen, die Methode dieses Nachweises zu verdächtigen. Die theoretische Untersuchung der kommenden Entwicklung wird zuerst als „Drohung mit der Revolution" gebrandmarkt, dann als „Träumerei und Spielerei", dann als Gerede von „Wenn und Aber", als „mystische Mathematik", als „Verkoppelung der Idee des Generalstreiks mit der Zusammenbruchstheorie" verhöhnt, bis schließlich der „selbständige Kopf" sich in den famosen Satz verrennt: „Die spekulative, wie immer auf dem Boden der wissenschaftlichen Erkenntnis über Entwicklungen der Dinge erwachsene Tatsache stellt sich lauter Undenkbarkeiten vor."

Weiter kann man den „philosophischen" Galimathias nicht mehr treiben.

In Wirklichkeit ist gerade das, was dem „Vorwärts" als „Träumerei und Spielerei" und „mystische Mathematik" erscheint, dasjenige, was dem Massenstreik heute seine Bedeutung gibt. Die Möglichkeit des politischen Massenstreiks in bestimmten Fällen ist seit einem dutzend Jahren, seit dem belgischen Beispiel erwiesen. Allgemeine Bedeutung hat aber seine Theorie und Praxis erst in den letzten Jahren erlangt, seitdem die Anzeichen sich häuften, dass die Klassengegensätze sich zuspitzen und die Aussichten auf eine friedliche Entwicklung sich immer mehr verdüstern.

Eine Diskussion des Massenstreiks wäre heute ganz unzulänglich, sie würde aller sicheren Grundlage entbehren, baute sie sich nicht auf dem Nachweis der Zuspitzung der Klassengegensätze und deren Konsequenzen auf. Von diesem logischen und notwendigen Zusammenhang hat freilich der „Vorwärts'' keine Ahnung, der es fertig bringt, ihn als eine äußerliche und überflüssige „Verkoppelung" zweier Ideen, die gar nicht zusammengehörten, hinzustellen. Es ist charakteristisch für ihn, dass er dabei die Theorie der Verschärfung der Klassengegensätze nach revisionistischer Unsitte als „Zusammenbruchstheorie“ bezeichnet. Die Revisionisten haben nämlich diese Theorie in einer lächerlichen Form dargestellt, die sie Zusammenbruchstheorie tauften und uns in die Schuhe schoben.

Schlimm genug, wenn unser Zentralorgan für Untersuchungen über den Zusammenhang von Massenstreik und Verschärfung der Klassengegensätze nichts übrig hat als Widerwillen und Verständnislosigkeit. Die Methode, die es dabei so arg verhöhnt, ist keine andere als die im „Kommunistischen Manifest" begründete. Wer die Schrift der Genossin Roland-Holst so auffasst wie der „Vorwärts", kann das „Kommunistische Manifest" und seine Methode nie begriffen haben.

Das erhellt aber auch deutlich auf der Art und Weise, wie der „Vorwärts" schließlich beweist, dass für die Genossin Roland-Holst trotz ihres Protestes dagegen der Massenstreik „die Methode des Klassenkampfes" ist. Er schreibt:

Gerade in diesem revolutionären, universalen Endstreik gipfelt die Tendenz des Buches. Und das ist auch ganz konsequent. Kommt es notwendig und überall zu gewaltsamen Entscheidungskämpfen, so ist eben der politische Streik das Mittel, die Form des Klassenkampfes, und alles andere, wie zum Beispiel der Parlamentarismus, verflüchtigt sich zu einer Bedeutungslosigkeit – er verschwindet, sobald er ernsthaft wird – dass man tatsächlich dann zu der anarchistischen Konsequenz gedrängt werden kann, ob es überhaupt lohne, diesen mühsamen und nutzlosen Umweg zu machen, ob sich der Weg nicht abkürzen lasse durch die direkte Aktion."

So zu lesen im Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie.

Aber freilich, daran ist nicht zu zweifeln. Aus den Voraussetzungen der Genossin Roland-Holst, dass die Klassengegensätze sich verschärfen, dass die demokratischen Rechte immer gefährdeter sind, immer drohender die Notwendigkeit des Massenstreiks auftaucht – aus diesen Voraussetzungen kann man sich gedrängt fühlen, anarchistische Konsequenzen zu ziehen, aber nur dann, wenn man keine Ahnung von ökonomisch-materialistischem oder, wenn man lieber will, marxistischem Denken hat.

Für uns Marxisten ist der Massenstreik wie jede andere Form des Kampfes an bestimmte historische Voraussetzungen geknüpft, die in letzter Linie in den ökonomischen Verhältnissen wurzeln. Ohne diese Voraussetzungen ist seine erfolgreiche Anwendung unmöglich, und Sache der wissenschaftlichen Forschung und der Parteidiskussion ist es eben, herauszufinden, wann diese Voraussetzungen gegeben und zu erwarten sind. Wer auf diesem Standpunkt steht, kann sich unmöglich „zu der Konsequenz gedrängt fühlen", den Weg der notwendigen Entwicklung dieser Voraussetzungen nach eigenem Belieben abzukürzen, der kann auch unmöglich den Weg dieser Entwicklung für einen „mühsamen und nutzlosen Umweg" halten, der weiß ganz gut, dass gerade die eifrigste Ausnutzung der jetzigen politischen Rechte durch das Proletariat einer der wichtigsten unter jenen Faktoren ist, die erst die Voraussetzungen des Massenstreiks schaffen.

Man maß völlig bar sein jener Denkweise, die im „Kommunistischen Manifest" begründet ist, wenn man behauptet, die Voraussetzungen der Genossin Roland-Holst könnten zu anarchistischen Konsequenzen drängen oder, wie der „Vorwärts" früher sagte, die „Schrift nähert sich auf halbem Wege der anarchistelnden Auffassung des Generalstreiks".

Indem der „Vorwärts" diese Konsequenz zieht und immer wieder hervorhebt, beweist er damit nur, wie nahe ihm jene Denkweise liegt, die diese „anarchistelnden" Konsequenzen und Auffassungen erzeugt. Und in der Tat, wenn man näher zusieht, so wird man finden, dass die ethisch-ästhetische Denkweise der „selbständigen Köpfe" des „Vorwärts", die sich von „Marxschem Dogmatismus" frei zu halten gewusst, verteufelte Ähnlichkeit hat mit der Anschauung Friedebergs von dem psychischen Antrieb, den psychischen Einwirkungen, die Friedeberg als selbständige Macht neben die ökonomische Entwicklung setzt.

Daraus erhellt aber auch die Aktualität unserer Diskussion und ihre sachliche Bedeutung. Wenn es Friedeberg gelingt, in der Berliner Arbeiterschaft einen so starken Resonanzboden zu finden, so wird es eine sehr praktische Frage, ob der „Vorwärts" in seiner jetzigen Gestalt das richtige Mittel ist, ihm entgegenzuwirken.

Nicht etwa, dass ich nun meinerseits den „Vorwärts" beschuldigen wollte, er huldige „anarchistelnden Tendenzen" und ziehe „anarchistische Konsequenzen". Nicht im entferntesten. Aber wenn wir Friedebergs Erfolge verstehen wollen, müssen wir zweierlei unterscheiden: einmal sein revolutionäres Temperament, das einem tiefgehenden revolutionären Drange der Arbeitermassen entspricht, der aus den Verhältnissen entspringt, daher unausrottbar ist, sich immer mehr verstärken muss; und dann seine theoretische Konfusion, die die Notwendigkeit der Zusammenhänge zwischen Politik und Ökonomie nicht begreift und glaubt, sie durch die Kraft seines psychischen Antriebs überspringen zu können.

Tritt man Friedebergs revolutionärem Drange entgegen, wird man nie mit ihm fertig, schafft man ihm nur Triumphe. Dagegen ist es keineswegs aussichtslos, dem Proletariat die theoretische Konfusion klar zu machen, an der Friedeberg leidet. Das ist aber eine mühsame Arbeit, die nur von Köpfen geleistet werden kann, die sich in unsere Theorie völlig eingelebt haben und imstande sind, die Klarheit, die sie selbst erreicht haben, auch anderen mitzuteilen.

Im „Vorwärts" aber herrscht die Abneigung gegen den revolutionären Drang, Friebebergs starke Seite, und dafür Übereinstimmung mit ihm in der Denkweise, in der Überschätzung des „psychischen" ober „ethischen" Faktors, also Übereinstimmung mit ihm in der Grundlage der theoretischen Konfusion, seiner schwachen Seite. Mögen die „selbständigen Köpfe" des „Vorwärts" noch so viel über Friedebergs Konfusion zetern, sie können sie nicht ausreichend widerlegen, weil sie in demselben Grunde wurzelt wie ihre eigene Denkweise. Sie werden Friedeberg stets am unrechten Ende anpacken und die revolutionären Massen nie von der Irrigkeit seiner Anschauungen überzeugen.

3. Mein Anarchismus

Nachdem der „Vorwärts" aus der Schrift der Genossin Roland-Holst glücklich zu anarchistischen Konsequenzen gelangt, vollzieht er das gleiche Experiment im nächsten Artikel an mir. Hier hört er auf, in der Defensive zu bleiben, kühn ergreift er die Offensive und erklärt mich für einen Parteischädling. Er preist es „als ein wirkliches Glück für die Partei, dass die Neue Zeit nicht entfernt den Einfluss aus die Massen hat, den sie von Rechts wegen haben sollte". Denn meine „resignierten Auffassungen könnten, wenn sie in der Partei Beachtung finden würden, logisch nur zu zweierlei Richtungen führen", „links zu den antiparlamentarischen Anarchisten", rechts zu den Nurgewerkschaftlern". So säe ich „Verwirrung und Schädigung".

Diese wutschnaubende Philippika hat mich nun nicht etwa mit gleicher Wut erfüllt, sondern ich habe sie als ein nützliches, aufklärendes Gewitter empfunden. Nach diesen Ausführungen ist es dem „Vorwärts", wenn er ein bisschen auf Logik hält, nicht mehr möglich, zu erklären, wie er seit Jahr und Tag tut: zwischen uns beständen keine sachlichen Gegensätze, sondern nur persönliche Reibereien. Hier hat der „Vorwärts" selbst aufgedeckt, dass zwischen ihm und mir – und ich darf wohl sagen uns Marxisten – ein „klaffender Widerspruch“ existiert, sachliche Differenzen von der größten Bedeutung. Hat der „Vorwärts“ Recht, dann ist er nicht bloß berechtigt, sonder verpflichtet, solche Parteischädlinge wie wir Marxisten infolge unserer verwirrenden und irreführenden Anschauungen sind, auf das Entschiedenste zu bekämpfen, den Parteischädlingen selbst aber muss das Recht und die Möglichkeit entzogen werden, im Namen der Partei zu sprechen.

Hat aber der „Vorwärts“ Unrecht, sind alle seine so schweren Beschuldigungen unbegründet, dann beruhen sie bloß auf der Unfähigkeit, mich zu verstehen. Doch das Urteil über den „Vorwärts" überlasse ich am besten den Genossen.

Stimme ich nun dem „Vorwärts" darin zu, dass ich mit ihm tiefgehende sachliche Gegensätze zwischen uns sehe, so weiche ich doch gleich darin ab, dass ich die Gegensätze ganz woanders suche als er.

Er will „Wandlungen“ bei mir entdeckt haben, die mich den Anarchisten nähern und ihnen Vorschub leisten. Ein schwerer Vorwurf, den unser Zentralorgan sicher nicht wagen wird ohne ein erdrückendes Beweismaterial.

Wenigstens qualitativ erdrückend, denn quantitativ ist es etwas spärlich. Es enthält nur eine einzige Tatsache. Aber freilich eine gewichtige: – meine „Kompaniearbeit mit dem Halbanarchisten Labriola ließ schon merkwürdige Wandlungen ahnen."

Du ahnungsvoller Engel du! Da nicht alle Parteigenossen imstande sein werden, zu „ahnen“, welche Verruchtheit ich mit dem „Halbanarchisten" ausgeheckt, sei sie hier enthüllt:

Artur Labriola, Mitglied unserer italienischen Bruderpartei, bereitete für deren Kongress im Frühjahr 1904 eine Resolution vor, die er mir zur Begutachtung übersandte. Ich besitze nicht eine Abschrift meiner Antwort, erinnere mich nur so viel, dass ich ihm riet, einige Stellen, die anarchistisch klangen, im sozialdemokratischen Sinne zu ändern.

Das ist es, was die „selbständigen Köpfe" des „Vorwärts" eine „Kompaniearbeit" mit einem „Halbanarchisten“ zu nennen belieben. Basilio hätte die Benennung nicht feiner erfinden können. Dafür hat aber auch K[urt] E[isner] einen sehr erbaulichen Sermon im „Vorwärts“ über guten Ton und schlechte Logik veröffentlicht, in dem er sehr eindringlich von den verheerenden Wirkungen der Verleumdungsfreiheit zu handeln wusste.

Was der ,,Vorwärts'' sonst noch vorbringt. um meine Verworrenheit und Schädlichkeit darzutun, ist eine Deutung eines einzigen Satzes. Daraus wird folgende Anklage formuliert:

Was tut Kautsky? Um das neue – sollen wir bloß sagen Diskussionsthema – Kampfmittel des Generalstreiks zu empfehlen, verdunkelt er den elementaren Wert politischer Rechte. Es ist wahrhaft empörend, mit welcher kalkulatorischen Ruhe Kautsky (Nr. 42 der „Neuen Zeit") von den Wahlrechtsattentaten in Hamburg und Lübeck spricht. Er hält es für die größte Torheit, ,wollte man heute in Hamburg zur Verteidigung des dortigen Wahlrechtes einen Massenstreik inszenieren! Den Massenstreik für eine einzelne Stadt, das Aufgebot der letzten und schärfsten Waffe des Proletariats, die seine vollste Hingebung und seinen höchsten Opfermut erfordert, bloß zu dem Zwecke, um das jetzige, schon miserable Klassenwahlrecht gegen weitere Verschlechterungen zu schützen!'"

Diese meine Worte, deren letzte der „Vorwärts“ mit fettem Druck: hervorhebt, entfesseln nun einen Wasserfall ethischer Entrüstung über mein unglückliches Haupt, das „kaufmännisch kalkuliert'' und „buchmäßig rechnet“, statt mit „Löwenstimme“ zu brüllen.

Ich kann's dem „Vorwärts" eben nie recht machen. Eben wirst er mir Drohen mit der Revolution und reichliches Reden davon vor, dann wieder krämerhaften Opportunismus.

Ich werde meinen Gedankengang und dann den des „Vorwärts" wiedergeben. Wir sehen da so klar wie noch nie den Gegensatz der materialistischen und der ethischen Denkweise.

Der „Vorwärts" wirft mir vor, ich hätte, um den Generalstreik zu empfehlen, den Wert der politischen Rechte verdunkelt und mit Gleichgültigkeit von den Wahlrechtsattentaten in Hamburg und Lübeck gesprochen. In Wirklichkeit habe ich keine Silbe gesagt, die den Wert der politischen Rechte verdunkeln konnte, schon deswegen, weil ich von diesem Werte gar nicht sprach. Der Satz, den der „Vorwärts" mir vorwirft, erhält einen ganz anderen Sinn, als er mir unterschiebt, wenn man ihn im Zusammenhang liest. Ich erkläre:

Unter den besonderen politischen Verhältnissen Deutschlands ist ein erfolgreicher Massenstreik nur denkbar in einer revolutionären Situation, und wäre es darum aussichtslos, ja verderblich, wollte man ihn anwenden in einer Situation, die zu einer revolutionären nicht werden kann. Es wäre zum Beispiel die größte Torheit, wollte man heute in Hamburg zur Verteidigung des dortigen Wahlrechtes einen Massenstreik inszenieren" usw.

Ich frage, wo ist da ein Wort, das geeignet wäre, den Wert der politischen Rechte zu verdunkeln? Sage ich, das Hamburger Wahlrecht sei eine gleichgültige Sache? Ich untersuche den Wert des Wahlrechtes gar nicht, spreche nicht davon, nicht, weil er mir geringfügig erscheint, sondern weil es mir überflüssig erschien, über eine selbstverständliche Sache zu reden. Ich untersuchte also nur, was zweifelhaft [ist], die Aussichten eines Massenstreiks, um das Hamburger Wahlrecht zu retten. Und da fand ich nach „kaufmännischem" Abwägen, dass er eine Torheit wäre, denn unter den heutigen Verhältnissen Deutschlands kann nicht in einer einzelnen Stadt der Massenstreik siegen, ohne ein Eingreifen der Reichsregierung nach sich zu ziehen. Der Kampfpreis sei aber, bei aller Bedeutung des Wahlrechtes, doch kein solcher, dass man um seinetwillen eine sichere Niederlage riskieren dürfe.

Das war meine „empörende", „buchmäßige", „kaufmännische", materialistische Kalkulation.

Ganz anders der „Vorwärts". Hören wir seinen ethischen Wasserfall dröhnen:

Heißt das die Arbeiter politisch und theoretisch aufklären, wenn man die hanseatische Wahlrechtsfrage lediglich unter dem Gesichtspunkt eines opportunistischen Krämers betrachtet. ob das künftige Wahlrecht gegenüber dem bestehenden einen mehr oder minder großen Nachteil leidet, ja ob vielleicht bei der Endrechnung noch ein kleiner Überschuss heraus gewirtschaftet werden könnte? Ganz abgesehen davon, dass es sich ja nicht um den Schutz des bestehenden, sondern um den Kampf für das in unserem Programm geforderte Wahlrecht handelt, wie darf ein wissenschaftlicher Führer der Sozialdemokratie die politischen Rechte als eine kaufmännische Kalkulation behandeln, statt dem Proletariat mit Löwenstimme den ersten Grundsatz seiner geschichtlichen Aufgabe immer wieder aufs Neue ins Gewissen zu rufen: Es gibt keine größere Verletzung der Würde der Proletarier, als politische Rechte sich rauben, als politische Entrechtung sich gefallen zu lassen. Ein unsühnbares Kapitalverbrechen an dem Proletariat ist der Wahlrechtsraub in den Hansastädten, er ist eine schamlose Verhöhnung des Proletariats. … Die in Hamburg und Lübeck eingeführte Methode des kontingentierten Wahlrechtes ist eine Politik gegen – Aussätzige. Kautsky aber findet den Vorgang kaum eines Wortes des Empörung wert. … Wir verstehen unter dem Studium des politischen Streiks, dass eine Dreimillionenpartei im Kampfe um politische Rechte nicht buchmäßig rechnen und nicht in die Ferne spekulieren dürfe, sondern dass sie, wenn es gilt, auch Niederlagen wagen müsse. Nichtswürdig ist das Volk, das nicht sein Alles setzt in seine Rechte" usw.

Also vorwärts, los, wer wird noch in feigem Opportunismus buchmäßig rechnen. Wir müssen Niederlagen wagen, wollen wir uns nicht der ärgsten Nichtswürdigkeit schuldig machen! Drauf und dran zur Aktion!

Gemach, gemach, so ist die ethische Entrüstung nicht gemeint: „Wir reden kein Wort darüber", sagt der „Vorwärts" in demselben Artikel, „ob man in Hamburg. und Lübeck hätte einen Generalstreik machen sollen." Darüber, über die Hauptsache, kein Wort! Aber Hunderte, um mit Löwenstimme sich zu entrüsten. Und dieses sich Entrüsten mit Löwenstimme gilt als die Hauptaufgabe eines „wissenschaftlichen Führers der Sozialdemokratie" bei dem „Studium des politischen Streiks". Eine Untersuchung darüber, ob und wie eine Aktion möglich sei, wird als erbärmliches, empörendes kaufmännisches Kalkulieren bezeichnet. Auf das Handeln kommt es dem Ethiker nicht an, nur auf das moralische Verurteilen. Die Hauptsache ist, große Worte prägen, an denen man sich berauschen kann. Dann hat man seine Pflicht getan und geht ruhig schlafen. Nachdem der Wasserfall gehörig gedonnert und Schaumblasen geworfen, plätschert man wohlgemut im alten Sumpfe weiter. Und wenn ein Mann kommt wie Friedeberg, der den Wasserfall mit seinem Donnern und Schäumen ernst nimmt und zum Treiben einer Mühle einrichten will, wird man wieder einmal moralisch entrüstet und schreit mit der bekannten Löwenstimme: Hinaus mit dem Ruhestörer! Für praktische Zwecke ist unser ethisches Gewässer nicht da.

Hier hat die ethische Methode der selbständigen Köpfe des „Vorwärts" sich in klassischster Gestalt gezeigt, und darum war es wohl am Platze, sie eingehender zu charakterisieren. Deutlicher konnte es nicht zutage treten, wie absolut unfähig diese Methode ist, unsere, die materialistische, mit der „empörenden kalkulatorischen Ruhe", zu begreifen.

Soll ich nach alledem noch weiter mich gegen den Vorwurf unseres Zentralorgans verteidigen, dass ich mich im anarchistischen Sinne gewandelt habe?

Soll ich ausführlicher darlegen, dass ich nie eine Zeile geschrieben, um die Notwendigkeit und Bedeutung der politischen Rechte zu verkleinern, dass das, was der „Vorwärts" als solches ansieht, nichts ist als eine Erklärung des tatsächlichen Niederganges und der tatsächlichen Machtlosigkeit des deutschen Reichstags?

Soll ich darauf hinweisen, dass Marx in diesem Sinne noch viel „anarchistischer" gewirkt, der das Wort vom parlamentarischen Kretinismus prägte und zum Beispiel im Jahre 1848 die Frankfurter Nationalversammlung, namentlich ihre Linke, aufs Grausamste wegen ihrer Impotenz verhöhnte? Soll ich auf Engels verweisen, der 1891 beifällig Liebknechts Worte zitierte, dass der deutsche Reichstag nichts sei als das Feigenblatt des Absolutismus? Soll ich daran erinnern, dass K. E. vor einem Jahre dieselben Vorwürfe wie gegen mich gegen Jules Guesde richtete, von dem er behauptete, „Guesdes Konsequenz ist der völlige Verzicht auf den Parlamentarismus", Guesde müsste sich, wäre er in Deutschland, unter „anarchistischen Eingängern" verlieren? Soll ich daran erinnern, dass Guesdes Auffassung der bürgerlichen Republik, die K. E. so empörte, jene Auffassung ist, die Marx 1848 nach der Junischlacht bekannte, dann wiederholt aussprach und die seitdem zur Gesamtauffassung der Marxisten geworden ist?

Nein, ich glaube, wie immer man über meine Leistungen denken mag, ich habe es nicht notwendig, auf solche Argumente solchen Kritikern gegenüber noch lange auseinanderzusetzen, welche Bedeutung ich den politischen Rechten für den Emanzipationskampf des Proletariats beimesse.

Aber ich verüble es den „selbständigen Köpfen“ des „Vorwärts“ nicht, wenn sie mir anarchistelnde Wandlungen vorwerfen. Sie kleben an der Bewunderung der demokratischen Formen und vermögen ihre proletarische von ihrer bürgerlichen Art nicht scharf zu scheiden. So erscheint ihnen alles „anarchistisch“, was Kritik des bürgerlichen Parlamentarismus, der bürgerlichen Demokratie, der bürgerlichen Republik bedeutet. So müssen sie gerade in den entschiedensten Marxisten mehr oder weniger anarchistische Elemente sehen, einmal in Guesde, dann in der Genossin Roland-Holst, jetzt in mir, morgen vielleicht in der Genossin Zetkin.

So wenig ich ihnen das verüble, so sehr stimme ich ihnen darin zu, dass ein „klaffender Widerspruch“ zwischen uns besteht, der sich durch nichts verkleistern, durch nichts überbrücken lässt.

Aber es ist unmöglich, dass zwischen den beiden Zentralorganen der Partei ständig ein so tiefer Gegensatz bestehen bleibt. Die Partei müsste darunter aufs Schwerste geschädigt werden. Sie leidet heute schon unter ihm. Ihn zu beseitigen ist dringend notwendig. An der Partei ist es daher, sich jetzt zu entscheiden für die materialistische oder die ethische Methode.

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