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Wladimir I. Lenin 19011000 Antwort an das St. Petersburger Komitee

Wladimir I. Lenin: Antwort an das St. Petersburger Komitee1

[Iskra" Nr. 9, Oktober 1901. Nach Sämtliche Werke, Band 4.2, Wien-Berlin 1929, S. 17 f.]

In Nr. 12 der „Rabotschaja Mysl" veröffentlicht das St. Petersburger Komitee (der „Kampfbund") eine Erwiderung auf die Notiz in der ersten Nummer der „Iskra" über die Spaltung des „Auslandsbundes der russischen Sozialdemokraten". Leider umgeht diese Erwiderung sehr sorgfältig den Kern der Streitfrage, bei einer solchen Methode kann die Polemik nie zu einer Klärung der Frage führen. Wir haben behauptet und behaupten, dass der „Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten" sich gespalten habe, dass der „Auslandsbund" in zwei Teile zerfallen sei, nachdem sich auf dem Kongress von 1900 eine starke Minderheit der Mitglieder zurückgezogen hatte, darunter auch die Gruppe „Befreiung der Arbeit", die den „Auslandsbund" gegründet und früher alle seine Schriften redigiert hat. Nach der Spaltung kann keiner der Teile die Stelle einnehmen, die der alte „Auslandsbund" als Ganzes eingenommen hat. Das St. Petersburger Komitee macht nicht den Versuch, diese Auffassung zu widerlegen, es spricht (man weiß nicht warum) nur von Plechanow und nicht von der Organisation „Sozialdemokrat" und gibt nur indirekt dem Leser zu verstehen, dass anscheinend der Petersburger „Kampfbund" die Tatsache der Spaltung in Abrede stelle und einen der Teile des früheren „Auslandsbundes" immer noch für das Ganze, halte.

Wozu nimmt man eine Polemik auf, wenn man nicht gewillt ist, die Meinung des Gegners sachlich zu analysieren und die eigene offen auszusprechen?

Weiter. Wir haben behauptet und behaupten, dass die Hauptursache (nicht der Anlass, sondern die Ursache) der Spaltung eine grundsätzliche Meinungsverschiedenheit gewesen sei, und zwar die Meinungsverschiedenheit zwischen der revolutionären und der opportunistischen Sozialdemokratie. Schon aus diesem Grunde allein muss das, was sich im „Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten" zugetragen hat, als eine Spaltung des alten „Auslandsbundes" betrachtet werden. Es fragt sich nun, welche Stellung das Petersburger Komitee zu dieser Frage einnimmt. Ist es gewillt, das Bestehen einer tiefen, grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Teilen des Bundes zu leugnen? Man weiß es nicht, denn das St. Petersburger Komitee hat es fertiggebracht, eine „Erwiderung" zu schreiben, ohne auch nur ein einziges Wörtchen über diese grundlegende Frage zu sagen. Und wir fragen noch einmal die Petersburger, und nicht nur allein die Petersburger Genossen: besteht nicht die Gefahr, dass eine Polemik, die den Kern der Dinge umgeht, in die unangenehmste Schimpferei ausartet? Lohnt es sich überhaupt, eine Polemik zu beginnen, wenn der Wunsch fehlt oder wenn man es für unzeitgemäß hält, die Frage sachlich zu analysieren und seine Meinung mit aller Bestimmtheit und vollständig offen zum Ausdruck zu bringen?

1 Aus Anlass der Notiz Lenins: „Die Spaltung im Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten" (siehe ersten Halbband des IV. Bandes) veröffentlichte der Petersburger Kampfbund, der zu der Zeit unter dem Einfluss der „Ökonomisten" stand, in Nr. 12 der „Rabotschaja Mysl" (Juli 1901) folgende Erwiderung:

Die Redaktion der ,Iskra' veröffentlicht in Nr. 1 ihrer Zeitung eine Notiz über den ,Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten', die wir nicht unerwidert lassen können. In dieser Notiz spricht die ,Iskra'-Redaktion dem Auslandsbund das Recht ab, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands im Ausland zu vertreten – ein Recht, das dem Auslandsbund vom ersten Parteitag zuerkannt wurde – und empfiehlt, als Vertreter im internationalen Büro den Genossen Plechanow anzuerkennen. Hierbei hält die Redaktion der ,Iskra' es für überflüssig, ihren Entschluss zu begründen und auf den Streit zwischen dem Auslandsbund und der Grupppe Befreiung der Arbeit näher einzugehen.

Das Petersburger Komitee, das alle Berichte und Dokumente, die den Streit um die Statutenverletzung betreffen, geprüft hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Vorwurf des Genossen Plechanow, die Mehrheit des ,Auslandsbundes' habe das Statut verletzt und damit das Recht verwirkt, den Namen ,Auslandsbund' zu tragen, völlig unbegründet ist. Infolgedessen bestätigt das Petersburger Komitee den Beschluss des ersten Parteitages und erkennt den ,Auslandsbund der russischen Sozialdemokraten' nach wie vor als einzige Vertretung der Partei im Auslande an.

Das Petersburger Komitee schließt sich der an die in Russland wirkenden Komitees und Gruppen der Partei gerichteten Bitte der ausländischen Genossen an, alle den Streit betreffenden Dokumente eingehend zu prüfen und sich zu dieser Frage zu äußern: nur durch eine rasche und gerechte Entscheidung können wir die Anarchie in der Partei beseitigen."

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