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Wladimir I. Lenin 19030600 Antwort auf die Kritik unseres Programmentwurfs

Wladimir I. Lenin: Antwort auf die Kritik unseres Programmentwurfs1

[Geschrieben im Juni 1903 Zum ersten Mal veröffentlicht in einer von der „Liga" herausgegebenen Broschüre. Nach Sämtliche Werke, Band 5, Wien-Berlin 1930, S. 459-477]

Genosse Iks lehnt den dritten und den vierten Punkt des Agrarteils unseres Entwurfes ab und empfiehlt seinen Entwurf, der alle Punkte und auch die allgemeine Einleitung zum Agrarprogramm abändert. Wir wollen zuerst die Einwände des Genossen Iks gegen unseren Entwurf und dann seinen eigenen Entwurf prüfen.

Gegen den dritten Punkt wendet Genosse Iks ein, dass die von uns vorgeschlagene Beschlagnahme der Klostergüter (wir würden gerne hinzufügen: auch der Kirchengüter) und Apanagenländereien die Plünderung dieser Ländereien durch die Kapitalisten zu einem Spottpreis bedeuten würde. Gerade die Plünderer der Bauern würden für das geraubte Geld diese Güter aufkaufen, sagt er. Wir bemerken dazu, dass Genosse Iks, wenn er vom Verkauf der beschlagnahmten Güter spricht, willkürlich einen Schluss zieht, der in unserem Programm noch nicht enthalten ist. Die Beschlagnahme bedeutet die Enteignung des Eigentums ohne Entschädigung. Nur von einer solchen Enteignung ist bei uns die Rede. In unserem Programmentwurf ist kein Wort darüber gesagt, ob diese Ländereien verkauft werden sollen, an wen und wie, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen. Wir binden uns nicht die Hände, sondern behalten uns vor, die zweckmäßigste Form der Verfügung über die beschlagnahmten Vermögen dann zu bestimmen, wenn sie beschlagnahmt, wenn alle sozialen und politischen Bedingungen dieser Beschlagnahme klar sein werden. Der Entwurf des Genossen Iks unterscheidet sich in dieser Beziehung von unserem, denn er verlangt nicht nur die Beschlagnahme, sondern auch die Übergabe der beschlagnahmten Ländereien „in den Besitz des demokratischen Staates zur zweckmäßigsten Nutzung durch die Bevölkerung". Genosse Iks schließt also eine der Formen der Verfügung über die beschlagnahmten Ländereien (den Verkauf) aus und legt keine bestimmte Form genau fest (denn es bleibt unklar, worin diese „zweckmäßigste" Nutzung besteht oder bestehen wird oder bestehen soll, und welche Klassen der „Bevölkerung", und unter welchen Bedingungen, das Nutzungsrecht erhalten werden). Auf diese Weise bringt Genosse Iks ohnehin keine vollständige Klarheit in die Frage, wie über die beschlagnahmten Ländereien verfügt werden soll (das kann auch nicht im Voraus bestimmt werden), er schließt aber unnötigerweise den Verkauf als eine der Verfügungsarten aus. Es wäre falsch gewesen, zu sagen, dass die Sozialdemokratie unter allen Bedingungen und immer gegen den Verkauf sein werde. In einem Polizeiklassenstaat, möge es auch ein konstitutioneller Staat sein, kann die Klasse der Eigentümer oft eine viel zuverlässigere Stütze der Demokratie sein als die Klasse der Pächter, die von diesem Staate abhängt. Das einerseits. Andererseits aber wird die Verwandlung der Beschlagnahme in „ein Geschenk an die Kapitalisten" in unserem Entwurf klarer vorausgesehen (soweit man das überhaupt in einer programmatischen Fassung voraussehen kann) als in dem Entwurf des Genossen lks. In der Tat, nehmen wir das Schlimmste an: nehmen wir an: dass die Arbeiterpartei, trotz allen ihren Bemühungen, nicht imstande gewesen sei, die Willkür und den Eigennutz der Kapitalisten zu zähmenA. In diesem Falle gewährt die Fassung des Genossen Iks der kapitalistischen Klasse der „Bevölkerung" vollständige Freiheit, die beschlagnahmten Güter am „zweckmäßigsten" zu nutzen. Unsere Fassung dagegen, die die Grundforderung nicht mit der Form ihrer Verwirklichung verbindet, sieht eine streng festgelegte Verwendung der bei einer solchen Verwirklichung erzielten Gelder vor. Wenn Genosse Iks sagt, dass „die Sozialdemokratische Partei nicht die Aufgabe übernehmen darf, im voraus zu entscheiden, in welcher konkreten Form die Volksvertretung den Bodenfonds, über den sie verfügen wird, auszunutzen hat", so verwechselt er zwei verschiedene Dinge: die Art der Verwirklichung (mit anderen Worten: „die Form der Nutzung" des Fonds) und die Verwendung der durch die Verwirklichung erzielten Summen. Genosse Iks, der die Frage der Verwendung dieser Summen offen lässt und sich, wenn auch nur zum Teil, in der Frage der Art der Durchführung die Hände bindet, bringt dadurch eine zweifache Verschlechterung in unseren Entwurf hinein.

Ebenso hat Genosse Iks, unseres Erachtens, unrecht, wenn er gegen uns folgenden Einwand erhebt: „Man kann auch nicht die Ablösungsgelder von den Adligen zurückbekommen, da viele von ihnen alles vergeudet haben." Das ist eigentlich gar kein Einwand, denn wir schlagen gar nicht vor, einfach „zurückzubekommen", sondern wir schlagen eine besondere Steuer vor. Genosse Iks führt selbst in seinem Aufsatz Angaben dafür an, dass die Großgrundbesitzer einen besonders großen Teil des bäuerlichen Grund und Bodens zu ihren Gunsten „abgetrennt", dass sie sich mitunter bis zu drei Vierteln der bäuerlichen Ländereien angeeignet haben. Darum ist die Forderung vollkommen berechtigt, gerade den adligen Großgrundbesitzern eine besondere Steuer aufzuerlegen. Ebenso richtig ist es, den auf diese Weise erzielten Summen jene besondere Verwendung zu geben, die wir verlangen, denn außer der allgemeinen Aufgabe, alle Einkünfte des Staates dem Volk zurückzugeben (eine Aufgabe, die nur unter dem Sozialismus vollkommen zu verwirklichen ist), wird dem befreiten Russland unvermeidlich noch die besondere und sehr dringende Aufgabe erstehen, die Lebenshaltung der Bauern zu heben, die Aufgabe, jener Masse von Bettlern und Hungrigen, die unter unserem absolutistischen Regime so übermäßig rasch anwächst, eine ernste Hilfe zu sein.

Gehen wir jetzt zum vierten Punkt über, den Genosse Iks ganz ablehnt, obgleich er ausschließlich seinen ersten Teil betrachtet – den Teil über die abgetrennten Bodenstücke – und kein Wort über den zweiten Teil sagt, der die Beseitigung der Überreste der Leibeigenschaft vorsieht, die in den verschiedenen Gegenden des Staates verschieden sind. Beginnen wir mit einer formalen Bemerkung des Verfassers: er sieht einen Widerspruch darin, dass wir die Aufhebung der Stände und die Errichtung von Bauern-, d. h. ständischen Komitees verlangen. In Wirklichkeit liegt hier nur scheinbar ein Widerspruch vor: zur Aufhebung der Stände ist die „Diktatur" des untersten, des unterdrückten Standes notwendig – ebenso wie zur Aufhebung der Klassen überhaupt, darunter auch der Proletarierklasse, die Diktatur des Proletariats erforderlich ist. Unser ganzes Agrarprogramm strebt die Aufhebung der leibeigenschaftlichen und ständischen Überlieferungen auf dem Gebiete der Agrarverhältnisse an, zu diesem Zwecke aber kann man sich einzig und allein an den untersten Stand wenden, an den durch die Überreste der Leibeigenschaft unterdrückten Stand.

Dem Wesen nach ist das Hauptargument des Verfassers folgendes: „Es ist kaum zu beweisen," dass die abgetrennten Bodenstücke die Hauptgrundlage des Abarbeitssystems sind, denn die Größe dieser abgetrennten Bodenstücke hing davon ab, ob die Bauern unter dem Leibeigenschaftsrecht Zinsbauern waren und folglich über viel Land verfügten, oder Fronbauern, und folglich über wenig Land verfügten. „Die Größe der abgetrennten Bodenstücke und ihre Bedeutung wird durch die Verkettung der geschichtlichen Verhältnisse bedingt," und im Kreise Wolsk z. B. ist auf kleinen Gütern der Prozentsatz der abgetrennten Bodenstücke verschwindend gering, auf großen Gütern – ungeheuer groß. So urteilt der Verfasser, ohne zu merken, dass er sich von der eigentlichen Frage entfernt. Zweifellos sind die abgetrennten Bodenstücke äußerst ungleichmäßig verteilt, und zwar je nach der Verbindung der verschiedensten Bedingungen (darunter auch solcher Bedingungen, wie das Vorhandensein des Fronsystems oder des Obroks zur Zeit der Leibeigenschaft). Was wird aber dadurch bewiesen? Ist nicht auch das Abarbeitssystem sehr ungleichmäßig verteilt? Wird nicht auch sein Bestehen durch die Verknüpfung der verschiedensten geschichtlichen Bedingungen bestimmt? Der Verfasser versucht, den Zusammenhang zwischen den abgetrennten Bodenstücken und dem Abarbeitssystem zu widerlegen, er spricht nur von den Ursachen der Abtrennung der Bodenstücke und von ihrer verschiedenen Größe, ohne irgend etwas über diesen Zusammenhang zu sagen. Nur einmal stellt der Verfasser eine Behauptung auf, die das Wesentliche seiner These betrifft, aber gerade mit dieser Behauptung ist er vollkommen im Unrecht.

Folglich – sagt er, indem er das Ergebnis seiner Betrachtungen über den Einfluss des Obroks oder des Fronsystems zieht – werden dort, wo die Bauern Fronbauern waren (hauptsächlich im zentralen Landwirtschaftsgebiet) diese abgetrennten Bodenstücke sehr winzig sein, während dort, wo sie Zinsbauern waren, der gesamte Großgrundbesitz aus abgetrennten Bodenstücken bestehen kann."

Die von uns unterstrichenen Worte enthalten einen großen Fehler, der die ganze Beweisführung des Verfassers zerstört. Gerade im zentralen Landwirtschaftsgebiet, diesem Hauptmittelpunkt des Abarbeitssystems und aller Überreste der Leibeigenschaft, sind die abgetrennten Bodenstücke nicht „winzig", sondern sehr groß, die Einbuße ist größer als in dem Teil, der nicht zum Schwarzerdegebiet gehört und in dem der Obrok das Fronsystem überwiegt. Hier einige Angaben zu dieser Frage, die mir ein Genosse, der von Beruf Statistiker ist, übermittelt hat. Er hat die Zahlen des Militär-Statistischen Sammelbuches über den Grundbesitz der Gutsbauern vor der Reform mit den Zahlen der Grundbesitzstatistik aus dem Jahre 1878 verglichen und so die Größe der abgetrennten Bodenstücke in jedem Gouvernement festgestellt. Es stellte sich heraus, dass in neun nicht zum Schwarzerdegebiet gehörenden GouvernementsB diese Gutsbauern vor der Reform 10.421.000 Desjatinen, im Jahre 1878 aber nur 9.746.000 Desjatinen besaßen, d. h. dass 675.000 Desjatinen oder 6,5 Prozent des Grund und Bodens, also durchschnittlich 72.800 Desjatinen in einem Gouvernement abgetrennt wurden.

In vierzehn SchwarzerdegouvernementsC dagegen besaßen die Bauern 12.795.000 Desjatinen, nach der Reform blieben ihnen 9.996.000 Desjatinen, d. h. 2.799.000 oder 21,9 Prozent, durchschnittlich 199.100 Desjatinen in einem Gouvernement wurden abgetrennt. Eine Ausnahme bildet nur das dritte, das Steppengebiet, wo die Bauern in den fünf GouvernementsD 2 203000 Desjatinen vor der Reform und 1 580.000 Desjatinen nachher besaßen, wo also 623.000 Desjatinen oder 28,3 Prozent, durchschnittlich 124 600 Desjatinen in einem Gouvernement abgetrennt wurdenE. Dieses Gebiet ist eine Ausnahme, denn hier überwiegt das kapitalistische System das Abarbeitssystem, während der Prozentsatz der abgetrennten Bodenstücke hier der höchste ist. Aber diese Ausnahme bestätigt vielmehr die allgemeine Regel, denn hier wird der Einfluss der abgetrennten Bodenstücke aufgehoben durch einen so wichtigen Umstand, wie die Tatsache, dass die größten Landanteile trotz der abgetrennten Bodenstücke den Bauern gehören und dass eine große Menge an freiem Bodenfonds für die Bodenverpachtung vorhanden ist. So ist der Versuch des Verfassers, das Bestehen eines Zusammenhanges zwischen den abgetrennten Bodenstücken und dem Abarbeitssystem anzuzweifeln, misslungen. Im Großen und Ganzen unterliegt es keinem Zweifel, dass der Mittelpunkt des Abarbeitssystems in Russland (das zentrale Schwarzerdegebiet) zugleich auch der Mittelpunkt der abgetrennten Bodenstücke ist. Wir unterstreichen die Worte „im Großen und Ganzen", um auf folgendes Bedenken des Verfassers eine Antwort zu geben. Zu den Worten unseres Programms über die Rückgabe der Ländereien, die abgetrennt wurden und als Mittel zur Knechtung dienen, stellt der Verfasser in Klammern die Frage: „Und die nicht dazu dienen?" Wir antworten ihm, dass das Programm kein Gesetzentwurf über die Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke ist. Wir erklären und erläutern die allgemeine Bedeutung der abgetrennten Bodenstücke und sprechen nicht über Einzelfälle. Kann man denn noch, nach all der Volkstümlerliteratur über die Lage der Bauernschaft in der Nachreformzeit daran zweifeln, dass die abgetrennten Bodenstücke im Großen und Ganzen als Mittel der Knechtung dienen? Kann man denn noch, fragen wir weiter, den Zusammenhang zwischen den abgetrennten Bodenstücken und dem Abarbeitssystem leugnen, wo sich doch dieser Zusammenhang aus den Grundbegriffen der russischen Wirtschaft der Nachreformzeit ergibt? Das Abarbeitssystem ist die Vereinigung des Fronsystems mit dem Kapitalismus, des „alten Regimes" und der „modernen" Wirtschaft, des Ausbeutungssystems mit Hilfe der Bodenzuteilung und des Ausbeutungssystems durch Trennung vom Boden. Welches anschaulichere Beispiel für das moderne Fronsystem kann es geben als das Wirtschaftssystem, das auf Abarbeit für die Nutzung der abgetrennten Bodenstücke beruht (ein System, das als solches, als besonderes System, und nicht als eine Zufallserscheinung, von der Literatur der Volkstümler noch in der guten alten Zeit beschrieben wurde, als von schablonenhaften und engherzigen Marxisten noch keine Rede war)? Kann man denn wirklich glauben, dass die gegenwärtige Fesselung der Bauern an den Grund und Boden sich nur hält, weil es kein Gesetz über Freizügigkeit gibt, und nicht weil außerdem (und zum Teil ist das das Grundlegende), eine auf Knechtschaft aufgebaute Wirtschaft um der Nutzung des abgetrennten Bodens willen besteht?

Der Verfasser, der durch nichts bewiesen hat, dass seine Zweifel am Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den abgetrennten Bodenstücken und der Knechtung der Bauern berechtigt sind, führt weiter folgendes aus: Die Rückgabe der abgetrennten Ländereien ist eine Zuteilung kleiner Parzellen, die nicht so sehr auf den Bedürfnissen der Bauernwirtschaft wie auf der geschichtlichen „Überlieferung" beruht. Wie jede ungenügende Zuteilung von Boden (von genügender kann keine Rede sein), wird sie die Knechtschaft nicht aufheben, sondern erst schaffen, denn sie wird die Pacht des fehlenden Grund und Bodens, eine Pacht aus Not, eine Ernährungspacht hervorrufen, also eine reaktionäre Maßnahme sein.

Diese Betrachtung verfehlt wiederum ihr Ziel, denn unser Programm „verspricht" in seinem Agrarteil keineswegs die Beseitigung überhaupt jeder Not (das verspricht es nur in seinem allgemein-sozialistischen Teil), sondern nur die Beseitigung (wenigstens mehrerer) Überreste der Leibeigenschaft. Unser Programm spricht ja gerade nicht von der Zuteilung von allerhand kleinen Parzellen überhaupt, sondern von der Beseitigung wenigstens einer bestehenden Form der Knechtschaft. Der Verfasser ist von dem Gedankengang abgewichen, der unserem Programm zugrunde liegt, und hat ihm willkürlich, falsch eine andere Bedeutung beigelegt. Man betrachte in der Tat seine Beweisführung. Er lehnt es ab (und in dieser Beziehung hat er natürlich recht), die abgetrennten Bodenstücke nur im Sinne von Streuländereien auszulegen und sagt:

Wenn die abgetrennten Bodenstücke eine ergänzende Zuteilung von Boden sind, so muss man untersuchen, ob ihre Zahl zur Aufhebung der Hörigkeitsverhältnisse genügt, da von diesem Standpunkt aus die Knechtschaft das Ergebnis des Bodenmangels ist."

Nirgends behauptet unser Programm, dass die Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke zur Aufhebung der Knechtschaft genüge. Die Knechtschaft jeglicher Art kann nur durch die soziale Revolution beseitigt werden, in unserem Agrarprogramm aber stehen wir auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse und fordern gewisse Maßnahmen „zum Zwecke der Beseitigung" (wir sagen nicht einmal, dass das eine vollständige Beseitigung sein kann) der Überreste der Leibeigenschaft. Der ganze Sinn unseres Agrarprogramms besteht darin, dass das Landproletariat zusammen mit der reichen Bauernschaft für die Ausrottung der Überreste der Leibeigenschaft, für die abgetrennten Bodenstücke kämpfen soll. Wer diesen Satz aufmerksam prüft, der wird begreifen, wie falsch, unangebracht und unlogisch z. B. solche Einwände sind: Warum nur für die abgetrennten Bodenstücke, da doch das nicht genügt? Weil das Proletariat mit der reichen Bauernschaft nicht weiter zusammengehen kann und darf als bis zur Beseitigung der Leibeigenschaft, bis zur Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke usw. Darüber hinaus wird das Proletariat im Allgemeinen und das Landproletariat insbesondere allein gehen; nicht zusammen mit der „Bauernschaft", nicht zusammen mit dem reichen Bauer, sondern gegen ihn. Nicht darum beschränken wir uns auf die abgetrennten Bodenstücke, weil wir für die Bauern nicht das Beste wollen oder weil wir Angst haben, die Bourgeoisie einzuschüchtern, sondern weil wir nicht wollen, dass das Landproletariat der reichen Bauernschaft mehr als notwendig ist, mehr als für das Proletariat notwendig ist, hilft. Unter der Fronknechtschaft leidet sowohl der Proletarier wie der reiche Bauer; gegen diese Versklavung können und müssen sie zusammen marschieren, gegen die übrige Knechtschaft wird das Proletariat allein kämpfen. Darum ist die Trennung der Fronknechtschaft von jeder anderen Knechtschaft in unserem Programm das notwendige Ergebnis der strengen Wahrnehmung der Klasseninteressen des Proletariats. Wir würden diese Interessen verletzen, wir würden den Klassenstandpunkt des Proletariats verlassen, wenn wir in unserem Programm annehmen wollten, dass die „Bauernschaft" (d. h. die reichen Bauern und die Dorfarmut) noch über die Aufhebung der Überreste der Leibeigenschaft hinaus zusammen marschieren wird. Wir würden dadurch den unbedingt notwendigen und vom Standpunkt der Sozialdemokratie wichtigsten Prozess der endgültigen Trennung des Landproletariats von der wohlhabenden Bauernschaft, den Prozess der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins auf dem flachen Lande aufhalten. Wenn die Leute vom alten Glauben, die Volkstümler, und die Leute ohne jeden Glauben und ohne jede Überzeugung, die Sozialrevolutionäre, über unser Agrarprogramm die Achsel zucken, so darum, weil sie (z. B. Herr Rudin und Konsorten) keine Ahnung von der wirklichen Wirtschaftsordnung auf dem Lande und von ihrer Entwicklung haben, weil sie keine Ahnung haben von den in Entstehung begriffenen und fast schon bestehenden bürgerlichen Verhältnissen innerhalb der Dorfgemeinde, von der Macht der bürgerlichen Bauernschaft.2 Mit den alten volkstümlerischen Vorurteilen oder noch öfter mit Bruchteilen dieser Vorurteile gehen sie an unser Agrarprogramm heran und beginnen, einzelne Punkte oder deren Fassung zu bemängeln, ohne selbst zu begreifen, welches Ziel unser Agrarprogramm verfolgt, für welche sozial-ökonomischen Verhältnisse es berechnet ist. Wenn man ihnen sagt, dass es sich in unserem Agrarprogramm nicht um den Kampf gegen die bürgerliche Ordnung handelt, sondern um die Einbeziehung des flachen Landes in das System der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, so reiben sie sich nur die Augen, ohne (infolge ihrer theoretischen Sorglosigkeit) zu begreifen, dass ihre Bedenken nur Widerhall des Kampfes zwischen der volkstümlerischen und der marxistischen Weltanschauung sind.

Für den Marxisten, der an die Ausarbeitung eines Agrarprogramms herangeht, ist die Frage der Überreste des Leibeigenschaftssystems in dem bürgerlichen und sich kapitalistisch entwickelnden russischen Dorfe eine bereits gelöste Frage, und die Sozialrevolutionäre hindert nur ihre vollständige Grundsatzlosigkeit, zu erkennen, dass sie, wenn sie sachlich urteilen wollen, unserer Lösung dieser Frage etwas wenigstens halbwegs Zusammenhängendes und Einheitliches entgegenstellen müssen. Für einen Marxisten besteht die Aufgabe nur darin, zwei äußerste Fälle zu vermeiden: einerseits darf er nicht in den Fehler jener Leute verfallen, die behaupten, dass wir vom Standpunkte des Proletariats mit den nächsten und vorläufigen nichtproletarischen Aufgaben nichts zu tun haben; andererseits darf er nicht zulassen, dass die Teilnahme des Proletariats an der Lösung der nächsten demokratischen Aufgaben zu einer Verdunkelung seines Klassenbewusstseins und seiner selbständigen Klassenrolle führt. Auf dem Gebiete der eigentlichen Agrarverhältnisse läuft diese Aufgabe auf folgendes hinaus: es muss die klare Losung einer Agrarreform auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung aufgestellt werden, die die Überreste der Leibeigenschaft am vollständigsten vernichtet und das Landproletariat von der Gesamtmasse der Gesamtbauernschaft am raschesten loslöst.

Ich denke, dass unser Programm diese Aufgabe gelöst hat. Und wir lassen uns keineswegs beirren durch die Frage des Genossen Iks: was tun, wenn die Bauernkomitees nicht nur das abgetrennte Land, sondern den gesamten Grund und Boden verlangen werden? Wir selbst verlangen den gesamten Grund und Boden, nur natürlich nicht „zum Zwecke der Beseitigung der Überreste der Leibeigenschaft" (auf diesen Zweck beschränkt sich der Agrаrteil unseres Programms), sondern zum Zwecke der sozialistischen Umwälzung. Und wir weisen stets und unter allen Bedingungen unermüdlich die „Dorfarmut" auf dieses Ziel hin und werden dies auch in Zukunft tun. Es gibt keinen gröberen Fehler, als zu denken, dass der Sozialdemokrat auf das flache Land nur mit dem Agrarteil seines Programms gehen kann, dass der Sozialdemokrat sein sozialistisches Banner auch nur für einen Augenblick zusammenfalten kann. Wenn die Forderung nach dem gesamten Grund und Boden zur Forderung der Nationalisierung oder des Übergangs des Bodens an die heutige wirtschaftlich selbständige Bauernschaft wird, so werden wir diese Forderung vom Standpunkte der proletarischen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilen: wir können nicht im Voraus sagen, ob z. B. unsere wirtschaftlich selbständige Bauernschaft, wenn die Revolution sie zum politischen Leben erweckt, als demokratisch-revolutionäre oder als Ordnungspartei auftreten wird. Wir müssen unser Programm so fassen, dass wir auf das Schlimmste vorbereitet sind, das Eintreten günstigerer Umstände aber wird unsere Arbeit nur erleichtern und ihr einen neuen Anstoß geben.

Wir müssen noch, was diese Frage betrifft, auf folgende Betrachtung des Genossen Iks eingehen.

Hierauf – schreibt er über seine Behauptung, dass die Aufteilung der abgetrennten Bodenstücke die Ernährungspacht stärken werde – könnte man erwidern, dass die Aufteilung der abgetrennten Bodenstücke als Mittel zur Beseitigung der versklavenden Pachtform dieser Bodenstücke und nicht als Mittel zur Vergrößerung und Stärkung der kleinen Ernährungswirtschaft von Bedeutung ist. Doch es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Behauptung einen logischen Widerspruch enthält. Die Zuteilung kleiner Bodenfetzen ist eine Bodenzuteilung, die für eine fortschreitende Wirtschaft nicht ausreicht, die aber zur Festigung einer Ernährungspachtwirtschaft genügt. Durch die Zuteilung einer ungenügenden Bodenmenge wird also die Ernährungswirtschaft gestärkt. Dass aber dadurch die versklavenden Pachtformen beseitigt werden, müsste erst bewiesen werden. Wir haben den Nachweis geführt, dass sie gestärkt werden, da dadurch die Zahl der kleinen Eigentümer, die bei der Pacht des Gutsbesitzerlandes miteinander in Wettbewerb treten, vergrößert wird."

Wir haben diese ganze Ausführung des Genossen Iks ungekürzt abgeschrieben, damit der Leser leichter beurteilen kann, wo der wirkliche „logische Widerspruch" liegt. Die Bauern benutzen jetzt die abgetrennten Bodenstücke in der Regel unter versklavenden Bedingungen. Nach Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke werden sie sie als freie Eigentümer benutzen. Muss denn wirklich „erst bewiesen werden", dass durch die Rückgabe dieses abgetrennten Landes die Hörigkeitsverhältnisse beseitigt werden? Es handelt sich um besondere Bodenstücke, die bereits eine besondere Form der Knechtung geschaffen haben, der Verfasser aber setzt an Stelle dieses Sonderbegriffes den allgemeinen Begriff „der ungenügenden Bodenmenge"! Das heißt, über die Frage hinweg springen. Es bedeutet die Annahme, dass die abgetrennten Bodenstücke gegenwärtig keine besondere Knechtung erzeugen: dann wäre ihre Rückgabe wirklich einfach „die Zuteilung von ungenügenden Bodenmengen", und dann dürften wir tatsächlich für diese Maßnahme nicht eintreten. Aber jeder sieht sehr gut, dass dem nicht so ist.

Weiter. Der Verfasser verwechselt die Fron-Knechtschaft (das Abarbeitssystem der Wirtschaft), die durch das abgetrennte Land erzeugt wird, mit der Ernährungspacht, mit der Pacht aus Not im Allgemeinen. Diese Pacht besteht in allen europäischen Ländern: die Konkurrenz der kleinen Eigentümer und der kleinen Pächter treibt in der kapitalistischen Wirtschaft stets und überall den Verkaufs- und Pachtpreis auf eine Höhe, die einer „Knechtung" gleichkommt. Diese Art der Knechtung werden wir nicht beseitigen, solange wir uns nicht vom Kapitalismus befreienF. Spricht das aber gegen die besonderen Maßnahmen zum Kampf gegen besondere, rein-russische Formen der Knechtung? Genosse Iks redet gerade so, als wenn er, unter Hinweis auf die Steigerung der Arbeitsintensität durch eine Kürzung des Arbeitstages, sich gegen eine solche Kürzung wenden würde. Die Kürzung des Arbeitstages ist eine Teilreform, die nur eine Form der Knechtung, nämlich die Knechtung durch die Verlängerung der Arbeitszeit beseitigt. Andere Formen der Knechtung, z. B. die Knechtung durch das „Antreiben" der Arbeiter werden durch diese Reform nicht beseitigt, alle Formen der Knechtung überhaupt aber können auf dem Boden des Kapitalismus durch keinerlei Reformen beseitigt werden.

Wenn der Verfasser sagt: „Die Aufteilung des abgetrennten Landes ist eine reaktionäre Maßnahme, die die Knechtschaft festigt," so stellt er eine Behauptung auf, die in so schreiendem Widerspruch zu den gesamten statistischen Angaben über die Bauernwirtschaft der Nachreformzeit steht, dass er selber sie nicht aufrechterhalten kann. Er widerspricht sich selbst, denn er sagt vorher:

Den Kapitalismus zu züchten, ist selbstverständlich nicht Sache der Sozialdemokratischen Partei. Das wird unabhängig von den Wünschen irgendeiner Partei geschehen, sobald die Bodennutzung durch die Bauern einen größeren Umfang annimmt…"

Wenn aber die Erweiterung der Bodennutzung durch die Bauern im Allgemeinen zur Entwicklung des Kapitalismus führt, so ist dieses Ergebnis noch weniger zu vermeiden, wenn der bäuerliche Bodenbesitz sich auf Kosten der besonderen Grundstücke erweitert, die die spezifische Fronknechtschaft erzeugen. Die Rückgabe des abgetrennten Bodens wird die Lebenshaltung der Bauernschaft heben, den Innenmarkt vergrößern, die Nachfrage nach Lohnarbeitern in den Städten wie auch die Nachfrage nach Lohnarbeitern bei den reichen Bauern und Gutsbesitzern, die eine gewisse Stütze der Abarbeitswirtschaft verlieren, stärken. Was die „Züchtung des Kapitalismus" betrifft, so ist das ein sehr merkwürdiger Einwand. Die Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke würde nur dann eine Züchtung des Kapitalismus bedeuten, wenn sie ausschließlich für die Bourgeoisie nützlich und notwendig wäre. Dem ist aber nicht so. Diese Rückgabe ist ebenso, wenn nicht in noch höherem Maße, für die Dorfarmut nützlich und notwendig, die unter der Knechtschaft und dem Abarbeitssystem leidet. Das Landproletariat wird ebenso wie die Dorfbourgeoisie von der Fron-Knechtschaft unterdrückt, die zum großen Teil eben auf der Nutzung der abgetrennten Bodenstücke beruht. Das Landproletariat kann sich darum von dieser Knechtschaft nicht befreien, wenn es nicht gleichzeitig auch die Dorfbourgeoisie befreit. Nur solche Herren, wie Rudin und ähnliche Sozialrevolutionäre, die ihre Verwandtschaft mit den Volkstümlern vergessen haben, können hier eine „Züchtung" des Kapitalismus erblicken.

Noch weniger überzeugend sind die Darlegungen des Genossen Iks zur Frage der Durchführbarkeit der Rückgabe des abgetrennten Bodens. Seine Angaben über den Kreis Wolsk sprechen gegen ihn: fast der fünfte Teil der Güter (18 von 99) ist in den Händen der alten Besitzer geblieben – d. h. die abgetrennten Bodenstücke könnten unmittelbar und ohne jede Ablösung in die Hände der Bauern übergehen. Ein weiteres Drittel der Güter ist ungeteilt in andere Hände übergegangen – d. h. das abgetrennte Land müsste hier auf Kosten des adligen Großgrundbesitzers los gekauft werden. Und nur in 16 Fällen von 99 müsste man das abgetrennte Land von den Bauern und anderen Besitzern, die den Boden stückweise gekauft haben, zurückkaufen. Wir lehnen es entschieden ab, zu begreifen, warum die Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke unter solchen Bedingungen „undurchführbar" sein soll. Betrachten wir die Angaben über dasselbe Gouvernement Saratow. Vor uns liegen die neuesten „Materialien zur Frage der Not der landwirtschaftlichen Industrie im Gouvernement Saratow" (Saratow, 1903). Der Umfang des gesamten abgetrennten Bodens der früheren Gutsbauern ist mit 600.000 Desjatinen oder 42,7 Prozent angegebenG. Wenn die Semstwostatistiker im Jahre 1896 die Größe des abgetrennten Bodens auf Grund von Auszügen aus Statuten und anderen Urkunden feststellen konnten, warum sollten dann nicht die Bauernkomitees, z. B. im Jahre 1906 diese Größe noch genauer feststellen können? Und wenn man die Norm des Kreises Wolsk annehmen wollte, so würde sich ergeben, dass man gegen 120.000 Desjatinen den Bauern sofort und ohne jede Ablösung zurückgeben und etwa 200.000 Desjatinen aus dem Bestand der Güter, die ungeteilt in andere Hände übergegangen sind, sofort (auf Kosten des adligen Grundbesitzes) ablösen könnte. Nur in Hinsicht auf die übrigen Ländereien würde der Hergang der Ablösung (auf Kosten des adligen Grundbesitzes), des Austausches usw. etwas schwieriger, aber keineswegs „undurchführbar" sein. Welche Bedeutung für die Bauern die Rückgabe ihrer 600.000 Desjatinen haben würde, ersieht man z. B. daraus, dass das gesamte in Privatbesitz befindliche gepachtete Land im Gouvernement Saratow Ende der 90er Jahre gegen 900.000 Desjatinen betrug. Wir wollen selbstverständlich nicht behaupten, dass das gesamte abgetrennte Land heute gepachtet wird, – wir wollen nur das Verhältnis der Bodenmenge, die als Eigentum zurückgegeben werden muss, zu der Bodenmenge, die heute fast durchweg zu versklavenden, zu Frondienst-Bedingungen gepachtet wird, in anschaulicher Weise zeigen. Dieser Vergleich zeigt sehr deutlich, was für einen empfindlichen Stoß die Rückgabe des abgetrennten Bodens den Hörigkeitsverhältnissen versetzen, welchen Antrieb sie der revolutionären Tatkraft der „Bauernschaft" geben würde, und – was vom Standpunkte der Sozialdemokraten das wichtigste ist – wie ungeheuer sie den geistigen und politischen Bruch zwischen dem Landproletariat und der Dorfbourgeoisie beschleunigen würde. Denn das nächste und unvermeidliche Ergebnis der Enteignungsarbeit der Bauernkomitees wäre eben dieser entschlossene und endgültige Bruch, und nicht die Vereinigung der gesamten „Bauernschaft" auf Grund „halb sozialistischer", „ausgleichender" Forderungen nach dem gesamten Boden, wie es den modernen Epigonen des Volkstümlertums vorschwebt. Je revolutionärer die „Bauernschaft" gegen die Gutsbesitzer auftritt, um so rascher und tiefer wird dieser Bruch sein, der sich dann nicht aus den statistischen Berechnungen der marxistischen Forschung ergeben wird, sondern aus den politischen Handlungen der Dorfbourgeoisie, aus dem Kampfe der Parteien und Klassen innerhalb der Bauernkomitees.

Man beachte: wenn wir die Forderung der Rückgabe des abgetrennten Bodens aufstellen, so beschränken wir absichtlich unsere Aufgabe auf den Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung: wir sind verpflichtet, das zu tun, wenn wir vom Mindestprogramm sprechen und wenn wir nicht in jene unverzeihliche, an Gaukelei grenzende Plänemacherei verfallen wollen, die einerseits die Genossenschaften, andererseits die Sozialisierung „in den Vordergrund" stellt. Wir antworten auf eine Frage, die nicht wir gestellt habenH, auf die Frage der Reformen des morgigen Tages, die in der illegalen Presse, in der „Gesellschaft", in den Semstwos, und vielleicht sogar in Regierungskreisen erörtert werden. Wir wären Anarchisten oder einfache Schwätzer, wenn wir dieser dringenden aber keineswegs sozialistischen Frage auswichen, die durch die ganze Geschichte Russlands der Nachreformzeit auf die Tagesordnung gestellt wird. Wir müssen eine vom sozialdemokratischen Standpunkte aus richtige Lösung dieser nicht von uns gestellten Frage geben, wir müssen unsere Einstellung zu den Agrarreformen festlegen, die die ganze liberale Gesellschaft schon fordert und ohne die kein vernünftiger Mensch sich die politische Befreiung Russlands vorstellen kann. Und wir bestimmen unsere Stellung zu dieser liberalen (im wissenschaftlichen, d. h. marxistischen Sinne des Wortes liberalen) Reform, indem wir unserem Grundsatz, neben der unermüdlichen und ununterbrochenen Arbeit für die Entwicklung des Klassenbewusstseins des Proletariats die wirklich demokratische Bewegung zu unterstützen, vollkommen treu bleiben. Wir geben die praktische Linie für das Verhalten gegenüber einer solchen Reform, die die Regierung oder die Liberalen, wenn nicht heute, dann morgen in Angriff nehmen müssen. Wir stellen eine Losung auf, die die Reform, die dem wirklichen Leben entspringt und nicht von der Phantasie eines verschwommenen, humanitären Allerwelts3-Sozialismus erfunden ist, einer revolutionären Lösung zutreibt.

Gerade daran krankt der Programmentwurf des Genossen lks. Auf die Frage, wie wir uns während der bevorstehenden liberalen Umgestaltung der Agrarverhältnisse zu verhalten haben, gibt er keine Antwort. Dafür gibt er (in den Punkten 5 und 7) eine verschlechterte und widerspruchsvolle Fassung der Forderung der Nationalisierung des Grund und Bodens. Widerspruchsvoll, denn die Aufhebung der Rente wird bald auf dem Wege der Steuern, bald auf dem Wege der Übergabe des Grund und Bodens an die Gesellschaft geplant. Verschlimmert, da die Rente durch die Steuern nicht aufgehoben werden kann, und da es erwünscht ist, dass der Grund und Boden (allgemein gesprochen) in die Hände des demokratischen Staates und nicht der kleinen öffentlichen Organisationen (wie z. B. unser gegenwärtiges oder das zukünftige Semstwo) gerät. Die Gründe gegen die Aufnahme der Forderung der Nationalisierung des Grund und Bodens in unserem Programm haben wir schon mehrfach angeführt und wollen sie nicht wiederholen.

Punkt 8 gehört überhaupt nicht zum praktischen Teil des Programms, Punkt 6 aber hat Genosse Iks so gefasst, dass er nichts „Agrarisches" mehr enthält. Warum er die Gerichte und die Herabsetzung des Pachtzinses ausschaltet, bleibt unbekannt.

Punkt 1 fasst der Verfasser weniger klar, als es in unserem Entwurf geschehen ist, und der Zusatz: „Zum Schutze der kleinen Eigentümer" (und nicht zugunsten der Entwicklung des kleinen Eigentums) hat wiederum nichts mit der „Agrarfrage" zu tun, er ist ungenau (Kleineigentümer, die Lohnarbeiter mieten, brauchen nicht verteidigt zu werden) und überflüssig, denn soweit wir die Persönlichkeit und nicht das Eigentum des Kleinbürgers verteidigen, tun wir das durch die Forderung genau bestimmter sozialer, finanzieller u. a. Reformen.

1 Dieser Artikel von Lenin ist eine Antwort auf den Artikel von Iks (Р. P. Maslow) „Das Programm". P. Maslow kritisiert in seinem Artikel den Agrarteil des von der „Iskra" und der „Sarja" ausgearbeiteten Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Verfasser des Agrarprogramms war bekanntlich Lenin) und fügte dem Artikel seinen eigenen Entwurf zu einem Agrarprogramm bei (siehe „Dokumente und Materialien", Nr. 5, S. 538 des vorliegenden Bandes). Der Artikel Maslows (Iks) und die „Antwort" Lenins wurden in Genf (Verlag der Liga der russischen revolutionären Sozialdemokratie) als besondere Broschüre herausgegeben.

A Wenn es uns gelingt, sie zu zähmen, so wird auch der Verkauf nicht in eine Plünderung oder in ein Geschenk an die Kapitalisten verwandelt werden.

B Pskow, Nowgorod, Twer, Moskau, Wladimir, Smolensk, Kaluga, Jaroslawl tmd Kostroma.

C Orel, Tula, Rjasan, Kursk, Woronesch, Tambow, Nischni-Nowgorod, Simbirsk, Kasan, Pensa, Saratow, Tschernigow, Charkow und Pollawa (37 % des Grund und Bodens abgetrennt).

D Cherson, Jekaterinoslaw, Taurien, Don-Gebiet (annähernde Berechnung) und Samara.

E Wenn wir diese Angaben über die abgetrennten Bodenstücke in den drei Gebieten vergleichen mit den Angaben über den Prozentsatz der Fronbauern von der Gesamtzahl der Bauern (auf Grund der Angaben der Redaktions-Kommissionen: siehe in der Enzyklopädie den Aufsatz „Die Bauern" Bd. 32, S. 686 {Der Artikel „Die Bauern", ohne Unterschrift, ist der Enzyklopädie von Brockhaus und Efron entnommen.}), so erhalten wir folgendes Verhältnis. Das Nichtschwarzerdegebiet (neun Gouvernements): abgetrennte Bodenstücke 6,5%, Fronbauern – 43,9% (der Durchschnitt aus den Angaben über die neun Gouvernements). Das zentrale Schwarzerdegebiet (14 Gouvernements): abgetrennte Bodenstücke 21,9%, Fronbauern 76,0%. Das Steppengebiet (5 Gouvernements): abgetrennte Bodenstücke 28,3%, Fronbauern 95,3%. Das Verhältnis ist also nicht so, wie es Genosse Iks haben will, sondern gerade umgekehrt.

2 Lenin meint die Broschüre A. Rudins (Pseudonym von А. I. Potapow) „Zur Bauernfrage", die im Jahre 1902 im Verlag der „Agrar-Sozialistischen Liga" erschienen ist.

F Beschränkung, Milderung dieser Knechtung ist dadurch möglich, dass Gerichte das Recht bekommen, den Pachtpreis herabzusetzen, was wir in unserem Programm auch fordern.

G Wir wollen bemerken, dass diese neuesten semstwostatistischen Angaben die Ansicht des obenerwähnten Genossen Statistikers vollkommen bestätigen, dass die von ihm mitgeteilten Zahlen über das abgetrennte Land zu niedrig sind. Nach jenen Angaben betragen die abgetrennten Bodenstücke im Gouvernement Saratow nur 512.000 Desjatinen (=38%). Aber auch die Menge von 600.000 Desjatinen ist niedriger als die wirkliche Größe des abgetrennten Bodens, denn sie erfasst erstens nicht alle Dorfgemeinden der früheren Gutsbauern und zweitens nur den nutzbaren Boden.

H Bis zu welchem Grade „nicht wir" es sind, die die Frage der Agrarreform auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung gestellt haben, geht z. B. aus folgenden Sätzen hervor, die wir einem Aufsatz entnehmen, den einer der hervorragendsten Theoretiker des Volkstümlertums, Herr W. W., und zwar in der besten Zeit seiner Tätigkeit, geschrieben hat („Otjetschestwennyje Sapiski", 1882, Nr. 8 u. 9 {Lenin zitiert den Artikel von W. W. „Unsere Bauernwirtschaft und die Agronomie" („Otjetschestwennyje Sapiski" Nr. 8 und 9, 1882).}): „Die von uns untersuchten Zustände – schrieb damals Herr W. W. über die Struktur unserer Landwirtschaft – haben wir von der Leibeigenschaft geerbt… Die Leibeigenschaft ist gestürzt, aber vorläufig nur in rechtlicher und einigen anderen Beziehungen, die landwirtschaftlichen Verhältnisse aber sind die alten, die aus der Zeit vor der Reform, geblieben … Die Bauern konnten ihre Wirtschaft nicht ausschließlich auf ihrem verminderten Landanteil weiterführen; sie mussten unbedingt das ihnen weggenommene Land benutzen… Um den richtigen Gang des landwirtschaftlichen Kleinbetriebes zu gewährleisten, muss man der Bauernschaft mindestens die Nutzung jenes Landes sichern, das ihm … zur Zeit der Leibeigenschaft in dieser oder jener Weise zur Verfügung stand. Das ist das Mindestmaß der Wünsche, die man im Namen des Kleinbetriebs äußern kann." So behandelten diese Frage Leute, die an das Volkstümlertum glaubten und sich offen zu ihm bekannten und nicht in so unwürdiger Weise Verstecken spielten, wie die Herren Sozialrevolutionäre. Die Sozialdemokratie hat zu dieser volkstümlerischen Einstellung sachlich Stellung genommen, wie sie es den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Forderungen gegenüber stets tut. Sie hat den positiven und fortschrittlichen Teil der Forderungen (Kampf gegen alle Überreste der Leibeigenschaft) vollständig übernommen, die kleinbürgerlichen Illusionen über Bord geworfen und gezeigt, dass die Beseitigung der Überreste der Leibeigenschaft eben gerade die kapitalistische und keine andere Entwicklung säubert und beschleunigt. Eben zugunsten der gesellschaftlichen Entwicklung und der Befreiung des Proletariats und nicht im Namen des „Kleinbetriebs" stellen wir unsere Forderung der Rückgabe der abgetrennten Bodenstücke auf, ohne uns zu verpflichten, die „kleine" Dorfbourgeoisie nicht nur gegen die Leibeigenschaft, sondern auch gegen die Großbourgeoisie zu unterstützen.

3 „Allerwelts" bei Lenin deutsch. Die Red.

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