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Wladimir I. Lenin 19040100 Nachwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben"

Wladimir I. Lenin: Nachwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben"1

[Geschrieben im Januar 1904 Veröffentlicht im Jahre 1904 in der Broschüre W. I. Lenins „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben". Genf. Nach Sämtliche Werke, Band 6, Wien-Berlin 1930, S. 173-181]

Die Redaktion der „Iskra" sagt in Nr. 55, dass zwischen dem Zentralkomitee und der Opposition die Vereinbarung getroffen wurde, die Tatsachen, die in meinem „Brief an die Redaktion der ,Iskra'" („Warum ich aus der Redaktion der ,Iskra' ausgetreten bin"), „der Vergessenheit anheimzugeben". Diese Behauptung der Redaktion ist ein wahrhaft formalistisches, bürokratisches und kanzleimäßiges (um im ausgezeichneten Stil des Genossen Axelrod zu sprechen) „Geschreibsel". In Wirklichkeit hat es eine solche Vereinbarung nicht gegeben, wie der Auslandsvertreter des Zentralkomitees in einem besonderen, gleich nach Erscheinen der Nr. 55 der „Iskra" herausgegebenen Flugblatt offen erklärt. Eine solche Vereinbarung konnte es auch nicht geben, wie es jedem aufmerksamen Leser meines Briefes klar sein muss, denn die Opposition hat den „guten Frieden" abgelehnt, den das Zentralkomitee vorgeschlagen hatte und der sicherlich die Bedingung in sich geschlossen hätte, alles zu vergessen, was wert ist, vergessen zu werden. War denn die Redaktion so einfältig, dass sie, nachdem sie den Frieden abgelehnt und in Nr. 53 einen Krieg gegen den vielgenannten Bürokratismus eröffnet hatte, noch hoffte, die Gegenseite werde über die wirkliche Quelle dieser Märchen vom Bürokratismus mit Schweigen hinweggehen?

Der Redaktion hat es außerordentlich missfallen, dass ich die wirkliche Quelle dieser Märchen ein Gezänk (Literatengezänk2) genannt habe. Natürlich! Doch einen Schwall kläglicher Worte aus Anlass dieser wirklich unangenehmen Tatsache von sich geben, heißt noch nicht eine Tatsache widerlegen.

Wir gestatten uns, der verehrten Redaktion zwei Fragen zu stellen.

Erste Frage. Warum erscheinen dem einen die wütendsten Beschuldigungen der Selbstherrschaft, des Robespierreschen Regimes, der Durchführung eines Staatsstreiches usw. usw. nur ergötzlich, während die anderen sich durch die ruhige Erzählung von Tatsachen und von Generalsposten, die tatsächlich gefordert wurden, bitter gekränkt fühlen? Sich so sehr gekränkt fühlen, dass sie ganz überflüssige Reden über „persönliche Angelegenheiten", „moralische Schatten" und sogar über „niedrige (woher das??) Beweggründe" halten? Woher ein solcher Unterschied – meine Freunde? Vielleicht weil der „Posten" eines Generals „niedriger" ist als der Posten des Selbstherrschers?

Zweite Frage. Wieso erklärt die Redaktion den Lesern nicht, warum sie (in jener fernen Zeit, als sie der Opposition angehörte und tatsächlich „in der Minderheit" war) den Wunsch äußerte, verschiedene Tatsachen der Vergessenheit anheimzugeben ? Findet die Redaktion nicht, dass schon allein der Gedanke des Wunsches, die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten „der Vergessenheit anheimzugeben", unsinnig ist und einem vernünftigen Menschen nicht in den Kopf kommen konnte?

Merkt ihr, wie ungeschickt ihr seid, meine werten „politischen Gegner"! Ihr wolltet mich durch die Anklage vernichten, dass ich die grundsätzliche Auseinandersetzung auf das Gebiet des Gezänks verschiebe, statt dessen aber habt ihr meine Behauptungen über die tatsächliche Quelle verschiedener eurer „Meinungsverschiedenheiten" bestätigt.

Weiter. Die Redaktion, die ungeschickterweise zugegeben hat, dass es Gezänk gegeben hat, hat sich nicht die Mühe gegeben, den Lesern zu erklären, wo ihrer Meinung nach die grundsätzliche Meinungsverschiedenheit aufhört und das Gezänk anfängt. Die Redaktion geht mit Schweigen darüber hinweg, dass ich in meinem Brief den Versuch mache, das Gebiet des einen und des andern ganz genau voneinander abzugrenzen. Ich weise dort nach, dass die grundsätzliche Meinungsverschiedenheit (die lange nicht so tief gehend ist, um eine wirkliche Trennung hervorzurufen) in der Frage des § 1 des Statuts zum Ausdruck gekommen ist und sich infolge der Annäherung der iskristischen Minderheit an die nichtiskristischen Delegierten gegen Ende des Parteitages erweitert hat. Ich weise auch nach, dass das Gerede vom Bürokratismus, Formalismus usw. vor allem ein einfacher Widerhall des Gezänks nach dem Parteitag ist.

Die Redaktion ist wahrscheinlich nicht einverstanden mit einer solchen Abgrenzung des „Grundsätzlichen" von dem, was „der Vergessenheit anheimgegeben" werden soll? Warum hat sie sich denn nicht die Mühe gegeben, ihre Meinung über die „richtige" Abgrenzung dieser Gebiete mitzuteilen? Etwa deswegen, weil in ihrem Bewusstsein zwischen diesen Gebieten noch keine Grenze gezogen ist (und nicht gezogen werden kann)?

Nach dem Feuilleton des verehrten Genossen Axelrod in derselben Nr. 55 der „Iskra" können die Leser urteilen, wozu diese … Unklarheit führt und in was unser zentrales Parteiorgan verwandelt wird. Unsern Streit über den § 1 des Statuts berührt Genosse Axelrod mit keinem sachlichen Wort, er beschränkt sich auf Anspielungen auf „Peripherie-Gesellschaften", die jemand, der auf dem Parteitag nicht gewesen ist, absolut nicht verstehen kann. Genosse Axelrod hat wahrscheinlich vergessen, wie lange und ausführlich wir über den § 1 diskutiert haben! Dafür hat sich Genosse Axelrod eine „Theorie" ausgedacht, der zufolge „die Mehrheit der auf dem Parteitag anwesenden Iskristen von der Überzeugung durchdrungen war, dass … der Kampf gegen die inneren Feinde ihre Hauptaufgabe sei". „Angesichts dieser Mission verlor die bevorstehende positive Aufgabe" für die Mehrheit „ihre Bedeutung" (nach der festen Überzeugung des verehrten Genossen Axelrod). „Die Perspektive der positiven Arbeit wird in die nebelhafte Ferne einer unbestimmten Zukunft gerückt; die Partei steht vor der dringenderen „militärischen Aufgabe der Niederwerfung des inneren Feindes". Und es fehlt Genossen Axelrod an Worten, um diesen „bürokratischen* (oder mechanischen) Zentralismus", diese „ Jakobiner" (!!?)-Pläne, diese „Desorganisatoren" zu brandmarken, die gewisse Leute „bedrängen und wie Aufrührer behandeln".

Um zu zeigen, welchen wirklichen Wert diese Theorie hat, richtiger diese gegen die Parteitagsmehrheit erhobene Anklage der desorganisierenden Tendenz, einen (wohl nur in der Einbildung bestehenden) Aufruhr zu unterdrücken und die positive Arbeit zu ignorieren, wird es genügen, den vergesslichen Genossen Axelrod an eine (für den Anfang nur an eine) kleine Tatsache zu erinnern. Am 6. Oktober 1903 forderten Plechanow und ich nach vielfachen Versuchen, die Mitglieder der Minderheit von der Sinnlosigkeit und dem desorganisierenden Charakter ihres Boykotts zu überzeugen, die „aufrührerischen" Literaten (darunter auch Genossen Axelrod) offiziell auf, an die positive Arbeit heranzugehen; wir erklärten ihnen offiziell, dass die Ablehnung dieser Arbeit sowohl vom Standpunkt der persönlichen Gereiztheit als auch vom Standpunkt dieser oder jener Meinungsverschiedenheiten (für deren Darlegung wir die Spalten unserer Blätter öffnen) unvernünftig sei.

Genosse Axelrod hat das vergessen. Er hat vergessen, dass er damals, ohne die Gründe zu nennen, mit einem entschiedenen Nein antwortete. Er hat vergessen, dass für ihn damals, in jenen längst vergangenen Zeiten, „die positive Arbeit in die nebelhafte Ferne einer unbestimmten Zukunft gerückt wurde", – einer Zukunft, die erst am 26. November 1903 zur ersehnten Gegenwart wurde.

Genosse Axelrod hat das nicht nur „vergessen", sondern er möchte solche „persönlichen Angelegenheiten" überhaupt gern der „Vergessenheit" anheim geben, nicht wahr?

Wenn man der Minderheit vorhält, dass sie monatelang die Partei desorganisiert, die positive Arbeit vernachlässigt, durch ihr Gezänk dem Zentralkomitee eine Unmenge Kraft entzogen hat, so sind das „persönliche Angelegenheiten", heißt es einen moralischen Schatten werfen, heißt es den Kampf der Richtungen auf das Niveau eines Gezänks herabdrücken. Dafür ist kein Platz auf den Seiten des Zentralorgans.

Gegen die Mehrheit des Parteitages aber die Anklage erheben, dass sie es gewagt habe, Zeit auf Ermahnungen an die „Aufrührer" zu verlieren, dass sie durch den Kampf gegen die (eingebildeten) Desorganisatoren die Partei desorganisiert habe, – das sind grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, für die man die Spalten der „Iskra" aufsparen muss. Ist es nicht so, verehrter Genosse Axelrod?

Vielleicht wird Genosse Axelrod, wenn er um sich schaut, auch heute nicht wenig Beispiele dafür finden, wie die „positive Arbeit" auch für die praktische Arbeit leistenden Genossen der Minderheit in die nebelhafte Ferne der ebenfalls ersehnten, aber noch immer unbestimmten Zukunft gerückt wird?

Nein, wisst ihr, für euch wäre es vorteilhafter, die Frage des Verhältnisses der Mehrheit und der Minderheit zur positiven Arbeit überhaupt nicht zu berühren! Es wäre vorteilhafter, nicht daran zu erinnern, wovon zum Beispiel ein Fabrikarbeiter der Stadt – in folgendem Brief an mich spricht:

Werter Genosse!

In der letzten Zeit, d. h. nach dem 2. Parteitag, wurde uns mitgeteilt, das Zentralkomitee sei vom Parteitag nicht einmütig gewählt worden, der Parteitag habe sich in der Frage der Beziehungen des Zentralorgans zum Zentralkomitee gespalten und es hätten sich die sogenannte Mehrheit und Minderheit gebildet. All das ist wie ein schwerer Stein auf unsere Köpfe gefallen und hat uns mit seiner ganzen Last erdrückt, denn schon allein die Frage der Beziehung des Zentralorgans zum Zentralkomitee war für uns eine unerwartete Neuigkeit: vor dem Parteitag wurde sie doch weder in Zirkeln noch in Versammlungen aufgeworfen, und, soweit ich mich erinnern kann, ist man auch in der Parteiliteratur mit Schweigen über sie hinweggegangen. Eben dieses Schweigen über diese Frage vor dem Parteitag ist mir unverständlich. Wenn man annimmt, dass diese Frage gar nicht bestanden hat, so muss zugegeben werden, dass die Genossen, die ihre ganze Kraft für die Vereinigung der Partei hergegeben haben, keine klare Vorstellung von ihrer Organisation, d. h. von ihrem Aufbau hatten. Aber das ist ganz unmöglich, denn die Frage, die die Partei jetzt gespalten hat, hat klar gezeigt, dass es über den Aufbau der Partei eine Auffassung gegeben hat, und dass nicht alle Genossen darüber derselben Auffassung waren. Wenn dem aber so ist, warum wurde es verheimlicht? Das erstens. Und zweitens – die Frage selbst; wenn sie gelöst werden muss, so frage ich mich: welchen Aufbau der Partei wird ihre orthodoxe Richtung sichern? Gleichzeitig aber kommt mir der Gedanke, dass außer dem Aufbau der Partei der Bestand ihrer Führer wichtig ist, d. h. wenn sie Orthodoxe sind, so ist auch die Richtung der Partei orthodox, sind sie Opportunisten, so ist auch die Partei opportunistisch. Wenn ich jetzt von diesen Voraussetzungen ausgehe und die Führer der Partei kenne, trete ich unbedingt dafür ein, dass das Zentralorgan in der ideologischen Führung der Partei die Oberhand über das Zentralkomitee gewinne. Dafür einzutreten zwingt noch mehr die russische Wirklichkeit: wie orthodox das Zentralkomitee auch sein mag, es ist, da es sich in Russland befindet, vor dem Auffliegen und folglich auch vor dem Verlust seines orthodoxen Charakters entgegen seinem Willen nicht gesichert, da die Nachfolger nicht immer denen entsprechen, an deren Stelle sie getreten sind. Wem von den Genossen, die auch nur ein wenig in den Komitees gearbeitet haben, sind denn nicht Fälle bekannt, wo manchmal infolge einer der vielen Zufälligkeiten das beste Komitee durch ein schlechtes ersetzt wird und umgekehrt? Ganz anders steht es mit dem Zentralorgan: es befindet sich in anderen Verhältnissen (da ja das Zentralorgan seinen Sitz im Auslande haben wird), die ihm eine längere Existenz sichern und also auch die Möglichkeit geben, sich würdige Nachfolger vorzubereiten. Aber ich weiß nicht, Genosse, ob man diese Frage ein für allemal lösen kann, d. h. ob man sagen kann, dass nun das Zentralorgan immer über dem Zentralkomitee die Oberhand haben soll – oder das Zentralkomitee über dem Zentralorgan. Ich denke, dass man das nicht kann. Nehmen wir die folgende Lage an: hat sich die Zusammensetzung des Zentralorgans plötzlich geändert und ist es aus einem orthodoxen zu einem opportunistischen geworden, wie z. B. der „Vorwärts" in Deutschland, darf man ihm dann in der ideologischen Führung das Übergewicht geben? Was würden wir dann tun, die wir im orthodoxen Geiste erzogen sind, müssten wir uns wirklich mit ihm einverstanden erklären? Nein, es wäre dann unsere Pflicht, ihm das Recht auf das Übergewicht wegzunehmen und dieses Recht in die Hand einer anderen Institution zu legen, und wenn das aus irgendeinem Anlass nicht geschähe, aus Parteidisziplin oder sonst einem Grund, so wären wir wert, dass man uns als Verräter an der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung bezeichnete. So betrachte ich die Dinge, und ich kann mich keineswegs damit einverstanden erklären, dass man hierüber ein für allemal Beschlüsse fasst, wie es verschiedene Genossen tun.

Der Kampf, den Mehrheit und Minderheit jetzt miteinander führen, ist mir ganz unverständlich, und sehr vielen von uns erscheint er nicht richtig. Nun, sagen Sie doch Genosse! Ist es etwa normal, dass man alle Kraft aufwendet und die Komitees bereist, nur um über die Mehrheit und die Minderheit zu sprechen? Ich habe da Bedenken. Ist die Frage wirklich so wichtig, dass man ihr die ganze Kraft opfert und sich ihretwegen fast als Feind gegenübertritt? Das faktische Ergebnis ist, dass in ein Komitee, dessen Mitglieder, nehmen wir an, dem einen Lager angehören, niemand mehr hineinkommen kann, der dem andern Lager angehört, mag er noch so brauchbar für die Arbeit sein; selbst dann kommt er nicht ins Komitee, wenn es für die Arbeit unerlässlich ist, wenn diese Arbeit sehr darunter leidet, dass er nicht da ist. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass der Kampf um diese Frage ganz aufgegeben werden soll: keineswegs, nur müsste er meines Erachtens einen andern Charakter tragen, und wir dürften um seinetwillen nicht unsere Hauptaufgabe vergessen, nämlich die Propaganda der sozialdemokratischen Ideen in den Massen, denn vergessen wir sie, so entkräften wir damit unsere Partei. Ich weiß nicht, ob sie ehrlich sind, aber wenn ich sehen muss, wie das Interesse der Sache in den Schmutz getreten und vollkommen vergessen wird, so nenne ich sie alle politische Intriganten. Es tut einem weh und man fürchtet für die Sache selber, wenn man sieht, dass die Leute, die an ihrer Spitze stehen, mit so ganz anderen Dingen beschäftigt sind. Wenn man das sieht, sagt man sich: ist denn unsere Partei tatsächlich zu ewigen Spaltungen wegen solcher Kleinigkeiten verurteilt, sind wir wirklich unfähig, zugleich einen Kampf nach innen und nach außen zu führen? Wozu werden denn Parteitage veranstaltet, wenn ihre Beschlüsse außer acht gelassen werden, wenn jeder tut, was ihm einfällt, und sich damit rechtfertigt, der Parteitag habe eben einen falschen Beschluss gefasst, das Zentralkomitee sei nicht arbeitsfähig usw.? Und das tun Leute, die vor dem Parteitag ständig über Zentralisierung, Parteidisziplin usw. schrien, jetzt aber wohl zeigen wollen, dass die Disziplin nur für einfache Sterbliche notwendig ist, nicht aber für sie, die höherstehenden Leute. Sie haben wahrscheinlich vergessen, dass ihr Beispiel die wenig erfahrenen Genossen ungeheuer korrumpiert; schon jetzt macht sich in Arbeiterkreisen von neuem eine Unzufriedenheit mit der Intelligenz bemerkbar, die über ihre inneren Streitigkeiten die Arbeiter vergisst, schon jetzt lassen die eifrigeren die Hände sinken, weil sie nicht wissen, was sie tun sollen. Die ganze zentralisierte Organisierung der Arbeit ist vorläufig nur ein leerer Schall. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich in Zukunft alles zum Besseren wendet."3

1 Das Nachwort zur Broschüre „Brief an einen Genossen: über unsere organisatorischen Aufgaben" ist zu einem Teil gegen das in Nr. 55 der „Iskra" vom 15. Dezember 1903 veröffentlichte Feuilleton P. Axelrods „Die Vereinigung der russischen Sozialdemokraten und ihre Aufgaben" gerichtet (eine Fortsetzung des Feuilletons erschien in Nr. 57 der „Iskra" vom 15. Januar 1904). Der unter der Losung einer Revision der Traditionen der Leninschen „Iskra" geschriebene Artikel Axelrods gibt eine ganze Theorie des „Opportunismus in Organisationsfragen" und ist eines der wichtigsten Dokumente des Menschewismus in jener Zeit. Axelrod, der sich von der iskristischen Vergangenheit lossagt, gelangt zu dem Schluss, dass die Praxis der „Iskra", wenn sie auch „den politischen Gedanken der Arbeitermassen unmittelbar weckt, doch im Großen und Ganzen das proletarische Klassenbewusstsein in ihnen wenig entwickelt und noch weniger die politische Klassenselbsttätigkeit fördert. Mit einem Wort, während die ideelle Hülle eine revolutionär-sozialdemokratische ist, geht der wirkliche Inhalt im eigentlichen, prinzipiellen Sinne kaum über den Rahm-n des Bürgerlich-revolutionären hinaus". Zu diesem „Bürgerlich-revolutionären" rechnet Axelrod auch die „organisatorischen Utopien" der Mehrheit, die „den Stempel des Bürokratismus auf verschwörerischer Grundlage" tragen. Das Feuilleton schließt in Nr. 55 mit einer durchsichtigen Anspielung auf den „ehrgeizigen Phantasten, der durch die Legenden der Diktatur Schweitzer inspiriert ist" und der von einer „administrativen Unterordnung einer ganzen Partei unter einen oder einige Wächter oder Verkörperer der Doktrin" träumt. Auf das Feuilleton Axelrods geht Lenin in der Broschüre „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" ausführlich ein.

Zu Beginn des „Nachwortes" spricht Lenin von einer Erklärung in Nr. 55 der „Iskra"; er meint damit die Notiz „Von der Redaktion", die Plechanow als Antwort auf den Brief Lenins „Warum ich aus der Redaktion der ,Iskra' ausgetreten bin" geschrieben hatte.

2 „Literatengezänk" bei Lenin deutsch. Die Red.

* Übrigens lenke ich die Aufmerksamkeit der Redaktion auf den Umstand, dass meine Broschüre unter dem „festgesetzten Titel" erscheint. Als überzeugter Zentralist unterwerfe ich mich den „grundsätzlichen" Anweisungen unseres Zentralorgans, das in Nr. 55 eine Rubrik für die Übersicht der Parteiblätter vom Gesichtspunkt der „Titel" eröffnet hat (im Namen des Kampfes gegen den Formalismus). {In der Notiz „Von der Redaktion", die Plechanow geschrieben hatte, wies die neue „Iskra" (Nr. 55, 15. Dezember 1903) darauf hin, dass der Brief Lenins „Warum ich aus der Redaktion der ,Iskra' ausgetreten bin" in der Parteidruckerei, „unter Geheimhaltung vor der Redaktion des Zentralorgans", gedruckt worden sei, wobei jedoch das Zentralkomitee-Mitglied Lengnik, der seine Zustimmung dazu gegeben hatte, „die Firma der Partei nicht auf die Broschüre gesetzt hatte".}

3 Der Verfasser des Briefes war ein hervorragender sozialdemokratischer Arbeiter, der Bolschewik N. J. Wilonow, der zu jener Zeit in Jekaterinoslaw als Mitglied des Jekaterinoslawer Komitees arbeitete. Den Brief Wilonows erhielt Lenin am 17. Dezember 1903, und am 22. Dezember sandte er ihm seine Antwort (siehe Leninskij Sbornik X).

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