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Wladimir I. Lenin 19050118 Brief an die Züricher Gruppe der Bolschewiki

Wladimir I. Lenin: Brief an die Züricher Gruppe der Bolschewiki

[Zum ersten Mal veröffentlicht 1926 im „Lenin-Sammelbuch" Nr. 5. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 76-78]

Genève, le 18. I. 1905

Werte Genossen! Es besteht keine Möglichkeit, eine Sitzung der Redaktion zustande zu bringen, um Eure Anfrage zu beantworten, und so erlaube ich mir, Euch für mich persönlich zu antworten. Die Züricher Gruppe der Bolschewiki fragt, „wie wir zum ZO und ZK1 stehen, ob wir sie als rechtmäßig bestehend, aber unrechtmäßig handelnd betrachten und uns ihnen gegenüber in Opposition befinden, oder ob wir sie als Parteizentren überhaupt nicht anerkennen".

Es will mir scheinen, dass Eure Frage ein klein wenig nach Spitzfindigkeit riecht. Die Ankündigung und die erste Nummer der Zeitung „Wperjod" („Es ist Zeit, Schluss zu machen"), dazu meine Broschüre „Erklärung und Dokumente", haben, wie man meinen sollte, auf diese Frage dem Wesen nach die Antwort bereits gegeben. Die Zentralinstanzen (ZO, ZK und Parteirat) haben mit der Partei gebrochen, sie haben sowohl den II. wie den III. Parteitag hintertrieben, die Partei in gröbster Weise geprellt, ihre Pöstchen bonapartistisch usurpiert. Wie kann da noch von einem rechtmäßigen Bestehen der Zentralinstanzen die Rede sein? Besitzt denn ein Schwindler rechtmäßig das Geld, das er durch einen falschen Wechsel ergaunert hat?

Ich finde es befremdlich, dass die Züricher Bolschewiki noch immer im Unklaren sind, wo doch die Frage schon so durchgekaut worden ist.

Dass die Zentralinstanzen sich der Partei nicht unterordnen wollten, das ist vollkommen erwiesen. Was sollen wir nun tun? Den III. Parteitag einberufen? Auch in dieser Hinsicht haben sie uns hintergangen. Da bleibt nur eins übrig: mit den Menschewiki so vollständig, so schnell, so bestimmt (offen, öffentlich) wie nur möglich zu brechen, unseren eigenen III. Parteitag einzuberufen, ohne die Zustimmung der Zentralinstanzen und ohne ihre Anwesenheit, sofort (ohne dass man auch auf dieses Zentrum wartet [?]) beginnen, mit unseren Parteizentren zu arbeiten, mit der Redaktion des „Wperjod" und dem russischen Büro, das von der Konferenz des Nordens gewählt worden ist.

Ich wiederhole: die Zentralinstanzen haben sich außerhalb der Partei gestellt. Einen Mittelweg gibt es nicht: entweder man ist für die Zentralinstanzen oder man ist für die Partei. Es ist Zeit, dass man sich trennt, und wir sollen, im Gegensatz zu den Menschewiki, die die Partei hintenherum gespalten haben, ihre Herausforderung offen annehmen: ja, Spaltung, denn ihr habt euch ganz abgespalten. Ja, Spaltung, denn wir haben alle Mittel des Hinausschiebens und der Herbeiführung eines Parteibeschlusses (durch den III. Parteitag) erschöpft. Ja, Spaltung, denn überall hat die leidige Schererei mit der desorganisatorischen …2 der Sache nur geschadet.

Aus Petersburg schreibt man uns: nach der Spaltung sei es besser geworden, man könne nun ohne Schererei arbeiten, mit Menschen, denen man vertraut. Ist es denn nicht klar? Nieder mit den Bonapartisten und Desorganisatoren!

Teilt mit, ob Ihr mit dieser Antwort zufrieden seid.

Dass die Gruppen der Mehrheit im Auslande sich zusammenschließen, ist notwendig. Schreibt darüber sofort an die Berner3 (Adresse). Sie haben die Sache bereits in Angriff genommen und werden Euch besser als ich antworten. Man muss energischer an die Sache herangehen. Tretet in Briefwechsel mit allen Gruppen, spornt sie an, dass sie für Geld und Materialien sorgen, gründet Gruppen in neuen Orten usw.

Wir fühlen uns auch viel besser, seitdem wir mit der „Minderheit" endgültig gebrochen haben. Wir wünschen auch Euch von ganzem Herzen, Euch so schnell wie möglich loszumachen.

Mit Händedruck

Euer N. Lenin

1 ZO = Zentralorgan; ZK – Zentralkomitee. Die Red.

2 Im Originalmanuskript steht hier der Vermerk: „(Ein Wort gestrichen)" Die Red.

3 D. h. an die Bolschewikigruppe in Bern. Die Red.

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