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Wladimir I. Lenin 19050420 Das Agrarprogramm der Liberalen

Wladimir I. Lenin: Das Agrarprogramm der Liberalen

[Wperjod" Nr. 15, 7./20. April 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 294-302]

Die legalen Zeitungen wussten schon vor längerer Zeit zu melden, dass in Moskau eine Beratung der Semstwoleute, die aus den verschiedenen Gegenden Russlands zusammengekommen waren, stattgefunden habe. Die „Moskowskije Wjedomosti"1 versuchten sogar, aus diesem Anlass Lärm zu schlagen, und zeterten über die von der Regierung in Russland geduldeten revolutionären Kongresse, über die Notwendigkeit eines Kongresses der monarchistischen Partei usw., doch niemand beachtete ernsthaft dieses Geschrei, da die Polizei jetzt alle Hände voll zu tun hat mit Unruhen viel ernsterer Art. Die Semstwoleute haben allem Anschein nach den Rahmen der üblichen Verfassungswünsche nicht überschritten. Ihre Beratungen bieten jedoch ein erhebliches Interesse in Anbetracht des Umstandes, dass sie auch die Agrarfrage umfassten. Wir geben hier vollständig jene Thesen wieder, die, nach den Zeitungsmeldungen, auf der Tagung mit Stimmenmehrheit angenommen wurden:

1. Das staatliche Eingreifen in das ökonomische Leben muss sich auch auf das Gebiet der Agrarverhältnisse erstrecken. 2. Eine richtige Ausgestaltung der Agrargesetzgebung ist bedingt durch eine grundlegende Umgestaltung (??). 3. Die bevorstehende Agrarreform muss auf folgenden Grundsätzen aufgebaut sein: I. Verbesserung der ökonomischen Lage der ackerbauenden Klasse durch Zwangsablösung der notwendigen zusätzlichen Bodenstücke aus dem Privatgrundbesitz im Interesse der landarmen Gruppen der verschiedenen Kategorien (die Bearbeitung dieser Frage ist mehreren Personen übertragen). II. Erklärung der Kron- und eines Teils der Apanageländereien zu einem staatlichen Landfonds; Vermehrung dieses Fonds durch Kauf und Loskauf von Ländereien aus Privatbesitz und deren Verwertung im Interesse der werktätigen Bevölkerung. III. Regelung der Pachtbedingungen durch staatliches Eingreifen in die Pachtverhältnisse. IV. Bildung von öffentlich-staatlichen Vermittlungskommissionen zur Durchführung der Agrarmaßnahmen gemäß den obenerwähnten Grundsätzen. V. Richtige Ausgestaltung des Um- und Ansiedlungswesens auf breiter Grundlage, Erleichterung der Benutzung verschiedener Arten von Kredit, Reform der Bauernbank und Förderung genossenschaftlicher Unternehmungen. VI. Radikale Revision der Vermessungsgesetzgebung zwecks Erleichterung, Beschleunigung und Verbilligung der Landvermessung, Aufhebung der Gemengelage des Privatgrundbesitzes und der Anteilländereien, Austausch der Grundstücke usw."

Bevor wir dieses außerordentlich lehrreiche Programm Punkt für Punkt analysieren, wollen wir einiges über dessen allgemeine Bedeutung sagen. Zweifellos beweist schon allein die Tatsache des Auftretens der Vertreter der grundbesitzenden Klasse mit einem solchen Programm anschaulicher als langatmige Betrachtungen, dass Russland sich irgendwie durch eine große Eigentümlichkeit im Vergleich zu allen westeuropäischen ausgebildeten kapitalistischen Nationen auszeichnet. Die Frage ist nun, welcher Art eben diese Eigentümlichkeit ist? Besteht sie in der halb-sozialistischen Gemeindeordnung und dementsprechend in dem Fehlen der bürgerlichen Intelligenz und der bürgerlichen Demokratie bei uns, wie das die alten sozialistischen Volkstümler (Narodniki) gedacht haben und wie zum Teil die „Sozialrevolutionäre" denken? Oder besteht sie in der Fülle von feudalen Überresten, die unser flaches Land überziehen, indem sie eine breite und freie Entwicklung des Kapitalismus unmöglich machen und eine volkstümlerische Stimmung gerade bei den Elementen der bürgerlichen Demokratie erzeugen? Einigermaßen denkende Sozialisten werden sich nicht erlauben, diese Frage mit ausweichenden Redensarten oder mit der Berufung auf das Abstrakte und Theoretische der Frage, das in einer revolutionären Epoche angeblich unangebracht sei, oder mit dem Hinweis auf die Tatsache der Bauernaufstände, die die Zuvorkommenheit der Grundherren zur Genüge erkläre, abzutun. Ausweichen oder Prinzipienlosigkeit in theoretischen Fragen ist gerade in einer revolutionären Epoche gleichbedeutend mit völligem ideologischen Bankrott, denn gerade jetzt ist eine durchdachte und feste Weltanschauung vonnöten, damit der Sozialist die Ereignisse beherrsche und nicht die Ereignisse ihn. Der Hinweis auf die Bauernaufstände besagt ebenfalls nichts, denn der Inhalt des jetzt von den in Semstwoverbänden politisch organisierten Grundbesitzern angenommenen Programms stellt die Wünsche dar, wie sie im Verlauf vieler Jahrzehnte von der gesamten liberalen Presse und allen liberalen Politikern geäußert wurden. Das Programm der Narodniki wurde zum Programm der Grundbesitzer – diese Tatsache gibt eine klare politische Antwort auf die von uns gestellte Frage. In einer revolutionären Epoche werden die theoretischen Diskussionen über gesellschaftliche Themen durch das offene Auftreten der verschiedenen Klassen entschieden.

Betrachten wir nunmehr das Agrarprogramm der Liberalen näher. Unsere legale Presse ist geneigt, aus Anlass dieses Programms Lobeshymnen anzustimmen. Die „Ekonomitscheskaja Gazeta"2 zum Beispiel „konstatiert die Tatsache des Auftretens der Semstwoleute mit einem Agrarprogramm, und zwar mit einem ungleich extremeren" (sieh' mal an!) „als man hätte erwarten können, ausgehend von der landläufigen Vorstellung über die heutige Zusammensetzung der Semstwokreise" (also extrem vom Standpunkt der Herren Grundbesitzer?). „Das beweist – fährt das Blatt fort –, dass die politische Semstwogruppe sowohl politischen Takt als auch tiefes Verständnis für die um uns her vor sich gehenden Erscheinungen besitzt."

Der Takt und das Verständnis der Herren Grundbesitzer besteht darin, dass, als die Bauern begannen, selbst aktiv und bestimmt in das Gebiet der Agrarverhältnisse einzugreifen, die Grundbesitzer anfingen, von der Notwendigkeit eines Eingreifens des Staates zu sprechen. Die alte und ewig neue Geschichte! Ein staatliches Eingreifen in die Agrarverhältnisse fand in Russland fortwährend statt: wenn es ein Eingreifen zugunsten der höheren Klassen war, nannte man es in der Polizeisprache „Ordnung"; wenn das Eingreifen von unten beginnt, dann spricht man von „Unruhen". Aber mit Verlaub, welches Eingreifen wollen die Grundbesitzer? Aus ihrem Programm ist zu ersehen, dass es ihnen ausschließlich um ein Eingreifen in die Verhältnisse von Bodenbesitz und Bodennutzung zu tun ist. Alle ihre Maßnahmen, von dem Loskauf zusätzlicher Bodenstücke bis zum Kredit und zum Austausch von Grundstücken, beziehen sich ausschließlich auf jene, die den Boden wirtschaftlich nutzen, d. h. auf die verschiedenen Kategorien der Besitzer. Und die Landarbeiter ohne Besitztum? Sind doch bei uns in Russland allein in den „inneren" 50 Gouvernements schon in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht weniger als dreieinhalb Millionen Landarbeiter und Tagelöhner gezählt worden, für die die landwirtschaftliche Lohnarbeit die Hauptquelle des Lebensunterhalts bildete. Jetzt ist die Zahl der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter zweifellos noch größer, wobei die überwiegende Mehrzahl von ihnen ganz oder fast ganz ohne Besitztum ist. Außer denjenigen, die kein Haus und keine Wirtschaft haben, wurden bei uns vor zehn Jahren in den erwähnten Gouvernements von ungefähr zehn Millionen bäuerlichen Wirtschaften über drei Millionen gezählt, die keine Pferde hatten. Diese ganze Masse sind Besitzer nur dem Namen nach. Sie haben das größte Lebensinteresse an einem höheren Lohn, einem kürzeren Arbeitstag, an gesünderen Arbeitsbedingungen. Die Herren Grundbesitzer schweigen wohlweislich über ein Eingreifen in die Verhältnisse zwischen den Dienstherren und den Arbeitern. Und man kann sicher sein, dass niemand ernstlich an ein derartiges Eingreifen auch nur denken wird, solange die Landarbeiter selbst nicht eingegriffen haben.

Wir Sozialdemokraten sollten auf dieses Eingreifen die ernsteste Aufmerksamkeit lenken. Dies erheischen sowohl die unmittelbaren praktischen Interessen der Bewegung wie unsere allgemeinen Grundsätze. Der bürgerlich-demokratische Charakter des russischen Liberalismus und des russischen Narodnikitums äußerte und äußert sich unter anderem gerade darin, dass die Interessen der kleinen Landwirtschaft die der landwirtschaftlichen Lohnarbeit ganz überschatten. Gewiss, der überzeugte Narodnik, und mitunter auch der „Sozialrevolutionär", ist geneigt, dies für ganz natürlich zu halten in Anbetracht der (in seiner Einbildung, aber nicht im Bauernleben) „nebensächlichen" Rolle der Lohnarbeit, in Anbetracht dessen, dass bei der weiteren Entwicklung der „Feldgemeinschaftstraditionen", der „Werktätigenanschauungen" und des „ausgleichenden Nutzungsrechts" diese Rolle auf ein Nichts reduziert werden könnte. Allein diese Neigung, mag sie mit noch so glühenden und aufrichtigen, sozialistisch klingenden Reden motiviert werden, legt in Wirklichkeit Zeugnis ab von der kleinbürgerlichen Beschränktheit ihres Gesichtskreises und von nichts sonst. Diese Art Schwärmerei, die dem russischen Bauer wie dem russischen Intellektuellen eigen ist, ist eine kleinbürgerliche Schwärmerei. Die Blumen dieser Narodniki-Schwärmerei sind eben jene falschen Blumen, die eine Kette der werktätigen Menschheit schmücken, und die sozialdemokratische Kritik muss solche Blumen rücksichtslos zerpflücken, „nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche".

Wir haben volle Sympathie für die Bauernbewegung. Wir würden es für einen ungeheuren Gewinn halten, für die gesamte soziale Entwicklung Russlands wie für das russische Proletariat, wenn es der Bauernschaft gelänge, mit unserer Hilfe, auf revolutionärem Wege den Grundherren alle ihre Ländereien wegzunehmen. Aber selbst diesen günstigsten Ausgang angenommen – auch dann könnte die Masse der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter nur vorübergehend an Zahl abnehmen, sie könnte aber keineswegs verschwinden. Auch dann würden die selbständigen Interessen der ländlichen Lohnarbeiter eben selbständige Interessen bleiben.

Der Übergang des Grund und Bodens in die Hände der Bauern würde in Russland keinesfalls die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise vernichten, er würde im Gegenteil für ihre Entwicklung eine breitere Grundlage schaffen, er würde den Typus dieser Entwicklung mehr dem amerikanischen als etwa dem italienischen annähern. Die Vermögensunterschiede unter den Bauern, die jetzt schon gewaltig und lediglich infolge der allgemeinen Unterdrückung durch die absolutistisch-feudale Ordnung verhältnismäßig wenig sichtbar sind, würden keineswegs aufhören zu bestehen. Die Erweiterung des Innenmarktes, die Entwicklung des Austausches und der Warenwirtschaft auf einer neuen Stufenleiter, das rasche Wachstum der Industrie und der Städte – alle diese unvermeidlichen Folgen einer ernstlichen Verbesserung der Lage der Bauern würden unausbleiblich die Vermögensunterschiede verstärken. Je mehr Illusionen in dieser Hinsicht bei uns verbreitet sind, um so entschiedener muss die Sozialdemokratie gegen sie kämpfen, wenn sie wirklich die Interessen der Arbeiterbewegung in ihrer Gesamtheit und nicht nur in einem einzelnen Stadium repräsentieren will3.

Solange eine vollständige sozialistische Umwälzung nicht vollzogen ist, werden keine noch so radikalen und revolutionären Maßnahmen einer Agrarreform die Klasse der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter beseitigen. Der Traum von der Verwandlung aller Menschen in Kleinbürger ist eine reaktionäre Abgeschmacktheit. Deshalb müssen wir schon jetzt an der Entwicklung des Klassenbewusstseins der ländlichen Lohnarbeiter, an ihrer selbständigen Klassenorganisation arbeiten. Die Streikwelle der Städte kann und muss auf das flache Land übergreifen nicht nur in Gestalt von Bauernaufständen, sondern auch in Gestalt von richtigen Arbeiterstreiks – besonders zur Zeit der Heu- und Getreideernte. Die Forderungen des von den Arbeitern handelnden Abschnitts unseres Programms, die in sehr vielen Fällen von den städtischen Arbeitern ihren Unternehmern gestellt werden, müssen auch, mit entsprechenden Änderungen gemäß den verschiedenen Lebensbedingungen, von den Landarbeitern gestellt werden. Man muss den Umstand ausnützen, dass wir vorläufig in Russland noch keine Sondergesetze haben, die die Lage des Landarbeiters im Unterschied zu der des städtischen herabdrücken (wenn man das Gesetz über willkürliches Verlassen der Arbeit nicht rechnet). Man muss dafür Sorge tragen, dass die Welle des proletarischen Aufschwungs unter den Landarbeitern und Tagelöhnern eine spezifisch proletarische Stimmung und proletarische Kampfmethoden hinterlässt.

Die kleinbürgerliche Schicht der Dorfbevölkerung, die Bauernschaft im eigentlichen und engeren Sinne des Wortes, kann nicht umhin, in gewissen geschichtlichen Perioden revolutionär zu sein. Ihre gegenwärtige revolutionäre Gesinnung ergibt sich unvermeidlich aus allen Bedingungen der „alten Ordnung", und wir müssen sie eifrig unterstützen und fördern.

Aber ebenso unvermeidlich wird sich aus den Lebensbedingungen der neuen Ordnung, des neuen, freien kapitalistischen Russlands ergeben der Übergang eines Teils der Kleinbürger auf dem flachen Lande auf die Seite der „Ordnung" – und je mehr Land die Bauern jetzt den Grundherren wegnehmen werden, desto schneller wird es geschehen. Eine wirklich revolutionäre Klasse, unter allen Umständen, bis zum letzten revolutionäre Klasse kann auch auf dem flachen Lande nur das Landproletariat sein. Die Verwandlung des armseligen, verschüchterten Bauern in einen freien, energischen europäischen Farmer ist eine ungeheure demokratische Errungenschaft – aber wir Sozialisten werden keinen Augenblick vergessen, dass diese Errungenschaft einen realen Nutzen für die Sache der völligen Befreiung der Menschheit von jeder Unterdrückung nur dann und nur in dem Maße bringen wird, in dem dem Farmer ein zielbewusster, freier, organisierter Landproletarier gegenüberstehen wird.

Die Herren liberalen Grundbesitzer schweigen sich über den Landarbeiter aus. Was den zukünftigen Farmer betrifft, so haben sie all ihre Sorge darauf gerichtet, ihn so schnell wie möglich und mit dem geringsten Verlust für ihre Tasche (es wäre vielleicht richtiger zu sagen: mit möglichstem Nutzen für ihre Tasche), zu ihrem Bundesgenossen, zu einem Privateigentümer, zu einer Stütze der Ordnung zu machen. Mit welchen erbärmlichen Almosen denken sie sich loszukaufen! Die einzige revolutionäre Maßregel, die Konfiskation der Apanageländereien, beschränken sie auf einen Teil dieser Ländereien, wobei sie Angst haben, die Konfiskation Konfiskation zu nennen, und die Kirchengüter ganz verschweigen. Indem sie den Landarmen eine Landzuteilung versprechen, halten sie an der Ablösung fest und äußern sich mit keinem Wort, wer für diese abzulösenden Ländereien zahlen soll. Sie halten es offenbar für selbstverständlich, dass der Bauer zahlen wird – wie bei der berühmten Ablösung des Jahres 1861. Die Grundbesitzer werden sich ihres schlechtesten Landes zu horrenden Preisen entledigen – das verspricht ihre Landzuteilung. Alle von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen über Kredit, Genossenschaften, Austausch von Grundstücken usw. gehören ganz in den engen Kreis der Eigentumsinteressen. Was die Pacht betrifft – eine der wundesten Fragen der Bauernschaft –, so beschränken sie sich auf die ganz unbestimmte Losung der „Regelung". Darunter kann man alles verstehen, was man will, auch eine Erhöhung der Pachtpreise unter dem Schein der Normierung – wir haben bereits oben festgestellt, was die Vertreter der herrschenden Klassen unter „Ordnung" verstanden haben und verstehen.

Für den wichtigsten und gefährlichsten politischen Punkt des liberalen Programms halten wir aber den Punkt über die „öffentlich-staatlichen Vermittlungskommissionen". Die Art der Durchführung der Agrarreform ist von ungeheurer Bedeutung, denn gerade von der Art der Durchführung hängt konkret und real der mehr oder weniger ernsthafte Charakter der Reform ab. Die Narodniki haben uns auch in dieser Frage (wie in vielen anderen) daran gewöhnt, das Hauptaugenmerk auf den ökonomischen Gewinn zu richten und die politische Seite der Sache zu ignorieren oder zu unterschätzen. Dieser Standpunkt, für einen Kleinbürger natürlich, für einen „Besitzer" verständlich, ist für einen Sozialdemokraten absolut unzulässig. Einem Sozialdemokraten ist die Umgruppierung in den Klassen oder in den Kategorien der Besitzer und Eigentümer gleichgültig, wenn diese Umgruppierung nicht von einem politischen Gewinn begleitet ist, der den Klassenkampf des Proletariats erleichtert. Vom Standpunkt der kleinbürgerlichen Schwärmerei sind alle möglichen Projektenmachereien über „ausgleichendes Nutzungsrecht" usw. wichtig. Vom Standpunkt des Sozialdemokraten ist solche Projektenmacherei müßige und schädliche Gehirngymnastik, die das gesellschaftliche Bewusstsein von den realen Bedingungen der realen demokratischen Errungenschaften ablenkt. Die Sozialdemokraten werden niemals vergessen, dass die herrschenden Klassen stets und überall bestrebt sind, die Werktätigen durch ökonomische Almosen zu spalten und zu demoralisieren. Auf dem Gebiet der Agrarumgestaltungen ist diese Politik für sie besonders leicht und wird von ihnen besonders geschickt durchgeführt.

Um so bestimmter und entschiedener müssen wir auf der grundlegenden Forderung unseres Agrarprogramms bestehen: auf der Errichtung von revolutionären Bauernkomitees, die selbst wirklich grundlegende (und nicht „grundlegende" vom Standpunkt der Grundbesitzer) Agrarumgestaltungen vorzunehmen hätten. Ohne das wird sich jede Agrarreform unvermeidlich und unausbleiblich in einen neuen Betrug verwandeln, in eine neue Falle, wie die berühmte „Reform" des Jahres 1861. Die „öffentlich(?)-staatlichen Vermittlungskommissionen" aber sind doch eine direkte Vorbereitung der Falle! Unter „öffentlich" versteht man bei uns die Grundherren, unter „Staat" die Bürokratie „Öffentlich-staatlich" heißt also grundherrlich-bürokratisch und nichts weiter.

Das ist der Punkt, auf den wir sofort das Schwergewicht unserer Agitation auf dem flachen Lande zu legen haben. Habt ihr es gehört, Bauern? Man will euch wieder einmal auf bürokratischem Wege beglücken, euer Leben durch das Eingreifen der Grundherren „regeln", das Land für euch „ablösen" nach dem Muster der alten Ablösung verfluchten Angedenkens! Die Grundherren sind so gut, so gut: da sie die drohende Gefahr sehen, dass man ihnen das Land ohne Entschädigung wegnimmt, willigen sie großmütig darein, es zu verkaufen – selbstverständlich zu einem angemessenen Preis … Seid ihr mit einem solchen Eingreifen der Grundherren und der Beamten einverstanden? Oder wollt ihr selbst eingreifen und euch selbst ein freies Leben schaffen? Dann schließt euch zusammen mit dem städtischen Proletariat, kämpft für die Republik, erhebt euch zum Aufstand, der euch eine revolutionäre Regierung und revolutionäre Bauernkomitees bringen wird!

1 Lenin bezieht sich hier auf den Leitartikel in Nr. 61 dieses Blattes vom 3./16. März 1905.

2 das Zitat ist dem Leitartikel der ersten Nummer vom 20. Januar/2. Februar 1905 entnommen.

3 Vgl. den weiter unten veröffentlichten Artikel von Marx aus dem Jahre 1846.

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