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Wladimir I. Lenin 19050104 Der Absolutismus und das Proletariat

Wladimir I. Lenin: Der Absolutismus und das Proletariat

[Wperjod" Nr. 1 vom 4. Januar 1905 (22. Dezember 1904). Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 34-43]

Russland durchlebt eine neue Welle der Verfassungsbewegung. Die heutige Generation hat etwas Ähnliches, das sich mit der jetzigen politischen Belebung vergleichen ließe, noch nicht gesehen. Die legalen Zeitungen greifen heftig die Bürokratie an, fordern die Teilnahme von Volksvertretern an der Staatsverwaltung, verkünden beharrlich die Notwendigkeit liberaler Reformen. Alle möglichen Versammlungen von Semstwoleuten, Ärzten, Juristen, Ingenieuren, Landwirten, Stadtverordneten usw. usw. fassen Resolutionen, in denen mehr oder weniger klar der Verfassung das Wort geredet wird. Überall hört man – vom Standpunkt des russischen Pfahlbürgers – ungewöhnlich kühne politische Anklagen und leidenschaftliche Reden über Freiheit. Die liberalen Versammlungen verwandeln sich unter dem Andrang der Arbeiter und der radikalen Jugend in offene Volksversammlungen und Straßendemonstrationen. In weiten Kreisen des Proletariats, unter der städtischen und ländlichen Armut, wird die dumpfe Gärung offensichtlich immer stärker. Und wenn auch das Proletariat an den besonders prunkvollen und feierlichen Äußerungen der liberalen Bewegung verhältnismäßig geringen Anteil nimmt, wenn es sich auch von den wohlanständigen Veranstaltungen des soliden Publikums gewissermaßen ein wenig abseits hält, so ist doch an allem zu sehen, dass die Arbeiter der Bewegung ein außerordentlich lebhaftes Interesse entgegenbringen. Aus allem ist zu ersehen, dass die Arbeiter sich zu großen Volksversammlungen und offenen Straßendemonstrationen geradezu drängen. Es ist, als ob das Proletariat sich zurück hielte, sorgfältig die Umgebung beobachtete, seine Kräfte sammelte und die Frage überlegte, ob der Zeitpunkt des entscheidenden Kampfes um die Freiheit schon gekommen sei oder nicht.

Allem Anschein nach beginnt die Welle der liberalen Erregung etwas abzuebben. Die Gerüchte, und Meldungen der ausländischen Presse über den Sieg der Reaktionäre in den einflussreichsten Hofkreisen bestätigen sich. Der in diesen Tagen veröffentlichte Ukas Nikolaus' II. ist eine direkte Ohrfeige für die Liberalen. Der Zar will die Autokratie aufrechterhalten und verteidigen. Der Zar will die Regierungsform nicht ändern und denkt nicht daran, eine Verfassung zu gewähren. Er verspricht – verspricht nur – allerlei Reformen ganz untergeordneter Natur. Irgendwelche Garantien für die Durchführung dieser Reformen werden selbstverständlich nicht gegeben. Die polizeilichen Härten gegen die liberale Presse verstärken sich nicht täglich, sondern stündlich. Man beginnt wieder, die offenen Demonstrationen mit derselben Grausamkeit wie früher, wenn nicht gar mit noch größerer, zu unterdrücken. Den liberalen Semstwo- und Stadtverordneten gegenüber werden die Zügel wieder merklich straffer gezogen, und noch mehr gegenüber den liberalisierenden Beamten. Die liberalen Zeitungen verfallen in einen verzagten Ton und bitten die Korrespondenten, deren Briefe sie nicht abzudrucken wagen, um Verzeihung.

Es ist nicht unmöglich, dass die Welle der liberalen Erregung, die nach der Erlaubnis Swjatopolk-Mirskis rasch gestiegen ist, nach dem neuen Verbot sich ebenso rasch legen wird. Man muss auseinanderhalten die tiefen Ursachen, die unvermeidlich und unausbleiblich – und zwar je länger je mehr – Opposition und Kampf gegen den Absolutismus erzeugen, und die kleinen Anlässe der zeitweiligen liberalen Belebung. Die tiefen Ursachen erzeugen tiefgehende, mächtige und hartnäckige Volksbewegungen. Die kleinen Anlässe sind manchmal ein Personenwechsel im Ministerium und die übliche Politik der Regierung, nach irgendeinem terroristischen Akt für eine Weile zur Politik der Fuchsschwänzerei überzugehen. Die Ermordung Plehwes hat allem Anschein nach der terroristischen Organisation gewaltige Anstrengungen und lange Vorbereitungsarbeit gekostet. Und je erfolgreicher das terroristische Unternehmen war, um so krasser bestätigt es die Erfahrung der ganzen Geschichte der russischen revolutionären Bewegung, eine Erfahrung, die uns vor solchen Kampfmethoden, wie der Terror es ist, warnt. Der russische Terror war und bleibt eine spezifisch intelligenzlerische Kampfmethode. Man mag uns noch so viel davon erzählen, dass der Terror wichtig sei, nicht an Stelle der Volksbewegung, sondern zusammen mit dieser, die Tatsachen beweisen unwiderleglich, dass bei uns die individuellen politischen Morde mit den gewaltsamen Aktionen der Volksrevolution nichts gemein haben. Eine Massenbewegung ist in der kapitalistischen Gesellschaft nur als proletarische Klassenbewegung möglich. Diese Bewegung entwickelt sich in Russland nach ihren eigenen, selbständigen Gesetzen, sie geht ihren eigenen Weg, immer tiefer und breiter werdend, von zeitweiligem Stillstand zu neuem Aufschwung übergehend. Und nur die liberale Welle steigt und fällt in engem Zusammenhang mit der Stimmung der verschiedenen Minister, deren Wechsel durch Bomben beschleunigt wird. Es ist deshalb kein Wunder, dass man bei uns unter den radikalen (oder radikalisierenden) Vertretern der bürgerlichen Opposition so oft auf Sympathien für den Terror stößt. Kein Wunder, dass unter den revolutionären Intellektuellen gerade diejenigen für den Terror schwärmen (auf die Dauer oder auf einen Augenblick), die an die Lebensfähigkeit und die Kraft des Proletariats und des proletarischen Klassenkampfes nicht glauben.

Die Kurzlebigkeit und Unbeständigkeit der liberalen Erregung aus diesem oder jenem Anlass können uns natürlich nicht veranlassen, den unausrottbaren Widerspruch zwischen dem Absolutismus und den Bedürfnissen der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft zu vergessen. Der Absolutismus kann nicht umhin, die soziale Entwicklung zu hemmen. Je weiter die Entwicklung fortschreitet, um so mehr stoßen die Interessen der Bourgeoisie als Klasse, die Interessen der Intelligenz, ohne die die moderne kapitalistische Produktion undenkbar ist, mit dem Absolutismus zusammen. Mag der Anlass der liberalen Erklärungen oberflächlich sein, mag der Charakter der unentschlossenen und zwiespältigen Stellung der Liberalen kleinlich sein, doch ein wirklicher Friede ist für den Absolutismus nur möglich mit einem Häuflein besonders privilegierter Größen der Grundbesitzer- und Händlerklasse, keineswegs aber mit dieser ganzen Klasse. Eine direkte Vertretung der Interessen der herrschenden Klasse in Form einer Verfassung ist für ein Land, das ein europäisches Land sein will und das seine Lage verpflichtet, bei Strafe der politischen und ökonomischen Niederlage, ein europäisches Land zu werden, notwendig. Deshalb ist es überaus wichtig, dass das klassenbewusste Proletariat sowohl die Unvermeidlichkeit der liberalen Proteste gegen den Absolutismus als auch den wirklichen bürgerlichen Charakter dieser Proteste klar erkennt.

Die Arbeiterklasse setzt sich die größten welthistorischen Ziele: die Menschheit von allen Formen der Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu befreien. Nach der Verwirklichung dieser Ziele strebt sie beharrlich in der ganzen Welt seit vielen, vielen Jahrzehnten, indem sie beständig ihren Kampf ausdehnt, sich in Millionenparteien organisiert, ohne sich durch einzelne Niederlagen und zeitweilige Misserfolge entmutigen zu lassen. Für eine solche wahrhaft revolutionäre Klasse kann es nichts Wichtigeres geben, als sich von aller Selbsttäuschung, von allen Einbildungen und Illusionen frei zu machen. Bei uns in Russland ist eine der verbreitetsten und zähesten Illusionen die, dass unsere liberale Bewegung keine bürgerliche Bewegung sei, dass die Russland bevorstehende Revolution keine bürgerliche Revolution sei. Der russische Intellektuelle – vom gemäßigtesten „Oswoboschdjenije"-Mann bis zum extremsten Sozialrevolutionär – glaubt immer, wenn man unsere Revolution als bürgerliche anerkennt, so bedeute das, sie farblos zu machen, sie herabzusetzen, sie zu trivialisieren. Der russische klassenbewusste Proletarier sieht in einer solchen Feststellung die einzig richtige Klassencharakteristik der wahren Lage der Dinge. Für den Proletarier ist der Kampf für die politische Freiheit und die demokratische Republik in der bürgerlichen Gesellschaft nur eine der notwendigen Etappen im Kampfe für die soziale Revolution, die die bürgerliche Ordnung stürzt. Etappen, die ihrer Natur nach verschieden sind, streng unterscheiden, die Bedingungen ihres Ablaufs nüchtern untersuchen, heißt noch lange nicht, das Endziel auf die lange Bank schieben, heißt noch lange nicht, seinen eigenen Weg von vornherein verlängern. Im Gegenteil, gerade zur Abkürzung des Weges, gerade zur möglichst raschen und dauerhaften Verwirklichung des Endziels ist es notwendig, das Klassenverhältnis in der modernen Gesellschaft zu erkennen. Wer sich vor dem angeblich einseitigen Klassenstandpunkt fürchtet, wer Sozialist sein will und gleichzeitig Angst hat, die uns in Russland bevorstehende, bei uns in Russland beginnende Revolution offen als bürgerliche Revolution zu bezeichnen, der wird nur Enttäuschungen erleben und hin und her schwanken.

Eine bezeichnende Tatsache: als die jetzige Verfassungsbewegung ihren Höhepunkt erreicht hatte, benützte die sich am demokratischsten gebärdende legale Presse die ungewöhnliche Freiheit zu Angriffen nicht nur auf die „Bürokratie", sondern auch auf die „wissenschaftlich" angeblich „unhaltbare, exklusive und daher falsche Klassenkampftheorie" („Nascha Schisn" Nr. 281). Man habe die Aufgabe der Annäherung der Intelligenz an die Massen „bisher so gestellt, dass man ausschließlich die Klassengegensätze betonte, die zwischen den Volksmassen und jenen Schichten der Gesellschaft bestehen, denen ein großer Teil der Intelligenz entstammt". Es erübrigt sich, zu sagen, dass diese Darstellung mit der Wirklichkeit in striktem Widerspruch steht. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Die ganze Masse der russischen legalen, kulturträgerischen Intelligenz, alle alten russischen Sozialisten, alle Politiker vom Typus der „Oswoboschdjenije"-Leute ignorierten und ignorieren vollständig die Tiefe der Klassengegensätze in Russland überhaupt und im russischen Dorf im Besonderen. Die Hauptsünde selbst der äußersten Linken der russischen radikalen Intelligenz, der Partei der Sozialrevolutionäre, ist dieses Ignorieren; man braucht nur an ihre üblichen Räsonnements über die „werktätige Bauernschaft" zu denken oder dass uns „nicht eine bürgerliche, sondern eine demokratische" Revolution bevorstehe.

Nein. Je näher der Moment der Revolution heranrückt, je akuter die Verfassungsbewegung wird, um so strenger muss die Partei des Proletariats ihre Klassenselbständigkeit wahren und nicht zulassen, dass ihre Klassenforderungen in dem Wasser der allgemein-demokratischen Phrasen ersäuft werden. Je häufiger, je entschiedener die Vertreter der sogenannten Gesellschaft mit ihren angeblich allgemeinen Volksforderungen hervortreten, um so rücksichtsloser muss die Sozialdemokratie den Klassencharakter dieser „Gesellschaft" enthüllen. Nehmt die famose Resolution des „geheimen" Semstwokongresses vom 6. bis 8. November. Ihr werdet darin in den Hintergrund geschobene und absichtlich unklar gehaltene, schüchterne Verfassungswünsche finden. Ihr werdet Hinweise auf das Volk und die Gesellschaft finden, viel häufiger auf die Gesellschaft als auf das Volk. Ihr werdet eine besonders ausführliche und bis ins Einzelne gehende Aufzählung von Reformen auf dem Gebiete der Semstwo- und Städteinstitutionen finden, das heißt der Institutionen, die die Interessen der Grundbesitzer und der Kapitalisten repräsentieren. Ihr werdet darin erwähnt finden eine Reform der Lebensart der Bauernschaft, ihre Befreiung von der Bevormundung und die Gewährleistung eines geregelten Gerichtswesens. Es ist vollkommen klar, dass wir Vertreter der besitzenden Klassen vor uns haben, die nur Zugeständnisse vom Absolutismus zu erlangen trachten und an keine Änderung der Grundlagen der Wirtschaftsordnung denken. Wenn solche Leute eine „grundlegende" (angeblich grundlegende) „Änderung der heutigen rechtlich ungleichen und entwürdigenden Lage der Bauern" wünschen, so beweist das ein übriges Mal die Richtigkeit der Anschauungen der Sozialdemokratie, die die Zurückgebliebenheit der Zustände und Lebensbedingungen der Bauernschaft hinter den allgemeinen Bedingungen der bürgerlichen Ordnung unermüdlich betont hat. Die Sozialdemokratie hat immer gefordert, dass das klassenbewusste Proletariat in der gesamtbäuerlichen Bewegung die gebieterischen Interessen und Bedürfnisse der bäuerlichen Bourgeoisie streng unterscheide, wie sehr auch diese Bedürfnisse von einem Nebelschleier überzogen und verdeckt sein mögen, in welche Utopien des „Gleichmachens" die bäuerliche Ideologie (und die „sozialrevolutionäre" Phrase) sie auch kleiden möge. Nehmt die Resolution des Petersburger Banketts der Ingenieure vom 4. Dezember. Ihr werdet finden, dass 590 Teilnehmer des Banketts, und mit ihnen weitere 6000 Ingenieure, die die Resolution unterschrieben haben, sich für eine Verfassung aussprechen, „ohne die ein erfolgreicher Schutz der russischen Industrie unmöglich ist", und bei dieser Gelegenheit auch schon gegen die Übertragung von Staatsaufträgen an ausländische Unternehmer protestieren.

Kann man denn jetzt noch übersehen, dass gerade die Interessen aller Schichten der grundbesitzenden, der kaufmännischen und industriellen, sowie der bäuerlichen Bourgeoisie die Unterlage und Grundlage der zum Vorschein gekommenen Verfassungsbestrebungen bilden? Kann es uns denn irreführen, dass diese Interessen vertreten werden durch die demokratische Intelligenz, die stets und überall, in allen europäischen Revolutionen der Bourgeoisie, die Rolle der Publizisten, Redner und politischen Führer übernommen hatte?

Dem russischen Proletariat fällt die ernsteste Aufgabe zu. Der Absolutismus schwankt. Der schwere und hoffnungslose Krieg, in den er sich stürzte, hat die Grundlage seiner Macht und Herrschaft tief unterwühlt. Er kann sich jetzt nicht halten ohne den Appell an die herrschenden Klassen, ohne die Unterstützung der Intelligenz, ein solcher Appell und eine solche Unterstützung aber haben unvermeidlich Verfassungsforderungen zur Folge. Die bürgerlichen Klassen suchen die schwierige Lage der Regierung für sich auszunützen. Die Regierung treibt ein verzweifeltes Spiel, um sich herauszuwinden, um mit nichtigen Zugeständnissen, unpolitischen Reformen, zu nichts verpflichtenden Versprechungen, die man in Hülle und Fülle im neuen Zarenukas findet, davonzukommen. Ob ein solches Spiel, wenigstens zeitweilig und zum Teil, gelingt, das hängt letzten Endes vom russischen Proletariat, von seiner Organisiertheit und der Kraft seines revolutionären Ansturms ab. Das Proletariat muss die ungewöhnlich günstige politische Lage ausnutzen. Das Proletariat muss die Verfassungsbewegung der Bourgeoisie unterstützen, möglichst breite Schichten der ausgebeuteten Volksmassen aufrütteln und um sich scharen, alle seine Kräfte sammeln und im Augenblick der größten Verzweiflung der Regierung, im Augenblick der größten Erregung des Volkes zum Aufstand schreiten.

Worin soll sich sofort die Unterstützung der Verfassungsbewegung durch das Proletariat ausdrücken? Vor allem darin, die allgemeine Erregung zur Agitation und Organisationsarbeit unter den am wenigsten berührten, den rückständigsten Schichten der Arbeiterklasse und der Bauernschaft nutzbar zu machen. Selbstverständlich muss das organisierte Proletariat, die Sozialdemokratie, Trupps ihrer Kräfte in alle Klassen der Bevölkerung schicken, doch je selbständiger diese Klassen bereits auftreten, je akuter der Kampf wird und je näher der Moment der entscheidenden Schlacht heranrückt, um so mehr muss das Schwergewicht unserer Tätigkeit auf die Vorbereitung der Proletarier und Halbproletarier selbst zum direkten Kampf um die Freiheit verlegt werden. Nur Opportunisten können in einem solchen Moment das Auftreten einzelner Arbeiterredner in Semstwos und anderen gesellschaftlichen Versammlungen als besonders aktiven Kampf oder als neue Kampfmethode oder als höheren Demonstrationstypus bezeichnen. Solche Manifestationen können nur ganz untergeordnete Bedeutung haben. Unvergleichlich wichtiger ist jetzt, das Augenmerk des Proletariats auf die wirklich hohen und aktiven Kampfesformen zu richten, in der Art der berühmten Demonstration in Rostow und einer Reihe von Massendemonstrationen im Süden. Unvergleichlich wichtiger ist es jetzt, unsere Kader zu erweitern, die Kräfte zu organisieren und zu einem noch direkteren und offeneren Massenkampf zu rüsten.

Selbstverständlich handelt es sich hier nicht darum, die alltägliche Werktagsarbeit der Sozialdemokraten einzustellen. Auf die werden sie niemals verzichten, gerade in ihr sehen sie die wirkliche Vorbereitung zum entscheidenden Kampf, denn sie rechnen einzig und allein auf die Aktivität, das Klassenbewusstsein, die Organisiertheit des Proletariats, auf seinen Einfluss unter der Masse der Werktätigen und Ausgebeuteten. Es handelt sich darum, den richtigen Weg aufzuzeigen, auf die Notwendigkeit, vorwärts zu marschieren, auf die Schädlichkeit taktischer Schwankungen hinzuweisen. Zur Alltagsarbeit, die das klassenbewusste Proletariat niemals und unter keinen Umständen vergessen darf, gehört auch die Organisationsarbeit. Ohne breite und vielseitige Arbeiterorganisationen, ohne ihre Annäherung an die revolutionäre Sozialdemokratie ist ein erfolgreicher Kampf gegen den Absolutismus unmöglich. Die Organisationsarbeit ist aber unmöglich ohne entschiedene Abwehr jener desorganisatorischen Tendenzen, die der charakterlose und seine Losungen wie Handschuhe wechselnde intelligenzlerische Teil unserer Partei bei uns, wie überall, zeigt; die Organisationsarbeit ist unmöglich ohne den Kampf gegen die alberne, reaktionäre und jede Zerfahrenheit bemäntelnde „Theorie", dass die Organisation ein Prozess sei.

Die Entwicklung der politischen Krise in Russland hängt jetzt vor allem von dem Verlauf des Krieges mit Japan ab. Dieser Krieg enthüllte und enthüllt am meisten die Morschheit des Absolutismus, er entkräftet ihn am meisten in finanzieller und militärischer Hinsicht, er peinigt am meisten die erschöpften Volksmassen, von denen dieser verbrecherische und schändliche Krieg so grenzenlose Opfer fordert, und treibt sie zum Aufstand. Das absolutistische Russland ist vom konstitutionellen Japan schon geschlagen und jede Verschleppung wird die Niederlage nur verstärken und verschärfen. Der beste Teil der russischen Flotte ist bereits vernichtet, die Lage von Port Arthur ist hoffnungslos, das ihm zu Hilfe eilende Geschwader hat nicht die geringsten Aussichten auf Erfolg, oder auch nur darauf, an den Bestimmungsort zu gelangen, das Hauptheer mit Kuropatkin an der Spitze hat über 200.000 Mann verloren, ist entkräftet und steht hilflos dem Feinde gegenüber, der es, nachdem Port Arthur genommen sein wird, unausbleiblich zermalmen wird. Der militärische Zusammenbruch ist unvermeidlich und damit zugleich ist auch eine Verzehnfachung der Unzufriedenheit, der Gärung und Empörung unvermeidlich.

Auf diesen Moment müssen wir uns mit aller Energie vorbereiten. In diesem Moment wird einer jener Ausbrüche, die sich bald hier, bald dort immer häufiger wiederholen, zu einer gewaltigen Volksbewegung führen. In diesem Augenblick wird sich das Proletariat an die Spitze des Aufstandes stellen, um für das ganze Volk die Freiheit zu erkämpfen, um der Arbeiterklasse die Möglichkeit des offenen, breiten, durch die ganze europäische Erfahrung bereicherten Kampfes für den Sozialismus zu sichern.

1 Die von Lenin hier zitierte Stelle ist einem Artikel in Nr. 28 vom 3./16. Dezember 1904 entnommen. Denselben Artikel hat auch Lenin im Auge, wo er in Vom Narodnikitum zum Marxismus davon spricht, „ein legales Blatt" habe dieser Tage „der Meinung Ausdruck gegeben, dass es jetzt nicht an der Zeit sei, auf die Interessengegensätze der verschiedenen Klassen, die gegen den Absolutismus auftreten, hinzuweisen".

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