Lenin‎ > ‎1905‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19050527 Mitteilung über den III. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

Wladimir I. Lenin: Mitteilung über den III. Parteitag der

Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

[Proletarij" Nr. 1, 15/27. Mai 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 397-402]

Genossen, Arbeiter! Vor kurzem hat der III. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands stattgefunden, der wohl einen neuen Abschnitt in der Geschichte unserer sozialdemokratischen Arbeiterbewegung einleiten wird. Russland durchlebt einen großen historischen Augenblick. Die Revolution ist ausgebrochen und greift immer weiter um sich, immer neue Gegenden und neue Bevölkerungsschichten erfassend. Das Proletariat steht an der Spitze der Kampfkräfte der Revolution. Es hat schon für die Sache der Freiheit die größten Opfer gebracht und rüstet jetzt zur entscheidenden Schlacht gegen den zaristischen Absolutismus. Die klassenbewussten Vertreter des Proletariats wissen wohl, dass diese Freiheit die Werktätigen noch nicht aus dem Elend, der Knechtung und Ausbeutung erlösen wird. Die Bourgeoisie, die heute für die Sache der Freiheit eintritt, wird am Tage nach der Revolution versuchen, den Arbeitern einen möglichst großen Teil ihrer Errungenschaften zu entreißen, sie wird als unversöhnlicher Feind der sozialistischen Forderungen des Proletariats auftreten. Wir haben jedoch keine Furcht vor einer freien, vereinigten und erstarkten Bourgeoisie. Wir wissen, dass die Freiheit uns einen umfassenden, offenen Massenkampf für den Sozialismus ermöglichen wird. Wir wissen, dass die ökonomische Entwicklung mit unerbittlicher Kraft – und je freier sie vor sich geht, desto schneller – die Macht des Kapitals unterhöhlen und den Sieg des Sozialismus vorbereiten wird.

Genossen, Arbeiter! Um dieses große Ziel zu erreichen, müssen wir alle klassenbewussten Proletarier zu einer einheitlichen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands vereinigen. Die Herausbildung unserer Partei begann schon seit langem, gleich nach der großen Arbeiterbewegung von 1895 und 1896. Im Jahre 1898 trat der erste Parteitag zusammen, der die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands begründete und ihre Aufgaben vorzeichnete. Im Jahre 1903 fand der II. Parteitag statt, der der Partei ein Programm gab, eine Reihe Resolutionen über die Taktik annahm und zum ersten Mal den Versuch machte, eine festgefügte Parteiorganisation zu schaffen. Die Lösung dieser Aufgabe ist allerdings der Partei nicht sofort gelungen. Die Minderheit auf dem II. Parteitag wollte sich nicht der Mehrheit unterwerfen und brachte es zu einer Spaltung, die der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung schweren Schaden zufügte. Der erste Schritt zu dieser Spaltung war die Weigerung, sich den Beschlüssen des II. Parteitages zu fügen und unter der Leitung der von ihm geschaffenen Zentralinstitutionen zu arbeiten; den letzten Schritt bildete die Ablehnung einer Beteiligung an dem III. Parteitage. Der III. Parteitag wurde von einem von der Mehrheit der in Russland tätigen Komitees gewählten Büro und vom Zentralkomitee der Partei einberufen. Zum Parteitag wurden alle Komitees, alle abgesonderten Gruppen und die mit den Komitees unzufriedenen Peripherien geladen, und die übergroße Mehrheit derselben, darunter nahezu sämtliche Komitees und Organisationen der Minderheit, wählten ihre Delegierten und sandten sie zum Parteitag ins Ausland. Es wurde somit alles getan, was unter unseren Polizeiverhältnissen möglich ist, um einen Parteitag der Gesamtpartei zustande zu bringen, und nur die Weigerung dreier Auslandsmitglieder des früheren Parteirates hatte den Boykott des Parteitages durch die gesamte Parteiminderheit zur Folge. Der III. Parteitag macht, wie dies aus der weiter unten angeführten Resolution1 ersichtlich ist, diese drei Mitglieder für die Parteispaltung voll verantwortlich. Nichtsdestoweniger traf der III. Parteitag, trotz Abwesenheit der Minderheit, alle Maßnahmen, um der Minderheit eine Zusammenarbeit mit der Mehrheit in einer Partei zu ermöglichen. Der III. Parteitag hat die Schwenkung zu den veralteten überlebten Anschauungen des Ökonomismus, die sich in unserer Partei bemerkbar machte, für falsch erklärt, gleichzeitig jedoch hat der Parteitag genaue und bestimmte, im Parteistatut festgelegte, für sämtliche Parteimitglieder obligatorische Rechtsgarantien für jede Minderheit geschaffen. Die Minderheit hat jetzt das unbedingte, durch das Parteistatut gewährleistete Recht, ihre Ansichten zu vertreten, einen ideologischen Kampf zu führen, wenn nur die Diskussionen und Differenzen zu keiner Desorganisation führen, die positive Arbeit nicht behindern, unsere Kräfte nicht zersplittern und den einheitlichen Kampf gegen den Absolutismus und die Kapitalisten nicht beeinträchtigen. Das Recht, Parteiliteratur herauszugeben, ist jetzt durch das Statut jeder voll berechtigten Parteiorganisation eingeräumt. Dem Zentralkomitee der Partei ist jetzt zur Pflicht gemacht, jegliche Parteiliteratur zu befördern, sobald fünf voll berechtigte Komitees, d. h. ein Sechstel aller voll berechtigten Parteikomitees dies fordern. Die Autonomie der Komitees ist genauer bestimmt, die personelle Zusammensetzung der Komitees ist für unantastbar erklärt worden, d.h. dem Zentralkomitee ist das Recht genommen worden, Mitglieder der örtlichen Komitees auszuschließen und neue Mitglieder ohne Zustimmung des Komitees zu ernennen. Die einzige Ausnahme hiervon bildet der Fall, wo zwei Drittel der organisierten Arbeiter die Absetzung eines Komitees verlangen: in diesem Falle muss nach dem vom Parteitag beschlossenen Statut die Absetzung durch das Zentralkomitee erfolgen, wenn zwei Drittel des ZK mit dem Beschluss der Arbeiter einverstanden sind. Jedem Ortskomitee ist das Recht gegeben, Peripherieorganisationen als Parteiorganisationen zu bestätigen. Der Peripherie ist das Recht gegeben, Kandidaten zu Komiteemitgliedern aufzustellen. Die Grenzen der Partei sind, dem Wunsche der Parteimehrheit entsprechend, genauer bestimmt worden. An Stelle von zwei oder drei Zentren ist ein Zentrum geschaffen worden. Den in Russland tätigen Genossen ist gegenüber dem ausländischen Teil der Partei ein entschiedenes Übergewicht gesichert. Mit einem Wort, der III. Parteitag hat alles getan, um jedwede Möglichkeit von Vorwürfen über Missbrauch des Übergewichtes durch die Mehrheit, über mechanische Unterdrückung, über Despotismus der zentralen Parteiinstitutionen usw. usf. zu zerstreuen. Es ist für alle Sozialdemokraten die volle Möglichkeit geschaffen, gemeinsam zu arbeiten, zuversichtlich in die Reihen einer Partei einzutreten, die genügend groß und lebensfähig, genügend gefestigt und stark ist, um die Traditionen des alten Zirkelwesens zu paralysieren, um die Spuren vergangener Reibungen und kleinlicher Konflikte auszumerzen. Mögen nun alle Funktionäre der Sozialdemokratie, denen die Partei wirklich am Herzen liegt, dem Ruf des III. Parteitages folgen, mögen seine Beschlüsse als Ausgangspunkt dienen zur Wiederherstellung der Parteieinheit, zur Beseitigung jeder Desorganisation, zum Zusammenschluss der Reihen des Proletariats. Wir sind überzeugt, dass gerade die klassenbewussten Arbeiter, die am besten die Bedeutung einer gemeinsamen, einmütigen Arbeit zu schätzen wissen, die am tiefsten die ganze Schädlichkeit der Zwistigkeiten, der Schwankungen und der Uneinigkeit empfunden haben, jetzt mit aller Energie auf der allgemeinen und unbedingten Anerkennung der Parteidisziplin durch alle Mitglieder, sowohl der unteren wie der oberen Schichten der Partei bestehen werden!

Bestrebt, in allen seinen organisatorischen und taktischen Beschlüssen die Kontinuität mit den Arbeiten des II. Parteitages aufrecht zu erhalten, versuchte der Parteitag die neuen Aufgaben der Gegenwart in Resolutionen über die Vorbereitung der Partei zu einem offenen Auftreten, über die Notwendigkeit der tatkräftigsten praktischen Teilnahme an dem bewaffneten Aufstand und dessen Leitung durch die Partei und endlich über die Stellung der Partei zu einer provisorischen revolutionären Regierung niederzulegen. Der Parteitag lenkte die Aufmerksamkeit aller Parteimitglieder auf die Notwendigkeit, jedes Schwanken der Regierung, jede juristische oder faktische Erweiterung der Freiheit unserer Betätigung zur Festigung der Klassenorganisation des Proletariats, zur Vorbereitung seines offenen Auftretens auszunutzen. Aber außer diesen allgemeinen und Grundaufgaben der sozialdemokratischen Arbeiterpartei erhält die Partei in der revolutionären Situation, die wir durchleben, die Rolle eines Vorkämpfers für die Freiheit, die Rolle der Avantgarde in dem bewaffneten Aufstande gegen den Absolutismus. Je hartnäckiger der Widerstand der zaristischen Macht gegen das Streben des Volkes nach Freiheit wird, um so mächtiger schwillt die Kraft des revolutionären Ansturms, um so wahrscheinlicher ist der volle Sieg der Demokratie mit der Arbeiterklasse an ihrer Spitze. Die Durchführung der siegreichen Revolution, die Verteidigung ihrer Errungenschaften bürdet dem Proletariat gigantische Aufgaben auf. Das Proletariat wird jedoch vor den großen Aufgaben nicht zurückschrecken. Es wird mit Verachtung diejenigen abschütteln, die ihm ein Unglück aus einem Siege prophezeien. Das russische Proletariat wird seine Pflicht restlos zu erfüllen wissen. Es wird verstehen, an die Spitze des bewaffneten Volksaufstandes zu treten. Es wird vor der schwierigen Aufgabe einer Beteiligung an der provisorischen revolutionären Regierung nicht zurückschrecken, wenn diese Aufgabe ihm zufallen sollte. Es wird verstehen, alle konterrevolutionären Versuche niederzuschlagen, erbarmungslos alle Feinde der Freiheit zu zertreten, mit seiner Brust die demokratische Republik zu verteidigen und auf revolutionärem Wege die Verwirklichung unseres ganzen Minimalprogramms durchzusetzen. Die Proletarier Russlands haben diesen Ausgang nicht zu fürchten, sondern müssen ihn leidenschaftlich herbeisehnen. Wenn wir in der bevorstehenden demokratischen Revolution siegen, wird damit ein gigantischer Schritt vorwärts zu unserem sozialistischen Ziele getan sein; wir werden ganz Europa von dem schweren Joch einer reaktionären Militärmacht befreien und unseren Brüdern, den klassenbewussten Arbeitern der ganzen Welt, die unter der bürgerlichen Reaktion so ermattet sind und jetzt beim Anblick der Erfolge der Revolution in Russland geistig aufleben, helfen, schneller, entschlossener und kühner zum Sozialismus zu schreiten. Mit Hilfe des sozialistischen Proletariats Europas aber wird es uns gelingen, nicht nur die demokratische Republik zu behaupten, sondern auch mit Siebenmeilenschritten dem Sozialismus entgegenzueilen.

Vorwärts, Genossen Arbeiter, zum organisierten, einmütigen und standhaften Kampf für die Freiheit! Es lebe die Revolution!

Es lebe die internationale revolutionäre Sozialdemokratie!

Zentralkomitee der SDAPR

1 Gemeint ist die Resolution „Über die Konstituierung des Parteitages", die in Nr. 1 des „Proletarij" gleich hinter diesem Artikel abgedruckt wurde.

Kommentare