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Wladimir I. Lenin 19061220 Eine neue Senatserläuterung

Wladimir I. Lenin: Eine neue Senatserläuterung

[Proletarij" Nr. 9, 20. (7.) Dezember 1906. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 236-245]

In Situationen eines halbwegs offenen politischen Kampfes prüft das Leben jeden taktischen Schritt außerordentlich rasch und außerordentlich drastisch. Wahrscheinlich haben noch nicht einmal alle Delegierten der Allrussischen Konferenz der SDAPR Zeit gehabt, nach Hause zurückzukehren und den Parteiorganisationen Bericht zu erstatten, – als die Streitfrage über die Blocks mit den Kadetten eine ganz neue Beleuchtung erhielt. Diese Frage aber steht jetzt im Mittelpunkt aller politischen Tagesfragen.

Auf der Konferenz der SDAPR ist keiner der Delegierten auf den Gedanken gekommen, die Sozialdemokraten könnten ihre selbständigen taktischen Losungen in der Wahlkampagne auch nur irgendwie abschwächen oder gar ganz ändern. In aller Form ist in der Resolution, die vom ZK der Partei vorgeschlagen und mit 18 gegen 14 Stimmen (Bolschewiki, Polen und Letten) angenommen wurde, die völlige Selbständigkeit der Plattform und der Losungen der SDAPR in den Mittelpunkt gestellt. Irgendwelche dauernden Bündnisse mit anderen Parteien auf dem Boden auch nur irgendeiner „Abschwächung" unserer Plattform sind unbedingt unzulässig. Und der ganze Streit zwischen dem rechten und dem linken Flügel der Sozialdemokratie ging ausschließlich darum, ob die rechten Sozialdemokraten in der Tat diesen grundsätzlichen Standpunkt innehalten. Ob sie nicht im Widerspruch zu ihm geraten, indem sie Blocks mit den Kadetten zulassen? Ist die Trennung in „technische" und ideologische Abkommen nicht künstlich, fiktiv, nur eine Trennung in Worten?

Aber… auch in unserer Partei, das heißt in ihrer realen „Konstitution", gibt es offenbar eine Institution in der Art des Senats, gibt es die Möglichkeit, mit Hilfe von Senatserläuterungen Partei-Gesetze", Beschlüsse von offiziellen Parteikörperschaften in ihr gerades Gegenteil zu verwandeln. Die neue Senatserläuterung der Beschlüsse der SDAPR erfolgte, wie zu erwarten war, aus Genf. Sie wurde in der Kadettenzeitung „Towarischtsch" als „Offenes Antwortschreiben"1 (ganz wie bei Lassalle!) G. Plechanows an einen Leser dieser Zeitung veröffentlicht, „der sich weder für einen Bourgeois noch für einen Sozialdemokraten hält". Der Beinahe-Lassalle unserer Partei eilte dem Leser der Zeitung, die in Wirklichkeit ein Organ der Renegaten der Sozialdemokratie ist, zu Hilfe.

Der Leser des „Towarischtsch" hatte G. Plechanow unter anderem gefragt, „wie, nach seiner Meinung, eine gemeinsame Wahlplattform der linken und äußersten linken Parteien sein könnte". G. Plechanow antwortete: „Auf diese Frage gibt es keine andere Antwort und kann es keine geben als die beiden Worte: souveräne Duma."

Gibt es keine andere Antwort und kann es keine geben" … Diesen Worten unseres Beinahe-Lassalles ist es wahrscheinlich beschieden, „geschichtlich" zu werden, zumindest im Gogolschen Sinne des Wortes. G. Plechanow hatte seinerzeit geruht, einen Bericht darüber entgegenzunehmen, dass es ein gewisses ZK der SDAPR gibt, dass so etwas wie eine Allrussische Konferenz dieser Partei zusammentritt, dass sowohl das ZK als auch diese Konferenz ihre Antwort auf die Fragen ausarbeiten, die nicht nur Frau Kuskowa und Herrn Prokopowitsch, die jetzigen Mitarbeiter G. Plechanows, sondern auch die sozialistischen Arbeiter Russlands interessieren. Ohne sich dadurch beirren zu lassen, verkündete G. Plechanow: „Es gibt keine andere Antwort und es kann keine andere geben als meine." Und diese allergnädigsten Worte werden in der Kadettenzeitung gerade in einem Augenblick veröffentlicht, wo das ganze lesende Russland schon eine andere Antwort kennt, die von allen Vertretern sowohl der Gebietskörperschaften als auch der zentralen Körperschaft der ganzen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands gegeben wurde.

Die „Geschichte", die dabei herauskommt, ähnelt fürwahr jenen Geschichten, in denen Nosdrew mehr als einmal die Heldenrolle gespielt hat.

Wenden wir uns aber dem Inhalt der in ihrer Art einzigen und unnachahmlichen Antwort unseres unnachahmlichen G. Plechanow zu.

Vor allem sehen wir, dass er nicht einmal den Gedanken zulässt an die Möglichkeit von Abkommen im ersten Stadium der Wahlen ohne gemeinsame Wahlplattform. Uns Bolschewiki gefällt diese Ansicht außerordentlich. Den Menschewiki erweist G. Plechanow, indem er das zugibt, einen Bärendienst. Wir haben auf der Konferenz in Diskussionen mit den Menschewiki und den Bundisten, sowie auch in Nummer 8 des „Proletarij" ständig darauf hingewiesen, dass Abkommen im ersten Stadium das Auftreten unserer Partei vor den Massen unvermeidlich beeinflussen, dass diese Abkommen folglich entgegen unseren Wünschen und Plänen unvermeidlich und unausbleiblich den Charakter einer gewissen ideologischen Annäherung, einer gewissen Verdunkelung, Abschwächung, Abstumpfung der politischen Selbständigkeit der Sozialdemokratie erhalten müssen. G. Plechanow hat mit dem ihm eigenen Geschick und mit dem ihm eigenen Parteitakt unsere Attacke gegen die Menschewiki unterstützt. Er hat sogar direkt mehr als das zugegeben, was wir betont haben, indem er eine gemeinsame Plattform, d. h. einen direkten ideologischen Block mit den Kadetten zugegeben hat.

Es stellt sich heraus, dass die Senatserläuterungen nicht nur im russischen Staate, sondern auch in der russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei denjenigen kompromittieren, zu dessen Gunsten sie verfasst werden.

Weiter. Mag der Leser über den unmittelbaren Sinn der Plechanowschen „kadettisch-sozialdemokratischen" Losung „souveräne Duma" nachdenken – wie immer auch sich die verschiedenen Parteien zu dieser Losung verhalten mögen. Die Worte „souveräne Duma" bedeuten die Forderung der uneingeschränkten Macht der Duma. Welcher Duma? Augenscheinlich jener, zu der jetzt Russlands Bürger auf der Grundlage des Gesetzes vom 24. (11.) Dezember und der Senatserläuterungen Abgeordnete wählen werden. Für diese Duma schlägt Plechanow vor, Souveränität zu verlangen. Offenbar ist er davon überzeugt, dass diese Duma nicht eine Schwarzhundert-Duma sein wird, da er für eine Schwarzhundert-Duma nicht Souveränität verlangen könnte. Die Losung „Souveräne Duma" herausgeben und gleichzeitig von der ernisten Gefahr einer Schwarzhundert-Duma schreien, heißt sich selbst prügeln. Es heißt die Meinung der Bolschewiki bestätigen, dass es eine ernste Gefahr einer Schwarzhundert-Duma in Wirklichkeit nicht gibt und dass die Kadetten in einzelnen Fällen diese Gefahr zu eigennützigen Zwecken erfinden oder übertreiben, und zwar, um bei den Arbeitern und bei der ganzen revolutionären Demokratie den Glauben an die eigenen Kräfte zu schwächen, um von der Kadettenpartei die ihr wirklich drohende „Gefahr von links" abzuwenden. Die „Rjetsch" selbst, das offizielle Organ der Kadetten, hat in dem Bericht der Kadetten über die Situation in der Wahlkampagne im Petersburger Gouvernement diese Gefahr zugegeben.

Wenden wir uns dem wirklichen politischen Inhalt der Plechanowschen Losung zu. Ihr Erfinder ist begeistert von ihr. „Diese allgemeine Formel“ – schreibt er – „drückt in ihrer algebraischen Form ganz genau die politische Aufgabe aus, die jetzt sowohl für die Linken als auch für die äußersten Linken die allerwichtigste Aufgabe ist", da sie gestattet, alle ihre übrigen Forderungen ungekürzt, uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. „Die Kadetten können sich die souveräne Duma nicht so vorstellen, wie sie sich die Sozialdemokraten vorstellen müssen. Aber sowohl diesen als auch jenen tut eine souveräne Duma not. Deshalb sind sowohl diese als auch jene verpflichtet, für sie zu kämpfen."

Wie aus diesen Worten Plechanows hervorgeht, sieht er selbst ein, dass diese Losung von den Kadetten unvermeidlich anders verstanden werden muss als von den Sozialdemokraten. Es ist eine „gemeinsame" Losung. Aber die Kadetten können sich die Bedeutung dieser Losung nicht so vorstellen, wie die Sozialdemokraten.

Es fragt sich, wozu dann eine gemeinsame Losung? Und wozu muss man vor den Massen überhaupt Losungen und Plattformen aufstellen?

Um den Schein eines anständigen Äußeren zu wahren? Etwas zu verhüllen, worüber die Massen nicht aufgeklärt werden dürfen? Hinter dem Rücken des Volkes ein parlamentarisches Manöver auszuführen, das alle möglichen Vorteile verheißt? Oder um das Klassenbewusstsein der Massen zu heben und ihnen ihre wahren politischen Aufgaben wirklich klarzumachen?

Jedermann weiß, dass die bürgerlichen Politikanten stets und allerorts vor dem Volk alle möglichen Losungen, Programme und Plattformen aufstellen, um das Volk zu betrügen. Die bürgerlichen Politikanten nennen sich, besonders vor den Wahlen, sowohl Liberale und Fortschrittler als auch Demokraten und sogar „Sozialistische Radikale", nur um Stimmen zu fangen und das Volk zu betrügen. Das ist zweifellos eine allgemeine Erscheinung in allen kapitalistischen Ländern. Marx und Engels sprachen daher sogar von bürgerlichen Abgeordneten, die das Volk vertreten und zertreten2, – dass sie das Volk vertreten und es mit ihren Abgeordnetenvollmachten zertreten.

Und nun stellt „der älteste" russische Sozialdemokrat, der Begründer der Sozialdemokratie, für die erste allgemeine Wahlkampagne der Partei eine Plattform auf, die, wie man von vornherein weiß, die Kadetten in einem, die Sozialdemokraten in einem anderen Sinne deuten werden! Was hat das zu bedeuten? Wie ist das möglich?

Wenn sich nämlich die Kadetten und die Sozialdemokraten unter der souveränen Duma nicht ein und dasselbe vorstellen können, dann kann es also auch in den breiten Volksmassen nicht eine einheitliche Vorstellung von ihr geben, da sowohl die Kadetten als auch die Sozialdemokraten gewisse Interessen dieser oder jener Klassen, gewisse Bestrebungen oder Vorurteile dieser Klassen ausdrücken. Plechanow hält offenbar die Vorstellung, die die Kadetten von der souveränen Duma haben, für unrichtig. Jede unrichtige Vorstellung aber von politischen Aufgaben schadet dem Volke. Folglich gibt Plechanow die Losung in einer Form heraus, die, wie man von vornherein weiß, dem Volke Schaden bringt, und stellt dabei eine gewisse unrichtige Vorstellung nicht richtig, klärt sie nicht auf. Einfach und offen gesprochen, bedeutet das, die Arbeiter und das ganze Volk um eines Scheines und um der Einheit der Kadetten und Sozialdemokraten willen zu betrügen.

Worin besteht die Unrichtigkeit der Vorstellung der Kadetten von der souveränen Duma? Plechanow schweigt darüber. Dieses Schweigen beweist erstens, dass Plechanow die Wahlkampagne (die Herausgabe einer Wahlplattform ist schon ein Schritt in der Wahlkampagne) nicht benutzt, um das Bewusstsein des Volkes zu heben, sondern um es zu verdunkeln. Zweitens wird durch dies Schweigen der Plechanowschen Schlussfolgerung: „Sowohl den Kadetten als auch den Sozialdemokraten tut eine souveräne Duma Not" jeder Sinn geraubt. Es ist einfach ein durch Floskeln verdeckter Unsinn, zu sagen, dass zwei verschiedene Parteien ein und dieselbe Sache benötigen, die von ihnen verschiedenartig verstanden wird! Es ist also nicht ein und dieselbe: jeder Erstbeste ertappt Plechanow bei einem logischen Fehler. Nun kann man ja auch sowohl die absolutistische Monarchie als auch die demokratische Republik mit dem Buchstaben „a" bezeichnen und sagen, dass verschiedene Parteien ganz nach Belieben verschiedene arithmetische Größen in diese allgemeine algebraische Formel einsetzen können. Das wird eine rein Plechanowsche Logik, oder richtiger gesagt, eine Plechanowsche Sophistik sein.

In Wirklichkeit spricht Plechanow eine offenkundige Unwahrheit, wenn er erklärt, dass sowohl den Kadetten als auch den Sozialdemokraten eine souveräne Duma Not tue, oder darüber hinaus: eine souveräne Volksvertretung, von der in der zweiten Hälfte seines Artikels ständig die Rede ist. Eine souveräne Volksvertretung ist die Konstituierende Versammlung, und zwar eine Konstituierende Versammlung, die nicht neben dem Monarchen sondern nach dem Sturz der Zarenregierung besteht. Wenn Plechanow diese Binsenwahrheit vergessen hat, dann raten wir ihm, das Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands durchzulesen, und besonders seinen letzten Absatz, wo gerade hiervon die Rede ist.

Die Kadetten brauchen keine solche wirklich souveräne Volksvertretung, sie ist für die von ihnen vertretenen Interessen gefährlich und verhängnisvoll. Sie schließt die ihrem Herzen genehme und für die bürgerliche Tasche teure Monarchie aus. Sie raubt ihnen ihre Hoffnungen auf Ablösungssummen für die gutsbesitzerlichen Ländereien. Das ist in einem so hohen Maße richtig, dass sogar Plechanow in Nr. 6 seines „Dnjewnik" davon gesprochen hat, dass die Kadetten aus egoistischen Klasseninteressen dem Gedanken der Konstituierenden Versammlung misstrauisch gegenüber stehen, dass sie aus Furcht vor der Konstituierenden Versammlung sich mit dem Stolypinschen Gesindel versöhnen.

In Nummer 8 des „Proletarij" haben wir diese Stellen aus Nr. 6 des „Dnjewnik" Plechanows* zitiert und darauf hingewiesen, dass Plechanow jetzt seine gestrigen Erklärungen widerrufen muss. Sein Satz: „Auch die Kadetten brauchen jetzt eine souveräne Duma" ist gerade eine solche Widerrufung seiner eigenen Worte.

Aus der Hauptunwahrheit Plechanows ergibt sich mit logischer Unvermeidlichkeit eine Reihe von anderen Unwahrheiten. Es ist unwahr, dass „die souveräne Volksvertretung selbst die Vorbedingung für die Verwirklichung aller übrigen … Forderungen aller fortgeschrittenen Parteien ist", dass „ohne sie keine einzige dieser Forderungen verwirklicht werden wird", dass der Kampf der Linken und der äußersten Linken beginnt, sobald „sie (die souveräne Volksvertretung) vorhanden sein wird". Die souveräne Volksvertretung ist die Vollendung der Revolution, ist der Abschluss der Revolution, ist ihr voller Sieg. Die Kadetten aber wollen der Revolution Einhalt gebieten, wollen sie durch kleine Zugeständnisse zum Abschluss bringen und sprechen das auch offen aus. Indem Plechanow den Arbeitern und dem gesamten Volk den Glauben einflößt, dass die Kadetten fähig seien, für den vollen Sieg der Revolution zu kämpfen, betrügt er dreimal die Volksmassen.

Einstweilen gibt es bei uns nur einen souveränen Herrn Stolypin", schreibt Plechanow. Wir wissen nicht, ob das ein falscher Zungenschlag oder ebenfalls eine Kadettenimitation ist („souveräne Duma – Zarenduma mit vom Zaren ernannten Ministem aus der Dumamehrheit"), oder ein Manöver zur Täuschung der Zensur? Stolypin ist nicht nur nicht souverän, sondern ein ganz belangloser Lakai des Zaren und des Schwarzhundertgesindels aus der Hofkamarilla. Wenn die Enthüllungen in der Duma über die Pogrome Plechanow hiervon nicht überzeugt haben, so mag er die liberalen Zeitungen über den allmächtigen Einfluss des Bundes des russischen Volkes lesen.

Jetzt“ – sagt Plechanow – „sind sowohl die linken als auch die äußersten linken Parteien verpflichtet, gemeinsam gegen diejenigen aufzutreten, die keine souverane oder vielleicht sogar überhaupt keine Volksvertretung wollen.

Folglich sind sie verpflichtet, gegen die Kadetten aufzutreten, die keine souveräne Volksvertretung wollen.

Plechanow hat es glücklich fertig gebracht, sich selbst zu ohrfeigen, indem er uns unter der Flagge des Kampfes gegen den Doktrinarismus ein Musterbeispiel jesuitischen Doktrinarismus schlimmster Sorte gezeigt hat. Vom fraktionellen Standpunkt konnten sich die Bolschewiki über sein Auftreten freuen, da man sich einen stärkeren Schlag gegen die menschewistische Taktik nicht vorstellen kann. Als Mitglieder der einigen SDAPR empfinden wir Scham über das Auftreten G. Plechanows.

Das offizielle Organ der Kadetten, die „Rjetsch", hat Plechanow so geantwortet, dass jetzt wohl sogar die lammfrommsten Sozialdemokraten von ihren opportunistischen Illusionen geheilt werden.3 Die erste Antwort der „Rjetsch", der Leitartikel in Nr. 226 vom 8. Dezember (25. November), ist eine offene Verhöhnung Plechanows, der den Kadetten seine Hand reicht, und zwar eine Verhöhnung von Seiten eines Liberalen, der nicht vergessen hat wie oft Plechanow und seine Kollegen in der „Iskra" den Opportunismus der Liberalen angegriffen haben. „Auch in diesem Falle – spottet das Kadettenorgan über Plechanow – macht Herr Plechanow eine jeder Achtung und Anerkennung werte Anstrengung um seine Genossen von der allerrechtesten der Stellungen, die sie bergen haben, noch ein wenig weiter nach rechts zu drängen" Aber wir müssen doch einwenden.

Und die Einwände der Kadetten sind sind die typischen Antwort eines Fabrikanten an einen Arbeiter, der sich an ihn mit einer Bitte gewandt hat, getrennt von seinen Arbeitskollegen, die gemeinsame Forderungen erheben und ihnen durch einen Streik Nachdruck verleihen. – Du bist mit einer Bitte gekommen? Das ist lobenswert. Aber was für einen Nutzen habe ich davon, wenn deine unvernünftigen Kollegen nicht ebenso handeln wie du? Was für einen Nutzen habe ich von dir, wenn du nicht alles bis zu Ende aussprichst? Souveräne Duma? Wieso! Soll ich mich in den Augen der Ordnungsleute kompromittieren? Man muss sagen: ein Kabinett aus der Dumamehrheit. Dann werden wir uns zu einer gemeinsamen Plattform mit den Sozialdemokraten bereitfinden!

So lautet der Inhalt der Antwort der „Rjetsch", in die eine feine Ironie über die naive „Algebra" Plechanows eingestreut ist, wie auch über die Tatsache, dass er im November 1904 in dem früheren Kollegium der Sozialdemokratie war (Plechanow war damals Mitglied der Redaktion des Zentralorgans und Vorsitzender des Obersten „Rates" der SDAPR), jenem Kollegium, das das „berühmte Pariser Abkommen" mit der bürgerlichen Demokratie abgelehnt hat. Damals gab es gerade ein „algebraisches Zeichen", ironisiert die „Rjetsch", und zwar: „Das demokratische Regime". Wir verstanden darunter die konstitutionelle Monarchie. Die Sozialrevotionäre, die sich dem Abkommen anschlossen, verstanden darunter die demokratische Republik. Sie, G. V. Plechanow, haben es damals abgelehnt. Sind Sie jetzt klüger geworden? Wir Kadetten loben Sie, im Interesse der Sache aber müssen Sie noch weiter nach rechts gehen.

Und die „Rjetsch" gibt offen zu, dass die Kadetten auch mit der Losung „Konstituierende Versammlung" das Volk an der Nase geführt haben. Wir Kadetten wollten die konstituierende Versammlung „unter Beibehaltung der Prärogative (d. h. der Rechte) des Monarchen" und durchaus nicht eine republikanische konstituierende Versammlung. Es war vorteilhaft für uns, durch diesen Betrug die Sympathien der Massen zu gewinnen, jetzt aber ist es für uns wichtiger, die Sympathie des Zarengesindels zu gewinnen. Deshalb: Nieder mit der „gefährlichen", „zweideutigen", „hoffnungslosen", „schädlichen revolutionären Illusionen schmeichelnden" Losung der „souveränen Duma". Wir verlangen von den Sozialdemokraten ihre frühere Losung, die Losung ihres ZK: Unterstützung der Regierung aus der Dumamehrheit, und zwar „mit den Konsequenzen", die sich aus dieser Losung ergeben. Diese Konsequenzen aber bestehen darin, die Kadettenmehrheit in der Duma nicht zu schwächen, sondern zu stärken (sic!).

In der nächsten Nummer der „Rjetsch" macht der Leitartikel dem zaristischen Schwarzhundertgesindel (in der Form einer Aufklärung Plechanows) ausdrücklich klar, dass die Kadetten eine „souveräne" Duma nicht brauchen. Die Duma für souverän erklären, ist ein Staatsstreich. Dazu werden sich die Kadetten niemals bereit finden. „Nach einer souveränen Duma streben wir Kadetten durchaus nicht und sind nicht verpflichtet, danach zu streben." „Hat Herr Plechanow ganz im Gegensatz zu seinem sonstigen Scharfsinn wirklich diese Lehre nicht aus dem Gang der Ereignisse gezogen?"

Ja, die Ironie der Kadetten über den gewöhnlichen Scharfsinn Plechanows trifft den Nagel auf den Kopf. Aus dem ganzen Gang der Ereignisse der russischen Revolution hat Plechanow nicht gelernt, die Kadetten zu verstehen. Er wird nach Verdienst bestraft, bestraft dadurch, dass die Kadetten mit Verachtung die Hand zurückweisen, die ihnen ein Sozialdemokrat reicht, der unabhängig von seiner Partei und gegen den Willen seiner Partei handelt.

Die Antwort der „Rjetsch" an Plechanow hat auch allgemeine politische Bedeutung. Die Kadetten gehen nicht von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde weiter nach rechts. Sie genieren sich nicht, zu sagen, dass sie mit der Schwarzhundertmonarchie ein Geschäft abschließen und die „schädlichen revolutionären Illusionen" zertrümmern werden.

Die Arbeiter ganz Russlands, wir sind davon überzeugt, werden aus dieser Lehre nicht wenig Nutzen ziehen. An Stelle von Blocks mit den Kadetten werden sie ihre Wahlkampagne selbständig durchführen, die revolutionäre Bourgeoisie auf ihre Seite herüberziehen und das Gesindel von bürgerlichen Politikanten, die das Volk mit Phrasen über „Volksfreiheit" betrügen, endgültig auf den Misthaufen der Geschichte werfen.

1 Lenin meint den Artikel G. V. Plechanows: „Offenes Antwortschreiben an einen Leser des ,Towarischtsch'." („Towarischtsch" Nr. 122 vom 7. Dezember [24. November] 1906.) Lenin stellt den opportunistischen Brief G. Plechanows ironisch der bekannten Broschüre von F. Lassalle gegenüber, in der dieser seine Anschauungen über die Arbeiterbewegung darlegte – eine Broschüre, die zum Unterschied von dem Briefe Plechanows eine ungeheure positive Rolle in der Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung gespielt hat: „Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig" (1863).

2 „die das Volk vertreten und zertreten" bei Lenin deutsch. Die Red.

3Rjetsch" antwortete G. Plechanow mit zwei Artikeln: In dem Leitartikel der Nr. 226 vom 8. Dezember (25. November) und in dem Artikel: „Brauchen wir eine souveräne Duma?" – in Nummer 227 vom 9. Dezember (26. November) 1906.

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