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ZK der SDAPR 19180223 Sitzung

Sitzung des ZK der SDAPR am 23. Februar 1918

Protokoll, 23. Februar 1918

[Druck [russisch]: Sedmoj ekstrennyj sjesd S. 265-271. Nach „Brest-Litovsk, ausgew. u. eingel. von Winfried Baumgart und Konrad Repgen“, Göttingen 1969, S. 123-127]

Teilnehmer [nach der Liste des Protokolls]: Bubnow, Krestinski, Dzierżyński, Joffe, Stassowa, Urizki, Sinowjew, Swerdlow, Bucharin, Stalin, Trotzki, Lomow [Oppokow], Lenin, Sokolnikow, Smilga; als Gäste: Fenigstein, Smirnow, Schotman und Pjatakow. - Einige Passagen sind in Regesten zusammengefasst.)

23. Februar 1918

Gen. Swerdlow verliest die deutschen Bedingungen.

Trotzki erklärt, dass die 48 Stunden offensichtlich bis morgen früh 7 Uhr zu rechnen sind.

Gen. Lenin meint, dass die Politik der revolutionären Phrase beendet sei. Wenn diese Politik jetzt fortgesetzt werde, trete er aus der Regierung und dem ZK aus. Für den revolutionären Krieg brauche man eine Armee, diese sei nicht da. Das bedeute, dass die Bedingungen angenommen werden müssten.

Gen. Trotzki. Einen revolutionären Krieg bei Spaltung der Partei können wir nicht fuhren. Man darf nicht nur die internationalen Beziehungen berücksichtigen, unter den gegebenen Umständen ist unsere Partei nicht in der Lage, einen Krieg zu führen, um so weniger, als ein Teil der Anhänger des Krieges nicht die materiellen Mittel zur Führung des Krieges benutzen will. Die Argumente W. I. [Lenins] sind längst nicht überzeugend; wenn wir in unseren Reihen geschlossen wären, könnten wir die Aufgabe übernehmen, die Verteidigung zu organisieren, wir könnten diese Aufgabe meistern. Wir wären in keiner schlechten Position, selbst wenn wir Petersburg und Moskau aufgeben müssten. Wir würden die ganze Welt in Spannung halten. Wenn wir heute das deutsche Ultimatum annehmen, können wir morgen ein neues Ultimatum haben. Alle Formulierungen sind derart gehalten, dass sie Möglichkeit zu weiteren ultimativen Forderungen bieten. Wir können den Frieden unterzeichnen, werden [aber] die Unterstützung der führenden Elemente des Proletariats verlieren, auf jeden Fall ihre Spaltung herbeiführen. Unter dem Blickpunkt der Innenpolitik besteht nicht das Dilemma, wie es Lenin darstellt, aber unter dem Blickpunkt der internationalen Politik wäre vieles zu gewinnen. Dafür bedarf es aber maximaler Einstimmigkeit; wenn die nicht besteht, nehme ich nicht die Verantwortung auf mich, für den Krieg zu stimmen.

Sinowjew fordert sofortige Annahme des deutschen Ultimatums. Jeder müsse sich verpflichtet fühlen, eine Spaltung innerhalb der Partei zu vermeiden.

Gen. Bucharin. Die vorgelegten Bedingungen bestätigen in keiner Weise die Prognosen, die Lenin gemacht hat. (Er kritisiert sogar die Vorschläge der Deutschen.) Einen Ausweg im Sinne eines Moratoriums gibt es nicht. Nehmen sie die Forderungen über die Entwaffnung der sowjetischen Truppen an? Darauf liegt jetzt das Schwergewicht.

Gen. Stalin. Man braucht nicht zu unterschreiben, kann aber Friedensverhandlungen beginnen. Forderungen über die Entwaffnung der sowjetischen Truppen im Innern Russlands bestehen nicht. Die Deutschen provozieren uns, damit wir nicht darauf eingehen. Die Frage stellt sich folgendermaßen: entweder eine Niederlage für unsere Revolution und Gefahr für die Revolution in Europa, oder wir erhalten eine Atempause und kräftigen uns. Auf diese Weise wird die Revolution in Europa nicht aufgehalten. Wenn wir nicht die Mittel haben, mit bewaffneter Macht die Deutschen aufzuhalten, müssen wir andere Methoden anwenden. Wenn Petersburg aufgegeben werden muss, bedeutet das kein Aufgeben, sondern dass die Revolution verfaulen wird. Entweder Atempause oder Untergang der Revolution – einen anderen Ausweg gibt es nicht.

Dzierżyński glaubt, dass die Unterzeichnung des Friedens eine Stärkung des deutschen Imperialismus bedeuten werde. Er stimme mit Trotzki darin überein, dass eine Entscheidung nur getroffen werden könne, wenn sich die Partei stark genug fühle, das Ausscheiden Lenins zu verkraften,

Gen. Lenin. Einige haben mir wegen des Ultimatums Vorwürfe gemacht. Ich stelle es nur im äußersten Falle. Wenn unsere ZK-Mitglieder von einem internationalen Bürgerkrieg reden, so ist das ein Hohn. Bürgerkrieg haben wir in Russland, aber in Deutschland nicht. Unsere Agitation geht weiter. Wir agitieren nicht mit Worten, sondern mit der Revolution. Und das bleibt. Stalin hat unrecht, wenn er sagt, dass man nicht zu unterzeichnen brauche. Diese Bedingungen müssen unterzeichnet werden. Wenn ihr sie nicht unterzeichnet, so unterzeichnet ihr das Todesurteil für die Sowjetmacht, das binnen drei Wochen vollstreckt sein wird. Diese Bedingungen tasten die Sowjetmacht nicht an. Bei mir gibt es nicht die geringsten Schwankungen. Ich stelle das Ultimatum nicht, um es wieder zurückzunehmen. Ich will keine revolutionäre Phrase. Die deutsche Revolution ist noch nicht völlig herangereift. Das erfordert Monate. Man muss die Bedingungen annehmen. Wenn dann ein neues Ultimatum gestellt wird, so wird eine neue Situation vorhanden sein.

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Gen. Bucharin. Der zentrale Punkt ist – Atempause und Abrüstung. Also muss die Atempause für die Organisierung der bewaffneten Kräfte ausgenutzt werden; bei ihrer Forderung nach Demobilisierung sprechen die Deutschen nicht vom rückwärtigen Frontgebiet. Wenn wir die Organisierung der Roten Armee fortsetzen, wird sich herausstellen, dass wir nur ein Stück Papier unterschreiben. Bürgerkrieg darf es überhaupt nicht nur in einem Land geben. Eine Atempause gibt es nicht.

Gen. Stalin wendet sich gegen die Behauptung, dass mit Deutschland kein nationaler, sondern ein Bürgerkrieg im Gange sei. Es sei falsch, dass der Vertrag das Recht des russischen Volkes zum Aufstand ausschließe. Es läuft darauf hinaus, dass wir diese Bedingungen unverzüglich unterschreiben müssen. Anzunehmen, dass es keine Atempause und nur ständige ultimative Forderungen geben wird, das bedeute anzunehmen, dass im Westen überhaupt keine Bewegung vorhanden ist. Wir nehmen an, dass der Deutsche nicht alles machen kann. Auch wir setzen unsere Hoffnung auf die Revolution, ihr aber rechnet mit Wochen, aber mit Monaten [!].

Lomow will auf dem von Lenin eingeschlagenen Weg nicht mitgehen. Wenn Lenin mit seinem Austritt drohe, müsse man ohne ihn die Macht ausüben.

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Gen. Trotzki ist der Meinung, dass Lenin vor dem Ultimatum die Lage anders eingeschätzt habe als jetzt. Die uns vorgelegten Bedingungen sind schlechter, als sie in Brest waren, und sie waren besser während der ersten Fahrt Kamenews, und es wäre besser gewesen, wenn Kamenew und Joffe den Frieden unterschrieben hätten. Wir haben die Verhandlungen verzögert, weil die Gründe, warum wir ihn schließen, klar sein mussten, klar für alle. Vom internationalen Standpunkt hätten wir verloren, wenn wir den Frieden in Brest unterschrieben hätten. Jetzt ist volle Klarheit, für niemanden kann es Zweifel über die imperialistischen Absichten Deutschlands in diesem Krieg geben. Die konkreten Friedensbedingungen haben nicht eine derart kolossale Bedeutung, wie Bucharin glaubt. [] Der materielle Charakter der Beziehungen ist derart, dass die Deutschen besetzen, was sie können; werden sie auch nach Friedensschluss von neuem vorrücken können? Sicher ja. Das Tempo des Lebens ist heute anders als im Jahre 1871, weil jetzt jede Seite nach zwei Fronten hin kämpft. Wenn die Franzosen jetzt vorrücken, dann wird das weitere Verhalten der Deutschen anders sein. Er ist nicht damit einverstanden, dass das Ultimatum bedeute, er sei der Verantwortung enthoben. Iljitsch hat sich ferngehalten und meine Position seinerzeit nicht verteidigt. Er ist der Meinung, dass wir nicht vom Untergang bedroht seien, aber Gefahren sind auf beiden Wegen vorhanden, d.h. auf dem Weg zum Frieden und auf dem Weg zum revolutionären Krieg. Es stimmt nicht, dass nur ein Ausweg möglich sei. Die Fakten kreuzen sich, und deshalb kann es einen Mittelweg geben. In Lenins Position steckt viel Subjektivismus. Ich bin von der Richtigkeit seiner Position nicht überzeugt, aber ich will auf keinen Fall die Einheit der Partei stören, im Gegenteil, ich werde helfen, soweit ich kann, aber ich kann nicht bleiben und die persönliche Verantwortung für die auswärtigen Angelegenheiten tragen.

Sokolnikow stimmt für die Unterzeichnung des Friedens, weil zur Vorbereitung des revolutionären Krieges eine gewisse Zeit notwendig sei.

Gen. Lenin. Ich halte es ebenfalls für notwendig, den revolutionären Krieg vorzubereiten. Den Vertrag kann man auslegen, und wir werden ihn auslegen. Die Demobilisierung ist hier in rein militärischem Sinne gemeint. Vor dem Krieg hatten wir auch eine Armee. Auf den revolutionären Krieg muss man sich ernsthaft vorbereiten. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass die Masse für den Frieden ist.

Sinowjew ist für bedingungslose Annahme des Friedens.

Lenin lässt über folgende 3 Punkte abstimmen; 1. sofortige Annahme der deutschen Bedingungen (7 Stimmen dafür, 4 dagegen, 4 Enthaltungen); 2. unverzügliche Vorbereitung für einen revolutionären Krieg (einstimmig angenommen); 3. unverzügliche Befragung der Wähler der Petrograder und Moskauer Sowjets (11 Stimmen dafür, 4 Enthaltungen).

Krestinski, Joffe und Dzierżyński begründen schriftlich ihre Stimmenthaltung: Durch Lenins Verhalten drohe der Partei eine Spaltung. Es sei aber viel gefährlicher, einen revolutionären Krieg gegen den deutschen Imperialismus, die russische Bourgeoisie und einen Teil des Proletariats unter Führung Lenins zu führen, als den Frieden zu unterschreiben. Da sie sich aber gegen die Unterzeichnung nicht aussprechen wollten, hätten sie sich der Stimme enthalten.

Danach verliest Urizki eine von ihm unterschriebene Erklärung, dass er zusammen mit den ZK-Mitgliedem Bucharin, Lomow, Bubnow und den Nichtmitgliedern Jakowlew, Pjatakow und Smirnow von allen verantwortlichen Partei- und Regierungsposten zurück trete, da er die getroffene Entscheidung für falsch und verhängnisvoll halte, um so mehr als sie von der Minderheit des ZK (bei 4 Enthaltungen) gefällt worden sei. Er und seine Gesinnungsgenossen behielten sich volle Freiheit zur Agitation inner- und außerhalb der Partei zugunsten des von ihnen für richtig gehaltenen Standpunktes vor.

Die weiteren Erörterungen berühren die Folgen der Erklärung Urizkis.

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