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Wladimir I. Lenin 19180228 Seltsames und Ungeheuerliches

Wladimir I. Lenin: Seltsames und Ungeheuerliches

[„Prawda" Nr. 37 und 38, 28. Februar und 1. März Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 322-321]

In einer am 24. Februar 1918 angenommenen Resolution sprach das Moskauer Gebietsbüro1 unserer Partei dem Zentralkomitee sein Misstrauen aus, lehnte es ab, sich den Beschlüssen, unterzuordnen, „die sich aus der Durchführung der Bedingungen des Friedensvertrages mit Österreich und Deutschland ergeben werden", und erklärte in einer „Erläuterung" zur Resolution, dass es „die Spaltung der Partei in der nächsten Zeit kaum für vermeidlich halte".*

In alledem ist nicht nur nichts Ungeheuerliches, sondern auch nichts Seltsames enthalten. Es ist ganz natürlich, dass Genossen, die im scharfen Gegensatz zum ZK in der Frage des Sonderfriedens stehen, das ZK scharf verurteilen und ihre Überzeugung von der Unvermeidlichkeit der Spaltung zum Ausdruck, bringen. Das ist das elementarste Recht der Parteimitglieder. Das ist durchaus begreiflich.

Aber seltsam und ungeheuerlich ist folgendes. Der Resolution ist eine „Erläuterung" beigelegt worden. Der vollständige Text dieser Erläuterung lautet:

Das Moskauer Gebietsbüro hält die Spaltung der Partei in der nächsten Zeit kaum für vermeidlich und stellt sich die Aufgabe, alle konsequenten, revolutionären kommunistischen Elemente zusammenzufassen, die in gleicher Weise sowohl gegen die Anhänger des Abschlusses eines Separatfriedens als auch gegen alle gemäßigten opportunistischen Elemente der Partei den Kampf führen. Im Interesse der internationalen Revolution halten wir es für zweckmäßig, die Möglichkeit eines Verlustes der Sowjetmacht in Kauf zu nehmen, die jetzt zu etwas rein Formalem wird. Wir sehen nach wie vor unsere Hauptaufgabe in der Verbreitung der Idee der sozialistischen Revolution in allen übrigen Ländern, in der entschiedenen Durchführung der proletarischen Diktatur, in der erbarmungslosen Unterdrückung der bürgerlichen Konterrevolution in Russland."

Wir haben hier die Worte hervorgehoben, die… seltsam und ungeheuerlich sind.

Diese Worte sind der Kern der Sache.

Diese Worte führen die ganze Linie der Verfasser der Resolution ad absurdum. Diese Worte enthüllen mit außerordentlicher Klarheit die Wurzel ihres Fehlers.

Im Interesse der internationalen Revolution es für zweckmäßig halten, die Möglichkeit eines Verlustes der Sowjetmacht in Kauf zu nehmen …" Das ist seltsam, denn hier besteht nicht einmal ein Zusammenhang zwischen Voraussetzung und Schlussfolgerung. „Im Interesse der internationalen Revolution ist es zweckmäßig, eine militärische Niederlage der Sowjetmacht in Kauf zu nehmen" – eine solche These könnte richtig oder falsch sein, aber man könnte sie nicht als seltsam bezeichnen. Das ist unsere erste Bemerkung.

Zweite Bemerkung: Die Sowjetmacht „wird jetzt zu etwas rein Formalem". Das ist schon nicht mehr seltsam, sondern geradezu ungeheuerlich. Es ist klar, dass die Verfasser hier die schlimmste Verwirrung angerichtet haben. Wir müssen die Sache entwirren.

In Bezug auf die erste Frage besteht offenbar der Gedanke der Verfasser darin, dass es im Interesse der internationalen Revolution zweckmäßig sei, die Möglichkeit einer Niederlage im Kriege in Kauf zu nehmen, die zum Verlust der Sowjetmacht führt, d. h. zum Sieg der Bourgeoisie in Russland. Indem die Verfasser diesen Gedanken aussprechen, geben sie indirekt die Richtigkeit dessen zu, was ich in den Thesen vom 21. (8.) Januar 1918, die in der „Prawda" vom 24. Februar 1918 erschienen sind, ausgesprochen habe, nämlich, dass die Ablehnung der von Deutschland vorgeschlagenen Friedensbedingungen Russland zur Niederlage und zum Sturz der Sowjetmacht führen werde.

Also, la raison finit toujours par avoir raison – die Wahrheit setzt sich immer durch! Meine „extremen" Gegner, die Moskauer, die mit der Spaltung drohen, mussten – gerade weil sie offen die Spaltung forderten – auch ihre konkreten Auffassungen bis zu Ende aussprechen, jene Auffassungen, die Leute zu umgehen vorziehen, welche sich mit allgemeinen Phrasen vom revolutionären Krieg herausreden. Das Wesentliche meiner Thesen und meiner Argumente (wie jeder sehen wird, der aufmerksam meine Thesen vom 20. [7.] Januar 1918 durchlesen will) besteht in dem Hinweis darauf, dass wir den ungeheuer schweren Frieden jetzt, im gegebenen Augenblick, annehmen und uns gleichzeitig ernsthaft auf einen revolutionären Krieg vorbereiten müssen (gerade im Interesse einer solchen ernsthaften Vorbereitung). Das Wesentliche meiner Argumente umgingen oder bemerkten nicht, wollten diejenigen nicht bemerken, die sich mit allgemeinen Phrasen vom revolutionären Krieg begnügten. Und jetzt muss ich gerade meinen „extremen" Gegnern, den Moskauern, aus tiefstem Herzen dafür danken, dass sie den „Bann des Schweigens" über das Wesentliche meiner Argumente gebrochen haben. Die Moskauer haben als erste auf diese Argumente geantwortet.

Und welche Antwort haben sie erteilt?

Die Antwort bestand in der Anerkennung der Richtigkeit meines konkreten Arguments: ja, die Moskauer haben zugegeben, dass uns wirklich eine Niederlage bevorsteht, wenn wir sofort den Kampf gegen die Deutschen aufnehmen.** Jawohl, diese Niederlage wird wirklich zum Sturz der Sowjetmacht führen.

Ich muss aber und abermals wiederholen: ich bin meinen „extremen" Gegnern, den Moskauern, von ganzem Herzen dafür dankbar, dass sie den „Bann des Schweigens" über das Wesentliche meiner Argumente, gerade über meine konkreten Hinweise auf die Bedingungen des Krieges, für den Fall, dass wir ihn sofort aufnehmen, gebrochen haben, auch dafür, dass sie ohne Ängstlichkeit die Richtigkeit meines konkreten Hinweises anerkannt haben.

Weiter. Worin besteht die Widerlegung meiner Argumente, deren prinzipielle Richtigkeit die Moskauer zugeben mussten?

Darin, dass man im Interesse der internationalen Revolution den Verlust der Sowjetmacht in Kauf nehmen muss.

Warum erfordern das die Interessen der internationalen Revolution? Hier ist der Kern, hier ist das Wesen der Argumentation für diejenigen, die meine Argumente widerlegen möchten. Und gerade über diesen wichtigsten, grundlegenden, wesentlichen Punkt ist weder in der Resolution noch in der Erläuterung auch nur ein einziges Wort gesagt worden. Die Verfasser der Resolution haben Zeit und Raum gefunden, um über allgemein bekannte und unstrittige Dinge zu sprechen – sowohl über die „erbarmungslose Unterdrückung der bürgerlichen Konterrevolution in Russland" (etwa mit den Mitteln und Methoden einer Politik, die zum Verlust der Sowjetmacht führt?) als auch über den Kampf gegen alle gemäßigten opportunistischen Elemente innerhalb der Partei. Aber über das, was gerade strittig ist, was gerade den Kern der Auffassung der Friedensgegner betrifft – keine Silbe!

Seltsam. Außerordentlich seltsam. Haben etwa die Verfasser der Resolution deswegen darüber geschwiegen, weil sie in diesem Punkt ihre besondere Schwäche fühlten? Klar aussprechen, warum sie das getan (das fordern die Interessen der internationalen Revolution), würde wohl bedeuten, dass man sich selbst entlarvt …

Wie dem auch sei, man muss die Argumente suchen, von denen sich die Verfasser der Resolution leiten lassen konnten.

Sind vielleicht die Verfasser der Meinung, dass die Interessen der internationalen Revolution jeden Frieden mit den Imperialisten verbieten? Eine solche Auffassung ist von einigen Gegnern des Friedens in einer Petrograder Beratung vertreten worden, wurde aber nur von einer verschwindenden Minderheit derjenigen unterstützt, die gegen den Separatfrieden waren.2 Es ist klar, dass diese Auffassung zur Leugnung der Zweckmäßigkeit der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und zur Ablehnung des Friedens führt, „sogar“ wenn Polen, Lettland und Kurland zurückgegeben werden. Die Unrichtigkeit dieser Ansichten (die z. B. von der Mehrheit der Petrograder Friedensgegner abgelehnt werden) ist ganz augenscheinlich. Nach diesen Auffassungen könnte eine sozialistische Republik, die von imperialistischen Staaten umgeben ist, überhaupt keine Wirtschaftsverträge schließen, könnte nicht existieren, es sei denn auf dem Monde.

Vielleicht sind die Verfasser der Ansicht, dass die Interessen der internationalen Revolution es erfordern, dass man sie vorwärts peitscht, und dass nur der Krieg ein solches Vorwärtspeitschen sein kann, auf keinen Fall der Frieden, der imstande wäre, auf die Massen den Eindruck einer Art von „Rechtfertigung" des Imperialismus zu erzeugen? Eine solche „Theorie" wäre ein völliger Bruch mit dem Marxismus, der stets das „Vorwärtspeitschen" der Revolution abgelehnt hat, die sich in dem Maße entwickelt, wie die Klassengegensätze sich verschärfen, die die Revolution erzeugen. Eine solche Theorie wäre gleichbedeutend mit der Auffassung, dass der bewaffnete Aufstand eine Kampfform ist, die stets und unter allen Umständen obligatorisch ist. In Wirklichkeit erfordern die Interessen der internationalen Revolution, dass die Sowjetmacht, die die Bourgeoisie im eigenen Lande gestürzt hat, dieser Revolution helfe, aber eine Form der Hilfe wähle, die ihren Kräften entspricht. Dass man der sozialistischen Revolution im internationalen Maßstab hilft, wenn man die Niederlage dieser Revolution in einem gegebenen Lande in Kauf nimmt, – eine solche Auffassung ergibt sich nicht einmal aus der Theorie des Vorwärtspeitschens.

Vielleicht sind die Verfasser der Resolution der Ansicht, dass die Revolution in Deutschland bereits begonnen habe, dass dort bereits ein allgemeiner Bürgerkrieg ausgebrochen sei, dass wir deshalb unsere Kräfte für die Unterstützung der deutschen Arbeiter einsetzen müssen, dass wir selber untergehen müssen („Verlust der Sowjetmacht"), um die deutsche Revolution zu retten, die bereits ihren entscheidenden Kampf begonnen habe und in eine schwere Lage geraten sei? Nach dieser Auffassung würden wir durch unseren Untergang einen Teil der Kräfte der deutschen Konterrevolution ablenken und auf diese Weise die deutsche Revolution retten.

Es ist durchaus denkbar, dass man bei solchen Voraussetzungen es nicht nur für „zweckmäßig" (wie sich die Verfasser der Resolution ausdrückten), sondern direkt für Pflicht hält, die Möglichkeit einer Niederlage und des Verlustes der Sowjetmacht in Kauf zu nehmen. Aber es ist klar, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die deutsche Revolution reift heran, aber in Deutschland ist es noch keineswegs bis zur Explosion, bis zum Bürgerkrieg gekommen. Wenn wir „den Verlust der Sowjetmacht in Kauf nehmen", so würden wir das Heranreifen der deutschen Revolution keineswegs fördern, sondern hindern. Wir würden damit der deutschen Reaktion nur helfen, würden Wasser auf ihre Mühle gießen, würden die sozialistische Bewegung in Deutschland erschweren, würden breite Massen der Proletarier und Halbproletarier Deutschlands, die noch nicht zum Sozialismus übergegangen sind, die durch die Niederschlagung Sowjetrusslands ebenso eingeschüchtert worden wären wie die englischen Arbeiter durch die Niederschlagung der Kommune im Jahre 1871, vom Sozialismus abstoßen.

Wie sehr man sich auch bemühen mag, Logik ist in den Betrachtungen des Verfassers nicht zu finden. Vernünftige Gründe dafür, dass es „im Interesse der internationalen Revolution zweckmäßig sei, die Möglichkeit eines Verlustes der Sowjetmacht in Kauf zu nehmen", werden nicht vorgebracht.

Die Sowjetmacht wird jetzt zu etwas rein Formalem" – das ist die ungeheuerliche Behauptung, zu der sich, wie wir gesehen haben, die Verfasser der Moskauer Resolution verstiegen haben.

Wenn die deutschen Imperialisten uns einen Tribut auferlegen, wenn sie uns die Propaganda und Agitation gegen Deutschland verbieten, so verliert auch die Sowjetmacht ihre Bedeutung, so „wird sie zu etwas rein Formalem", – das ist wahrscheinlich der „Gedankengang" der Verfasser der Resolution. Wir sagen, „wahrscheinlich", denn die Verfasser haben nichts Klares und Deutliches zur Unterstützung dieser These angeführt.

Eine Stimmung des tiefsten, hoffnungslosen Pessimismus, ein Gefühl der völligen Verzweiflung – das bildet den Inhalt der „Theorie" von der angeblich formalen Bedeutung der Sowjetmacht und der Zulässigkeit einer Taktik, die die Möglichkeit eines. Verlustes der Sowjetmacht in Kauf nimmt. Es gibt sowieso keine Rettung, also möge sogar die Sowjetmacht untergehen – dieses Gefühl hat die ungeheuerliche Resolution diktiert. Die angeblichen „wirtschaftlichen" Argumente, in die man mitunter solche Gedanken kleidet, laufen auf denselben hoffnungslosen Pessimismus hinaus: was ist das für eine Sowjetrepublik, wenn man ihr einen solchen Tribut, einen zweiten, einen dritten usw. auferlegen kann!

Nichts als Verzweiflung: der Untergang ist sowieso unvermeidlich!

Das ist ein Gefühl, das in der ungeheuer schweren Lage, in der sich Russland befindet, verständlich ist. Aber nicht „verständlich" ist dieses Gefühl bei zielbewussten Revolutionären. Charakteristisch ist gerade, dass es die Auffassungen der Moskauer ad absurdum führt. Die Franzosen von 1793 würden niemals, gesagt haben, dass ihre Errungenschaften, die Republik und die Demokratie, zu etwas rein Formalem werden, dass man die Möglichkeit eines Verlustes der Republik in Kauf nehmen müsse. Sie waren nicht von Verzweiflung, sondern von Glauben an den Sieg erfüllt. Zum revolutionären Krieg auffordern und gleichzeitig in einer offiziellen Resolution davon sprechen, dass man „die Möglichkeit eines Verlustes der Sowjetmacht in Kauf nehmen müsse", heißt sich selbst völlig entlarven.

Preußen und eine Reihe anderer Länder zu Beginn des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der napoleonischen Kriege, hatten unvergleichlich, unendlich schwerere, drückendere Niederlagen, Eroberungen, Erniedrigungen, Unterdrückungen durch die Eroberer zu erdulden als Russland 1918. Und dennoch haben die besten Männer Preußens, als sie von Napoleon viel, viel stärker mit dem Militärstiefel getreten wurden, als man dazu jetzt bei uns imstande wäre, nicht verzweifelt und nicht von der „rein formalen" Bedeutung ihrer nationalen politischen Körperschaften gesprochen. Sie zuckten nicht mit den Achseln, erlagen nicht dem Gefühl, dass „der Untergang sowieso unvermeidlich" sei. Sie unterzeichneten unendlich schwerere, räuberischere, schändlichere, drückendere Friedensverträge als den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, sie verstanden dann abzuwarten, ertrugen standhaft das Joch des Eroberers, führten abermals Krieg, gerieten abermals unter das Joch des Eroberers, unterzeichneten wieder die allerschändlichsten Friedensverträge, erhoben sich wieder und befreiten sich letzten Endes (nicht ohne Ausnutzung der Gegensätze zwischen den stärkeren Eroberern, die miteinander konkurrierten).

Warum sollte sich nicht etwas Ähnliches in unserer Geschichte wiederholen?

Warum müssen wir in Verzweiflung geraten und Resolutionen schreiben – Resolutionen, die wahrlich viel schändlicher sind als der schändlichste Frieden – Resolutionen darüber, dass „die Sowjetmacht zu etwas rein Formalem wird"?

Warum sollen die überaus schweren militärischen Niederlagen im Kampfe gegen die Kolosse des modernen Imperialismus nicht auch in Russland imstande sein, den Volkscharakter zu stählen, die Selbstdisziplin zu heben, die Prahlerei und das Phrasendreschen zu beseitigen, Ausdauer zu lehren, die Massen zu der richtigen Taktik der Preußen, die von Napoleon erdrückt worden waren, zu bringen, dass man die schändlichsten Friedensverträge unterzeichnen muss, wenn man keine Armee hat, dass man seine Kräfte sammeln und sich dann immer wieder und wieder von neuem erheben muss?

Warum müssen wir bei dem ersten unerhört schweren Friedensvertrag in Verzweiflung geraten, wenn andere Völker es verstanden haben, auch die schwersten Leiden standhaft zu ertragen?

Entspricht die Standhaftigkeit des Proletariers, der weiß, dass man sich unterwerfen muss, wenn man keine Kräfte hat, und es dann nichtsdestoweniger, trotz alledem, versteht, sich immer wieder zu erheben, unter allen Umständen Kräfte zu sammeln, – entspricht die Standhaftigkeit des Proletariers dieser Verzweiflungstaktik oder die Charakterlosigkeit des Kleinbürgers, der bei uns in Gestalt der Partei der linken Sozialrevolutionäre in Bezug auf die Phrase vom revolutionären Krieg den Rekord geschlagen hat?

Nein, meine werten „extremen" Moskauer Genossen! Jeder Tag der Prüfungen wird gerade die klassenbewusstesten und konsequentesten Arbeiter von euch abstoßen. Sie werden sagen, dass die Sowjetmacht nicht zu etwas rein Formalem werden wird, nicht nur dann, wenn der Eroberer in Pskow steht und uns einen Zehnmilliardentribut an Getreide. Erzen und Geld auferlegt, sondern auch dann, wenn der Feind in Nischni-Nowgorod und in Rostow am Don stehen und uns einen Zwanzigmilliardentribut auferlegen wird.

Niemals wird irgendeine ausländische Eroberung eine politische Volkseinrichtung (die Sowjetmacht aber ist nicht nur eine politische Einrichtung, sondern eine Einrichtung, die viel, viel höher steht als alles, was die Geschichte bisher gekannt hat) „zu etwas rein Formalem" machen können. Im Gegenteil. Eine ausländische Eroberung wird die Sympathien des Volkes für die Sowjetmacht nur stärken, wenn sie wenn sie sich nicht auf Abenteuer einlassen wird.

Wenn man keine Armee hat, so ist die Ablehnung der Unterzeichnung des schändlichsten Friedens ein Abenteuer, und das Volk ist berechtigt, die Regierung, die das getan hat, anzuklagen.

Beispiele der Unterzeichnung eines unendlich schwereren und schändlicheren Friedens, als es der Frieden von Brest-Litowsk ist, hat es in der Geschichte gegeben (wir haben Beispiele angeführt), und das hat nicht zum Verlust des Prestiges der Staatsmacht geführt, hat sie nicht zu etwas Formalem gemacht, hat weder die Staatsmacht noch das Volk zugrunde gerichtet, hat vielmehr das Volk gestählt, dem Volk die schwierige Wissenschaft beigebracht, eine ernste Armee sogar in einer verzweifelten Lage, unter dem Druck des Militärstiefels des Eroberers zu schaffen.

Russland geht einem neuen und wirklich vaterländischen Krieg entgegen, einem Krieg für die Erhaltung und Festigung der Sowjetmacht. Es ist möglich, dass unsere Epoche – wie die Epoche der napoleonischen Kriege – eine Epoche der Befreiungskriege (der Kriege, und nicht eines einzelnen Krieges) sein wird, die Sowjetrussland von den Eroberern aufgezwungen werden. Das ist möglich.

Und deshalb ist schändlicher als ein noch so schwerer, entsetzlich schwerer Frieden, der durch das Fehlen einer Armee diktiert wird, deshalb ist schändlicher als irgendein schändlicher Frieden – schändliche Verzweiflung. Sogar bei einem Dutzend von überaus schweren Friedensverträgen werden wir nicht untergehen, wenn wir uns zum Aufstand und zum Krieg ernst verhalten werden. Wir werden durch die Eroberer nicht untergehen, wenn wir uns nicht durch die Verzweiflung und die Phrase zugrunde richten lassen werden.

1 Das Moskauer Gebietsbüro der SDAPR (B) leitete 1917 und Anfang 1918 die Parteiorganisationen des Zentralen Moskauer Industriegebiets. Mitglieder des Moskauer Gebietsbüros Anfang 1918 waren: 1. G. Lomow, 2. I. Stukow, 3. W. Maximowski, 4. Kieselstein, 5. Manzew, 6. Janyschew, 7. Safonow, 8. Alperowitsch, 9. Balaschow, 10. Owodow, 11. Belenki, 12. Simin, 13. S. Solowjow, 14. T. Sapronow, 15. W. Jakowlewa. Im Frühjahr 1918 spielte das Moskauer Gebietsbüro die Rolle des organisatorischen Zentrums der „linken Kommunisten" im Landesmaßstabe.

* Der vollständige Text dieser Resolution lautet: „Nach der Diskussion über die Tätigkeit des ZK drückt das Moskauer Gebietsbüro der SDAPR dem ZK wegen seiner Politik und seiner Zusammensetzung sein Misstrauen aus und erklärt, dass es bei der ersten Möglichkeit Neuwahlen fordern werde. Außerdem hält das Moskauer Gebietsbüro sich nicht für verpflichtet, sich um jeden Preis den Beschlüssen des ZK unterzuordnen, die sich aus der Durchführung der Bedingungen des Friedensvertrages mit Österreich und Deutschland ergeben werden." Die Resolution wurde einstimmig angenommen.

[Auf der Tagesordnung der Sitzung des Moskauer Gebietsbüros vom 24. Februar 1918 standen die Fragen der Stellung zum Zentralkomitee und der Einberufung einer Gebietskonferenz. Das Referat über die Tätigkeit des ZK hielt Stukow. Er schlug vor, „die prinzipielle Seite der Frage der Meinungsverschiedenheiten in den leitenden Parteikörperschaften und der beginnenden Spaltung zu behandeln". Maximowski und Manzew schlugen vor, die Gruppe der Anhänger des revolutionären Krieges um das Gebietsbüro zu sammeln, „das das Zentrum der Meinungsverschiedenheiten bilde, um auf dem bevorstehenden Parteitag eine Gruppe der Gegner der Politik des ZK zu bilden".

Die Erläuterung, die Lenin zitiert, ist in dem Material des Moskauer Gebietsbüros nicht enthalten. Es ist anzunehmen, dass sie nach der Sitzung des Gebietsbüros auf Grund der in dieser Sitzung gehaltenen Reden bei der Absendung der Resolution an das ZK abgefasst worden ist. Der Beschluss und die Erläuterungen dazu wurden 1918 erst in dem Artikel Lenins publiziert.]

** Auf den Gegeneinwand, dass man sowieso einen Kampf nicht umgehen könne, ist die Antwort durch die Tatsachen erteilt worden: am 21. (8.) Januar wurden meine Thesen verlesen; am 28. (15.) konnten wir Frieden haben. Eine Atempause wäre uns ganz sicher gewesen (und für uns hatte auch die kürzeste Atempause die größte Bedeutung, sowohl eine materielle als auch moralische Bedeutung, denn die Deutschen hätten ja einen neuen Krieg erklären müssen), wenn … wenn nicht die revolutionäre Phrase gewesen wäre.

2 Lenin meint die Abstimmung W. Ossinskis und J. Stukows in der Beratung des ZK mit den Parteifunktionären am 3. Februar (21. Januar 1918) gegen die Zulässigkeit eines Friedens zwischen sozialistischen und imperialistischen Staaten.

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