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Wladimir I. Lenin 19180120 Thesen über den sofortigen Abschluss eines annexionistischen Separatfrieden

Wladimir I. Lenin: Thesen über den sofortigen Abschluss eines annexionistischen Separatfrieden

[Abgefasst am 20. (7.) Januar 1918 „Prawda" Nr. 34, 24. Februar 1918 Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 191-199]

1. Die Lage der russischen Revolution im gegenwärtigen Augenblick ist derart, dass fast alle Arbeiter und die gewaltige Mehrheit der Bauern zweifelsohne auf der Seite der Sowjetmacht und der von ihr begonnenen sozialistischen Revolution stehen. Insofern ist der Erfolg der sozialistischen Revolution in Russland gesichert.

2. Gleichzeitig hat der Bürgerkrieg, der durch den erbitterten Widerstand der besitzenden Klassen hervorgerufen wurde, die sehr gut begriffen haben, dass sie vor dem letzten und entscheidenden Kampf um die Erhaltung des Privateigentums an Grund und Boden und den Produktionsmitteln stehen, noch nicht seinen Höhepunkt erreicht. Der Sieg der Sowjetmacht in diesem Kampfe ist sicher, aber unvermeidlich wird noch eine gewisse Zeit vergehen, unvermeidlich ist eine große Anspannung der Kräfte, unvermeidlich ist eine gewisse Periode der akuten Zerrüttung und des Chaos, die die Folge eines jeden Krieges, insbesondere eines Bürgerkrieges sind – bis der Widerstand der Bourgeoisie gebrochen sein wird.

3. Außerdem hat sich dieser Widerstand in seinen weniger aktiven und nichtmilitärischen Formen: Sabotage, Bestechung des Lumpenproletariats, Bestechung der Agenten der Bourgeoisie, die sich in die Reihen der Sozialisten einschleichen, um deren Sache zugrunde zu richten usw. usw. als so hartnäckig, als fähig erwiesen, so verschiedenartige Formen anzunehmen, dass der Kampf gegen ihn sich unvermeidlich noch eine Zeitlang hinziehen und in seinen Hauptformen wohl kaum vor einigen Monaten beendet sein wird. Aber ohne einen entscheidenden Sieg über diesen passiven und versteckten Widerstand der Bourgeoisie und ihrer Anhänger ist ein Erfolg der sozialistischen Revolution unmöglich.

4. Schließlich sind die organisatorischen Aufgaben der sozialistischen Umgestaltung in Russland so gewaltig und so schwierig, dass zu ihrer Lösung – bei der Unmenge von kleinbürgerlichen Mitläufern des sozialistischen Proletariats und bei seinem geringen Kulturniveau – ebenfalls eine sehr beträchtliche Zeit notwendig ist.

5. Aus allen diesen Umständen zusammengenommen ergibt sich ganz klar, dass für den Erfolg des Sozialismus in Russland eine gewisse Zeitspanne notwendig ist, nicht weniger als einige Monate, in denen die sozialistische Regierung vollkommen freie Hand haben muss für den Sieg über die Bourgeoisie, zunächst im eigenen Lande, und für die Organisierung einer großzügigen und gründlichen organisatorischen Arbeit unter den Massen.

6. Die Lage der sozialistischen Revolution in Russland muss einer jeden Kennzeichnung der internationalen Aufgabe unserer Sowjetmacht zugrunde gelegt werden, denn die internationale Situation hat sich im vierten Kriegsjahre so gestaltet, dass der wahrscheinliche Augenblick des Ausbruchs der Revolution und des Sturzes irgendeiner der europäischen imperialistischen Regierungen (auch der deutschen) sich überhaupt nicht berechnen lässt. Es besteht kein Zweifel, dass die sozialistische Revolution in Europa kommen muss und kommen wird. Alle unsere Hoffnungen auf den endgültigen Sieg des Sozialismus gründen sich auf dieser Überzeugung und dieser wissenschaftlichen Voraussicht. Unsere propagandistische Tätigkeit im allgemeinen und die Organisierung der Verbrüderung im besonderen müssen gesteigert und entwickelt werden. Es wäre aber ein Fehler, die Taktik der sozialistischen Regierung in Russland darauf aufzubauen, dass man festzustellen versucht, ob die europäische und insbesondere die deutsche sozialistische Revolution im nächsten Halbjahr (oder in einer ähnlichen kurzen Frist) ausbrechen werde oder nicht. Da man das auf keinen Fall bestimmen kann, so würden alle solche Versuche objektiv auf ein blindes Hasardspiel hinauslaufen.

7. Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk haben im gegenwärtigen Augenblick, d. h. am 20. (7.) Januar 1918, ganz klar gezeigt, dass in der deutschen Regierung (die die übrigen Regierungen des Vierbundes vollkommen am Zügel hat) die Militärpartei unbedingt die Oberhand gewonnen hat, die im Grunde genommen Russland bereits ein Ultimatum gestellt hat (man muss jeden Tag mit der offiziellen Übergabe dieses Ultimatums rechnen). Der Inhalt des Ultimatums ist folgender: entweder Fortsetzung des Krieges oder annexionistischer Frieden, d. h. ein Frieden unter der Bedingung, dass wir das ganze von uns besetzte Gebiet zurückgeben, dass die Deutschen das ganze von ihnen besetzte Gebiet behalten und uns eine Kontribution auferlegen (unter dem Deckmantel einer Bezahlung für den Unterhalt der Kriegsgefangenen), eine Kontribution von ungefähr drei Milliarden Rubel, die im Laufe von einigen Jahren bezahlt werden müssen.

8. Die sozialistische Regierung Russlands steht vor der keinen Aufschub duldenden Frage, ob sie sofort diesen annexionistischen Frieden annehmen oder sofort einen revolutionären Krieg beginnen soll. Irgendwelche Mittelwege sind hier im Grunde genommen unmöglich. Ein weiterer Aufschub ist nicht mehr möglich; denn wir haben bereits alles Mögliche und Unmögliche getan, um die Verhandlungen künstlich in die Länge zu ziehen.

9. Wenn wir die Argumente für einen sofortigen revolutionären Krieg betrachten, so stoßen wir vor allem auf das Argument, dass ein Separatfrieden jetzt objektiv ein Abkommen mit den deutschen Imperialisten, ein „imperialistisches Geschäft" usw. wäre, und dass folglich ein solcher Frieden einen völligen Bruch mit den Grundsätzen des proletarischen Internationalismus bedeuten würde.

Aber dieses Argument ist ganz falsch. Arbeiter, die einen Streik verlieren und Bedingungen für die Arbeitsaufnahme unterzeichnen, die nicht für sie, sondern für die Kapitalisten günstig sind, begehen keinen Verrat am Sozialismus. Verrat am Sozialismus begehen nur diejenigen, die Vorteile für einen Teil der Arbeiter gegen Vorteile für die Kapitalisten eintauschen. Nur solche Abkommen sind prinzipiell unzulässig.

Wer den Krieg gegen den deutschen Imperialismus als Verteidigungskrieg, als gerechten Krieg bezeichnet, in Wirklichkeit aber von den anglo-französischen Imperialisten unterstützt wird und dem Volke die Geheimverträge mit ihnen verheimlicht, der begeht Verrat am Sozialismus. Wer dem Volke nichts verheimlicht, keinerlei Geheimverträge mit den Imperialisten schließt und, wenn in dem gegebenen Augenblick keine Kräfte für die Fortsetzung des Krieges vorhanden sind, sich einverstanden erklärt, Friedensbedingungen zu unterzeichnen, die für eine schwache Nation ungünstig, für eine Gruppe von Imperialisten günstig sind, begeht nicht den geringsten Verrat am Sozialismus.

10. Ein anderes Argument für den sofortigen Krieg besteht darin, dass wir durch einen Friedensschluss objektiv zu Agenten des deutschen Imperialismus werden, denn wir geben ihm die Möglichkeit, die Truppen von unserer Front zurückzunehmen, geben ihm Millionen von Gefangenen usw. Aber auch dieses Argument ist ganz unrichtig, denn ein revolutionärer Krieg im gegenwärtigen Augenblick würde uns objektiv zu Agenten des anglo-französischen Imperialismus machen und ihm Hilfskräfte für seine Ziele geben. Die Engländer haben direkt unserem Oberkommandierenden Krylenko hundert Rubel monatlich für jeden unserer Soldaten angeboten, wenn wir den Krieg fortsetzen. Auch wenn wir von den Engländern und Franzosen keine Kopeke annehmen, werden wir ihnen doch objektiv helfen, indem wir einen Teil der deutschen Truppen zurückhalten.

Von diesem Gesichtspunkt kommen wir in beiden Fällen aus diesem oder jenem imperialistischen Zusammenhang nicht völlig heraus, und es ist ganz klar, dass man aus diesem Zusammenhang nicht völlig herauskommen kann, wenn man nicht den Weltimperialismus stürzt. Die richtige Schlussfolgerung daraus ist, dass man seit dem Siege der sozialistischen Regierung in einem Lande die Fragen nicht von dem Standpunkt entscheiden darf, ob dieser oder jener Imperialismus vorzuziehen sei, sondern ausschließlich vom Standpunkt der besten Bedingungen für die Entwicklung und die Stärkung der sozialistischen Revolution, die bereits begonnen hat.

Mit anderen Worten: wir müssen jetzt bei unserer Taktik nicht von der Frage ausgehen, welcher von beiden imperialistischen Gruppen es jetzt vorteilhafter sei zu helfen, sondern davon, wie man am besten der sozialistischen Revolution die Möglichkeit geben kann, sich zu festigen oder sich wenigstens in einem Lande so lange zu halten, bis andere Länder sich anschließen werden.

11. Man sagt, dass die deutschen Kriegsgegner unter den Sozialdemokraten jetzt „Defätisten" geworden seien und von uns verlangen, dass wir dem deutschen Imperialismus keine Zugeständnisse machen sollen. Wir haben jedoch den Defätismus nur gegenüber der eigenen imperialistischen Bourgeoisie anerkannt, und einen Sieg über den ausländischen Imperialismus, einen Sieg, der in einem formellen oder faktischen Bündnis mit dem „befreundeten" Imperialismus erreicht wird, haben wir stets als eine prinzipiell unzulässige und überhaupt untaugliche Methode abgelehnt.

Dieses Argument ist also nur eine Abart des vorhergehenden. Wenn die deutschen linken Sozialdemokraten uns vorschlagen wollten, den Separatfrieden auf eine bestimmte Frist hinauszuzögern, und uns eine revolutionäre Aktion in Deutschland zu dieser Frist garantierten, dann könnte die Frage anders gestellt werden. Aber die deutschen Linken sagen das nicht, sondern erklären im Gegenteil: „Haltet euch, solange ihr könnt, entscheidet aber die Frage vom Gesichtspunkt der Lage der russischen sozialistischen Revolution, denn wir können euch nichts Positives in Bezug auf die deutsche Revolution versprechen".1

12. Man sagt, dass wir in einer Reihe von Erklärungen der Partei einen revolutionären Krieg direkt „versprochen" haben und dass der Abschluss eines Separatfriedens ein Wortbruch sei.

Das ist nicht richtig. Wir haben davon gesprochen, dass eine sozialistische Regierung in der Epoche des Imperialismus einen revolutionären Krieg „vorbereiten und führen" muss, wir haben davon gesprochen, um gegen den abstrakten Pazifismus, gegen die Theorie der völligen Ablehnung der „Vaterlandsverteidigung" in der Epoche des Imperialismus und schließlich gegen die rein egoistischen Instinkte eines Teils der Soldaten den Kampf zu führen, aber wir haben nicht die Verpflichtung übernommen, einen revolutionären Krieg zu beginnen, ohne Rücksicht darauf, ob man ihn in diesem oder jenem Moment führen kann.

Wir müssen auch jetzt unbedingt einen revolutionären Krieg vorbereiten, Wir halten dieses Versprechen, so wie wir es überhaupt mit allen unseren Versprechen, die man sofort durchführen konnte, getan haben: wir haben die Geheimverträge annulliert, haben allen Völkern einen gerechten Frieden angeboten, haben in jeder Weise und wiederholt die Friedensverhandlungen in die Länge gezogen, um den übrigen Völkern Zeit zu geben, sich anzuschließen.

Aber die Frage, ob man sofort, unmittelbar einen revolutionären Krieg führen kann, muss man entscheiden, indem man ausschließlich die materiellen Bedingungen der Durchführbarkeit dieses Gedankens und die Interessen der bereits begonnenen sozialistischen Revolution in Rechnung stellt.

13. Fasst man die Argumente für einen sofortigen revolutionären Krieg zusammen, so muss man zu der Schlussfolgerung kommen, dass eine solche Politik vielleicht dem Drang eines Menschen nach dem Schönen, Effektvollen und Blendenden entspricht, aber absolut nicht das objektive Kräfteverhältnis der Klassen und der materiellen Faktoren im gegenwärtigen Augenblick der begonnenen sozialistischen Revolution berücksichtigt.

14. Es besteht kein Zweifel, dass unsere Armee im gegenwärtigen Augenblick und in den nächsten Wochen (wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten) absolut nicht imstande sein wird, eine deutsche Offensive erfolgreich zurückzuschlagen: erstens, wegen der außerordentlichen Ermüdung und Erschöpfung der Mehrheit der Soldaten, der unerhörten Zerrüttung des Ernährungswesens, der Unmöglichkeit der Ablösung der erschöpften Soldaten usw.; zweitens, wegen der völligen Untauglichkeit des Pferdematerials, was unvermeidlich zum Verlust unserer Artillerie führen wird; drittens, weil es ganz unmöglich ist, die Küste von Riga bis Reval zu verteidigen, die dem Feind die beste Möglichkeit gibt, den übrigen Teil Livlands, dann Estland zu erobern und einen großen Teil unserer Truppen im Rücken zu umgehen und schließlich Petrograd zu nehmen.

15. Ferner besteht kein Zweifel, dass die bäuerliche Mehrheit unserer Armee im gegenwärtigen Augenblick sich unbedingt für einen annexionistischen Frieden aussprechen würde, nicht aber für einen sofortigen revolutionären Krieg, denn die revolutionäre Reorganisation der Armee, die Aufnahme von Truppen der Roten Garde in die Armee usw. hat kaum erst begonnen.

Bei der völligen Demokratisierung der Armee wäre es eine Abenteurerpolitik, einen Krieg gegen den Willen der Mehrheit der Soldaten zu führen. Um aber eine wirklich starke, geistig geschulte sozialistische Arbeiter- und Bauernarmee zu schaffen, braucht man mindestens Monate.

16. Die arme Bauernschaft in Russland ist imstande, die von der Arbeiterklasse geführte sozialistische Revolution zu unterstützen, sie ist aber nicht imstande, sofort, im gegebenen Augenblick, einen ernsten revolutionären Krieg zu führen. Dieses objektive Kräfteverhältnis der Klassen in dieser Frage zu ignorieren, wäre ein verhängnisvoller Fehler.

17. Mit dem revolutionären Krieg steht es also im gegenwärtigen Augenblick folgendermaßen:

Wenn die deutsche Revolution in den nächsten drei, vier Monaten ausbricht und siegt, dann würde vielleicht .die Taktik des sofortigen revolutionären Krieges unsere sozialistische Revolution nicht zugrunde richten.

Wenn die deutsche Revolution in den nächsten Monaten nicht ausbricht, so werden die Ereignisse bei einer Fortsetzung des Krieges unvermeidlich so verlaufen, dass schwerste Niederlagen Russland zwingen werden, einen noch ungünstigeren Separatfrieden zu schließen, und zwar wird dieser Frieden nicht von der sozialistischen Regierung geschlossen werden, sondern von irgendeiner anderen (z. B. von einem Block der bürgerlichen Rada und der Anhänger Tschernows oder irgend etwas ähnliches). Denn die bäuerliche Armee, die durch den Krieg aufs Äußerste erschöpft ist, wird bereits nach den ersten Niederlagen, nicht nach einigen Monaten, sondern wahrscheinlich nach einigen Wochen, die sozialistische Arbeiterregierung stürzen.

18. Bei einer solchen Lage der Dinge wäre es eine ganz unzulässige Taktik, das Schicksal der bereits begonnenen sozialistischen Revolution in Russland aufs Spiel zu setzen nur wegen der Hoffnung auf den Ausbruch der deutschen Revolution in der nächsten, kürzesten Frist, in einigen Wochen. Eine solche Taktik wäre Abenteurerpolitik. Wir haben kein Recht, ein solches Risiko einzugehen.

19. Und die deutsche Revolution wird, was ihre objektiven Grundlagen betrifft, keineswegs erschwert werden, wenn wir einen Separatfrieden schließen. Wahrscheinlich wird der Taumel des Chauvinismus sie für eine Zeitlang schwächen, aber die Lage Deutschlands bleibt außerordentlich schwer, der Krieg gegen England und Amerika wird sich in die Länge ziehen, der aggressive Imperialismus ist auf beiden Seiten vollkommen entlarvt worden. Das Beispiel der sozialistischen Räterepublik in Russland wird als lebendiges Vorbild vor den Völkern aller Länder stehen, und die propagandistische, revolutionierende Wirkung dieses Beispiels wird ungeheuer sein. Hier – die bürgerliche Ordnung und der endgültig entlarvte Eroberungskrieg zweier Räubergruppen, dort – der Frieden und die sozialistische Räterepublik.

20. Indem wir einen Separatfrieden schließen, befreien wir uns, so weit, als das im gegenwäntiigen Augenblick möglich ist, am meisten von beiden einander bekämpfenden imperialistischen Gruppen, nutzen ihre Feindschaft und den Krieg aus – der es ihnen erschwert, ein Abkommen gegen uns zu treffen – und behalten für eine gewisse Zeit freie Hand zur Fortführung und Stärkung der sozialistischen Revolution. Die Umgestaltung Russlands auf dem Boden der Diktatur des Proletariats, der Nationalisierung der Banken und der Großindustrie, bei einem Warenaustausch in natura zwischen der Stadt und den ländlichen Konsumgenossenschaften der Kleinbauern, ist wirtschaftlich durchaus möglich, wenn uns einige Monate friedlicher Arbeit gesichert werden. Eine solche Umgestaltung aber wird sowohl in Russland als auch in der ganzen Welt den Sozialismus unbesiegbar machen und zugleich eine feste wirtschaftliche Basis für eine mächtige Rote Armee der Arbeiter und Bauern schaffen.

21. Ein wirklich revolutionärer Krieg im gegenwärtigen Augenblick wäre ein Krieg der sozialistischen Republik gegen die bürgerlichen Länder mit dem klar gestellten und von der sozialistischen Armee vollkommen gebilligten Ziel, die Bourgeoisie in den anderen Ländern zu stürzen. Aber im gegenwärtigen Augenblick können wir uns offenbar ein solches Ziel noch nicht stellen. Wir würden jetzt objektiv wegen der Befreiung Polens, Litauens und Kurlands Krieg führen. Aber kein einziger Marxist kann, ohne mit den Grundsätzen des Marxismus und des Sozialismus überhaupt zu brechen, bestreiten, dass die Interessen des Sozialismus höher stehen als die Interessen des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Unsere sozialistische Republik hat alles, was sie konnte, getan und tut auch weiter alles zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts Finnlands, der Ukraine u. a. Aber wenn die Dinge sich konkret so gestaltet haben, dass die Existenz der sozialistischen Republik im gegenwärtigen Augenblick gefährdet wird wegen der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts einiger Nationen (Polens, Litauens, Kurlands u. a.), so versteht es sich von selbst, dass die Interessen der Erhaltung der sozialistischen Republik höher stehen.

Wer also sagt: „Wir können nicht einen solchen schimpflichen, schändlichen Frieden usw. unterzeichnen, Polen verraten usw.", der bemerkt nicht, dass er durch den Abschluss eines Friedens unter der Bedingung der Befreiung Polens den deutschen Imperialismus in seinem Kampfe gegen England, Belgien, Serbien und andere Länder nur noch mehr stärken würde. Ein Frieden unter der Bedingung der Befreiung Polens, Litauens, Kurlands wäre ein „patriotischer" Frieden vom Standpunkt Russlands, würde aber keineswegs aufhören, ein Frieden mit den Annexionisten, den deutschen Imperialisten zu sein.

1 Dieser Standpunkt wurde am ausführlichsten in zwei Artikeln im Organ der deutschen Unabhängigen, in der „Leipziger Volkszeitung", ausführlich entwickelt (in der Nummer 3 vom 4. Januar 1918 in dem Artikel A. Ströbels „Die entscheidende Stunde" und in der Nr. 9 vom 11. Januar 1918 im Artikel „Das Recht der Bolschewiki").

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