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Frage der Unterzeichnung des Separatfriedens mit Deutschland

Die Frage der Unterzeichnung des Separatfriedens mit Deutschland wurde Mitte Januar 1918 akut, im Zusammenhang mit der Ablehnung der „Alliierten", an den Friedensverbandlungen teilzunehmen, und infolge der Änderung der Politik der deutschen Delegation in Brest-Litowsk. In der ersten und zweiten Periode der Friedensverhandlungen (2.–5. und 22.–28. Dezember 1917) führte die deutsche Delegation unter Leitung von Kuhlmann in Brest-Litowsk eine verhältnismäßig liberale Politik bei den Verhandlungen und .erklärte sich sogar am 25. (12.) Dezember bereit, den Verhandlungen das Dekret der Sowjetregierung über einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen zugrunde zu legen, unter der Voraussetzung, dass sich die Ententestaaten diesem Prinzip anschließen. Aber Anfang Januar gewann in der Außenpolitik Deutschlands die Militärpartei die Oberhand, die Partei der extremen Annexionisten, an deren Spitze Hindenburg und Ludendorff standen, die die völlige Zerschlagung und Zerstückelung Russlands forderten. Im Zusammenhang damit ging die Führung, der deutschen Friedensdelegation in Brest-Litowsk von Kuhlmann an General Hoffmann über.

Bereits in den ersten Sitzungen nach der Unterbrechung der Verhandlungen erklärte die deutsche Delegation, dass sie ihre Deklaration vom 25. (12.) Dezember zurückziehe, „weil die Alliierten es ablehnen, an den Verhandlungen teilzunehmen". In den Sitzungen vom 15. (2.) und 18. (5.) Januar 1918 erklärten die Deutschen, dass sie „aus strategischen Gründen" die Belassung der Truppen in ganz Polen, Litauen, einem großen Teil Lettlands und Weißrusslands fordern, d. h. also im Grunde genommen die Annexion dieser Gebiete.

Um diese Zeit erhielt Lenin erschöpfendes Material über den Zustand der russischen Armee, das bewies, dass die Armee absolut nicht imstande war weiterzukämpfen. Dieses Material wurde auf Grund eines Fragebogens gesammelt, der unter den Teilnehmern des Kongresses zur Demobilisierung der Armee verteilt und in der Sitzung des. Rates der Volkskommissare vom 31. (18.) Dezember 1917 von Krylenko bekanntgegeben wurde.

Alle diese Umstände veranlassten Lenin bereits Anfang Januar, die Frage der Notwendigkeit der Unterzeichnung eines Separatfriedens mit Deutschland zu stellen. Gleichzeitig bildete sich in der Partei eine Richtung heraus, die den Abbruch der Verhandlungen und die Einstellung jeder diplomatischen Beziehungen zum Imperialismus forderte. Das Moskauer Gebietsbüro der SDAPR (B) nahm am 10. Januar 1918 (28. Dezember 1917) eine Resolution an, die die „Einstellung der Friedensverhandlungen mit den deutschen Imperialisten, den Abbruch aller diplomatischen Beziehungen zu allen diplomierten Räuber aller Länder" und die Einberufung einer Parteikonferenz zur Beratung der Friedensfrage forderte. Das Petersburger Parteikomitee nahm ebenfalls am 10. Januar 1918 (28. Dezember 1917) Thesen an, in denen es kategorisch gegen die Möglichkeit des Abschlusses eines imperialistischen Friedens mit Deutschland protestierte. Trotzki, der damals an der Spitze der russischen Friedensdelegation in Brest-Litowsk stand, stellte die Losung auf, dass man die Friedensverhandlungen abbrechen, den Krieg für beendet erklären und keinen annexionistischen Frieden unterzeichnen solle.

Zur Beratung aller in dieser Frage aufgetauchten Auffassungen wurde am 21. (8.) Januar in Petrograd eine Konferenz einberufen, an der die bedeutendsten Parteifunktionäre Petrograds, Moskaus, des Urals und des Wolgagebiets – hauptsächlich Delegierte vom III. Rätekongress – teilnahmen. Zu dieser Konferenz bereitete Lenin seine „Thesen zur Frage des sofortigen Abschlusses eines annexionistischen Separatfriedens" vor, die er bereits in den Grundzügen am 20. (7.) Januar 1918 abgefasst hatte.

An der Konferenz nahmen 63 Genossen teil, von denen die absolute Mehrheit (32) für den revolutionären Krieg war; für den Standpunkt Trotzkis – weder Krieg noch Frieden! – wurden 16, für den Standpunkt Lenins 15 Stimmen abgegeben.

Die Frage des Friedens wurde dann in der Sitzung des ZK der Partei am 24. (11.) Januar behandelt. In dieser Sitzung wurde Lenin unterstützt von J. Stalin, G. Sinowjew, G. Sokolnikow, Artjom (F. Sergejew); für den revolutionären Krieg waren G. Lomow und N. Krestinski; für den Standpunkt Trotzkis N. Bucharin und M. Urizki. Abgestimmt wurde über drei Anträge: über den Antrag Lenins „Wir versuchen in jeder Weise, die Unterzeichnung des Friedens hinauszuzögern" (für 12, gegen 1); über den Antrag L. Trotzkis „Sollen wir zu einem revolutionären Krieg aufrufen?" (für 2, gegen 11, 1 Stimmenthaltung); und über den Antrag „Wir stellen den Krieg ein, schließen keinen Frieden, demobilisieren die Armee" (für 9, gegen 7).

Am darauffolgenden Tage, am 25. (12.) Januar wurde die Frage des Friedens in der gemeinsamen Sitzung der Zentralkomitees der Bolschewiki und der linken Sozialrevolutionäre behandelt. Mit Stimmenmehrheit wurde beschlossen, dem Rätekongress folgende Formel zur Prüfung zu übergeben: „Keinen Krieg führen, keinen Frieden unterzeichnen!"

Lenin hatte offenbar ursprünglich die Absicht, gleich nach der Parteikonferenz seine Thesen zu veröffentlichen, und begann sogar ein Nachwort zu diesen Thesen zu schreiben. Da aber der Standpunkt Lenins vom ZK der Partei nicht akzeptiert worden war, wurden die Thesen erst am 24. Februar in der „Prawda" veröffentlicht, nachdem das ZK der Partei den Vorschlag Lenins von der Notwendigkeit der Unterzeichnung des Separatfriedens angenommen hatte. Bei der Veröffentlichung der Thesen fügte Lenin eine Einleitung hinzu: „Zur Geschichte der Frage des unglücklichen Friedens". [Band 22]

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