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Wladimir I. Lenin 19180222 Über die Krätze

Wladimir I. Lenin: Über die Krätze

[Abgefasst am 22. Februar 1918. Abendausgabe der „Prawda" Nr. 33 22. Februar 1918 Gezeichnet: Karpow. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 291-294]

Eine qualvolle Krankheit – die Krätze. Wenn aber die Menschen an der Krätze der revolutionären Phrase erkranken, dann verursacht schon der Anblick dieser Krankheit allein unerträgliche Leiden.

Einfache, klare, verständliche, jedem Vertreter der werktätigen Massen einleuchtende, scheinbar unbestreitbare Wahrheiten werden von denen entstellt, die an dieser Abart der Krätze erkranken. Nicht selten wird diese Entstellung aus den besten, edelsten, erhabensten Motiven vorgenommen, „einfach", weil man bekannte theoretische Wahrheiten nicht verdaut hat oder in kindischer, plumper, schülerhafter, sklavischer Weise diese Wahrheiten bei unangebrachten Gelegenheiten wiederholt (die Leute verstehen eben nicht „was angebracht ist"), aber deswegen hört diese Krätze nicht auf, eine abscheuliche Krätze zu sein.

Was kann z. B. unanfechtbarer und klarer sein als folgende Wahrheit: eine Regierung, die dem durch den dreijährigen räuberischen Krieg erschöpften Volke die Sowjetmacht, das Land, die Arbeiterkontrolle und den Frieden gegeben hat, ist doch unbesiegbar? Der Frieden ist die Hauptsache. Wenn nach gewissenhaften Anstrengungen, einen allgemeinen und gerechten Frieden zu erlangen, sich erwiesen hat, sich tatsächlich erwiesen hat, dass man ihn nicht sofort erlangen kann, so wird jeder Bauer verstehen, dass man nicht einen allgemeinen, sondern einen separaten und ungerechten Frieden annehmen muss. Jeder Bauer, sogar der allerrückständigste, unwissendste, wird das begreifen und wird eine Regierung, die ihm sogar einen solchen Frieden bringt, zu schätzen wissen.

Die Bolschewiki mussten an der abscheulichen Krätze der Phrase erkranken, um das zu vergessen und die berechtigte Unzufriedenheit der Bauern hervorzurufen, wenn diese Krätze zu einem neuen Krieg des räuberischen Deutschlands gegen das erschöpfte Russland führte! Mit welchen lächerlichen und kläglichen theoretischen" Nichtigkeiten und Sophismen die Krätze verhüllt wurde, habe ich in dem Artikel „Über die revolutionäre Phrase" („Prawda" vom 21. [8.] Februar) gezeigt. Ich würde nicht daran erinnern, wenn diese Krätze nicht heute auf eine neue Stelle übergegriffen hätte (das ist nun einmal so eine ansteckende Krankheit!)1

Um zu erklären, wie das passiert ist, will ich zunächst ein kleines Beispiel anführen, ein möglichst einfaches, klares Beispiel, ohne „Theorie", – wenn nämlich die Krätze für eine „Theorie" ausgegeben wird, so ist das ganz unerträglich – ohne ausgeklügelte Worte, ohne Worte, die den Massen unverständlich sind.

Nehmen wir an, Kaljajew verschafft sich, um einen Tyrannen und Unmenschen zu erschießen, einen Revolver bei einem verkommenen Halunken, Lumpen, Räuber und verspricht ihm dafür Brot, Geld und Branntwein.

Kann man Kaljajew wegen des „Geschäfts mit dem Räuber" zur Erlangung tödlicher Waffen verurteilen? Jeder gesunde Mensch wird sagen: nein, das kann man nicht! Wenn Kaljajew keine andere Möglichkeit hatte, sich einen Revolver zu beschaffen, und wenn die Sache Kaljajews wirklich eine ehrliche Sache (die Ermordung eines Tyrannen, und nicht ein Raubmord) ist, so muss man Kaljajew wegen dieser Beschaffung des Revolvers nicht tadeln, sondern loben.

Wenn aber ein Räuber, um einen Raubmord zu verüben, Geld, Schnaps, Brot einem anderen Räuber für einen Revolver gibt, kann man dann ein solches „Geschäft mit einem Räuber" mit dem Kaljajewschen Geschäft vergleichen (geschweige denn identifizieren)?

Nein. Jeder, der nicht den Verstand verloren hat und nicht an der Krätze erkrankt ist, wird sich damit einverstanden erklären, dass man das nicht kann. Jeder Bauer würde, wenn er einen „Intellektuellen" sähe, der sich mit Phrasen um eine solche augenscheinliche Wahrheit herumdrückt, sagen: Du, mein Herr, darfst keinen Staat verwalten, sondern solltest unter die Wortclowns gehen oder einfach ein Schwitzbad nehmen und die Krätze austreiben.

Wenn Kerenski, der Vertreter der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, d. h. der Ausbeuter, mit den anglo-französischen Ausbeutern ein Geschäft abschließt zur Erlangung von Waffen und Kartoffeln und gleichzeitig dem Volke die Verträge verheimlicht, die (im Falle eines Erfolges) dem einen Räuber – Armenien, Galizien, Konstantinopel, dem anderen – Bagdad, Syrien usw. versprechen, ist es da schwer zu begreifen, dass das ein räuberisches, betrügerisches, schändliches Geschäft Kerenskis and seiner Freunde ist?

Nein. Das ist wirklich nicht schwer zu begreifen. Jeder Bauer wird das verstehen, sogar der rückständigste, unwissendste.

Wenn aber der Vertreter der Klasse der Ausgebeuteten, der Unterdrückten, nachdem diese Klasse die Ausbeuter gestürzt, alle geheimen und räuberischen Verträge veröffentlicht und annulliert hat, von den Imperialisten Deutschlands räuberisch überfallen wird, kann man ihn dann wegen eines „Geschäfts mit den anglo-französischen Räubern" zur Erlangung von Waffen und Kartoffeln gegen Geld oder Holz usw. verurteilen? Kann man ein solches Geschäft für unehrlich, schändlich, unsauber halten?

Nein, das kann man nicht. Jeder gesunde Mensch wird das verstehen und diejenigen als Narren auslachen, die mit „Anstand" und gelehrter Miene beweisen wollen, dass die Massen nicht den Unterschied verstehen werden zwischen dem räuberischen Krieg des Imperialisten Kerenski (und seiner unzähligen Abkommen mit den Räubern über die Teilung der gesamten geraubten Beute) und dem Kaljajewschen Abkommen der bolschewistischen Regierung mit den anglo-französischen Räubern über die Erlangung von Waffen und Kartoffeln zur Abwehr des deutschen Räubers.

Jeder gesunde Mensch wird sagen: Waffen bei einem Räuber kaufen, um zu rauben, ist eine Gemeinheit und Niedertracht, aber Waffen bei demselben Räuber kaufen, um einen gerechten Kampf gegen einen Gewalttäter zu führen, ist eine durchaus ehrliche Sache. In einer solchen Sache etwas „Unsauberes" sehen, können nur gezierte junge Damen und Herren, die „in Büchern gelesen" und nur preziöses Zeug zusammengelesen haben. Außer dieser Sorte von Leuten können nur noch Krätzekranke in solche Fehler" verfallen.

Und wird der deutsche Arbeiter den Unterschied zwischen dem Waffenkauf Kerenskis bei den anglo-französischen Räubern, zur Eroberung von Konstantinopel bei den Türken, von Galizien bei Österreich, von Ostpreußen bei Deutschland … und dem Waffenkauf der Bolschewiki bei denselben Räubern zur Abwehr Wilhelms begreifen, als dieser Truppen gegen das sozialistische Russland marschieren ließ, das allen einen ehrlichen und gerechten Frieden angeboten und den Krieg für beendet erklärt hat?

Man muss annehmen, dass der deutsche Arbeiter das „begreifen wird", erstens, weil das ein kluger und gebildeter Arbeiter ist, zweitens, weil er gewohnt ist, kulturell und sauber zu leben und weder an der russischen Krätze noch an der Krätze der revolutionären Phrase leidet.

Besteht ein Unterschied zwischen einem Raubmord und der Ermordung eines Tyrannen?

Besteht ein Unterschied zwischen dem Krieg zweier Gruppen von Räubern, die Krieg führen wegen der Teilung der Beute, und einem gerechten Krieg zur Abwehr des Überfalls eines Räubers auf ein Volk, das die Räuber gestürzt hat?

Hängt das Urteil, ob ich gut oder schlecht handle, wenn ich Waffen bei einem Räuber erwerbe, nicht von dem Ziel und der Verwendung der Waffen, von dem Gebrauch dieser Waffen in einem ehrlosen und gemeinen oder einem gerechten und ehrlichen Krieg ab?

Ja! Die Krätze ist eine abscheuliche Krankheit! Und es ist kein leichtes Handwerk, Krätzekranke im Schwitzbad zu behandeln …

P. S. Die Nordamerikaner haben in ihrem Befreiungskrieg am Ende des 18. Jahrhunderts gegen England die Unterstützung von Konkurrenten in Anspruch genommen, und zwar genau solcher Kolonialräuber wie England, die Unterstützung des spanischen und französischen Staates. Es sollen sich „linke Bolschewiki" gefunden haben, die ein „gelehrtes Buch" über das „unsaubere Geschäft" dieser Amerikaner schreiben wollen …

1 Anlass zur Abfassung des Artikels „Über die Krätze" war die Abstimmung der Vertreter der linken Sozialrevolutionäre in der Sitzung des Rates der Volkskommissare vom 21. Februar gegen die Ausnutzung einer Unterstützung durch die Imperialisten der Entente bei der Abwehr der deutschen Offensive.

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