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Wladimir I. Lenin 19210315 Referat über die Naturalsteuer

Wladimir I. Lenin: Referat über die Naturalsteuer

X. Parteitag der KPR(B). 8.-16. März 1921

15. März

[Erschienen 1921 in dem Buch: „X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands. Stenogr. Bericht (8.–16. März 1921)“. Staatsverlag 1921. Nach Sämtliche Werke, Band 26, Moskau 1940, S. 293-309]

Genossen, die Frage der Ersetzung der Ablieferungspflicht durch eine Steuer ist vor allem und am meisten eine politische Frage, denn der Kernpunkt dieser Frage besteht in dem Verhältnis der Arbeiterklasse zur Bauernschaft. Dass wir diese Frage aufwerfen, bedeutet, dass wir das Verhältnis dieser beiden Hauptklassen, durch deren Kampf gegeneinander bzw. deren Verständigung miteinander das Schicksal unserer ganzen Revolution entschieden wird, einer neuen oder, ich möchte fast sagen, einer vorsichtigeren und richtigeren ergänzenden Prüfung und einer gewissen Revision unterziehen müssen. Ich brauche hier nicht ausführlich auf die Gründe einer solchen Revision einzugehen. Ihr alle wisst natürlich sehr gut, welche Summe von Ereignissen, besonders auf dem Boden der äußersten Verschärfung der Not, die durch den Krieg, die Verarmung, die Demobilisierung und die äußerst schwere Missernte verursacht wurde, welche Summe von Umständen die Lage des Bauern besonders schwierig, besonders ernst gestaltet und sein Schwanken vom Proletariat zur Bourgeoisie unvermeidlich verstärkt hat.

Zwei Worte über die theoretische Bedeutung bzw. über die theoretische Behandlung dieser Frage. Es steht außer Zweifel, dass man die sozialistische Revolution in einem Lande, wo die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung zu den kleinbäuerlichen Produzenten gehört, nur durch eine ganze Reihe besonderer Übergangsmaßnahmen verwirklichen kann, die gar nicht nötig wären in Ländern des entwickelten Kapitalismus, wo die Lohnarbeiter in der Industrie und Landwirtschaft die gewaltige Mehrheit bilden. In den Ländern des entwickelten Kapitalismus gibt es eine Klasse der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter, die sich im Laufe von Jahrzehnten herausgebildet hat. Nur eine solche Klasse kann sozial, ökonomisch und politisch die Stütze des unmittelbaren Überganges zum Sozialismus sein. Nur in solchen Ländern, wo diese Klasse hinreichend entwickelt ist, ist der unmittelbare Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus möglich und erfordert keine besonderen gesamtstaatlichen Übergangsmaßnahmen. In einer ganzen Reihe von Schriften, in allen unseren Äußerungen, in der ganzen Presse haben wir betont, dass in Russland die Dinge nicht so liegen, dass wir in Russland eine Minderheit von Industriearbeitern und eine ungeheure Mehrheit von kleinen Landwirten haben. Die sozialistische Revolution kann in einem solchen Lande nur unter zwei Bedingungen endgültigen Erfolg haben. Erstens unter der Bedingung, dass sie rechtzeitig durch die sozialistische Revolution in einem oder in mehreren fortgeschrittenen Ländern unterstützt wird. Wie ihr wisst, haben wir für diese Bedingung im Vergleich zu früher sehr viel, aber bei weitem nicht genug getan, damit sie zur Wirklichkeit werde.

Die andere Bedingung ist die Verständigung zwischen dem seine Diktatur ausübenden oder die Staatsmacht in seinen Händen haltenden Proletariat und der Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung. Verständigung ist ein sehr weiter Begriff, der eine ganze Reihe von Maßnahmen und Übergängen einschließt. Hier wäre zu sagen, dass wir in unserer ganzen Propaganda und Agitation reinen Wein einschenken müssen. Leute, die unter Politik kleine Schliche verstehen, die mitunter schier auf Betrug hinauslaufen, müssen in unserer Mitte die schärfste Verurteilung finden. Es gilt, ihre Fehler zu korrigieren. Die Klassen kann man nicht betrügen. Wir haben in den drei Jahren sehr viel getan, um das politische Bewusstsein der Massen zu heben. Die Massen haben aus dem scharfen Kampfe am meisten gelernt. Wir müssen – gemäß unserer Weltanschauung, unserer im Laufe von Jahrzehnten gemachten revolutionären Erfahrung, gemäß den Lehren unserer Revolution – die Fragen unverblümt stellen: die Interessen dieser zwei Klassen sind verschieden, der kleine Landwirt will nicht dasselbe, was der Arbeiter will.

Wir wissen, dass nur eine Verständigung mit der Bauernschaft die sozialistische Revolution in Russland retten kann, solange die Revolution in den anderen Ländern nicht eingetreten ist. Und so muss man denn auch in allen Versammlungen, in der ganzen Presse unverblümt sprechen. Wir wissen, dass diese Verständigung zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft lose ist – gelinde ausgedrückt, ohne dieses Wort „gelinde“ in das Protokoll aufzunehmen –, und wenn man ganz offen sprechen soll, steht es damit viel schlimmer. Jedenfalls dürfen wir nicht suchen, etwas zu verheimlichen, sondern müssen unverblümt aussprechen, dass die Bauernschaft mit der Form der Beziehungen, wie sie sich bei uns zu ihr herausgebildet hat, unzufrieden ist, dass sie diese Form der Beziehungen nicht will und so nicht weiter leben wird. Das ist unbestreitbar. Dieser Wille der Bauernschaft ist in ganz bestimmter Weise zum Ausdruck gekommen. Das ist der Wille der ungeheuren Massen der werktätigen Bevölkerung. Dem müssen wir Rechnung tragen, und wir sind nüchterne Politiker genug, um geradeheraus zu sagen: lasst uns unsere Politik gegenüber der Bauernschaft revidieren. So wie dies bisher war, – dieser Zustand ist nicht länger haltbar.

Wir müssen den Bauern sagen: „Wollt ihr zurück, wollt ihr das Privateigentum und den freien Handel vollständig wiederherstellen, so bedeutet das, unabwendbar und unvermeidlich hinabzusinken unter die Macht der Gutsbesitzer und Kapitalisten. Eine ganze Reihe historischer Beispiele und Beispiele von Revolutionen bezeugt das. Eine ganz kleine Betrachtung aus dem ABC des Kommunismus, aus dem ABC der politischen Ökonomie wird die Unvermeidlichkeit dieser Erscheinung bestätigen. Lasst uns Klarheit schaffen. Lohnt es sich für die Bauernschaft, sich mit dem Proletariat derart zu entzweien, dass sie zurück sinkt – und das Land zurück sinken lässt – zur Macht der Kapitalisten und Gutsbesitzer, oder lohnt es sich nicht? Überlegt es euch und lasst uns das gemeinsam überlegen.“

Und wir glauben, wenn man es richtig überlegt, so wird, bei aller empfundenen tiefgehenden Verschiedenheit der ökonomischen Interessen des Proletariats und des kleinen Ackerbauers, die Überlegung zu unseren Gunsten ausfallen.

So schwer auch unsere Lage im Sinne der Hilfsquellen sein mag, die Aufgabe, die Mittelbauernschaft zufriedenzustellen, muss gelöst werden. Die Bauernschaft besteht heute weit mehr aus Mittelbauern als früher, die Gegensätze haben sich abgeschliffen, das Land ist weit gleichmäßiger zur Nutzung verteilt, der Kulak ist eingeschränkt und zu einem bedeutenden Teil expropriiert worden – in Russland mehr als in der Ukraine, in Sibirien weniger. Aber im Großen und Ganzen zeigen die statistischen Angaben ganz unbestreitbar, dass das Dorf nivelliert, ausgeglichen worden ist, d.h. die schroffe Scheidung in Kulaken einerseits und Bauern, die nichts säen, anderseits ist verwischt. Alles ist glatter geworden, die Bauernschaft hat im Allgemeinen die Lage von Mittelbauern erlangt.

Können wir diese Mittelbauernschaft als solche, mit ihren ökonomischen Besonderheiten, mit ihren ökonomischen Wurzeln, zufriedenstellen? Sollte irgend jemand von den Kommunisten davon geträumt haben, dass sich in drei Jahren die ökonomische Basis, die ökonomischen Wurzeln des landwirtschaftlichen Kleinbetriebes umgestalten lassen, so war er natürlich ein Phantast. Und – wir brauchen daraus kein Hehl zu machen – solcher Phantasten gab es in unserer Mitte nicht wenige. Und daran ist nichts besonders Schlimmes. Wie hätte auch ohne Phantasten in einem solchen Lande die sozialistische Revolution begonnen werden können? Die Erfahrung hat selbstverständlich gezeigt, welch gewaltige Rolle alle möglichen Experimente und Versuche auf dem Gebiet der kollektiven Führung der Landwirtschaft spielen können. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass diese Experimente als solche auch eine negative Rolle spielten, wenn Leute, von den besten Absichten und Wünschen erfüllt, aufs Land hinaus gingen, um Kommunen und Kollektivwirtschaften einzurichten, ohne wirtschaften zu können, weil ihnen die kollektive Erfahrung fehlte.

Die Erfahrung dieser Kollektivwirtschaften liefert lediglich ein Beispiel dafür, wie man nicht wirtschaften soll: die Bauern der Umgebung lachen sich ins Fäustchen oder sind erbost. Ihr wisst wohl, wie viele solcher Beispiele es gab. Das ist, wie gesagt, nicht verwunderlich, denn die Ummodelung des kleinen Landwirts, die Umgestaltung seiner ganzen Mentalität und seiner Gepflogenheiten ist eine Sache, die Generationen erfordert. Diese Frage in Bezug auf den kleinen Landwirt lösen, sozusagen seine ganze Mentalität gesund machen, kann nur die materielle Basis, die Technik, die weitgehende Verwendung von Traktoren und Maschinen in der Landwirtschaft, die weitgehende Elektrifizierung. Das würde den kleinen Landwirt von Grund aus und mit riesiger Geschwindigkeit ummodeln. Wenn ich sage, dass Generationen nötig sind, so bedeutet das nicht, dass Jahrhunderte nötig sind. Ihr versteht wohl, dass die Beschaffung von Traktoren, Maschinen und die Elektrifizierung eines riesengroßen Landes Dinge sind, die jedenfalls nicht weniger als Jahrzehnte beanspruchen. Das ist die objektive Situation.

Wir müssen uns bemühen, die Forderungen der Bauern zu erfüllen, die unbefriedigt, die unzufrieden sind, mit Recht unzufrieden sind und auch nicht zufrieden sein können. Wir müssen ihnen sagen: „Jawohl, eine solche Lage ist nicht länger haltbar.“ Wie soll man den Bauer zufriedenstellen, und was heißt es, ihn zufriedenstellen? Woher können wir die Antwort auf die Frage bekommen, wie er zufriedenzustellen sei? Natürlich aus den Forderungen der Bauernschaft selbst. Wir kennen diese Forderungen. Aber wir müssen sie überprüfen, müssen vom Standpunkte der ökonomischen Wissenschaft aus all das untersuchen, was wir über die ökonomischen Forderungen des Landwirts wissen. Sobald wir uns in diese Frage vertiefen, sagen wir uns sofort: zufriedenstellen kann man den kleinen Landwirt im Grunde genommen durch zwei Dinge… Erstens ist eine gewisse Freiheit des Umsatzes, eine Freiheit für den kleinen privaten Landwirt notwendig, und zweitens müssen Waren und Produkte beschafft werden. Was wäre das für eine Freiheit des Umsatzes, wenn nichts umzusetzen ist, was wäre das für eine Freiheit des Handels, wenn es nichts zu handeln gibt! Das würde ein Fetzen Papier bleiben, die Klassen werden aber nicht durch Papierchen, sondern nur durch materielle Dinge zufriedengestellt. Diese zwei Bedingungen gilt es recht gut zu begreifen, über die zweite Bedingung – wie wir die Waren beschaffen sollen, ob wir imstande sein werden, sie zu beschaffen –, darüber werden wir später reden. Auf die erste Bedingung dagegen – die Freiheit des Umsatzes – muss man näher eingehen.

Was bedeutet denn Freiheit des Umsatzes? Freiheit des Umsatzes ist Freiheit des Handels, Freiheit des Handels aber bedeutet: zurück zum Kapitalismus. Freiheit des Umsatzes und Freiheit des Handels, das bedeutet Warenaustausch zwischen den einzelnen Kleinproduzenten. Wir alle, die wir auch nur das ABC des Marxismus gelernt haben, wissen, dass sich aus diesem Umsatz und der Freiheit des Handels unvermeidlich die Teilung der Warenproduzenten in Besitzer von Kapital und in Besitzer von Arbeitshänden, die Teilung in Kapitalisten und in Lohnarbeiter, d.h. die Wiederherstellung der kapitalistischen Lohnsklaverei ergibt, die nicht vom Himmel fällt, sondern in der ganzen Welt eben aus der landwirtschaftlichen Warenwirtschaft herauswächst. Das wissen wir theoretisch ausgezeichnet, und in Russland muss jeder, der sich das Leben und die Wirtschaftsverhältnisse des kleinen Landwirtes genauer angesehen hat, das unbedingt wahrnehmen.

Es fragt sich nun: wie reimt sich das, kann denn die Kommunistische Partei die Freiheit des Handels anerkennen und einführen? Stecken hier nicht unversöhnliche Widersprüche? Darauf ist zu antworten, dass die Frage in der Praxis selbstverständlich außerordentlich schwer zu lösen ist. Ich sehe voraus und weiß aus Gesprächen mit Genossen, dass der vorläufige Entwurf der Ersetzung der Ablieferungspflicht durch eine Steuer, der Entwurf, der an euch verteilt worden ist, die meisten, berechtigten und unvermeidlichen, Fragen dadurch hervorrufen wird, dass der Austausch im Rahmen des örtlichen wirtschaftlichen Umsatzes zugelassen wird. Das ist am Schluss des achten Paragraphen gesagt. Was bedeutet das, welche Grenzen sind dem gezogen, wie soll das verwirklicht werden? Falls jemand von diesem Parteitag eine Antwort auf diese Frage erwartet, dann irrt er. Die Antwort auf diese Frage werden wir von unserer Gesetzgebung erhalten, unsere Aufgabe ist lediglich, die prinzipielle Linie festzulegen, die Losung aufzustellen. Unsere Partei ist die Regierungspartei, und der Beschluss, den der Parteitag fasst, wird für die ganze Republik verpflichtend sein. Hier haben wir diese Frage prinzipiell zu entscheiden. Wir müssen diese Frage prinzipiell entscheiden und die Bauernschaft davon in Kenntnis setzen, weil die Aussaat vor der Tür steht. Und dann müssen wir unseren ganzen Apparat, alle unsere theoretischen Kräfte einsetzen, unsere ganze praktische Erfahrung aufbieten und sehen, wie das zu machen ist. Kann man das, theoretisch gesprochen, machen, kann man bis zu einem gewissen Grade die Freiheit des Handels, die Freiheit des Kapitalismus für die kleinen Landwirte wiederherstellen, ohne dadurch die Grundfesten der politischen Macht des Proletariats zu erschüttern? Kann man das? Jawohl, denn es kommt auf das Maß an. Wären wir imstande, auch nur eine geringe Menge von Waren zu bekommen, und hielten wir sie in der Hand des Staates, in der Hand des die politische Macht besitzenden Proletariats, könnten wir diese Waren in Umsatz bringen, so würden wir als Staat zu unserer politischen Macht die ökonomische Macht hinzufügen. Die Einführung dieser Waren in den Umsatz wird den landwirtschaftlichen Kleinbetrieb beleben, der augenblicklich furchtbar daniederliegt unter dem Druck der schweren Verhältnisse des Krieges, der Verarmung und unter dem Druck der Unmöglichkeit, den landwirtschaftlichen Kleinbetrieb zu entwickeln. Der Kleinbauer muss, solange er ein kleiner Landwirt bleibt, einen Ansporn, einen Anstoß, einen Anreiz haben, der seiner ökonomischen Basis, d.h. der kleinen Einzelwirtschaft, entspricht. Hier wird man um die örtliche Freiheit des Umsatzes nicht herumkommen. Wenn dieser Umsatz dem Staat im Austausch gegen Industrieerzeugnisse eine gewisse Mindestmenge Getreide verschafft, die zur Deckung des Bedarfs der Stadt, der Fabriken, der Industrie ausreicht, dann erfolgt die Wiederherstellung des wirtschaftlichen Umsatzes in der Weise, dass die Staatsmacht in den Händen des Proletariats bleibt und sich festigt. Die Bauernschaft fordert, man solle ihr in der Praxis zeigen, dass der Arbeiter, der die Fabriken, die Werke, die Industrie in seinen Händen hält, den Umsatz mit der Bauernschaft in Gang zu bringen vermag. Und anderseits setzt ein riesiges Agrarland mit schlechten Verkehrswegen, mit unermesslichen Landstrecken, mit verschiedenartigem Klima, mit den verschiedenen landwirtschaftlichen Bedingungen usw. unvermeidlich eine gewisse Freiheit des Umsatzes der lokalen Landwirtschaft und der lokalen Industrie im lokalen Ausmaße voraus. Wir haben in dieser Hinsicht sehr viel unterlassen und sind viel zu weit gegangen: wir sind viel zu weit gegangen auf dem Wege der Nationalisierung des Handels und der Industrie, auf dem Wege der Sperrung des örtlichen Umsatzes. War das ein Fehler? Zweifellos.

In dieser Beziehung war vieles von dem, was wir getan haben, einfach falsch, und es wäre das größte Verbrechen, hier nicht zu sehen und nicht zu begreifen, dass wir nicht Maß gehalten und nicht gewusst haben, Maß zu halten. Dabei war aber auch eine zwangsläufige Notwendigkeit: wir lebten bisher unter Verhältnissen eines so wahnwitzigen, unerhört schweren Krieges, dass uns nichts anderes übrigblieb, als auch auf wirtschaftlichem Gebiet nach Kriegsbrauch zu handeln. Es war ein Wunder, dass ein ruiniertes Land einen solchen Krieg ausgehalten hat, und dieses Wunder ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist aus den ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft hervorgewachsen, die dieses Wunder durch ihren Massenelan vollbracht haben, durch dieses Wunder wurde die Abwehr der Gutsbesitzer und Kapitalisten möglich. Aber gleichzeitig bleibt es eine unzweifelhafte Tatsache, und sie darf in der Agitation und Propaganda nicht verborgen werden, dass wir weiter gegangen sind, als es theoretisch und politisch notwendig war. Wir können in ziemlich großem Umfang den freien örtlichen Warenverkehr zulassen, womit wir die politische Macht des Proletariats nicht zerstören, sondern festigen. Wie das zu machen ist, ist Sache der Praxis. Meine Aufgabe ist es, euch zu beweisen, dass das theoretisch denkbar ist. Dem Proletariat, das die Staatsmacht in Händen hält, ist es durchaus möglich, wenn es irgendwelche Ressourcen besitzt, diese in Umsatz zu bringen und dadurch eine gewisse Befriedigung des Mittelbauern herbeizuführen, ihn auf der Grundlage des örtlichen wirtschaftlichen Warenumsatzes zufriedenzustellen.

Nun einige Worte über den örtlichen Wirtschaftsverkehr. Vorher muss ich die Genossenschaftsfrage berühren. Gewiss, bei dem örtlichen Wirtschaftsverkehr brauchen wir die Genossenschaften, die bei uns allzu sehr geknebelt worden sind. Unser Programm betont, dass der beste Verteilungsapparat die vom Kapitalismus hinterlassenen Genossenschaften sind, dass man diesen Apparat erhalten muss. So heißt es im Programm. Haben wir das erfüllt? Sehr mangelhaft, und zum Teil haben wir es überhaupt nicht erfüllt, wiederum zum Teil aus Versehen, zum Teil infolge der Kriegsnot. Die Genossenschaften, die wirtschaftlich höherstehende, in ökonomischer Beziehung höherstehende Elemente hochbrachten, brachten dadurch in der Politik Menschewiki und Sozialrevolutionäre hoch. Das ist ein chemisches Gesetz, da ist nichts zu machen! Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre sind Leute, die bewusst oder unbewusst den Kapitalismus wiederaufrichten und den Judenitschs helfen. Das ist ebenfalls ein Gesetz. Wir müssen gegen sie Krieg führen. Wenn Krieg, dann nach Kriegsbrauch: wir mussten uns verteidigen, und wir haben das mit Erfolg getan. Kann man aber unabänderlich in der jetzigen Lage verharren? Mitnichten. Dadurch sich die Hände zu binden, wäre unbedingt ein Fehler. Aus diesem Grunde schlage ich zur Genossenschaftsfrage eine Resolution vor, die ganz kurz ist. Ich will sie verlesen:

In Anbetracht dessen, dass die Resolution des IX. Parteitags der KPR über die Stellung zu den Genossenschaften ganz auf der Anerkennung des Prinzips der Ablieferungspflicht beruht, die jetzt durch die Naturalsteuer ersetzt wird, beschließt der X. Parteitag der KPR:

Die genannte Resolution wird aufgehoben.

Der Parteitag beauftragt das Zentralkomitee, Beschlüsse auszuarbeiten und sie auf dem Wege der Partei- und der Sowjetinstanzen durchzuführen, Beschlüsse, die die Struktur und die Tätigkeit der Genossenschaften verbessern und weiterentwickeln, in Übereinstimmung mit dem Programm der KPR und in Anpassung an die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer.“

Ihr werdet sagen, das sei unbestimmt. Jawohl, es ist auch notwendig, dass es bis zu einem gewissen Grade unbestimmt sei. Warum ist das notwendig? Weil man, wenn die Resolution ganz bestimmt sein soll, bis ins Letzte wissen müsste, was wir während des ganzen Jahres fertig kriegen. Wer weiß das? Niemand weiß es, und niemand kann es wissen.

Aber die Resolution des IX. Parteitags bindet uns die Hände, sie sagt: „Unterordnung unter das Volkskommissariat für Lebensmittelversorgung“. Das Volkskommissariat für Lebensmittelversorgung ist eine ausgezeichnete Institution, aber ihm unbedingt die Genossenschaften unterzuordnen und sich die Hände zu binden, während man die Beziehungen zu den kleinen Landwirten einer Revision unterzieht, hieße, politisch einen offenkundigen Fehler begehen. Wir müssen das neugewählte ZK beauftragen, gewisse Maßnahmen und Änderungen auszuarbeiten und festzulegen, die Schritte, die wir nach vorwärts und rückwärts machen werden, zu untersuchen: in welchem Grade das zu geschehen hat, wie die politischen Interessen zu wahren sind, inwieweit man eine Lockerung eintreten lassen soll, um eine Erleichterung zu schaffen, wie die Ergebnisse der Erfahrung zu prüfen sind. Wir stehen da, theoretisch gesprochen, vor einer ganzen Reihe Übergangsstufen und Übergangsmaßnahmen. Für uns ist eines klar: die Resolution des IX. Parteitages setzte voraus, dass unsere Bewegung geradlinig verlaufen werde. Es hat sich aber herausgestellt – wie das immer in der ganzen Geschichte der Revolutionen der Fall war –, dass die Bewegung im Zickzack verlief. Sich durch eine solche Resolution die Hände zu binden, wäre ein politischer Fehler. Durch die Aufhebung der Resolution sagen wir, dass man sich vom Programm leiten lassen muss, in dem die Bedeutung des genossenschaftlichen Apparats betont wird.

Mit der Aufhebung der Resolution sagen wir: passt euch der Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Steuer an. Wann werden wir das aber durchführen? Nicht vor der Ernte, d.h. in einigen Monaten. Wird das in den verschiedenen Gegenden in gleicher Weise erfolgen? Auf keinen Fall. Zentralrussland, die Ukraine und Sibirien über einen Kamm zu scheren, sie in eine bestimmte Schablone zu zwängen, wäre die größte Torheit. Ich schlage vor, diesen Grundgedanken über die Freiheit des örtlichen Umsatzes in der Form eines Parteitagsbeschlusses festzulegen. Ich denke mir das so, dass daraufhin, in den nächsten Tagen, unbedingt ein Brief des ZK folgt, in dem gesagt wird, und natürlich besser gesagt wird, als ich es augenblicklich sage (wir werden die besten Literaten ausfindig machen, die das besser niederschreiben werden)! reißt nichts nieder, keine Überstürzung, klügelt nicht drauflos, handelt so, dass die Mittelbauernschaft am besten zufriedengestellt wird, ohne die Interessen des Proletariats zu beeinträchtigen. Erprobt dies, erprobt jenes, studiert praktisch, an Hand der Erfahrung, sprecht euch dann mit uns aus und sagt, was euch gelungen ist, und wir werden eine spezielle Kommission oder sogar einige Kommissionen schaffen, die die gesammelten Erfahrungen zusammenfassen werden, und ich denke, wir ziehen hierzu speziell den Genossen Preobraschenski heran, den Verfasser des Buches: „Das Papiergeld in der Epoche der proletarischen Diktatur“. Diese Frage ist sehr wichtig, weil die Geldzirkulation ein Ding ist, durch das vorzüglich kontrolliert wird, ob der Warenumsatz des Landes befriedigend ist, und wenn dieser Umsatz nicht richtig funktioniert, verwandelt sich das Geld in wertloses Papier. Um dann auf Grund der Erfahrung vorgehen zu können, müssen wir die getroffenen Maßnahmen zehnmal überprüfen…

Man wird an uns die Frage richten und erfahren wollen, woher wir die Waren nehmen werden. Freiheit des Handels erfordert doch Waren, und die Bauern sind sehr gescheite Leute und verstehen ausgezeichnet zu spotten. Können wir jetzt Waren beschaffen? Jetzt werden wir es können, weil sich unsere internationale wirtschaftliche Lage gewaltig gebessert hat. Wir kämpfen gegen das internationale Kapital, das, als es unsere Republik sah, sagte: „Das sind Räuber, Krokodile!“ (Diese Worte sind mir buchstäblich von einer englischen Künstlerin übermittelt worden, die diesen Ausdruck von einem höchst einflussreichen Politiker gehört hatte!) Sind es aber Krokodile, so kann man sie nur verachten. Und das war die Stimme des internationalen Kapitals Das war die Stimme des Klassenfeindes, und von seinem Standpunkt aus hatte er recht. Die Richtigkeit solcher Schlüsse erfordert jedoch eine Überprüfung durch die Praxis. Wenn du, Weltkapital, eine weltumspannende, gewaltige Kraft bist, wenn du „Krokodil“ sagst und die ganze Technik in deiner Hand ist – dann probiere doch, schieß los! Und als es probierte, stellte sich heraus, dass es selbst dabei noch schlechter fuhr. Nunmehr sagt das Kapital, das gezwungen ist, mit dem realen politischen und wirtschaftlichen Leben zu rechnen: „Handel tut not.“ Darin besteht unser gewaltiger Sieg. Ich kann euch jetzt sagen, dass uns zwei Anerbieten einer Anleihe in Höhe von etwa 100 Millionen Goldrubel vorliegen. Gold haben wir zwar, aber Gold kann man nicht verkaufen, weil das eine Sache ist, die man nicht essen kann. Alle sind so ruiniert, in der ganzen Welt sind infolge des Krieges die Währungsverhältnisse zwischen den kapitalistischen Staaten unglaublich durcheinander geraten. Außerdem braucht man zum Verkehr mit Europa eine Flotte, und diese besitzen wir nicht. Die Flotte ist in feindlichen Händen. Mit Frankreich haben wir keinen Vertrag geschlossen, Frankreich glaubt, dass wir seine Schuldner seien, also erklärt es von jedem Schiff: „Bitte, das ist meins.“ Sie haben eine Kriegsflotte, wir haben keine. Das ist die Lage, in der wir bis jetzt Gold nur in dürftigem, verschwindend geringem, lächerlich geringem Maße realisieren konnten. Nun liegen uns von kapitalistischen Bankleuten zwei Angebote vor, eine Anleihe von 100 Millionen zu realisieren. Natürlich wird dieses Kapital Wucherzinsen nehmen. Aber bisher wollten sie überhaupt nichts davon wissen, bisher sagten sie: „Ich knall dich nieder und nehme alles umsonst.“ Jetzt, da sie uns nicht niederknallen können, sind sie bereit, Handel zu treiben. Der Handelsvertrag mit Amerika und England ist jetzt, man kann sagen, auf dem besten Wege, ebenso die Konzessionen. Gestern bekam ich noch einen Brief von dem sich hier aufhaltenden Mister Vanderlip, der, neben einer ganzen Reihe Beschwerden, eine ganze Reihe von Plänen über Konzessionen und über eine Anleihe vorbringt. Das ist ein Vertreter des Finanzkapitals der gerissensten Sorte; er steht in Verbindung mit den westlichen Staaten Nordamerikas, die Japan noch feindlicher gegen überstehen. Somit haben wir ökonomisch die Möglichkeit, Waren zu beschaffen. Inwieweit wir dazu imstande sein werden, ist eine andere Frage, aber eine gewisse Möglichkeit ist vorhanden.

Wie gesagt, der Typus der wirtschaftlichen Beziehungen, der oben das Aussehen eines Blocks mit dem ausländischen Kapitalismus hat, wird unten der proletarischen Staatsmacht die Möglichkeit des freien Warenumsatzes mit der Bauernschaft geben. Ich weiß – darüber zu sprechen hatte ich bereits Gelegenheit –, dass das gewisse Spötteleien ausgelöst hat. In Moskau gibt es eine ganze Schicht von Intellektuellen und .Bürokraten, die versucht, „öffentliche Meinung“ zu machen. Sie begann sich lustig zu machen: „Ein schöner Kommunismus ist da herausgekommen! Ungefähr wie ein Mensch, der statt Beine Krücken und an Stelle des Gesichts einen unförmigen Kopfverband hat, und vom Kommunismus ist ein Vexierbild übriggeblieben.“ Diese Art Witzeleien habe ich zur Genüge gehört, aber diese Witzeleien stammen entweder von Bürokraten oder sind nicht ernst zu nehmen! Russland ist aus dem Kriege in einem Zustand hervorgegangen, dass sein Befinden am ehesten dem eines Menschen gleicht, den man halbtot geprügelt hat: sieben Jahre lang wurde es geprügelt, und da gebe Gott, dass es sich wenigstens auf Krücken fortbewegen kann! So sieht die Lage aus, in der wir uns befinden! Zu glauben, dass wir uns ohne Krücken heraushelfen können, heißt nichts begreifen! Solange es in den anderen Ländern keine Revolution gibt, werden wir Jahrzehnte brauchen, um uns herauszuwinden, und da ist es um hunderte Millionen, ja sogar Milliarden nicht schade, die wir aus unseren unermesslichen Reichtümern, aus unseren reichen Rohstoffquellen hergeben, nur um die Hilfe des fortgeschrittensten Großkapitalismus zu erhalten. Wir werden sie später mit Zinseszinsen zurückholen. Es ist aber unmöglich, die proletarische Macht in einem unerhört ruinierten Lande zu behaupten, in dem eine ebenfalls ruinierte Bauernschaft die riesige Mehrheit bildet, ohne die Hilfe des Kapitals, für die es natürlich hunderte Prozent Zinsen herausschinden wird. Das muss man begreifen. Und deshalb entweder diesen Typus wirtschaftlicher Beziehungen oder nichts. Wer die Frage anders stellt, der versteht von der praktischen Ökonomie absolut nichts und sucht sich mit diesen oder jenen Witzeleien herauszureden. Man muss eine Tatsache wie die Ermattung und Erschöpfung der Massen zugeben. Sieben Jahre Krieg! Wie mussten sie sich bei uns auswirken, wenn vier Jahre Krieg in den fortgeschrittenen Ländern sich dort bis heute noch fühlbar machen?!

Bei uns aber, in unserem zurückgebliebenen Lande, nach einem siebenjährigen Kriege, haben wir geradezu einen Zustand der Erschöpfung unter den Arbeitern, die unerhörte Opfer gebracht haben, wie unter der Masse der Bauern. Diese Erschöpfung, dieser Zustand grenzt an völlige Arbeitsunfähigkeit. Hier bedarf es einer wirtschaftlichen Atempause. Wir hatten vor, den Goldfonds für Produktionsmittel zu verwenden. Am besten wäre es, Maschinen herzustellen, aber auch wenn wir sie kauften, würden wir dadurch unsere Produktion aufbauen. Dazu ist jedoch erforderlich, dass wir einen Arbeiter, einen Bauer haben, der arbeiten könnte; in den meisten Fällen kann er aber nicht arbeiten: er ist erschöpft, er ist ermattet. Man muss ihn unterstützen, man muss den Goldfonds entgegen unserem früheren Programm zum Ankauf von Bedarfsgegenständen verwenden. Unser früheres Programm war theoretisch richtig, aber praktisch unhaltbar. Ich will eine Aufstellung bekanntgeben, die ich vom Genossen Leschawa habe. Aus ihr ersehen wir, dass mehrere hunderttausend Pud verschiedenartiger Lebensmittel bereits angekauft sind und auf dem schnellsten Wege aus Litauen, Finnland und Lettland befördert werden. Heute ist die Nachricht eingetroffen, dass in London eine Abmachung über Lieferung von Kohle in Höhe von 18½ Millionen Pud unterzeichnet worden ist, die wir zu kaufen beschlossen haben, um die Industrie Petrograds und die Textilindustrie zu beleben. Wenn wir Waren für den Bauern beziehen, so ist das natürlich eine Verletzung des Programms, so ist das unrichtig, aber man muss eine Atempause gewähren, denn das Volk ist so ermattet, dass es sonst nicht imstande ist, zu arbeiten.

Ich muss noch einiges über den individuellen Warenaustausch sagen. Wenn wir von der Freiheit des Umsatzes sprechen, so meinen wir den individuellen Warenaustausch, das heißt also, die Kulaken begünstigen. Was nun? Man soll nicht die Augen davor verschließen, dass die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch eine Steuer bedeutet, dass das Kulakentum aus diesem System noch stärker hervorwachsen wird, als es bisher der Fall war. Es wird dort gedeihen, wo es früher nicht hochkommen konnte. Aber dagegen muss man nicht mit Verbotsmaßnahmen kämpfen, sondern durch die staatliche Vereinigung und durch staatliche Maßnahmen von oben. Kannst du dem Bauern Maschinen geben, so wirst du ihn dadurch heben, und gibst du ihm Maschinen oder Elektrifizierung, so werden Zehntausende oder Hunderttausende kleiner Kulaken auf der Strecke bleiben. Solange du das nicht zu geben vermagst, gib eine gewisse Menge Waren. Hast du Waren in Händen, so behauptest du die Macht, aber eine solche Möglichkeit zu unterbinden, abzudrosseln oder auszuschlagen würde bedeuten, sich jeglicher Möglichkeit eines Umsatzes zu beheben, das würde bedeuten, die Mittelbauernschaft nicht zufriedenstellen, und es wäre kein Auskommen mit ihr. Die Bauernschaft in Russland ist mehr zur Mittelbauernschaft geworden, und es ist nichts zu befürchten, wenn der Austausch ein individueller wird. Jeder wird dem Staate irgend etwas in Austausch geben können. Der eine wird Getreideüberschüsse geben können, der andere wird Produkte des Gemüsebaus austauschen, der dritte Arbeitspflichtleistungen. Im Wesentlichen ist die Lage diese: wir müssen die Mittelbauernschaft ökonomisch zufriedenstellen und uns mit der Freiheit des Umsatzes abfinden, sonst können wir bei der Verlangsamung der internationalen Revolution die Macht des Proletariats in Russland nicht halten, ökonomisch nicht halten. Man muss das klar erkennen und ohne die geringste Scheu darüber sprechen. In dem Entwurf des Beschlusses über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer (der Text wurde an euch verteilt) werdet ihr viele Misshelligkeiten finden, es gibt Widersprüche darin, darum haben wir auch am Schlusse geschrieben: „Der Parteitag, der im wesentlichen“ (ein vielsagendes und vielbedeutendes Wort!) „die vom ZK vorgelegten Richtlinien über die Ersetzung der Ablieferungspflicht durch die Naturalsteuer billigt, beauftragt das ZK der Partei, diese Leitsätze schleunigst miteinander zu koordinieren.“ Wir wissen, dass sie nicht koordiniert wurden, wir fanden noch nicht die Zeit dazu, wir sind zu dieser Detailarbeit nicht gekommen. Die Formen der praktischen Durchführung der Steuer werden das Allrussische Zentralexekutivkomitee und der Rat der Volkskommissare in allen Einzelheiten ausarbeiten und das entsprechende Gesetz erlassen. Es ist folgendes Verfahren vorgesehen: wenn ihr diesen Entwurf heute annehmt, so wird er schon auf der nächsten Tagung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees zum Beschluss erhoben werden, das ebenfalls nicht ein Gesetz, sondern nur eine modifizierte Verordnung erlassen wird, dann werden der Rat der Volkskommissare und der Rat für Arbeit und Landesverteidigung sie in ein Gesetz und, was noch wichtiger ist, in praktische Instruktionen verwandeln. Wichtig ist, dass man draußen im Lande die Bedeutung der Sache begreife und uns entgegenkomme.

Warum mussten wir die Ablieferungspflicht durch eine Steuer ersetzen? Die Ablieferungspflicht setzte die Einziehung aller Überschüsse und die Einführung eines obligatorischen Staatsmonopols voraus. Wir konnten nicht anders handeln, wir befanden uns in einer äußersten Notlage. Theoretisch muss nicht unbedingt angenommen werden, dass das Staatsmonopol vom Standpunkt des Sozialismus das Beste sei. Als Übergangsmaßnahme ist es in einem Bauernlande, das eine Industrie besitzt – und wo die Industrie auch arbeitet –, wenn eine gewisse Menge von Waren vorhanden ist, möglich, das System der Steuern und des freien Umsatzes anzuwenden.

Dieser Umsatz ist für den Bauern der Ansporn, der Anreiz, der Antrieb. Der Landwirt kann und soll in seinem eigenen Interesse fleißig sein, denn man wird ihm nicht alle Überschüsse nehmen, sondern wird nur die Steuer erheben, die möglichst im Voraus festgesetzt werden muss. Die Hauptsache ist, dass ein Ansporn, ein Anreiz, ein Antrieb für den Kleinbauern bei seinem Wirtschaften vorhanden sei. Wir müssen unsere staatliche Wirtschaft in Anpassung an die Wirtschaft des Mittelbauern aufbauen, die wir in drei Jahren nicht umzumodeln vermochten und auch in zehn Jahren noch nicht ummodeln werden. Ich will sagen, wovon das abhängt.

Der Staat war verpflichtet, eine bestimmte Lebensmittelmenge aufzubringen. Darum wurden die Pflichtlieferungen bei uns im vergangenen Jahre erhöht. Die Steuer muss geringer sein. Die Zahlen sind nicht genau festgelegt, sie lassen sich auch nicht genau festlegen. In der Broschüre von Popow „Die Getreideproduktion der Sowjetrepublik und der mit ihr konföderierten Republiken“ sind Materialien unseres Statistischen Zentralamts angeführt, die genaue Zahlen enthalten und zeigen, aus welchen Gründen die landwirtschaftliche Produktion zurückgegangen ist.

Sollte eine Missernte eintreten, so können keine Überschüsse genommen werden, da es keine Überschüsse geben wird. Man müsste dann das Brot den Bauern vom Munde wegnehmen. Wird die Ernte gut ausfallen, dann werden alle zwar den Riemen etwas enger ziehen, aber der Staat wird gerettet sein; oder wir werden von den Leuten, die sich nicht satt essen können, nichts zu holen vermögen, und dann wird der Staat zugrunde gehen. Das alles ist die Aufgabe unserer Propaganda unter den Bauern. Gibt es eine leidliche Ernte, so werden die Überschüsse etwa eine halbe Milliarde ausmachen. Sie deckt den Bedarf und liefert einen gewissen Fonds. Alles dreht sich darum, den Bauern einen Ansporn, einen Anreiz vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu geben. Man muss dem kleinen Landwirt sagen: „Du, Landwirt, produziere Lebensmittel, der Staat erhebt eine minimale Steuer.“

Meine Zeit geht zu Ende, ich muss schließen. Ich wiederhole: wir können jetzt nicht gleich ein Gesetz erlassen. Der Mangel unserer Resolution ist der, dass sie nicht allzu gesetzgeberisch aussieht; auf einem Parteitag werden ja keine Gesetze geschrieben. Deshalb schlagen wir vor, die Resolution des ZK als Grundlage anzunehmen und das ZK zu beauftragen, ihre Richtlinien miteinander zu koordinieren. Wir werden den Text dieser Resolution drucken lassen, und die Funktionäre draußen im Lande werden dafür Sorge tragen, sie zu koordinieren und zu verbessern. Sie vollkommen zu koordinieren, ist unmöglich, das ist eine unlösbare Aufgabe, da das Leben viel zu bunt ist. Übergangsmaßnahmen zu suchen, ist eine sehr schwierige Aufgabe. Gelingt es nicht, das rasch und gradlinig zu tun, so werden wir deswegen den Mut nicht sinken lassen, wir werden doch das unsere erreichen. Jeder halbwegs einsichtige Bauer muss begreifen, dass wir als Regierung die Arbeiterklasse und die Werktätigen vertreten, mit denen sich die werktätigen Bauern (und sie machen neun Zehntel aus) darin einverstanden erklären können, dass jede Wendung nach rückwärts die Rückkehr zur alten zaristischen Regierung bedeuten würde. Das zeigt die Kronstädter Erfahrung. Dort will man die Weißgardisten nicht, will man unsere Macht nicht – eine andere Macht gibt es aber nicht –, und sie befinden sich in einer Lage, die die beste Agitation für uns und gegen jede neue Regierung bildet.

Wir haben jetzt die Möglichkeit, uns .mit den Bauern zu verständigen, und das muss praktisch, geschickt, mit Grips, mit Geschmeidigkeit durchgeführt werden. Wir kennen den Apparat des Volkskommissariats für Lebensmittelversorgung, wir wissen, dass das einer unserer besten Apparate ist. Wenn wir ihn mit anderen vergleichen, so sehen wir, dass das ein ausgezeichneter Apparat ist, und er muss erhalten bleiben, aber der Apparat muss der Politik untergeordnet sein. Was, zum Teufel, brauchen wir den glänzendsten Apparat des Volkskommissariats für Lebensmittelversorgung, wenn wir es nicht verstehen, die Beziehungen zu den Bauern in Ordnung zu bringen. Dann wird dieser glänzende Apparat nicht unserer Klasse, sondern Denikin und Koltschak dienen. Da nun einmal die Politik eine entschiedene Änderung, Geschmeidigkeit und einen geschickten Übergang erfordert, so müssen die Leiter das begreifen. Ein fester Apparat muss für jedes mögliche Manövrieren tauglich sein. Verwandelt sich dagegen die Festigkeit des Apparates in Verknöcherung und wird bei Wendungen hinderlich, dann ist ein Kampf unvermeidlich. Darum müssen alle Kräfte aufgeboten werden, um das gesteckte Ziel unbedingt zu erreichen, die völlige Unterordnung des Apparates unter die Politik durchzusetzen. Die Politik ist das Verhältnis zwischen den Klassen – das entscheidet das Schicksal der Republik. Der Apparat als Hilfsmittel wird um so besser und brauchbarer zum Manövrieren sein, je fester er ist. Wenn er aber nicht imstande ist, das zu leisten, dann taugt er zu nichts.

Ich bitte euch, das Hauptsächliche im Auge zu behalten: dass die Ausarbeitung der Einzelheiten und der Auslegungen eine Arbeit von mehreren Monaten ist. Jetzt aber müssen wir die Hauptsache im Auge behalten: es ist notwendig, dass über die Beschlussfassung noch abends durch Rundfunk die ganze Welt davon in Kenntnis gesetzt werde, dass der Parteitag der Regierungspartei im Wesentlichen die Ablieferungspflicht durch eine Steuer ersetzt und dadurch dem kleinen Landwirt eine ganze Reihe von Anreizen gibt, seine Wirtschaft zu erweitern und die Anbaufläche zu vergrößern; dass der Parteitag durch das Beschreiten dieses Weges das System der Beziehungen zwischen Proletariat und Bauernschaft korrigiert und die Überzeugung zum. Ausdruck bringt, dass auf diesem Wege ein festes Verhältnis zwischen Proletariat und Bauernschaft erzielt werden wird.

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