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Wladimir I. Lenin 19150329 Zur Illustrierung der Bürgerkriegslosung

Wladimir I. Lenin: Zur Illustrierung der Bürgerkriegslosung

[Sozialdemokrat Nr. 40, 29. März 1915. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 176 f.]

Am 8. Januar (neuen Stils) wurde den schweizerischen Zeitungen aus Berlin berichtet: „In der letzten Zeit brachten die Zeitungen wiederholt Meldungen über friedliche Annäherungsversuche zwischen den deutschen und französischen Schützengräben. Wie die „Tägliche Rundschau“ mitteilt, verbietet ein Armeebefehl vom 29. Dezember die Verbrüderung und überhaupt jede Annäherung an den Feind in den Schützengräben; das Zuwiderhandeln gegen diesen Befehl wird als Hochverrat bestraft werden.“

Verbrüderung und Annäherungsversuche sind also Tatsache. Die deutsche Heeresleitung ist durch sie beunruhigt: folglich legt sie ihr ernsthafte Bedeutung bei. Die englische Arbeiterzeitung Labour Leader vom 7. Januar 1915 bringt eine ganze Reihe von Zitaten aus englischen Bourgeois-Zeitungen, in denen Fälle von Verbrüderung zwischen englischen und deutschen Soldaten bezeugt werden: die Soldaten schlossen „Waffenstillstand auf 48 Stunden“ (zu Weihnachten), trafen sich freundschaftlich auf halbem Wege zwischen den Schützengräben usw.1. Die englische Heeresleitung hat durch einen Sonderbefehl die Verbrüderung verboten. Und die sozialistischen Opportunisten und ihre Anwälte (oder ihre Bediensteten? – z. B. Kautsky) gaben mit höchst selbstzufriedener Miene und im ruhigen Bewusstsein, dass die Militärzensur sie vor Widerlegungen bewahren werde, den Arbeitern in der Presse die Versicherung, dass Vereinbarungen zwischen den Sozialisten der kriegführenden Länder über Aktionen gegen den Krieg unmöglich seien (buchstäblicher Ausdruck Kautskys in der „Neuen Zeit2)! Man stelle sich vor, Hyndman, Guesde, Vandervelde, Plechanow, Kautsky usw. hätten – statt die Bourgeoisie zu unterstützen, womit sie jetzt beschäftigt sind – ein internationales Komitee gebildet zur Agitation für „Verbrüderung und Annäherungsversuche“ zwischen den Sozialisten der kriegführenden Länder in den „Schützengräben“ wie in der Armee überhaupt. Welche Resultate hätte man innerhalb weniger Monate erzielt, wenn jetzt, sechs Monate nach Kriegsbeginn, im Gegensatz zu allen, die den Sozialismus verraten haben, zu allen Führern, Häuptlingen und Sternen erster Größe, die Opposition gegen die Kriegskreditbewilliger und gegen die Ministerialisten überall wächst und die Heeresleitung auf „Verbrüderung“ die Todesstrafe androht!

Es gibt nur eine praktische Frage: Sieg oder Niederlage des eigenen Landes“, schrieb der Opportunistendiener Kautsky, in Übereinstimmung mit Guesde, Plechanow und Konsorten. Ja, wenn man den Sozialismus und den Klassenkampf vergisst, so wird das stimmen. Aber wenn man den Sozialismus nicht vergisst, so stimmt das nicht: dann gibt es eine andere praktische Frage. Will man im Krieg zwischen den Sklavenhaltern den Untergang finden, als blinder und hilfloser Sklave bis zu Ende – oder aber das Leben lassen für „Versuche der Verbrüderung“ zwischen den Sklaven zum Zweck der Vernichtung der Sklaverei?

So ist in Wirklichkeit die „praktische“ Frage gestellt.

1 Es handelt sich um Auszüge aus Soldatenbriefen, die von verschiedenen englischen Zeitungen gebracht und im „Labour Leader“ vom 7. Januar 1915 abgedruckt wurden.

2 In: „Die Sozialdemokratie im Krieg“, „Neue Zeit“, Nr. 1, vom 2. Oktober 1914.

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