Karl Liebknecht 19160800 V Von den Kriegszielen

Karl Liebknecht: Die sieben „Glossen" Liebknechts

[Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 9, S. 208-224]

V

Von den KriegszielenA

a) Vom außenpolitischen Kriegsziel

Aus der Gruppierung der kapitalistischen Kriegstendenzen heben sich die Hauptbestandteile der Kriegszielgruppen hervor. Indessen darf nicht übersehen werden, dass der Kriegsausbruch das englisch-französisch-deutsche Abkommen zerriss und damit die Gegensätze, die es halb verhüllt hatte, wieder völlig aufbrachen: die in der Türkei liegenden schroffen Gegensätze der deutschen Orientinteressenten gegen England und Frankreich (neben denen gegen Russland und Italien). Dennoch blieben diese mehr speziell orientpolitisch als allgemein weltpolitisch: Berlin-Bagdad war die Formel ihrer Lösung. Auch die kolonial-kapitalistischen (im engeren Sinne) Differenzen erwachten wieder im alten Ungestüm.

Das Eingreifen der Türkei warf die Frage der Dardanellen, der Schwarzmeerherrschaft und Persiens schrill und unausweichlich auf, Fragen, in denen der englisch-russische Gegensatz bisher kulminiert hatte, dessen zersetzenden Einfluss die Mittelmächte gegen die Entente auszuspielen suchten. Es schien auch den phantastischen Traum der Englandwüteriche Rohrbachscher Richtung1, das britische Weltreich an der Gurgel des Suezkanals zu erwürgen, seiner Verwirklichung näher zu führen. Es produzierte das saubere Plänchen, den „Heiligen Krieg" der Muselmanen gegen die Christenheit im Krieg zur „Erneuerung des Christentums" in den Dienst des allerchristlichsten mitteleuropäischen Imperialismus zu stellen, um England in Ägypten und Indien auszuschwefeln: die paradoxeste Form eines auf den Kopf gestellten Kreuzzuges. Dem Gedanken eines antienglischen Separatfriedens mit RusslandB auf Kosten der Türkei schob es vorläufig einen Riegel vor. Aber die militärischen Notwendigkeiten zwangen die Weltmachtpolitiker, auch dies vorläufig in Kauf zu nehmen. Und es ist schon nicht uneben, dass sich die Türken und Bulgaren, wenn es nach dem Willen der deutschen und österreichischen Völkerbefreier geht, ganz ähnlich wie das mitteleuropäische Proletariat für ihre Knechtschaft unter deren Herrschaft schlagen.

Und noch ein anderes: So gewiss der Krieg an sich Mittel zum Zweck ist, nur die Wirkung der vorher bestehenden Kriegsziele, so hat er doch nicht nur seine weltwirtschaftliche und politisch-soziale, sondern auch seine rein militärische Logik, die das Kausalitätsverhältnis zwischen Krieg und Kriegsziel umkehren kann. Der Kriegsverlauf kann Kriegsziele erzeugen.C Im Westen war dem deutschen Vordringen ein vorzeitiges Ziel gesetzt. Den weit größeren Spielraum im Osten auszunutzen entsprach zwar nicht den ursprünglichen strategischen Plänen und dem Wesen der entscheidenden Kriegspolitik gegenüber Russland, wurde aber durch den Kriegsverlauf aus vielen Gründen militärisch unvermeidlich. Auch die Forcierung des Balkanfeldzuges – Herbst 1915 – wurde durch militärische Notwendigkeiten erzwungen.

So sind im Verlauf des Krieges die auf Russland bezüglichen Kriegsziele auch der Weltmachtpolitiker entstanden, von denen besonders die Agrarier durch Erlösung ihrer Standesbrüder in den Ostseeprovinzen, durch „Siedlungsland" und durch Aufnahme einer Portion russischer Rückständigkeit ihre Stellung in Deutschland zu stärken hoffen.D

Das Großreedereikapital war vor dem Kriegsausbruch kriegspolitisch wenig differenziert; nach Kriegsausbruch mochte es zunächst etwas schwanken; eine Vernichtung seines Hauptkonkurrenten England jedoch konnte ihm nur Herzenswunsch sein. Ballin war einer der ersten, der offen die Fahne „Calais" aufpflanzte. Er hat das Misstrauen, mit dem ihn noch Junius Alter überschüttet, wahrlich nicht verdient. Das beweist auch das Tirpitz-Telegramm vom nassen Dreieck zur Genüge.

Über die Kriegsziele des KanzlersE bemerkt Junius Alter u. a.: Belgien wolle er „in seiner staatlichen Selbständigkeit" „wiederherstellen", aber „durch ein Zoll- und Eisenbahnabkommen mit dem Deutschen Reiche verbinden"; die Festungen entweder mit deutschen Besatzungen versehen oder schleifen. Was Junius Alter als eine gefährliche Halbheit bezeichnet. In der Tat plant der Kanzler, wie er bereits im Winter 1914/15 den Vertretern der Reichstagsfraktionen eröffnete, außerdem die Auflösung des belgischen Heeres – höchstens eine kleine Polizeitruppe soll geduldet werden – und die Einführung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches; das heißt alles in allem: die Beseitigung der staatlichen Selbständigkeit und die zwangsweise wirtschaftliche Angliederung Belgiens.

Übrigens erwähnt Junius Alter auch S. 83, dass Erzberger als Vertrauensmann des Kanzlers sich um die belgische (und polnische!) Thronkandidatur bemüht habe.

Frankreich wolle der Kanzler schonen und versöhnen (!!): Das veranlasst ihn, „den Gedanken etwaiger Gebietsabtretungen von vornherein auf das Kohlen- und Erzgebiet von Briey sowie auf einige kleine strategische Grenzberichtigungen zu beschränken" (S. 70 ff.).

Polen wolle er in „politischer Selbständigkeit" „wiederherstellen" (etwa wie Belgien!) unter Erwerb gewisser für das Großkapital außerordentlich vorteilhafter Gerechtsame zur Ausbeutung vorhandener Kohlenschätze (S. 73 ff.).

Serbien und Montenegro (die „Konkursmasse") wolle er den übrigen Balkanstaaten (darunter vor allem natürlich Österreich) überlassen (S. 75).

Ein „großes mittelafrikanisches Kolonialreich" – Französisch-Kongo, Belgisch-Kongo usw. – erstrebe er „unter dem starken Einfluss des Kolonialstaatssekretärs Dr. Solf".

Von England wolle er koloniale Ausgleiche, bare Kriegsentschädigung und die „Freiheit der Meere" (durch Vertrag).

Nimmt man die übrigen Kanzlerabsichten auf Russland (Ostseeprovinzen usw.) und die Ägyptisierung der Türkei (vgl. die deutschen Beamten in der türkischen Verwaltung und die deutschen Militärs im türkischen Heer) sowie Persiens, das dem Einmarsch der türkischen Truppen selbstverständlich unter deutscher Ägide, soweit es bei der deutschen Regierung steht, preisgegeben ist, so erhält man ein ganz anständiges offizielles EroberungsprogrammF der deutschen Regierung. Auch wenn man ganz außer acht lässt, dass die Kanzlerpläne in Bezug auf Belgien und Frankreich bestimmt und geeignet sind, die ganze englische Frage (Norddepartements, Calais usw.) im Sinne des Junius Alter aufzurollen. Auch wenn Junius Alter damit noch nicht zufrieden ist und fordert, dass die Folgerungen, die sich aus dem Kanzlerprogramm automatisch ergeben, ausdrücklich, direkt und sofort als Kriegsziel aufgestellt werden.

Zu diesen Zielen, besonders dem nach Westen gegen England, Frankreich und Belgien, hat sich der Kanzler, wie erwähnt, bereits wenige Monate nach Ausbruch des Krieges bekannt, bei geheimen Besprechungen mit rücksichtsloser Deutlichkeit, öffentlich in allerhand schillernden Redewendungen. Tatsache und Hauptsache ist, dass schon allein die zwangsweise politische und wirtschaftliche Angliederung Belgiens, d. h. seine wirtschaftliche, seine Staats- und völkerrechtliche Unterwerfung unter deutsche Suprematie, in der Nussschale das Kriegsziel der Reventlow2 und Genossen enthält.G Das belgische Problem ist der Angelpunkt des deutsch-englischen Gegensatzes; es ist die Spindel, an der sich der ganze Faden automatisch abrollt. Auch das Bethmannsche Projekt ist nicht ohne völlige Niederwerfung Frankreichs und Englands zu verwirklichen. Es kleidet das Ziel nur in minder aufreizende Form und ist durch diese Eigenart das echteste Kind der außenpolitischen Rosstäuscherpolitik und Demagogie Bethmanns. Im Ausland gelingt die Spekulation nicht. Desto besser in Deutschland bei den „sozialdemokratischen" Durchhalte-Mameluken, die mit beiden Händen nach der gebotenen Finte greifen, um das annexionsfeindliche Gewissen des sozialistischen Proletariats jesuitisch zu betrügen.H

Dieses wahre Gesicht des Bethmannschen Kriegsziels noch dichter zu verschleiern, das ist im Punkt der Kriegspolitik der objektiv-historische Zweck des jetzigen Kampfs zwischen Kanzler und Fronde.

Dieser Trick bildet auch das Hauptstück des Friedensbereitschafts-SchwindelsI: Der gemäßigte Bethmann präsentiert sich den Massen; seine gemäßigten Forderungen sind aber genau so gefasst, dass sie der Gegner nicht akzeptieren kann und wird, ohne völlig niedergeworfen zu sein. Geht der Gegner nicht darauf ein, so erfolgt die in Aussicht gestellte Erhöhung der Forderungen. Entwickelt sich der Konflikt weiter, so heißt es, „seht die Unmäßigen, die eroberungswütigen Feinde, die die Schuld an der Fortsetzung des Krieges tragen". So sollen die Massen des Volkes eingefangen werden für die Regierung mitsamt ihren imperialistischen Kriegszielen.

Die Unterschiede zwischen den Kriegszielgruppen zu sehen, das ist für den Blindesten eine Kleinigkeit. Das ist aber für den Sozialisten heute auch politisch sehr nebensächlich. Worauf es für den Sozialisten heute ankommt, ist, zu erkennen, dass diese augenfälligen Unterschiede keine Unterschiede, d. h. politisch für ihn nicht wesentlich sind. Nicht Differenzierung, sondern Integration der Auffassung ist in diesem Punkte heute für ihn geboten.

In dem wesentlichen Ziele sind sich die Streitenden, und zwar aller Kriegszielrichtungen, im Schlussresultat einig. Nur in der Methode weichen sie ab. Die Fronde auch hier: offene forsche Draufgängerei, alle Knoten ohne Besinnen durchschlagen; im Sturm des furor teutonicus alles, auch die innerpolitischen Widerstände, nieder rennen; Vertrauen auf nackten inner- und außenpolitischen Terror und Bluff; Höchstschrauben der Forderungen, um so wenigstens möglichst breiten Raum zum Schacher zu gewinnen, ganz nach Art der agrarischen Handelsvertragspolitik.

Der Kanzler und seine Getreuen fügen zur Gewalt noch List nach außen und innen. Der Kanzler zieht es vor, wo angängig, sich die freiwillige Hilfe der Massen zu erlisten, statt sie brutal zu kommandieren. Diese erlistete freiwillige Hilfe schätzt er als wirksamer für die herrschenden Klassen denn die erzwungene. In der Tat ist ihm gelungen, die offiziellen sozialdemokratischen Instanzen auf das Prinzip des Vernichtungskampfes gegen England, Belgien und Frankreich, auf das Prinzip der deutschen Weltherrschaft zu verpflichten; vergleiche die Leitsätze vom August 1915 mit ihren allerdings versteckten Formulierungen, zu deren vollem Verständnis die Kenntnis ihrer Entstehungsgeschichte nötig ist.

Die Volksmassen fangen an, immer ungeduldiger zu werden und der Regierung immer mehr zu misstrauen.J Dem wirkt jener Kampf der „Fronde" entgegen, der dem Kanzler eine volkstümliche Folie geben soll. Denn die Einigkeitsphrase allein zieht längst nicht mehr. Den Ertrag dieses Unternehmens der Kanzler-Popularisierung zu Nutz und Frommen auch derer um Reventlow einzubringen, das ist die Zweckbestimmung des Wedelschen Nationalausschusses mit seiner Sammelparole.K

Man sieht: Auch soweit der wirkliche Scheinkampf in der Hitze der Ausführung und in der Selbsttäuschung der Akteure den Charakter eines eingebildeten Faustkampfes angenommen hat, bleibt er objektiv im Grundzug ein Spiel mit verteilten Rollen zwischen den Terroristen pures et simples und den Rosstäuschern.

b) Vom innerpolitischen Kriegsziel

Nicht anders mit den innerpolitischen Kriegszielen. Auch hier kommt es auf den geschichtlichen Sinn der Werke und Ziele an, nicht auf subjektive Luftspiegelungen.

Es dreht sich um die gesellschaftliche Macht, um die wirtschaftliche Macht und um die politische Macht als deren Werkzeug. Die herrschenden Klassen aller hochkapitalistischen Länder brauchen heute zu ihrer kapitalistischen Entfaltung weltwirtschaftliche und weltpolitische Macht. Aber die Weltmacht brauchen sie als ihre Klassenmacht. Die Grundlage ihrer Klassenmacht wiederum bildet ihre Herrschaft über das Proletariat, von der die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums abhängt und also auch der Ertrag aller weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Erfolge für sie. Ihre innerpolitische Machtstellung ist für sie auch im Kriege fundamental. Ein Sieg im Weltkriege, mit Verlust oder wesentlicher Einschränkung der Klassenherrschaft erkauft, hieße Schwächung ihrer klassenmäßigen, ihrer imperialistischen Macht und wäre vom kapitalistischen Standpunkt in der Tat schlimmer als eine Niederlage, bei der die Klassenherrschaft ungeschmälert erhalten bliebe.

Drei Sätze sind festzuhalten für den Zusammenhang der inneren und äußeren Politik der herrschenden Klassen in Bezug auf den Krieg.

Bedrohung der Klassenherrschaft durch innerpolitische und soziale Krisen kann zur Anwendung des bonapartistischen Mittels einer Ablenkung der inneren Unzufriedenheit nach außen, einer Ertränkung der sozialen Verzweiflung in einer Sturmflut des Chauvinismus führen. In solchen Lagen heißt es: plutôt la guerre que la révolution – lieber Krieg als Revolution. Kann ein Krieg durch einschneidendere Zugeständnisse an die Demokratie abgewendet werden, so werden sich's die herrschenden Klassen dreimal überlegen und, wenn ihnen direkt das Messer an der Kehle sitzt, antworten: Lieber Krieg als Reform! Das neueste, lebendige Beispiel ist die Vorgeschichte der rumänisch-österreichischen Kriegserklärung. Selbst die „Tägliche Rundschau" goss im Frühjahr 1915 ihre Bitterkeit gegen die übermütige Provokation der ungarischen Rumänen durch die ungarische Magnatenregierung aus, die – unter Tisza, dem brutalen Fronvogt des ungarischen Volkes – jede Wahl- und Schulreform ablehnte, obwohl eine solche Reform, wie heute wieder die „Tägliche Rundschau" verblümt zugibt, den neuen Kriegsausbruch hätte verhindern können.L

Ist eine erfolgreiche Fortsetzung des Krieges nach den innerpolitisch-sozialen Verhältnissen nur möglich unter demokratischen Zugeständnissen, unter Verschiebung der Machtverhältnisse im eigenen Land zuungunsten der herrschenden Klassen, so taucht für diese die Frage auf, ob eine derartige Fortsetzung nicht schädlicher für ihre Klasseninteressen ist als selbst eine Kapitulation vor dem äußeren Feind. In diesem Sinne ist in den Reaktionären RusslandsM wie in den Reaktionären Deutschlands auch während dieses Kriegs der Gedanke lebendig: Lieber ein vorzeitiger Abbruch des Kriegs, lieber ein Verzicht auf Entfesselung aller Volkskräfte für seine siegreiche Beendigung als ein Sieg der Demokratie, des Proletariats, als ein Verlust der politischen, der wirtschaftlichen MachtN, als eine Preisgabe der Ausbeutungsfreiheit, des Privilegienwahlrechts, der Polizeiwirtschaft, des Militarismus, der Monarchie, ja selbst der Steuerausplünderung und des Zollwuchers.O

In diesem Sinne ist das wirklich landesverräterische: Lieber Niederlage als Revolution, in dem die Gottesgnadentümler und die Geldsackgnadentümler aller Länder übereinstimmen, das höchste und heiligste Gebot der kapitalistischen wie jeder anderen Klassengesellschaft. Und ihr aufrichtigstes Bekenntnis: Was hülfe mir, dass ich die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an meiner Klassenherrschaft! Und die Heilige AllianzP, obzwar ungeschrieben, eine immanente Wahrheit auch des imperialistischen Zeitalters trotz aller weltpolitischen Nebenbuhlerschaft, eine Wahrheit, deren jetzige Parodierung durch eifrige gegenseitige Revolutionsstifterei sicherlich zu den ephemersten Erscheinungen des Weltkrieges gehört.

Jenes plutôt des déserts que des peuples révoltés, lieber Wüsteneien als aufrührerische Völker, das verruchte Feldgeschrei, mit dem die deutsche und russische Barbarei im Bunde mit dem feudalen Frankreich gegen das revolutionäre Frankreich zog, gehört nicht der Vergangenheit an.

Wenn kriegerische Triumphe Hand in Hand gehen mit der Niederhaltung oder Niederwerfung des Proletariats, dann, aber nur dann scheint den herrschenden Klassen des Imperialismus das tausendjährige Reich anzubrechen.

Dies lehrt auch, dass ernstliche soziale oder innerpolitische Zugeständnisse an die Masse der Bevölkerung mit den Tendenzen des Kapitalismus auch im Weltkriege im schroffen Widerspruche stehen, in um so schrofferem Widerspruch, je mehr der Krieg auch bonapartistischen Wurzeln entsprang, d. h. eben dem Bestreben, ernstlichen sozialen oder innerpolitischen Zugeständnissen auszuweichen. Freiwillige Zugeständnisse solcher Art würden geradezu die freiwillige Preisgabe des bonapartistischen Kriegszwecks bedeuten. Hier offenbart sich das funktionelle Verhältnis zwischen bonapartistischer Kriegsursache und bonapartistischem Kriegszweck, das Verhältnis zwischen causa efficiens und causa finalis.Q

Die Kapitulation vor dem äußeren Feind, die Niederlage im Krieg ist jedoch nicht bloß eine außenpolitische Angelegenheit. Hier setzt ein verzweifelter Antagonismus ein. Der dritte Satz lautet: Gerade die Niederlage und überhaupt jeder ernsthafte außenpolitische Misserfolg pflegt die innerpolitische Kraft der Herrschenden zu schwächen und die der demokratischen Faktoren zu stärken. In diesem Dilemma befinden sich die herrschenden Klassen aller Länder im gegenwärtigen Kriege. Doch lässt sich nicht bezweifeln, dass das „Lieber Niederlage als Machtstärkung der Massen" bei der Stumpfheit und Verwirrtheit der Bevölkerung in allen Ländern vorläufig noch keine entscheidende Rolle spielt. Ja, im Verhältnis zur Zeit vor dem Kriege sind in allen Ländern, abgesehen vielleicht nur von Russland, die demokratischen Einflüsse für die Gegenwart wenigstens weit zurückgedrängt. In den einst demokratischen Ländern, Frankreich, England, Italien, hat der Krieg bisher zu einer nie geahnten Reaktion auf allen Gebieten geführt.

Um so stärker tritt in den Vordergrund die ungeheure Gefahr, die die Niederlage für die herrschenden Klassen und am meisten für ihre Ultras bietet. Und diese Gefahr drängt die Bedrohten dazu, mit allen Energien gegen einen ungünstigen Abschluss des Krieges anzukämpfen, alles einzusetzen, um nicht nur einen Sieg, sondern einen glänzenden, einen großen Sieg zu erkämpfen, der allein ihnen über den Krieg hinaus die Erhaltung oder gar Verstärkung ihrer bisherigen innerpolitischen und sozialen Machtstellung und damit zugleich die klassenmäßige Ausnutzung des kriegerischen Erfolges gewährleisten kann.R Erwägt man dazu, welch riesiges Interesse die herrschenden Klassen aus wirtschaftlichen und weltpolitischen Gründen an der Erreichung ihrer hochgespannten äußeren Kriegsziele haben, auch um sich bei der etwaigen Bildung mehr oder weniger geschlossener Wirtschaftsgebiete vertrusteter Staatenkomplexe einen möglichst großen weltwirtschaftlichen Spielraum zu sichern, so erklärt sich die ungeheure Leidenschaftlichkeit, mit der sie jeden Gedanken eines Friedens der „Verständigung", jeden Gedanken eines Verzichts auf ihre Kriegsziele verpönen.

Was kommt es neben der robusten Urwüchsigkeit dieser Antriebe darauf an, ob etwa den Kanzler in bleichen Nächten bänglich schwankende Kompromiss- und Rückversicherungsgedanken anwandeln, die zwischen der Skylla eines kriegerischen Misserfolges und der Charybdis einer Schwächung oder gar eines Zusammenbruchs der Klassenherrschaft hindurch zu lavieren und jetzt schon auf das Schlimmste vorzubereiten suchen?

Die Massen sollen den herrschenden Klassen die imperialistischen Kastanien aus dem Kriegsfeuer holen und zugleich die Zwingburg ihrer eigenen Hörigkeit mit neuen Mauern umgürten helfen. Denn die herrschenden Klassen führen den Krieg für die Steigerung ihres Reichtums, für die Stärkung ihrer außen- und innerpolitischen Macht, die proletarischen Massen für die Mehrung ihres eigenen Elends, für die Festigung ihrer eigenen Ketten.

Das ist der Katechismus der maßgebenden Kriegspolitik.

Keinen Widerspruch zum Bonapartismus der Ablenkung nach außen, vielmehr seine Ergänzung bildet die andere bonapartistische Methode, durch Scheinzugeständnisse, trügerische Versprechungen, gleißende Hoffnungen die Massen in die Falle des Imperialismus zu ködern und so zu betören, dass sie den Fuß der Unterdrücker frohlockend selbst auf ihren Nacken heben und sich willig zum Schemel der herrschenden Gewalt machen.

Diese Methode birgt allerdings die Gefahr jeder Demagogie; indem sie Erwartungen weckt und nährt, denen die Enttäuschung prädestiniert ist, kann sich das Übel, dem sie vorübergehend abhilft, in der Zukunft nur allzu leicht verschärfen.S

Sie läuft auf eine nicht minder verzweifelte Spekulation hinaus wie die andere.

Aber die kapitalistische Entwicklung konnte dem Krieg nicht entfliehen, er war ihr geschichtliches Fatum. Alles müssen die herrschenden Klassen daransetzen, zu verhindern, dass ihnen bei dieser höchsten Kraftprobe die soziale Revolution in den Arm fällt. Gewiss gab es Politiker einer grob-mechanischen Gesellschaftsbetrachtung, die da meinten, die Gelegenheit des Kriegs bequem ausnutzen zu können, um den Massen mit Flinte und Säbel die revolutionären Mucken auszutreiben und ihre organisatorischen Machtvorstellungen manu militari ohne Federlesen durch Auflösung, Konfiskation, Einsperrung zu zertrümmern. Ein kurzer schneidiger Bürgerkrieg à la Bissing3 als Einleitung zum Weltkrieg. Doch nur beschränkte Kurzsichtigkeit kann verkennen, dass der Erfolg einer solchen Politik der „gepanzerten Faust" nach innen schwerlich längere Dauer verspräche als die Erfolge demagogischer Täuschung und Verwirrung. Und die letztere Methode eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, die lebendigen Kräfte der Massen, statt sie als ein störendes HindernisT im Wege des Imperialismus zu finden, geradewegs vor den Sichelwagen des Imperialismus zu schirren.

Wenn daher bei Ausbruch des Weltkrieges die Gewaltpolitiker pures et simples sehr zur Eisenbartkur gegen das Proletariat geneigt sein möchten, die Einsichtigeren von ihnen werden nach kurzem Besinnen befriedigt gewesen sein, als sie den bequemen Erfolg der Bethmannschen Rosstäuscherpolitik vor sich sahen: die union sacrée des 4. August, das neue Pfingstwunder einer Ausgießung der heiligen Einfalt!U

Die deutsche Sozialdemokratie, den Staub der Hohenzollern fressend, und mit Lust! „Schon dieser Erfolg lohnte den Weltkrieg!" Das Wort des „Temps" über den Zusammenbruch des französischen Sozialismus galt hier doppelt.

Aber mit der Dauer des Kriegs zeigte sich immer klarer, wie wenig in den Massen selbst die revolutionäre Glut erloschen war, und die Gefahren der Demagogie begannen sich zu melden. Der Krieg ward zu einer ungeheuerlichen sozialen Belastungsprobe, die spätestens bei seiner Liquidation die gewaltigsten sozialen Spannungen erzeugen muss.

Auch hier nur der eine Rettungsanker: ein großer Sieg mit gewaltigen Eroberungen! Nur er kann die Möglichkeit schaffen, nach dem Krieg die Massen durch Glanz und Glorie zu blenden, um die Erfüllung erweckter Hoffnungen zu betrügen und so im Helotentum zu erhalten; nur er verspricht den herrschenden Klassen erhöhte Macht zur Zurückdrängung revolutionärer Strömungen. Niederlage bedeutet fast Sicherheit der Revolution, ein Friede der Verständigung mindestens die Wahrscheinlichkeit einer ernsten Machtverschiebung zur Demokratie.

Freilich, je länger der Krieg dauert, um so mehr wächst im verhängnisvollen Zirkel das furchtbare soziale Risiko der Gewalthaber, um so mehr geht's ums Ganze: va banque! Mögen sich die Massen im Felde ihre Nerven- und Körperkraft zerrütten und Weißbluten – vielleicht rettet der Aderlass vor der Revolution! Vorwärts zum großen Sieg!

Aber da liegt die union sacrée im Wege. Solange der Bund der heiligen Einfalt besteht, ungeniert und offen die letzten imperialistischen Forderungen amtlich zu propagieren ist schwierig. So wuchs bei den Ultras das Verlangen nach schleunigem Abbau der union sacrée Je leichter der Erfolg des 4. August errungen war, um so leichter meinte man jetzt den anderthalb Scheidemann wieder januschauerlich4 kommen zu können. Innerpolitische Überleitung in den Friedenszustand! Besser gleich als später; noch hat man die 42-cm-Gewalt mobilisiert in Händen!

Auch hier der Kanzler und mit leichten Schattierungen alle bürgerlichen Parteien mit der Fronde zum Ziel völlig einig. Die union sacrée auch ihm nur ein Mittel zum Zweck, die Klassenherrschaft zu stützen. Auch er hat genugsam bewiesen, dass er nicht an ernsthafte politische und soziale Zugeständnisse denkt. Er rechnet darauf, mit silbernen Nixchen und goldenen Warteeinweilchen noch lange fort wursteln zu können. Er weiß Scheinzugeständnisse von ernstlichen Machtzugeständnissen wohl zu unterscheiden. Er hat genugsam bewiesen, dass er die Wichtigkeit der preußischen Eigenart, vom Privilegienwahlrecht und dem Verwaltungsabsolutismus bis zur nationalen Wirtschaftspolitik und zum Trottschen Muckertum, als festen Halt für Kapitalismus und Monarchie wohl zu schätzen weiß. Und welcher Tor wollte wähnen, dass er an der Geheimdiplomatie zu rütteln gedenkt oder gar an dem unverhüllten Absolutismus der äußeren PolitikV und an den mächtigen Stützpfeilern von Thron und Altar, an Polizei und Militarismus, deren Kraft im Zeitalter des Belagerungszustandes ins Ungemessene gestiegen ist? Der Kanzler aber hat nach den bisherigen Erfahrungen das begründete Vertrauen, dass die Durchhalte-Genossen mit ihm auch im Punkte Kriegsziel unentwegt und begeistert weiter durch dick und dünn stapfen werden.W

Auch für den Kanzler ist es völlig klar, dass es um die Weltmacht und Klassenherrschaft zugleich geht.XY

Auch hier und überall sonst, wo immer man dem Konflikt auf den Grund sieht, letzten Endes nur ein Unterschied der Methode, der Taktik und im Übrigen ein Spiel mit verteilten Rollen, das die Regierung befähigt, zwei Eisen im Feuer zu halten: das der Popularitätshascherei, des Neuorientierungstrugs – das ist der Schein, die esoterische Seite der Regierungspolitik, und das der nackten Reaktion und Scharfmacherei: das ist die Wirklichkeit der Säbeldiktatur, das ist die esoterische Seite der inneren Regierungspolitik, die sich durchsetzt, während sie vom Kanzler scheinbar heftig bekämpft wird.

A Überreicht August 1916. – Von einer systematischen Behandlung des Funktionsverhältnisses zwischen Kriegsursache, Kriegsziel und Kriegsmitteln muss hier leider abgesehen werden.

1 Paul Rohrbach (geb. 1869), chauvinistischer Schriftsteller, der den Kampf des deutschen Imperialismus um die gewaltsame Neuaufteilung der Welt zu rechtfertigen suchte; trat vor allem für die Expansionslinie Südosteuropa- Kleinasien ein. Die Red.

B In Anknüpfung an die Kanzlerrede vom 28. September 1916, die dem Blutzaren verheißungsvoll aufatmende Blicke zuwarf, begannen die bürgerlichen Parteien, offenbar im Einverständnis mit der Regierung, eine Revision des deutschen Standpunkts in der Dardanellenfrage zugunsten Russlands zu propagieren. Vgl. besonders Spahn im Reichstag, Bassermann in der „Badischen Landeszeitung" („Vorwärts", 3. 10. 16), „Berliner Tageblatt", 21. 10. 16, „Deutsche Tageszeitung", 22. u. 24. 10. 1916. Übrigens waren sehr einflussreiche kapitalistische Kreise Deutschlands schon vor dem Kriege zur russischen Lösung der Dardanellenfrage bereit. Vgl. auch Diplomaticus in „B. Z." vom 14. 10. 16.

C Die Kriegführung wird wiederum vielfach durch die Anleihebedürfnisse (Stimmungsmache!) beeinflusst, so dass insoweit die Kausalitätsreihe wieder zu dem Ausgangspunkt des nackt kapitalistischen Antriebs zurückkehrt.

D Über die Begierde gewisser Schwerindustriekreise nach dem polnischen Minen- und Industrierevier vgl. „Klassenkampf", S. 71.

E Einige „Enthüllungen" der „Fronde" über die Idealität der Kanzlerpläne : Nach Junius Alter verfolgt seine Politik nackteste Händlerinteressen (S. 13). Zum Kriegsziel des Kanzlers im Westen bemerkt er (S. 71): „Vor der Industrie und damit in weiterer Auswirkung auch vor händlerischen Rücksichten glaubte er demnach (Kohlen- und Erzgebiet von Briey!) … nicht wohl vorbeizukommen." Und weiter: „Dass dabei in die ganze belgische Frage in sehr starkem Maße gewisse Sonderinteressen hineingespielt haben, für die nicht bloß das Wort ;Antwerpen' kennzeichnend ist" (S. 70). Sodann, dass der Kanzler in Russland (Polen) den „Erwerb gewisser Gerechtsame zur Ausbeutung vorhandener Bodenschätze" anstrebe, was „für das Großkapital außerordentlich vorteilhaft" sein würde (S. 73 ff.). Schließlich, dass des Kanzlers Haltung zu Amerika „weitgehend von den Anschauungen Herrn Ballins und seiner Gesinnungsfreunde im Großhandel und auf dem Kapitalmarkte beeinflusst" sei (S. 94).

Vgl. dazu „Tägliche Rundschau" vom 24. 2. 1915 und die „Post" vom 24. 2. 1915 über die Großfinanz und die Wilhelmstraße.

F „Eroberung! Nennt es Sicherung!" schrieb schon am 3. September 1870 Ferdinand Kürnberger gegen das „perfide Judaswort: Deutschland will keine Eroberungen!"

2 Ernst Graf zu Reventlow (1869-1943), bis 1899 aktiver Seeoffizier, dann Schriftsteller, marinetechnischer Berater an einigen Zeitungen, z. B. „Berliner Tageblatt", „Kreuz-Zeitung", „Deutsche Tageszeitung"; trat während des ersten Weltkrieges für eine rücksichtslose Kriegführung mit allen Mitteln ein, besonders im U-Boot-Krieg; war Hauptvertreter eines annexionistischen Friedens. Die Red.

G Der Kanzler (nach Prof. Vallentin): „Wenn ich Belgien herausgebe, kann ich jeden Tag Frieden mit England machen" (Bacmeisters Denkschrift vom September 1916 an den Reichstag).

H Als der Kanzler am 8. Dezember 1915 von Einfalltoren und Faustpfändern redete, erfüllte der „sozialdemokratische" Advokat Landsberg seine Aufgabe, diese offenen Bekenntnisse zur Eroberungspolitik für die Massen zu verschleiern, indem er die „Einfalltore" unterdrückte und von den Faustpfändern jesuitisch meinte: Pfänder pflegten doch zurückgegeben zu werden. Dass sie aber für etwas anderes zurückgegeben zu werden pflegen, verschwieg er. Zum Dank für den Judasdienst am Sozialismus beklatschte der Kanzler seine Rede, eine Zweideutigkeit, die von „sozialdemokratischen" Gebärdenspähern und Geschichtenträgern mit dem Eifer römischer Haruspizes erörtert wurde, gleich, als gelte es aus den Eingeweiden des Kanzlers zu weissagen. Dafür warf sich dieser biedere Sekundant der Kanzlerdemagogie unmittelbar nach der Reichstagssitzung in der Fraktion für die – Narewlinie ins Zeug!

Scheidemann behauptet in seiner Breslauer „Indiskretions"-Rede, der Kanzler habe ihm versichert, keine Annexionen anzustreben. Narrenpossen! Als ob Staatsmannsversicherungen und nicht vielmehr der objektive geschichtliche Charakter des Krieges die Grundlage der politischen Haltung zu bilden hätten! Aber auch eine bewusste Lüge, da der Kanzler in Wahrheit gerade auch in Gegenwart von Scheidemann schon vor Tag und Jahr insgeheim seine Eroberungspläne im einzelnen mitgeteilt hat und die öffentlichen Bekenntnisse vorliegen.

Nicht minder unwahrhaftig und jesuitisch sind die jetzigen Erklärungen und Proteste gegen die ehrlichen Bekenntnisse des Plumpsacks Haenisch („Vorwärts", 5. 9. 1916 und ff.).

I Die „Friedenspropaganda des „sozialdemokratischen" Parteivorstandes wird natürlich gern gesehen, da sie nur eine Durchhalte-Propaganda unter demagogischer Larve ist und unentbehrlich für die Erhaltung eines ernstlichen Einflusses des Parteivorstandes auf die Massen, eines Einflusses, den die Regierung braucht. Zur Popularisierung dieser Propaganda und zur schamvollen Verhüllung ihres offiziösen Charakters werden ihr nach berühmtem Muster hie und da ein paar Feigenblätter angeklebt: kleine Scheinverfolgungen. – Aus England: Asquith am 21. 8. 16 im Unterhaus völlig zutreffend: Die deutsche Regierung habe „bisher keine Geneigtheit zu einem Frieden bekundet, außer unter Bedingungen, die für einige der Alliierten unerträglich oder eine Demütigung sein würden". Auch Lord Cecils Äußerung im Unterhaus vom 23. 8. 16 zeigt weit eher Friedensbereitschaft als die Siegesbereitschafts-Reden des deutschen Kanzlers, der seine Eroberungspolitik jetzt wieder unmittelbar vor der „sozialdemokratischen" Durchhalte-Reichskonferenz und vor der Septembertagung des Reichstags – durch die ganz tirpitzianische Ausschlachtung eines beliebigen englischen Zeitungsartikels („National Review") zu fördern sucht.

J Nach den großen Proteststreiks von Ende Juni, Anfang Juli d. J., die die Rüstungsindustrie gehörig trafen, traten nicht nur der „sozialdemokratische" Parteivorstand und die Generalkommission – Arm in Arm mit den Leitungen der christlichen, Hirsch-Dunckerschen und polnischen Gewerkschaften – als regierungsfromme Denunzianten auf den Plan. Es wurden auch von den Behörden selbst direkte und umfassende Maßregeln ergriffen. Nicht nur zahlreiche Verhaftungen und Verschickungen besonders Verdächtiger sondern auch Verschiebungen großen Stils der Arbeitermasse in der Waffen- und Munitionsindustrie. In Groß-Berlin allein wurden über 50.000 solcher Arbeiter an die Front geschafft und durch Soldaten aus der Front ersetzt. Der fieberhaften Spitzeltätigkeit gelangen einige Fänge, was Organe der „Mehrheit" mit einem Beifall begrüßten, der zeigt, was „Umlernen" heißt. – Übrigens fanden auch im August erhebliche politische Streiks und andere Massenkundgebungen gegen den Krieg – Nahrungsmittelkrawalle usw. statt. – Auch in den Truppenkörpern erfolgen systematisch und fortlaufend Auswechselungen und Neumischungen der Mannschaftsbestände, um der Entwicklung eines gefährlichen Korpsgeistes vorzubeugen. Dennoch nehmen die individuellen Desertionen und Gehorsamsverweigerungen und auch die deutschesten Stimmungsausbrüche ganzer größerer Truppenkörper zu.

K Die wesentliche Identität seines Programms mit dem der „Fronde" (Schäfer) bestätigt jetzt wieder u. a. Graf Dohna – vgl. „Vorwärts", 17. 9. 16. Er hangt und bangt ja auch von Kindesbeinen an nach einem Bündnis mit den Tirpitzianern

L Vgl. „Tägliche Rundschau", 28. 8. 16 (Nr. 438); übrigens auch „Berliner Tageblatt", Nr. 440.

M Der russische Publizist Bulatzel „spricht mutig aus, was andere konservative Publizisten nur vorsichtig ausdrücken, nämlich dass ihnen das monarchische Prinzip höher steht als ein entscheidender Sieg über Deutschland" („Retsch", zitiert „Deutsche Tageszeitung", 28. 8. 16).

N Vgl. auch „Vorwärts" (Leitartikel) vom 3. Oktober 1916 über Stresemann.

O Das ist der tiefere Sinn des Satzes bei Blume, S. 78: „Es ist keineswegs undenkbar, dass ein Staat selbst bei einem für ihn günstigen Verlauf des Waffenganges durch passiven oder aktiven Widerstand seiner Bevölkerung verhindert werden könnte, den Krieg zu gutem Ende zu führen."

P Napoleon auf Sankt Helena beschwerte sich bekanntlich: Die „Heilige Allianz" sei eine „Idee", die man ihm „gestohlen" habe; er habe eine „Versammlung großer Souveräne" angestrebt, in der sie „ihre Interessen wie im Familienkreise besprechen" sollten.

Q Da schwätzt im „Berliner Tageblatt" (9. 9. 16) ein Adolf Matthias „beruhigend"': Weil der Eingänger von Oertzen in einem Thimmeschen Allerwelts-Simmelsammelsurium ein paar nicht ganz Heydebrandisch klingende Redensarten gemacht hat, sollen „die Pessimisten, die auf die Reaktion in den Jahren nach 1815 verweisen", „abgetan" sein. Was sich, der Mann wohl denkt! [Karl Liebknecht nennt irrtümlich Paul Michaelis als Autor.]

R Kapp malt die „Gefährdung des monarchischen Gedankens durch einen faulen Frieden, die Erhöhung des kaiserlichen Ansehens durch einen glanzvollen Frieden" in lebhaften Farben, während er gleichzeitig über die „Angst vor den Massen" und vor – den teuren Preisen höhnt.

S Junius Alter, S. 60 ff., meint, der Kanzler habe wohl ganz vergessen, „dass das von ihm im Rausche des vermeintlichen Erfolges gegebene Versprechen eines Tages der Regierung (und vielleicht mehr noch der Krone!) in einer sehr peinlichen Ausdeutung zur Einlösung vorgelegt werden könne".

3 Am 30. April 1907 erließ der kommandierende General des VII. Armeekorps in Münster, Freiherr von Bissing, einen Befehl mit detaillierten Anweisungen darüber, wie sich die Truppen bei Unruhen, im Falle des Belagerungszustandes, bei Straßenkämpfen usw. zu verhalten hätten. Dieses Dokument war ein typisches Beispiel für die Brutalität, mit der der bürgerlich-junkerliche Staat gegen die Arbeiterklasse vorzugehen gedachte. (Den Wortlaut des Dokuments siehe Zeitschrift für Geschichtswissenschaft [Berlin], VI. Jg. 1958, Heft 6, S. 1302 bis 1305.)

T Junius Alter ist – post festum – sehr optimistisch. Er meint S. 60 ff.: „Die angeborene Vaterlandsliebe und die nicht minder angeborenen kriegerischen Tugenden" hätten von vornherein für „Generalstreik und ähnliche Dummheiten" keinen Raum gelassen. Deshalb hätte „die Regierung keine Rücksichten zu nehmen" gebraucht. Statt dessen habe sie mit den sozialdemokratischen Führern verhandelt, von Neuorientierung geredet usw.

U „Der deutsche Nationalfeiertag soll der 4. August sein", wenn es nach dem Zentrums-Kuckhoff geht („Berliner Tageblatt", 29. 8. 16).

4 Der Konservative Elard von Oldenburg-Januschau (1855–1937) hatte am 29. Januar 1910 im Reichstag provokatorisch erklärt: „Der König von Preußen und der Deutsche Kaiser muss jeden Moment imstande sein, zu einem Leutnant zu sagen: Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag." (Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, II. Session, Bd. 259, Berlin 1910, S. 898.)

V Vgl. Jagows Antwort auf meine Anfrage vom November 1915 wegen Demokratisierung der äußeren Politik (Reichstag, 14. 12. 1915). – Die nationalliberale Nouveauté eines „Reichskriegsrats" („National-Zeitung" vom 14. 9. 16) soll zwar kein moderner „Reichskriegswurstschnapprat" habsburgischen Angedenkens werden, aber auch nichts weniger als eine „parlamentarische Körperschaft".

Es handelt sich genau wie bei dem Vielhab ersehen „Staatsrat für äußere Politik" (vgl. „Berliner Tageblatt", 12. 9. 16) nur um einen Aufsichtsrat der herrschenden Klassen über den Vorstand ihres Staatsgeschäfts, genannt Regierung, die zwar auch ein Ausschuss der herrschenden Klassen ist, und zwar der geschäftsführende, aber bei ihrem bürokratischen Charakter nicht die erwünschte Elastizität, Beweglichkeit, Unmittelbarkeit besitzt. Kurz, es handelt sich um eine Verbreiterung und Verdeutlichung der kapitalistischen Herrschaftsform.

W Sie würden auch einem Tirpitz unentwegt zu Diensten stehen.

X Junius Alter, S. 99: „Es ist klar, heute geht es aufs Ganze: für unser Volk, für das Reich, aber letzten Endes auch für die Krone." Es drohen Gefahren, „gegen die der Ernst des Weltkrieges ein Kinderspiel gewesen sein könnte" (d. h. die Revolution, die Demokratie, die Freiheit des deutschen Volkes!).

Y Schon sammeln sich in Deutschland die kapitalistischen und feudalen Mächte zur gemeinsamen wirtschaftlichen Interessenvertretung, zur „geschlossenen Phalanx" gegen das „Überwuchern des Staatssozialismus nach dem Kriege", in der nun auch der Handel von Agrariern als „produktiver Faktor" anerkannt und mit offenen Armen aufgenommen wird: vgl. Hoeschs Schrift über „Die wirtschaftlichen Fragen der Zeit" und Arthur Dix, „Deutsche Tageszeitung" vom 26. 10. 1916.

Kommentare