Rosa Luxemburg‎ > ‎1917‎ > ‎

Rosa Luxemburg 19170428 Zur Geschichte des Maitages

Rosa Luxemburg: Zur Geschichte des Maitages

28. April 1917

[Der Kampf (Duisburg) Nr. 47, 28. April 1917. Nach Franz Mehring, Gesammelte Schriften, Band 4, S. 428-430. Laut Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Band 7.2 stammt der Artikel in Wirklichkeit von Rosa Luxemburg]

Zum dritten Male im Laufe des Weltkrieges kehrt der Weltfeiertag des internationalen Proletariats wieder. Geboren in der freudigen Begeisterung, womit sich 1889 auf dem Pariser Kongresse die II. Internationale gebildet hatte, ist sein Leben zugleich das Leben der II. Internationalen, und ganz besonders spiegelt sich in seiner geschichtlichen Entwicklung die geschichtliche Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie wider.

Es ist wahr: Der internationale Kongress in Paris hatte nicht ausdrücklich vorgeschrieben, dass der erste Mai durch eine allgemeine Arbeitsruhe gefeiert werden solle. In seinem Beschluss vom 19. Juli bestimmte er, es sollte „für einen bestimmten Zeitpunkt eine große internationale Kundgebung organisiert werden, und zwar dergestalt, dass gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung zu richten hätten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des Internationalen Kongresses zur Ausführung zu bringen". Mit Rücksicht darauf, dass eine solche Kundgebung bereits von dem amerikanischen Arbeiterbund auf seinem im Dezember 1888 in St. Louis abgehaltenen Kongress für den ersten Mai 1890 beschlossen war, wurde dieser Zeitpunkt als Tag der internationalen Kundgebung angenommen. Endlich wurde noch bestimmt, dass die Arbeiter der verschiedenen Nationen die Kundgebung in der Art und Weise, wie sie ihnen durch die Verhältnisse ihres Landes vorgeschrieben werde, ins Werk zu setzen hätten.

Allein als der erste Mai 1890 herannahte, wurde dieser Beschluss von der deutschen Arbeiterklasse im Sinne einer allgemeinen Arbeitsruhe am ersten Mai aufgefasst. Die deutschen Arbeiter befanden sich damals in der hoffnungsfrohesten und siegesgewissesten Stimmung. Sie hatten am 20. Februar 1890 einen gewaltigen Wahlsieg erfochten, ihren Bedränger Bismarck, den „Herkules des 19. Jahrhunderts", gestürzt und tatsächlich das Sozialistengesetz zertrümmert, wenn es formell auch noch bis zum 30. September dieses Jahres fortlief. Der junge Kaiser hatte durch die Februarerlasse eine Ära monarchischer Sozialreform angekündigt, aber sich gleichzeitig als Todfeind der Sozialdemokratie bekannt.

In ihrer kampflustigen Stimmung beschloss eine Reihe von deutschen Arbeiterorganisationen, den ersten Mai durch die Einstellung der Arbeit zu feiern. Aber da trat am 13. April die neu gewählte Reichstagsfraktion in Halle zusammen und schüttete Wasser in den brausenden Wein: Sie konnte es „mit ihrem Gewissen nicht vereinigen", den ersten Mai als einen Tag allgemeiner Arbeitsruhe zu empfehlen. Sie berief sich auf den Wortlaut des Pariser Beschlusses: „…insbesondere ist nicht davon die Rede gewesen, dass am ersten Mai die Arbeit ruhen solle. Wäre eine derartige Absicht ausgesprochen worden, so wäre sie auf entschiedenen Widerstand gestoßen, ebenso wie der Vorschlag, einen allgemeinen Streik zu organisieren, welcher Vorschlag von deutscher Seite bekämpft und von dem Kongress zurückgewiesen wurde." Dazu wurde eine Reihe politischer Bedenken aufgezählt.

Deutlicher und kürzer als in dem Aufruf der Reichstagsfraktion wurden diese politischen Bedenken in einem Brief dargelegt, den Engels am 19. April 1890 an Sorge richtete. Er schrieb: „Auf den 1. Mai bin ich begierig. In Deutschland war es Pflicht der Reichstagsfraktion, den übertriebenen Gelüsten entgegenzutreten. Die Bourgeois, die politische Polizei, bei der es jetzt ,ums Brot geht', die Herren Offiziere, sie alle möchten gern dreinschlagen und schießen und suchen jeden Vorwand auf, dem jungen Wilhelm zu beweisen, dass er nicht rasch genug schießen lassen kann. Das würde aber unser ganzes Spiel verderben. Erst müssen wir das Sozialistengesetz los sein, d.(h. den 30. Sept. überstanden haben. Und dann machen sich die Dinge in Deutschland gar zu prächtig für uns, als dass wir sie uns durch pure Renommage verderben sollten. Im Übrigen ist die Proklamation der Fraktion schlecht, sie ist von Liebknecht, und der Blödsinn vom ‚allgemeinen Strike' ganz überflüssig. Aber einerlei wie, die Leute sind durch den 20. Febr. so gehoben, dass sie einer gewissen Zügelung bedürfen, um keine Dummheiten zu machen."1 So schrieb der damals erste Mann des internationalen Proletariats, und wir führen sein Zeugnis um so lieber an, als wir weit entfernt sind, die Schuld daran, dass der Aufruf der Reichstagsfraktion der deutschen Maifeier von vornherein das Rückgrat gebrochen hat, auf die Personen dieser Fraktion zu schieben. Sie waren die Opfer eines allgemeinen Irrtums. Aber wenn es menschlich ist zu irren, so ist es durchaus nicht menschlich, im Irrtum zu beharren, nachdem seit fast einem Menschenalter das Maifest aus einem Weltensturmlauf des Proletariats, so wie sein Gedanke in den Arbeitermassen gezündet hatte, zu einem harmlosen Familienfeste geworden war, bei dem es als oberstes Prinzip galt, dass nur ja keiner seiner Teilnehmer irgendeine Gefahr liefe. Im Grunde hatten die offenherzigen Seelen, die schon lange Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges die Maifeier als ein überflüssiges Dekorationsstück beseitigen wollten, bessere Gründe geltend zu machen als wir anderen, die auf den trügerischen Schimmer einer besseren Vergangenheit nicht verzichten mochten.

Für die Arbeiterklasse bleibt es für immer bei dem Worte des sterbenden St. Simon: Man muss begeistert sein, um große Dinge zu vollbringen, und selbst der ehrwürdige Staatsminister v. Goethe hat sich, als längst sein Genie erloschen war, zu dem trefflichen Satze bekannt:

Begeisterung ist keine Heringsware, die man eingepökelt für lange Jahre.

Und wenn auf den dritten Maitag des Weltkrieges ein heller Lichtstrahl fällt, so danken war ihn unsern russischen Brüdern, die sich nicht von den staatsmännischen Erwägungen leiten ließen, an denen die deutsche Maifeier umgekommen ist.

1 Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken, 19. April 90. In: Ebenda, Bd. 37, S. 395.

Kommentare