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Grigori Sinowjew 19191214 An die Arbeiter und Bauern der Ukraine

Grigori Sinowjew: An die Arbeiter und Bauern der Ukraine

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 162-167]

Gemarterte Brüder der Ukraine!

Schwer und dornig ist der Weg Eures Kampfes für die Selbstbefreiung. Zahlreich, verschiedenartig und hinterlistig sind Eure Feinde. Doch groß ist auch die Standhaftigkeit und die Hartnäckigkeit des Kampfes der werktätigen Massen in der Ukraine.

Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachten die Werktätigen der ganzen Welt, wie Ihr aus dem furchtbaren Zusammenstoß mit den Feinden der Werktätigen immer wieder als Sieger hervorgeht.

Wir erinnern uns, wie Ihr gleichzeitig mit dem Oktoberaufstand des russischen Proletariats im Jahre 1917 auch bei Euch zu Hause die bürgerliche Macht stürmtet und die Militär- und Zivilangestellten der elenden Regierung Kerenskis verjagtet. Doch die Früchte Eures Sieges habt Ihr nicht geerntet. Durch Betrug und Gewalt ergriff die Bourgeoisie der Ukraine mit der Zentralrada an der Spitze die Macht. Bald sahen die Arbeiter und Bauern der Ukraine den Betrug ein, der vor sich ging, und erhoben aufs Neue das Banner des Aufstands gegen die Bourgeosie.

Bereits im Dezember 1917 schlossen sich die Arbeiter und Bauern der Ukraine aufs Neue in Kampftruppen zusammen, um mit den Waffen in der Hand die Freiheit der Werktätigen gegen die immer frecher werdende Regierung Petljuras und Winnitschenkos zu verteidigen. Den beginnenden Kampf krönte glänzender Erfolg. Ende Januar 1918 ward die Macht der Zentralrada vernichtet.

Und wiederum sucht die Bourgeoisie neue Mittel zur Knechtung der befreiten werktätigen Massen. Die ukrainischen Nationalisten, die an allen Ecken die Selbständigkeit der Ukraine predigten, in der Tat aber bereit waren, die Ukraine jedem Beliebigen zu verkaufen, um sie nur nicht in den Händen der Werktätigen zu lassen, verschachern die Ukraine an Wilhelm II. und die deutsche Bourgeoisie. Noch gehorsam den deutschen Großgrundbesitzern, Bankiers und Generälen, überfluten die deutschen und österreichischen Horden die Ukraine, vernichten die Macht der Sowjets, die Macht der Arbeiter und Bauern in der Ukraine.

Ihr waret nicht genügend organisiert. Ihr hattet noch keine mächtige Rote Armee. Erschöpft von dem vierjährigen imperialistischen Krieg, verblieb die Bauernschaft, die sich nicht recht ihrer Interessen bewusst war, in ihrem größten Teil untätig in dem sich entwickelnden Kampf gegen die vorrückenden Banden der Steppenräuber und die Truppen der österreichisch -deutschen Bourgeoisie. Ein Häuflein Helden versuchte Widerstand zu leisten, doch umsonst: der zahlreichere und besser organisierte Feind brach diesen Widerstand, und im Lauf von zwei Monaten wurde in der ganzen Ukraine die Macht der Reichen wiederhergestellt.

Auf Wunsch der deutschen Generäle tritt an die Stelle der Rada der Hetman Skoropadski.

Doch kaum vermochten die letzten Truppen, die den Angriff der räuberischen Horden aufhielten, die Grenzen der Ukraine zu verlassen, als in der ganzen Ukraine aufs Neue ein wütender Kampf entbrannte.

Im November 1918 versetzten die deutschen Arbeiter dem deutschen Imperialismus, der deutschen Regierung der Großgrundbesitzer und Bankiers den ersten Schlag. Euer Kampf hatte zu jener Zeit die höchste Spannung erreicht. Durch einen machtvollen Schlag der aufständischen Massen wurde die Regierung des Hetmans Skoropadski gestürzt.

Doch der alte Verräter Petljura entriss mit Hilfe der betrogenen galizischen Regimenter den Sieg aus Euren Händen und versuchte nochmals, die Macht der ukrainischen Bourgeoisie herzustellen, indem er die Regierung des „Direktoriums“ errichtete.

Dieses Mal ließen sich die werktätigen Massen der Ukraine nicht betrügen, und nach heftigem Kampf wurde die Macht des Direktoriums gestürzt.

Ende Februar 1919 wurde fast die ganze Ukraine mit einem Netz von Sowjets bedeckt, und der im März zusammenberufene Dritte Allukrainische Kongress der Sowjets der Arbeiter-, Bauern- und Rotarmistendeputierten, das höchste Organ der Arbeiter- und Bauernrepublik, zog das Fazit des Kampfes und bestätigte die Macht der Sowjets in der Ukraine.

Jedoch auch dieses Mal war es der Macht der Werktätigen nicht vergönnt, lange zu bestehen.

Am Horizont erschien der zaristische General Denikin, unterstützt von den ukrainischen und russischen Bourgeois, den Großgrundbesitzern und den reichsten Großbauern.

Die Sowjetmacht hatte noch nicht vermocht, eine feste Ordnung herzustellen. Die Arbeiter der ukrainischen Städte blieben ohne Brot. Die vereinigte ukrainische Gegenrevolution hinderte die Zufuhr des Korns in die Städte. Die Bauern der ukrainischen Dörfer blieben ohne Manufaktur. Die Wirtschaft in der Ukraine wurde immer mehr ruiniert. Und zugleich wuchs die Unzufriedenheit mit der Sowjetmacht in jenen Schichten der ukrainischen Bevölkerung, die nicht eingesehen hatten, wo ihre wahren Freunde und wo ihre Feinde waren. Und damals tauchten verschiedene gewandte Abenteurer und Betrüger in der Art Grigorjews, Seljonys, Engels, Satans u. dergl. auf, die nach den Weisungen der Bourgeoisie als Anhänger der Sowjetmacht auftraten, während sie in der Tat einen bewaffneten Kampf gegen die Sowjetmacht führten. Das Partisanentum half den zaristischen Generälen, die Sowjetmacht zu erwürgen.

Und im Endergebnis stand die Ukraine, entkräftet durch den imperialistischen Krieg und den angestrengten Kampf gegen die Bourgeoisie, gegen die Ausplünderung der Wirtschaft durch die Bourgeoisie, gegen die zerstörten Eisenbahnen, gegen das erbitterte, bewaffnete, gegen uns hartnäckig kämpfende Großbauerntum, gegen die unorganisierte Armee, stand die gemarterte, zerrissene, blutüberströmte, entkräftete Ukraine der heranrückenden Horde der zaristisehen Henker, die von dem General Denikin geführt wurde, von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

In der Ukraine wurde die Trikolore der zaristischen Unterdrückung, des großrussischen Raubes und der Macht der Reichen erhoben.

Es tanzte die Peitsche der Kosaken. Es dröhnten die Salven der Strafexpeditionen Denikins. Die Großgrundbesitzer und Fabrikanten, die Börsenmänner und Schieber, die Händler, Gauner und Müßiggänger nahmen wieder ihre Plätze ein. Ein schmutzigblutiges Fest feierten die Herren, die die Macht aufs neue in ihren Händen hielten.

Seufzer, Tränen, Knechtschaft und Tod brachte den Werktätigen der General Denikin mit, der Euch besiegte mit Hilfe Petljuras, mit Hilfe Grigorjews, mit Hilfe einer endlosen Zahl von „Batjkas“ und Hetmans, mit Hilfe des nicht klassenbewussten Teils der Werktätigen. Alle diejenigen, die die Sowjetmacht hinderten, das Hinterland und die Armee zu organisieren, sie alle halfen bewusst oder unbewusst Denikin, in der Ukraine jenes Regime der Gewalt, der Knechtschaft, des Schiebertums, des Ruins, des Luxus für ein kleines Häuflein, der Armut für die Volksmassen zu errichten, jenes Regime, welches die schlimmsten Zeiten des Zarismus und der Skoropadskizeit übertrifft.

Genossen, Arbeiter und Bauern der Ukraine!

Die Stunde der Befreiung hat wieder geschlagen. Sowjetrussland, Russland, das befreiende, das Russland der Werktätigen eilt Euch zu Hilfe und seine Rote Armee schlägt die Weiße Armee Denikins. Die Ukraine wird zum freien Lande. Die Ukraine wird ein Sowjetland!

Die Kommunistische Internationale, diese Kampfgenossenschaft der Werktätigen aller Länder, empfing mit Freuden die Nachricht darüber, dass das Schwert der Roten Armee Eure Ketten sprengt, und schaut mit Unruhe zurück in die Vergangenheit, denkt mit Unruhe an jene Fehler, die Denikin und seinen Vorgängern die Möglichkeit gaben, Euch in den finsteren Abgrund der Knechtschaft und des Leids zu stürzen.

Brüder!

Genossen!

Möge keiner von Euch abseits vom Kampf stehen! Wohlgeordnet, mutig, einmütig, in engem Zusammenschluss mit allen Werktätigen, gleichviel welcher Nationalität oder welchen Glaubens, werdet Ihr die Sowjetmacht in der Ukraine vor allen ihren Feinden bewahren, hinter welche Namen, Banner und Parolen sie sich auch verstecken mögen.

Die ernste Stunde fordert von Euch, dass ihr geduldig alle Schwierigkeiten und Entbehrungen ertragt, die der Kampf mit sich bringt – der heilige Kampf gegen die Bourgeoisie und die Großgrundbesitzer. Diesen Entbehrungen sind die werktätigen Massen nicht nur an der Front, sondern auch im Hinterland ausgesetzt. Der Kampf wird auf Leben und Tod geführt; der Kampf wird geführt zwischen den Großgrundbesitzern und der Bourgeoisie einerseits und den Werktätigen andererseits. Und alle Werktätigen sollen in einem Lager bleiben, bereit zu allem, zu Entbehrungen, zu Schwierigkeiten, zum Tode. So, und nur so erobern wir uns eine lichte Zukunft.

Die Kommunistische Internationale fordert von Euch die äußerste Anspannung Eurer Kräfte zur Wiederherstellung, Unterstützung, Befestigung und zum Schutz der Sowjetmacht in der Ukraine.

Die Arbeiter vom Donez sind zu Tausenden für unsere Revolution gefallen. Die ukrainischen Arbeiter und werktätigen Bauern haben unzählige Opfer gebracht. Das werden die Arbeiter der ganzen Welt nicht vergessen.

Denikin an der Front zu schlagen, die Gegenrevolution im Hinterland zu entwaffnen, das Partisanentum abzuschaffen und eine starke Rote Armee zu schaffen – das ist Eure erste Aufgabe, Eure Hauptaufgabe. Ein für allemal den Großgrundbesitz abzuschaffen, die Großgrundbesitzer zu schlagen und zu vernichten – das ist Eure zweite Aufgabe.

Das Hinterland zu organisieren, der Armee und den ukrainischen Arbeitern Brot zu geben, die ukrainische Landbevölkerung mit Industrieprodukten zu versehen, die ruinierte Wirtschaft wiederherzustellen – das ist Eure dritte, nicht minder wichtige Aufgabe.

Gründet in der Ukraine eine Verbindung der Werktätigen aller Nationalitäten. Unterdrückt mit eiserner Hand alle Hetzen.

Die Kommunistische Internationale ist überzeugt, dass Ihr, belehrt durch die bittere Erfahrung, Eure Pflicht gegen Euch selbst und gegen die Werktätigen der ganzen Welt erfüllen werdet und dass keinerlei schönrednerische Betrüger, die Euch gegen die Arbeiter- und Bauernmacht zu führen versuchen, Euch von dem richtigen, geraden Weg des Kampfes für Eure Freiheit, für Euer Glück, für die Macht der Sowjets der Arbeiter- und Bauerndeputierten abzubringen vermögen…

Ukrainische Arbeiter und Bauern! Die Blicke der Werktätigen der ganzen Welt sind auf Euch gerichtet!

Es lebe die Kampfeseinigkeit der Werktätigen aller Länder und Nationalitäten!

Es lebe die Sowjetukraine der Arbeiter und Bauern!

Es lebe die Einigung aller Sowjetrepubliken!

Es lebe die Weltrevolution!

Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale

G. Sinowjew.

Petrograd, 14. Dezember 1919.

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