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Leo Trotzki 19171112 Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets über die Lage an der Front

Leo Trotzki: Rede auf der Sitzung des Petrograder Sowjets über

die Lage an der Front

(30. Oktober)

[„Iswestija“ Nr. 212, 31. Oktober 1917. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Das gestrige Treffen der Regimentsvertreter der Petrograder Garnison hatte geschäftsmäßigen Charakter. Von Militäreinheiten wurden Berichte gegeben. Die Stimmung überall ist fest und kriegerisch. Es gibt Gerüchte, dass Soldaten zögern. Sie weisen diese Gerüchte empört zurück.

Bei der Garnisonsberatung wurde eine Kontrollkommission aus Soldaten der Garnison gewählt. Sie wird die Kontrolle über Kampfhandlungen ausüben. Kommandeur ist Oberstleutnant Murawjow. Die Kontrollkommission überwacht die Aktionen des Stabs, und ihre einzelnen Mitglieder begleiten die Kommandeure.

Von der Front kann ich folgendes melden. Unsere Regimenter nahmen Stellung. Die Stimmung ist munter und fest. Es ist unmöglich, dasselbe über die Truppen Kerenskis zu sagen. Ein Trudowik, der zu Kerenski ging und uns an der Front besuchte, sagte: „Sie haben eine echte Revolution und eine Volksarmee, aber Kerenski hat nichts." So fällt der auffallender Unterschied in der Stimmung der beiden Armeen einem Außenstehenden ins Auge.

Die Informationen aus Moskau sind enttäuschend. Nach dem ersten Sieg der Revolution leistete die Konterrevolution Widerstand: Jetzt befindet sich der Kreml in den Händen der Konterrevolutionäre. Die Arbeiterviertel sind von Revolutionären besetzt. In der Moskauer Provinz ist die Lage schwankend. Die Entscheidung hängt von Petrograd ab. Wenn Kerenski hier zermalmt wird, wird sich das Rjabzowski-Stab sofort ergeben.*

Front der 3. und 10. Armee. Als Informationen über den Umsturz und die Dekrete über Land und Frieden den Soldaten erreichten, war er voller Enthusiasmus, der schwer in Worte zu fassen ist. Es gab Märsche mit Musik. Der Radiotelegraf von unserer Seite wurde unterbrochen und die Front erhielt keine Informationen von Petrograd. In der Zwischenzeit verschanzte sich Kerenski in Zarskoje Selo und meldete mit Telegrammen seine Siege, die er von einer Stunde zur nächsten Stunde erwartete. Die Soldaten glaubten diesen Telegrammen nicht. Kerenski telegraphierte, dass es in Petrograd Messerstechereien gebe, Soldaten Frauen vergewaltigten, Banken plünderten. Aber all diese Berichte Kerenskis machten keinen Eindruck.

Jedes Korps von der Front kann, wenn es sich Mühe gibt, eine kombinierte Abteilung nach Petrograd und Moskau senden. Der Befehl dazu wurde bereits vom drahtlosen Telegraph des Zentroflot erteilt.

In Petrograd sind jetzt „Oleg", „Aurora" und „Republik". Wenn die Artillerie dieser Schiffe auf die Umgebung von Petrograd zielt, werden die Streitkräfte Kerenskis besiegt werden. Die Stellungen begannen zu schießen. Für die Kampfausrüstung und Versorgung unserer Front wurde viel getan. Ich verschweige nicht die Zerrüttung, die infolge des Verlusts des Offiziersapparates entstanden ist. Er ist zu ¾ zerrüttet. Wenn wir diesen Apparat hätten, könnten die Kerenski-Banden in einer halben Stunde zertrümmert werden. Aber wir beseitigen diesen Mangel. Die auf der Garnisonsversammlung gewählte fünfköpfige Kommission1 zielt darauf ab, den Oberbefehlshaber nicht nur technisch zu beaufsichtigen, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Kampfbefehle des Oberbefehlshabers zu kontrollieren. Wir haben versucht, Kommandeure heranzuziehen. Wir wandten uns an die Militäroffiziere, die die Soldaten uns als ehrliche Leute und Demokraten bezeichneten. Aber die Offiziere weigerten sich, das Kommando zu akzeptieren mit Verweis auf ihren Gesundheitszustand oder mangelnde Erfahrung. Die Zwiespältigkeit in der Stimmung der ehrlichsten Offiziere folgt aus ihrer Stellung unter den revolutionären Soldatenmassen. Wenn diese Offiziere bei den Soldaten sind, werden sie von der Soldatenmasse in ihrer Kampfstimmung beeinflusst, und sie gehen mit den Soldaten mit. Aber wenn sie in ihre Umgebung zurückkehren, kommen sie in eine dem Soldaten feindliche Gesellschaft, in ein Milieu, wo man Revolutionäre verleumdet.

Die Wahl der Kontrollkommission ist der erste schwache Anfang der zukünftigen demokratischen Armee.

* Genosse Sokolnikow brachte eine Korrektur des Berichts des Genossen Trotzki. Die Lage in Moskau ist günstiger, als Genosse Trotzki berichtete. Ein Waffenstillstand für 24 Stunden ist abgeschlossen. Soweit wir wissen, wurde der Waffenstillstand auf der Grundlage der Anerkennung der Notwendigkeit der Bildung eines einheitlichen Kabinetts abgeschlossen, das alle sozialistischen Parteien von den Bolschewiki bis zu den Volkssozialisten einschließt. [Offenbar eine Fußnote der „Iswestija“ - d. Übersetzer]

1 Leider konnte die personelle Zusammensetzung dieser Kommission nicht geklärt werden.

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