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Leo Trotzki 19280717 Über die Thesen des Genossen Radek

Leo Trotzki: Über die Thesen des Genossen Radek

[Nach Fahne des Kommunismus, 3. Jahrgang, Nr. 22, 21. Juni 1929, S. 174-176]

Den Entwurf der Thesen des Genossen Radek, der an acht Genossen verschickt wurde, habe ich vorgestern bekommen. Jetzt sind diese Thesen wahrscheinlich an den Kongress geschickt, so dass die unmittelbare praktische Bedeutung dieser Bemerkungen wegfällt. Da wir aber der Klarheit auch für die Zukunft bedürfen, so halte ich es für notwendig, über diese Thesen mich zu äußern.

Erstens besagen diese Thesen:

Einige Monate antikulakischer Agitation sind eine Tatsache von gewaltiger politischer Bedeutung, die, wenn man sie nicht sehen sollte, ein Akt völliger politischer Blindheit wären."

In diesen Worten ist die polemische Spitze nicht nach der richtigen Seite gerichtet. Man sollte m. E. so sagen:

Einige Monate antikulakischer Agitation, wenn sie nicht zu einer radikalen Änderung der Linie führen sollte, werden die Partei unausbleiblich weit zurückwerfen und werden zur Untergrabung des letzten Vertrauens der unteren Massen zu allen Losungen und allen Kampagnen fuhren.*'

2. Über die Kapitalverwendungen heißt es bei Radek:

Statt das Grundkapital in einer Reihe von Unternehmungen desselben Industriezweiges anzulegen, welche erst nach einigen Jahren einen Ertrag geben werden, ist die Konzentration von Kapitalien dazu notwendig, um eine Warenerzeugung in möglichst kurzer Zeit zu erzielen. Diese nebelhafte Behauptung hat aller Wahrscheinlichkeit nach jenen Sinn, dass man die Kapitalien aus der Schwerindustrie in die leichte übertragen soll. Das ist ein Teil des Programms des rechten Flügels. Ich sehe keine Veranlassung, uns auf diesen Weg zu begeben. Wenn es ein rein praktischer Vorschlag sein sollte, so müsste man ihn mit Zahlen begründen, d. h. beweisen, dass bei der Verteilung der Kapitalien kein notwendiges Verhältnis zwischen Schwer- und Leichtindustrie vorhanden ist. Wenn man aber eine solche Verschiebung der Mittel nur nach den Konjunkturrücksichten vornehmen soll, so wird es bedeuten, noch eine größere Krise in zwei bis drei Jahren vorzubereiten Die Improvisation in einer solchen Frage ist völlig unzulässig und gießt, wie gesagt, nur Wasser auf die Mühle der Rechten. Für uns genügt die Forderung der Umleitung der Mittel zugunsten der Schwer- wie der Leichtindustrie."

3. Über die Stalinsche Behauptung die besagt dass man liegen den Kulaken nicht kämpfen kann, solange der Mittelbauer nicht erobert ist, besagen die Thesen von Radek folgendes:

Und auch jetzt haben wir nicht im genügenden Maße den Mittelbauern erobert "

Das ist eine Verschönerung der Wirklichkeit. Mit unserer Politik haben wir den Mittelbauern verloren, den jetzt der Kulak führt, was im Februar-Artikel der Prawda anerkannt worden ist.

4. Über das Auftreten mit einer Auffassung über den Ruck nach links als ein nacktes Manöver besagen die Thesen folgendes:

Ob dieser Kampf bis zu Ende geführt wird, hängt von der Stärke und Entschiedenheit ab, mit der die Arbeitermasse auf der Fortsetzung dieses Kampfes beharren wird.“ Das ist natürlich richtig, aber zu allgemein. Wir bekommen dann Folgendes:

Das ZK hat alles getan, was es konnte, jetzt müssen die Massen handeln. In der Wirklichkeit müsste man so sagen: Die Maßnahmen, die von oben her unternommen wurden, werden mit einem unausbleiblichen Fiasko enden falls nicht die Opposition – trotz der Grenzen des bürokratischen Zentrismus – die Massen lehren wird und ihnen hilft, diesen Kampf bis zu Ende zu führen."

5. „Das Zentrum der Partei“ – besagen die Thesen Radeks –schwächt nur die Chancen des Kampfes für die Ausgleichung der Parteilinie, indem es die Existenz der rechten Parteigruppe verheimlicht "

Sehr zart gesagt! Der Kampf gegen den Kulaken bedeutet in der Partei den Kampf gegen die Rechten. Indem man eine Kampagne gegen den Kulaken führt, verheimlicht das Zentrum in der Partei den rechten Flügel und bleibt mit ihm im Block Die Thesen bemerken vorwurfsvoll, dass es „nur die Chancen des Kampfes schwächt", Nein, es verurteilt den Kampf zu einer unausbleiblichen Niederlage, wenn die Opposition nicht der Partei die Augen aufmachen wird über diese ganze Mechanik.

6. Merkwürdig klingt auch die Charakteristik von Schwarz (Schw. ist der Vorsitzende der Gewerkschaft der Bergarbeiter und Mitglied des Zentralkomitees der Partei) als einen feinfühligen, mit den proletarischen Massen verbundenen Genossen. Hat er denn irgendwo gegen die schändlichen Verbannungen nach dem Artikel 58 protestiert? Und ich glaube, er hat, sehr „feinfühlig", für die Verbannungen gestimmt.

7. Über die Selbstkritik schwören die Thesen:

Das ist „kein Betrug und kein Manöver, denn aus dem Auftreten einer Reihe Parteiführer schreit eine tiefe Beunruhigung um das Schicksal der Partei und der Revolution.“

Denkt er da nicht an das letzte Auftreten des „Meisters“ mit einem Hagel von Schimpfworten an die Adresse der Opposition und mit einer Erklärung, dass die Kritik der Ausführung sehr nützlich, wahrend die Kritik der Leitungen tödlich sei? Ich würde so sagen:

Wenn in der Kulakenfrage das reine Kombinationsmanöver 10 bis 20 Prozent und die Maßnahmen, die man durch den Getreidehunger gezwungen war, vorzunehmen, 80 bis 90 Prozent des gegebenen Zickzacks ausmachen, so besteht die Frage der Selbstkritik im gegebenen Moment zu nicht weniger als 51 Prozent aus manöver- und apperatmäßigen Tricks, und 49 Prozent sind die Extraausgaben des Manövers, das Lockaufgeld, Sündenböcke usw. usw. Deshalb ist wohl kaum ein Grund, so fest zu schwören dass hier kein Manöver und kein Betrug vorliegt

8. Die Thesen Radeks berufen sich auf eine Rede Stalins vor den Fabrikhochschülern. Dabei erwähnen sie nicht, dass diese Rede in der Frage des Kulaken ein völliges Lossagen von dem Februar-Artikel der Prawda bedeutet, und diese Rede kann auch ein völliges Erlöschen des linken Zickzacks in dieser wichtiger Teilfrage bedeuten. Übrigens erschreckt auch diese Rede durch ihren Analphabetismus in ökonomischen Fragen.

9. Weiter kommt dir Erklärung, warum das Zentrum im Unterschied von den Rechten gegen die innerparteiliche Demokratie war. Darum, seht, weil unsere Partei nicht auf hundert Prozent eine proletarische ist. (Stalin.) Die Thesen Radeks nehmen diese Erklärung für barenze, wiederholen und entwickeln sie weiter. Wir bekommen folgendes Bild. Die Zentristen hatten Angst, dass ihre wirklich proletarische Politik von der ungenügend proletarischen Partei nicht verstanden wird. Das ist schon eine unzulässige Apologetik. Die Zentristen spürten, dass ihre Politik der Tschiang Kai-scheks, der Purcells und der Kulaken von dem proletarischen Kern der Partei nicht gebilligt werden wird, Nur deshalb haben sie erwürgt und würgen sie die Demokratie.

10. „Die Garantie für eine innerparteiliche Demokratie ist nur im Erwachen bei der Parteimasse gegeben. Wenn sie die Sache der Selbstkritik nicht in ihre eigenen Hände nimmt … usw.“ Wieder einmal zu allgemein. Damit die Masse sich wirklich für die Sache einsetzt, ist es notwendig, den Zentristen zu verbieten, sie einzulullen. An Mitteln dazu fehlt es bei den Zentristen auch heute nicht. Ihnen fehlt nur das gütige Vertrauen von unserer Seite. Die Pjatakows, Safarow sind jetzt das wirksamste Opium für das Volk. Desto öfter muss unsererseits das Gegengift zutage treten.

11. Die Ausführungen der Thesen Radeks in der Frage der Selbstkritik bestehen in Folgendem:

a) die weitere Entwicklung der Selbstkritik;

b) die Kürzung des Parteiapparates;

c) die Proletarisierung der Apparate;

d) die Aburteilung derjenigen, die die Demokratie in Betrieb abwürgen;

e) die uberung der Partei von kleinbürgerlichen und bürokratischen Elementen

Das ist zu allgemein und wiederholt sich in jedem Leitartikel, ohne irgendwelche Garantien zu sichern. Schon außerhalb der Aufzählung ist gesagt: „Endlich ist die Rückkehr der Opposition in die Partei notwendig." Das ist richtig. Aber statt der anderen Punkte, die zu allgemein gehalten sind, musste man konkreter sagen:

a) Einberufung des 16. Kongresses der Partei noch im Laufe des Jahres 1928 und die Vorbereitung desselben mit allen Garantien einer wirklichen Selbstkritik;

b) sofort veröffentlichen alle vor der Partei verheimlichten Artikel, Reden und Briefe Lenins (ich habe sieben Gruppen solcher Dokumente in meinem Brief an den Kongress aufgezählt);

c) sofort das Budget der Partei auf das Zwanzigstel zu kürzen, d.h. bis auf 5,6 Millionen, da das gegenwärtige Budget eine finanzielle Grundlage für die Selbstherrschaft des Apparates und für die bürokratische Korruption bildet. Diese Forderungen erschöpften natürlich noch nicht die Frage des Regimes. Aber sie sind vollkommen konkret und bedeuten einen Schritt vorwärts

12. Noch schlimmer steht die Sache in der Frage der Komintern. Radeks Einschätzung des Februar-Plenums als einer großen, in seiner Art entscheidenden Umkehr zum Wege der marxistischen Politik ist in der Wurzel unrichtig. Die symptomatische Bedeutung des Februar-Plenums ist sehr groß: Er bewies, dass die rechts-zentristische Politik endgültig in eine Sackgasse geraten ist, und dass die Leitung einen Ausweg nicht nach rechts, sondern nach links sucht. Aber nur das. In der Linksheit des Februar-Plenums fehlt jeder zusammenfügende Gedanke. Diese Linksheit erinnert sehr an die Linksheit des 5. Kongresses. Aus der gewaltigen Niederlage der chinesischen Revolution wurden keine richtigen Konsequenzen gezogen. Ihre Stelle nimmt eine Prahlerei über eine anrückende sogenannte neue Welle ein, indem sie sich auf Bauernbewegungen beruft – nachdem das Proletariat bereits zerschlagen ist. Die gesamte Perspektive ist verschoben, und die gesamte Lage beleuchtet die Abenteuer. Die Ausreden über Putsche sind nur eine Rechtsverbiegung für die Zukunft, nicht mehr. Wenn es eine neue Welle ist, so sind doch die Aufstände in der Provinz – keine Putsche. Und in der Wirklichkeit geht eine Vernichtung der Reste der proletarischen Avantgarde vor sich. Die theoretisch-menschewistische Resolution in der chinesischen Frage, wenn sie auch in einer gefälschten bolschewistischen Terminologie geschrieben ist, muss strategisch noch endgültig die Kommunistische Partei Chinas zerschlagen. Die englische und französische Resolution verwischen die Spuren des gestrigen Tages, indem sie in sich die Elemente der Ultralinksheit mit rechten Voraussetzungen vereinigen. Und hier ist sehr viel Ähnlichkeit mit dem 5. Kongress, der durch einen ultralinken Angriff die Frage der deutschen Niederlage im Jahre 1923 verschieben wollte.

13. Zum Schluss heißt es in den Thesen Radeks, dass in die Komintern diejenigen zurückkehren müssen, „die aufrichtig und ehrlich für die Ziele kämpfen wollen, die von der Komintern aufgestellt werden, mit Methoden, die durch das letzte Plenum des EKKI proklamiert wurden." Wenn man es liest, traut man den eigenen Augen nicht. Die „Methoden" des Februar-Plenums des EKKI bestehen vor allem in der Gutheißung des Artikels 58 und in der Behauptung, dass die Bolschewiken-Leninisten ihre Karte auf den Sturz der Sowjetmacht setzen". Hat denn wirklich die Resolution über die Opposition eine kleinere historische Bedeutung als die Resolution über die Stichwahlen in Frankreich, oder die doppelsinnige Schmiererei darüber, ob die englische Kommunistische Partei in die Arbeiterpartei eintreten soll oder nicht? Wie kann man so etwas vergessen? Kann ich denn in die Komintern aufgenommen werden, wenn ich tief davon überzeugt bin, dass durch die Abstimmung für die chinesische Resolution das Februar-Plenum einen tödlichen Schlag dem chinesischen Proletariat versetzt, und durch die Abstimmung für die Resolution über die Opposition das Schlimmste, Reaktionärste und Erniedrigendste einer wortbrüchig-bürokratischen Methode der „Leitung“ der Partei zum Ausdruck kommt?

14. Die Thesen des Februar-Plenums werfen die Fragen auf über „provisorische Vereinbarungen mit den Liberalen in den kolonialen Ländern“ wörtlich so, wie der Entwurf zum Programm es sagte und der Entwurf des Programms beleuchtete die Kuomintang in einer pseudo-radikalen Form.

15. Über die Theorie der Stadien, über die Theorie der zweiteiligen Parteien, über die Theorie de. Sozialismus in einem Lande sagen die Thesen Radeks, dass dies nur „Schwänze" sind, die man liquidieren muss. Es kommt dann folgendes heraus, dass aus dem zentristischen Affen schon ein vollkommen marxistischer Mensch geschaffen wurde, nur mit einem überflüssigen Organ: mit einem „Schwanz" Der gute Erzieher [und] Lehrer wird einflößen: Nimm bitte den Schwanz weg – und alles wird in Ordnung sein. Aber das ist doch eine schreiende Beschönigung dessen, was ist.

16. Die allgemeine Einschätzung des Programmentwurfs ist in den Thesen Radeks eine unrichtige, d. h. eine zu gutmütige. Der gegensätzliche, eklektische1, scholastische, im Ganzen aus Flicken zusammengesetzte Programmentwurf ist absolut untauglich.

17. Ganz richtig sind die allgemeinen, prinzipiellen Hinweise der Thesen Radeks über die Frage der teilweisen oder Übergangsforderungen. Es wäre aber schon an der Zeit, alle diese allgemeinen Betrachtungen in eine viel konkretere Sprache zu übersetzen, d. h. man soll versuchen, selbst ein Schema von Übergangsforderungen zwecks Anwendung für Länder verschiedenartigen Typs zu entwerfen.

18. In der Frage des Thermidors besagen die Thesen Radeks ganz unerwartet: „Ich werde hier nicht die Frage untersuchen über die Zweckmäßigkeit einer Analogie der französischen und russischen Revolution." Was bedeutet das? Die Frage über den Thermidor haben wir gemeinsam unter der Mitarbeit des Autors dieser Thesen formuliert. Analogien darf man in strengen Grenzen derjenigen Ziele nehmen, zwecks welcher diese Analogien überhaupt genommen werden. Lenin verglich den Frieden zu Brest-Litowsk mit dem von Tilsit. Maretzki könnte Lenin erklären, dass die Klassenbedingungen des Tilsiter Friedens ganz andere waren, genau so wie er uns den Unterschied zwischen dem Klassencharakter der französischen und unserer Revolution erklärt hat. Wir haben damals Maretzki mit dem richtigen Namen gekrönt. Wir haben den Thermidor genommen als ein klassisches Muster eines teilweisen konterrevolutionären Umsturzes, der noch im Ganzen unter einer revolutionären Flagge gemacht wird, aber schon im Wesen einen entscheidenden Charakter hat. Eine klarere, hellere und belehrendere historische Analogie zwecks Erläuterung der Gefahren des Abgleitens hat niemand formuliert und auch nicht vorgeschlagen. Über die Frage des Thermidors ging und geht eine gigantische internationale Polemik. Welchen politischen Sinn hat denn der oben erwähnte, unerwartete Zweifel über die Zweckmäßigkeit der Analogie der französischen und russischen Revolution? Sitzen wir denn in einer Gesellschaft von Historiker-Marxisten und urteilen über historische Analogien überhaupt? Nein, wir führen einen politischen Kampf, währenddessen man sich hundertmal benutzt hat, mit einer Analogie des Thermidors in bestimmten, genau von uns aufgezeigten Grenzen.

19. „Wenn die Geschichte beweist“ – sagen die Thesen Radeks –, „dass eine Reihe der Parteiführer, mit denen wir gestern die Klinge gekreuzt haben, besser sind als ihre Theorien, welche sie gestern verteidigt haben, so wird niemand mehr darüber froh sein als wir." Das klingt furchtbar ritterlich: die edlen Führer kreuzen zuerst die Klingen, und dann fallen sie einander in die Arme und weinen Tränen der Versöhnung. Aber das ist das Unglück: wie können die Führer des Proletariats besser sein als ihre Theorien? Denn wir Marxisten sind es gewohnt, die Führer gerade nach ihrer Theorie zu bewerten, nach ihrer Fähigkeit, die Theorie zu verstehen und die Theorie anzuwenden. Jetzt kommt es heraus, dass es prachtvolle Führer geben kann, die fast in allen grundlegenden Fragen zufällig mit reaktionären Theorien ausgerüstet sind.

20. „Unsere Unterstützung des angefangenen Abgleitens“ – sagen die Thesen Radeks – „muss in dem unerbittlichen Kampf … gegen die Übel bestehen, gegen welche jetzt in der Partei die Mobilisation angekündigt worden ist." Nicht nur darin. Unerbittliches Entlarven der Halbheit und der Verwirrung des Zentrismus in jeder praktischen Sache, in jeder theoretischen Frage ist der wichtigste Teil unserer Unterstützung aller auch nur etwas progressiven Schritte des Zentrismus.

21 Ich halte mich bei einer Reihe von kleinen und persönlichen Bemerkungen nicht auf. Beschränke mich nur mit einem Hinweis auf die Beilage zu den Thesen, die der chinesischen Revolution gewidmet ist. Diese Beilage ist so geschrieben als ob wir zum ersten Mal diese Frage berühren, so als ob im Besonderen, unsere Korrespondenz mit Preobraschenski nicht gewesen wäre: mit keinem Wort gehen die Thesen auf irgend eine meiner Behauptungen ein. Aber das wäre nur halb so schlimm. Viel schlimmer ist es, dass die Thesen Radeks so geschrieben sind, als ob die chinesische Revolution 1925-27 überhaupt auf der Welt nicht existiert hätte. Alle Meinungen des Genossen Radeks könnten ebenso gut Anfang 1924 formuliert worden sein: die bürgerlich-demokratische Revolution ist noch nicht beendet, demokratische Etappen stehen noch bevor danach kommt die Umschichtung. Nun, und die rechte und linke Kuomintang, die Periode Kanton, der Feldzug nach Norden, der Umsturz von Schanghai, die Periode Utschansk – was ist denn das alles, sind das keine neuen Etappen? Oder da hier Martynow gepfuscht hat, brauchen wir das alles nicht zu beachten? Die Thesen sehen das in der Zukunft liegen, was längst hinter uns ist. Oder hoffen die Thesen vielleicht, eine „echte“ Demokratie zu erhalten? So sollen sie uns ihre Adresse sagen. Die Sache ist die, dass all die Bedingungen, welche bei uns die Agrarrevolution mit der proletarischen verbunden haben, in China nach schärfer, noch dringender hervortreten. Die Thesen verlangen das Hinüberwachsen der demokratischen Revolution in eine sozialistische „abzuwarten". Hier sind zwei Fragen in eine vereinigt. In einem gewissen Sinne ist die demokratische Revolution bei uns in eine sozialistische erst Mitte 1918 hineingewachsen. Die Macht war jedoch in den Händen des Proletariats seit November 1917. Sonderbar klingt der angeführte Beweis im Munde Radeks, welcher doch so entschieden bewiesen hatte, dass in China kein Feudalismus vorhanden ist, dass es keine Schicht von Gutsbesitzern gebe, und dass daher die Agrarrevolution nicht gegen den Großgrundbesitz gerichtet ist, sondern eine anti-bürgerliche ist. Die Überreste des Leibeigentums sind in China sehr groß, aber sie sind unzerreißbar mit dem bürgerlichen Eigentum verbunden. Wie kommt dann der Genosse Radek jetzt dazu, von diesen Behauptungen abzurücken und mit der Meinung, dass die bürgerlich-demokratische Revolution noch nicht vollendet ist“! Wobei er den Fehler Bucharins wiederholt, der wiederum den Fehler Kamenews aus dem Jahre 1917 wiederholt. Ich kann nicht umhin, hier von neuem die Worte Lenins gegen Kamenew anzuführen, auf welche vor kurzem Beloborodow meine Aufmerksamkeit gelenkt hat:

Wer sich in seiner Tätigkeit nur von der einfachen Formel ,die bürgerlich-demokratische Revolution ist noch nicht vollendet' leiten lässt, der übernimmt damit eine Art von Garantie, dass die Kleinbourgeoisie fähig ist, sich von der Bourgeoisie unabhängig zu machen, der überlässt sich im selben Moment hilflos der Gnade der Kleinbourgeoisie.“ (Bd. 14, T 1, S. 35)

Das kann ich über die Thesen des Genossen Radek sagen. Ich glaube, dass es notwendig ist, zu sagen: der Klarheit willen, ohne Furcht vor den Versuchen des „einheitlichen" Feindes aus unseren Differenzen Nutzen zu ziehen.

17. Juli 1928, Alma-Ata

L. Trotzki

1In der „Fahne des Kommunismus“ steht „elektrische“ statt eklektische. Der englische Text hat „eclectic“.

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