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Rosa Luxemburgs „Organisationsfragen"

Gemeint ist hier der Artikel Rosa Luxemburgs „Organisationsfragen der Russischen Sozialdemokratie" in Nr. 42 und 43 der „Neuen Zeit" vom 13. bzw. 20. Juli 1904. Dieser Artikel ist nicht nur für Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Organisationsfrage, sondern auch zur Organisationsfrage der Arbeiterbewegung überhaupt von größtem Interesse. R. L. bespricht hier vor allem Lenins Broschüre „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“, die sie „die systematische Darstellung der Ansichten der ultrazentralistischen Richtung der russischen Partei" nennt. Lenin verfechte eine Organisation, die auf zwei Grundsätzen beruhe: … auf der blinden Unterordnung aller Parteiorganisationen mit ihrer Tätigkeit bis ins kleinste Detail unter eine Zentralgewalt, die allein für alle denkt, schafft und entscheidet, sowie auf der schroffen Abgrenzung des organisierten Kerns der Partei von dem ihn umgebenden revolutionären Milieu." Das sei eine „mechanische Übertragung der Organisationsprinzipien der blanquistischen Bewegung von Verschwörerzirkeln auf die „sozialdemokratische Bewegung der Arbeiterklasse". Den von ihm vertretenen „sozialdemokratischen Zentralismus" definiert R. L. als „Selbstzentralismus der führenden Schicht des Proletariats, ihre Majoritätsherrschaft innerhalb der eigenen Partei". Für diesen Zentralismus können aber „heutzutage in Russland die erforderlichen Bedingungen noch nicht in vollem Maße gegeben sein". Jetzt sei notwendig „die Heranbildung einer klassenbewussten, urteilsfähigen Vorhut des Proletariats". „Um so überraschender" wirke daher die Zuversicht Lenins, demzufolge „alle Vorbedingungen zur Durchführung einer großen und äußerst zentralisierten Arbeiterpartei in Russland bereits vorhanden sind". Die Kampftaktik der Sozialdemokratie „ist das Ergebnis einer fortlaufenden Reihe großer, schöpferischer Akte des experimentierenden, oft elementaren Klassenkampfes. Auch hier geht das Unbewusste vor dem Bewussten, die Logik des objektiven historischen Prozesses vor der subjektiven Logik seiner Träger. Die Rolle der sozialdemokratischen Leitung ist dabei wesentlich konservativen Charakters, indem sie erfahrungsgemäß dazu führt, das jedesmalig neugewonnene Terrain des Kampfes bis in die äußersten Konsequenzen auszuarbeiten und es bald in ein Bollwerk gegen eine weitere Erneuerung größeren Stils umzukehren". Die Taktik müsse von der Gesamtpartei geschaffen werden und dazu sei Ellenbogenfreiheit der Organisationen notwendig. Aber: „Der von Lenin befürwortete Ultrazentralismus scheint uns in seinem ganzen Wesen nicht vom positiv schöpferischen, sondern vom starren Nachtwächtergeist getragen zu sein. Sein Gedankengang ist hauptsächlich auf die Kontrolle der Parteitätigkeit und nicht auf ihre Befruchtung, auf die Einengung und nicht auf die Entfaltung, auf die Schurigelung und nicht auf die Zusammenziehung der Bewegung zugeschnitten."

Und über Lenins Ansicht über die Organisation als Waffe gegen den Opportunismus schreibt R. L. am Schluss ihres Artikels: „In diesem ängstlichen Bestreben eines Teiles der russischen Sozialdemokraten, die so hoffnungsvoll und lebensfreudig aufstrebende russische Arbeiterbewegung durch die Vormundschaft eines allwissenden und allgegenwärtigen Zentralkomitees vor Fehltritten zu bewahren, scheint uns übrigens derselbe Subjektivismus mitzureden, der schon öfter dem sozialistischen Gedanken in Russland einen Possen gespielt hat." Früher sei dies bei den Narodniki der Fall gewesen, und jetzt, wo „die russische Arbeiterbewegung den schönsten Anlauf nimmt, zum ersten Mal in der russischen Geschichte nun wirklich einmal einen Volkswillen zu schaffen … stellt sich das ,Ich' des russischen Revolutionärs schleunigst auf den Kopf und erklärt sich wieder einmal für den allmächtigen Lenker der Geschichte – diesmal in der höchsteigenen Majestät eines Zentralkomitees". [Lenin, Sämtliche Werke, Band 8, Anm. 12]

Es handelt sich hier um den Artikel Rosa Luxemburgs „Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie“, der in Nr. 69 der „Iskra“ vom 10./23. Juli 1904 und zu gleicher Zeit in der Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, der „Neuen Zeit“, veröffentlicht war. In diesem Artikel trat Rosa Luxemburg in der schärfsten Weise gegen die organisatorischen Ansichten Lenins auf und verteidigte die Haltung der Menschewiki in den Organisationsfragen. Deutsch wurde der Artikel in Nr. 42 und 43 der „Neuen Zeit“ vom 13. (26.) Juli 1904 veröffentlicht. Die in Frage stehende Leninsche Widerlegung siehe im deutschen Originaltext unter dem Titel „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück" im „Leninski Sbornik“ Nr. XV.  [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 3, Anm. 147]

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