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Versicherungskampagne

Die Versicherungskampagne entfaltete sich im Herbst 1912 Die Regierung war bestrebt, die Bedeutung des Versicherungsgesetzes, das am 6 Juli (23. Juni) 1912 herausgegeben worden war, auf den Nullpunkt herabzusetzen und der Bewegung durch die Verhaftung der Versicherungsfunktionäre die Führung zu nehmen. Bei den Wahlen der Bevollmächtigten der Arbeiter in die Krankenkassen, in die Versicherungsbehörden und in den Versicherungsrat kam es zu einem lebhaften Kampfe zwischen den Bolschewiki und den Liquidatoren. Die Versicherungskampagne verlief in Petersburg und in einer Reihe anderer Städte unter der Führung der illegalen bolschewistischen Organisationen und der in den legalen Arbeiterorganisationen aktiv tätigen Bolschewiki. Im Sommer 1913 ergoss sich über Russland im Zusammenhang mit der Versicherungskampagne eine Welle von Streiks, obwohl die Liquidatoren gegen die „wirtschaftlichen" Formen eines auf „rein politische" Forderungen der Arbeiter in der Versicherungskampagne gerichteten Kampfes agitierten.

Die „Sommer"-Beratung des ZK mit den Parteifunktionären fasste den Beschluss, bei der Wahlkampagne für die Versicherungsorgane selbständige Kandidatenlisten aufzustellen.

Am 8 November (26. Oktober) 1913 erschien die erste Nummer der bolschewistischen Wochenschrift für Arbeiter Woprosy Strachowanija" („Versicherungsfragen").

Im November wurde in einer Versammlung der Bevollmächtigten von 58 Petersburger Betrieben eine Zentralstelle für die Versicherungskampagne gegründet, die die Losung des Kampfes für gesamtstädtische Krankenkassen ausgab und eine Protestresolution gegen „stumme", „blinde" „Schnellschuss"-Wahlen beschloss.

Lebhaft entfaltete sich die Versicherungskampagne in Petersburg, Warschau Riga, Reval, Charkow, Jekaterinoslaw; flau war sie in Moskau infolge der schwachen bolschewistischen Kräfte, in Brjansk und anderen Orten In einer Reihe von Städten gab es Verhaftungen der Bevollmächtigten der in der Versicherungsbewegung Tätigen, aus welchem Anlass die bolschewistische Dumafraktion Ende November in der Duma eine Interpellation einbrachte. Auf den 4. Januar 1914 (22. Dezember 1913) wurden die Wahlen der Vertreter der Arbeiter in die Versicherungsbehörden des Gouvernements und der Stadt Petersburg und auf den 11. Januar 1914 (29 Dezember 1913) die Wahlen in den Versicherungsrat festgesetzt. Im Zusammenhang damit wurde in Nummer 8 der „Proletarskaja Prawda'' vom 28 (15) Dezember und in Nummer 9 der „Woprosy Strachowanija“ vom 3 Januar 1914 (21. Dezember 1913) die bolschewistische Instruktion für die Arbeitervertreter veröffentlicht. Die in der „Nowaja Rabotschaja Gaseta" veröffentlichte menschewistische Instruktion wiederholte zu einem bedeutenden Teile die bolschewistische Instruktion, ließ aber den 5. Punkt weg, in welchem von der engsten Verbindung der Arbeitervertreter in den Versicherungsorganen mit der „Proletarskaja Prawda" und den „Woprosy Strachowanija" die Rede war. Dieser Punkt bedeutete im Wesen der Sache die Anerkennung der Führung durch die illegale bolschewistische Organisation. In die folgenden Instruktionsentwürfe für den Versicherungsrat wurde ein Punkt aufgenommen, wonach die Arbeitervertreter die Führung durch die „organisierten Marxisten" anerkennen, wobei in der bolschewistischen Presse direkt auf die Unterordnung unter die „führende Gruppe der organisierten Marxisten", d. h. die illegale Parteiorganisation der Bolschewiki und des ZK der Partei, verwiesen wurde. Gegen diese Punkte der Instruktion entfalteten die Liquidatoren eine wütende Kampagne, wobei sie die Bolschewiki einer Spaltungspolitik beschuldigten und die Idee der Neutralität der Versicherungsbewegung vertraten. Die Liquidatoren stellten im Gegensatz zu den Bolschewiki die Losung der Unterordnung der Arbeitervertreter unter das „Kollektiv der Krankenkassenverwaltungen" auf, ferner die Losung der Herstellung der Verbindung mit allen Arbeiterblättern ohne Unterschied der Richtung und die Losung des Kampfes gegen fraktionelle Kandidatenlisten, sie wollten die Zusammenlegung der Instruktionen usw.

Am Vorabend der Wahl in die Versicherungsbehörde des Petersburger Gouvernements wurde eine Reihe von Bevollmächtigten und Funktionären des Metallarbeiterverbandes, die die Bolschewiki und ihre Zeitschrift „Woprosy Strachowanija" materiell und organisatorisch unterstützt hatten – im ganzen 20 Personen, hauptsächlich Bolschewiki – verhaftet. In den Versammlungen der Bevollmächtigten der Krankenkassen am 4. und 11. Januar 1914 (22. und 29. Dezember 1913), wurden Resolutionen beschlossen, die die Verschiebung der Wahlen bis zur Enthaftung der verhafteten Bevollmächtigten forderten und auch die Gestattung von gemeinsamen Versammlungen der Krankenkassenverwaltungen zwecks Vorbereitung der Wahlen verlangten. Die Teilnehmer an den Versammlungen gaben leere Stimmzettel ab und verließen die Versammlung. Im Zusammenhang damit beschloss das Petersburger Komitee der Bolschewiki eine Resolution (veröffentlicht in Nummer 3 (13.) der „Woprosy Strachowanija" vom 31. (18.) Januar 1914), in welcher zu Kundgebungen der Solidarität mit den Wahlmännern, zur Unterstützung des Arbeiterversicherungsprogramms und zur „Wahl von zielbewussten marxistischen Genossen in die Versicherungseinrichtungen" aufgefordert wurde.

Die Wahlen der Arbeitervertreter in den Versicherungsrat wurden erst auf den 15. (2.) März 1914 festgesetzt. Am Vorabend der Wahlen wurde in Nummer 25 des „Putj Prawdy" vom 14. (1.) März die Kandidatenliste für die Versicherungsrat veröffentlicht. Eine Versammlung von 26 Wahlmännern, die am Vorabend der Wahlen in den Versicherungsrat stattfand, konnte sich, unter dem Druck der Liquidatoren stehend, nicht zur Aufstellung einer Kandidatenliste entschließen.

Am 15. (2.) März fanden sich 47 Wahlbevollmächtigte der Arbeiter zur Wahl der Arbeitervertreter in den Versicherungsrat ein. In einer privaten Beratung verfochten die Liquidatoren die Aufstellung einer gemischten Kandidatenliste und die Zusammenlegung der Instruktionen und sprachen sich für die Unterordnung der Arbeitervertreter in den Versicherungsräten unter das Kollektiv der Krankenkassen aus. Etwa 20 Bevollmächtigte stimmten für den Vorschlag der Liquidatoren, die übrigen stimmten für die im „Putj Prawdy" veröffentlichte Instruktion. Mit Stimmenmehrheit wurde die Kandidatenliste des „Putj Prawdy" gewählt. Zu Mitgliedern des Versicherungsrates wurden gewählt G. M. Schkapin, S. D. Tschudin, G. I. Ossipow, N. I. Iljin, S. I. Jankin; zu Stellvertretern wurden gewählt A. S. Kuklin, N. Schwernik, F. A. Amossow, W. M. Zaplin, P. I. Sudakow und einige Anhänger der Liquidatoren.

Die in den Versicherungsrat gewählten Vertreter konstituierten sich als „Arbeiterversicherungsgruppe des Versicherungsrates". Diese Arbeitergruppe veröffentlichte einen Aufruf an alle Arbeiter Russlands. In diesem Aufrufe schlug die Gruppe der bolschewistischen Fraktion in der Duma vor, einen Gesetzentwurf einzubringen, der das Versicherungsprogramm der Arbeiter vollinhaltlich formuliert, und versprach der Dumafraktion jedwede Unterstützung. Allen Arbeitervertretern in den Versicherungsbehörden schlug die Gruppe vor, mit ihr in Verbindung zu freien; als ihr Presseorgan erkannte sie die Zeitschrift „Woprosy Strachowanija" an und forderte zur Unterstützung der bolschewistischen Presse auf. Am Schluss des Aufrufes wurde von der Notwendigkeit der Einberufung eines Reichsversicherungskongresses der Arbeiter zwecks Wahl von Vertretern in den zentralen Versicherungsrat gesprochen. Dieser Aufruf wurde von den Liquidatoren mit Entrüstung aufgenommen (Brief der Initiativgruppe der liquidatorischen Menschewiki Moskaus an die Arbeiterversicherungsgruppe).

Auf den 12. April (30. März) 1924 wurden die Wahlen in die Versicherungsbehörde der Hauptstadt festgesetzt. In einer Versammlung am 11. April (29. März), an der 55 Vertreter der Krankenkassen teilnahmen, wurde eine Instruktion für die Arbeitervertreter bestätigt, deren Entwurf der bei den Wahlen in den Versicherungsrat angenommenen Instruktion sehr nahekam, mit einem Zusatz über die Vereinigung mit der Arbeitergruppe des Versicherungsrates und über die Unterordnung unter das Kollektiv der Krankenkassen, das organisiert werden und „seine gesamte Tätigkeit … mit den Beschlüssen der organisierten Marxisten in Übereinstimmung bringen" sollte. Gewählt wurden auf Grund der Kandidatenliste des „Putj Prawdy" als Mitglieder der Versicherungsbehörde I. J. Koslow, M. I. Schorin und als Stellvertreter P. Ossipow, K. A. Einstein, Filippow u.a. Am 26. (13.) April fanden die Wahlen in die Versicherungsbehörden des Gouvernements Petersburg statt. Die den Mitgliedern der hauptstädtischen Versicherungsbehörde erteilte Instruktion wurde hier einstimmig angenommen; desgleichen wurde die Kandidatenliste des „Putj Prawdy" einstimmig angenommen. Die Arbeitervertreter bzw. ihre Gruppen im Versicherungsrate und in den Versicherungsbehörden der Hauptstadt und des Gouvernements Petersburg gründeten eine vereinigte Zentralstelle für das Versicherungswesen. [Band 17]

Lenin meint hier die sogenannte Versicherungskampagne, die von der Partei in den Jahren 1912 und 1913 durchgeführt wurde. Die Bolschewiki entfalteten in Verbindung mit den Wahlen der Arbeiterbevollmächtigen in die Krankenkassen, die Versicherungsbehörden und den Versicherungsrat eine lebhafte Kampagne. In Petersburg und in einer Reihe anderer Städte verlief diese Kampagne ganz und gar unter der Führung der illegalen bolschewistischen Organisationen und der aktiven Teilnehmer an den Arbeiterorganisationen seitens der Bolschewiki. Die bolschewistische Presse nahm an der Aktion lebhaft teil. Unter den von den Bolschewiki aufgestellten Forderungen befand sich die Anerkennung der Führung der Versicherungskampagne durch die „organisierten Marxisten“, d. h. durch die illegale Sozialdemokratie. Die Liquidatoren begannen in Verbindung mit der Versicherungskampagne einen wütenden Kampf gegen die Bolschewiki, sie lehnten die Forderung der Führung dieser Kampagne durch die Partei ab und vertraten die „Neutralität“ der Versicherungsbewegung. Ungeachtet dessen und trotz den schwierigen polizeilichen Verhältnissen (am Vorabend der Wahlen wurden in Petersburg mehr als 20 aktive Teilnehmer an der Bewegung, hauptsächlich Bolschewiki, verhaftet) brachte die Kampagne den Bolschewiki einen großen Erfolg. Die meisten Wahlmänner akzeptierten die bolschewistischen Forderungen, und in den Versicherungsrat wurden in der Mehrheit die von den Bolschewiki vorgeschlagenen Arbeiter gewählt. Bei den Wahlen in die Versicherungsbehörden in Petersburg wurden ebenfalls in der Mehrheit die bolschewistischen Kandidaten gewählt und die bolschewistischen Forderungen angenommen. Die Versicherungskampagne zeigte einerseits, dass die Arbeitermassen in ihrer Mehrheit mit den Bolschewiki und nicht mit den Liquidatoren gingen, andererseits lieferte sie ein Beispiel dafür, wie der Kampf für Teilforderungen (im gegebenen Falle hinsichtlich der Arbeiterversicherung) zu führen ist, ohne dass dabei die revolutionären Losungen herabgesetzt werden; diese Kampagne zeigte, wie die Teilforderungen zur Festigung des revolutionären Einflusses der Partei in den breiten Arbeitermassen ausgenützt werden können. [ Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 76]

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