Lenin‎ > ‎1905‎ > ‎

W. W. Worowski 19050323 Die Früchte der Demagogie

W. Worowski: Die Früchte der Demagogie1

[„Wperjod" Nr. 11, 23. März n. St. 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 4.2, Wien-Berlin 1929, S. 363-369]

Die Spaltung der Partei, die die Menschewiki [nach dem zweiten Parteitag] begonnen haben, hat in Nischni Nowgorod eigenartige Formen angenommen. Wir haben ein Flugblatt erhalten, das betitelt ist: „Programm des Komitees der sozialdemokratischen Arbeiter von Sormowo und Nischni Nowgorod", in dem die prinzipiellen Beweggründe der Spaltung folgendermaßen charakterisiert werden: „Da wir fest überzeugt sind von der Richtigkeit der Theorien des wissenschaftlichen Sozialismus, aus denen folgt, dass dank den Besonderheiten der wirtschaftlichen Lage des Proletariats nur ,seine' Bewegung eine wahrhaft sozialistisch-revolutionäre Bewegung ist, die die ganze vom Kapital unterdrückte und ausgebeutete Menschheit zu befreien vermag, – so können wir mit der Behauptung des Genossen Lenin nicht einverstanden sein, dass erstens die Arbeiterbewegung, die sich selbständig entwickelt, unvermeidlich zum Trade-Unionismus, d. h. zum rein ökonomischen Kampfe führe und dass zweitens ,die Rolle des Proletariats in der Geschichte bestimmt werde von den Intellektuellen dieser oder jener Denkungsart, selbständige Bestrebungen aber, entstanden durch die Besonderheiten ihrer ,eigentlich' wirtschaftlichen Lage, habe diese unglückliche Klasse nicht' (,Iskra' Nr. 71, Artikel Plechanows). Diese Anschauungen des Genossen Lenin haben aber der Tätigkeit vieler Komitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands zugrunde gelegen und sehr schlechte Ergebnisse gezeitigt. Um die Gefahr der Begeisterung für das bloße Brockensammeln und für die bürgerliche Ideologie aus der Arbeiterbewegung zu beseitigen, sind die Anhänger Lenins auf den Gedanken gekommen, aus der revolutionären Intelligenz ein ,Kader von Wächtern' zu schaffen, die das Proletariat bevormunden und es vor ,falschen' Schritten bewahren sollen. Diese Wächter-Tendenzen haben zu einem Zentralismus in der Partei geführt, der wiederum in den Komitees einen Bürokratismus mit allen seinen spezifischen Besonderheiten hervorgerufen hat: Schlendrian, Mangel an Initiative, Misstrauen gegen die Kräfte des Proletariats und das Bestreben, alles allein zu machen, wenn das auch die Sache schädigt und wenn es auch klar zutage tritt, dass die Intelligenz aus ,eigenen' Kräften mit der gewaltigen Arbeit nicht fertig werden kann. Die Idee der ,Wächter', die eine falsche Angst vor den bürgerlichen Ideen der verschiedenen ,Schulze-Delitzsche' hervorgerufen hat, hat eine solche Angst auch vor dem wirtschaftlichen Kampf überhaupt hervorgerufen." Nach einer langen Reihe von Angriffen gegen das Komitee von Nischni Nowgorod und einer Darlegung der Aufgaben des neugebildeten Komitees stellt das Programm an den nächsten Parteitag zwei charakteristische Forderungen: erstens „soll der Parteitag genau und bestimmt erklären, ob er die Behauptung des Genossen Lenin für richtig hält, dass die Arbeiterbewegung, die sich selbständig entwickelt, unvermeidlich zum Trade-Unionismus führen müsse, zum rein wirtschaftlichen Kampf (d. h., dass die Arbeiterklasse in solchen Fällen nur fähig ist, für einen Sechser mehr Lohn zu kämpfen, nicht aber für die internationalen Ideen der proletarischen Freiheit und des Sozialismus) … insbesondere in der Anwendung auf die russische Arbeiterbewegung im jetzigen historischen Augenblick der politischen Rechtlosigkeit und des wirtschaftlichen Niederganges des Landes, das an einer chronischen Krise der Industrie leidet; zweitens soll der Parteitag sich klar äußern zu der Frage der Tendenzen eines kleinlichen (??) Zentralismus in der Partei, die sich logisch ergeben aus dem Bestreben, mit Hilfe der radikalen (??) Intelligenz die Arbeiterklasse vor allerhand ,falschen' Schritten zu bewahren, denn ein solcher Zentralismus, der das Misstrauen gegen das Proletariat in breitem Umfange organisiert, paralysiert nicht nur jede Initiative und jedes lebendige Verhalten zur Sache, sondern er entstellt auch vollkommen das große Prinzip unseres Vaters (?) Marx und gibt ihm eine unerwünschte Form: die Befreiung der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein, aber unter der Vormundschaft der radikalen Intelligenz…" „Wir haben auf keinen Anstoß von außen zu warten – sagen zum Schluss die Verfasser des Programms –, wir haben ohnehin schon zu lange geschlafen, es ist endlich Zeit, dass man selbst an die eigene Sache herangeht. Die proletarische Intelligenz wird uns im schweren Kampf helfen, sie wird mit uns ihr Wissen und ihre gewaltige revolutionäre Erfahrung teilen, die sie im Verlaufe ihrer leidensreichen Geschichte gesammelt hat."

Ein altes Lied nach neuer Melodie! Vor langer, langer Zeit hörten wir schon diese honigsüßen Reden von der „Selbsttätigkeit" des Proletariats, von den Herrlichkeiten der spontanen Entwicklung, von der Notwendigkeit, „endlich" die eigene Sache in die eigenen Hände zu nehmen usw. Gegen diese chwostistische Demagogie kämpfte die alte „Iskra" und in ihren ersten Reihen Plechanow. Darum klingt es wie bittere Ironie, wenn dieser Rückfall in das „Rabotschedjelzentum" entgegengestellt wird einem Hinweis auf Plechanow, wenn aus seinen Artikeln chwostistische Losungen gefolgert werden. Die Sormower Gruppe glaubt naiverweise an die Feuilletons Plechanows, sie glaubt so sehr an sie, dass sie sich sogar die Kenntnis der Ansichten Lenins nicht aus seiner Broschüre, sondern aus der entstellten Darstellung Plechanows holt. Darum ist es am besten, sich an das Büchlein „Was tun?" selbst zu wenden und zu sehen, inwieweit die Vertrauensseligkeit der Sormower [„Arbeiter" (?), die plötzlich im Stile der „Iskra"-Leitartikel zu reden begonnen haben] berechtigt ist.

Noch auf dem Parteitag hatte Plechanow, der zu jener Zeit Lenin und seine Broschüre „Was tun?" verteidigte, sehr richtig bemerkt: „Lenin hat nicht ein Traktat über Philosophie der Geschichte geschrieben, sondern einen polemischen Artikel gegen die Ökonomisten, die sagten: wir müssen abwarten, wozu die Arbeiterklasse selbst komme, ohne Hilfe des revolutionären Bazillus". Diese Worte definieren vollkommen richtig den Sinn und die Bedeutung der Leninschen Broschüre, und wenn Plechanow jetzt sagt, dass er mit ihren theoretischen Grundsätzen von Anfang an nicht einverstanden gewesen sei, so beweist das nur, wie richtig er die wirkliche Bedeutung der Broschüre beurteilen konnte, als die Notwendigkeit nicht bestand, „prinzipielle Meinungsverschiedenheiten" mit Lenin zu erfinden. In der Tat war „Was tun?" eine polemische Broschüre, [die vollkommen gewidmet war der Kritik am chwostistischen Flügel in der damaligen Sozialdemokratie, der Kennzeichnung und Widerlegung der besonderen Fehler dieses Flügels]. Es wäre lächerlich, wenn Lenin in einer. Broschüre, die „die brennenden Fragen unserer Bewegung'' behandelte, nachweisen wollte, dass die Entwicklung der Ideen, insbesondere des wissenschaftlichen Sozialismus, vor sich gegangen ist und vor sich geht in enger historischer Verbindung mit der Entwicklung der Produktivkräfte, [in enger Verbindung mit dem Wachstum der Arbeiterbewegung überhaupt]. Für ihn war es wichtig, die Tatsache festzustellen, dass die Arbeiterklasse sich noch nirgends selbständig zu einer sozialistischen Ideologie emporgearbeitet hat, dass diese Ideologie, [die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus] stets von der Sozialdemokratie hineingetragen wurde, [dass es darum notwendig war, die Leute, die die Bedeutung unserer Zielbewusstheit, unseres Dogmas herabsetzten (eben die Leute vom „Rabotscheje Djelo") zu erinnern an die Pflicht der Sozialisten, die Zielbewusstheit von außen hinein zu tragen. Wie klar diese unkomplizierten Dinge für Plechanow vor der Kooptierung waren, als er es noch nicht nötig hatte, literarische Reiterkunststücke zu vollführen, das geht am deutlichsten hervor aus seinen folgenden Worten] auf dem Parteitag gegen Martynow (der jetzt sein nächster Mitarbeiter ist) und gegen Akimow. Hier hat Plechanow sehr deutlich gesprochen. „Dem revolutionären Bazillus war es verboten, den Arbeitern irgend etwas zu sagen,W – sagte er von den Ökonomisten, – „gerade weil er ein revolutionärer Bazillus ist, d. h. ein theoretisches Bewusstsein hat. Wenn ihr aber den Bazillus beseitigt, dann bleibt nur eine unbewusste Masse, in die das Bewusstsein von außen hineingetragen werden muss. Wenn ihr gegen Lenin gerecht sein wolltet und sein ganzes Buch aufmerksam durchgelesen hättet, so würdet ihr gesehen haben, dass er gerade das sagt" (Parteitagsprotokolle, S. 123). Ein ausgezeichneter Rat, und man muss nur bedauern, dass Plechanow ihn selbst nicht befolgt hat. Aber schon vorher, noch lange vor dem Parteitag, hat Plechanow den gleichen Gedanken Lenins anerkannt und festgelegt im Entwurf des Parteiprogramms, einem Entwurf, den, wie er jetzt sagt, nicht Lenin geschrieben hat (also Plechanow?)A.

Die Sozialdemokratie, – heißt es im Programm – organisiert es (das Proletariat) zu einer selbständigen politischen Partei…, leitet alle seine Klassenkämpfe… und klärt es auf über die historische Bedeutung und die notwendigen Bedingungen der bevorstehenden sozialen Revolution." Also nicht das Proletariat selbst schließt sich zusammen zur politischen Partei, nicht die „Selbsttätigkeit" des Proletariats leitet seinen Klassenkampf, nicht das Proletariat selbst gelangt zum Bewusstsein der Notwendigkeit der sozialen Revolution, sondern, im Gegenteil, alle Elemente des Bewusstseins werden von außen in das Proletariat hineingetragen durch die Sozialdemokratie – diese Trägerin der Zielbewusstheit der Arbeiterklasse (das berühmte Kapitel in „Was tun?" heißt ja auch „Spontaneität der Massen und Zielbewusstheit der Sozialdemokratie"). Plechanow konnte nicht umhin, unter dieses Programm seinen Namen zu setzen, nachdem er seit dem Erscheinen der ersten Nummer der „Iskra" in die „Leninsche Ketzerei" verfallen war. In der Tat, was denn anderes als den wesentlichen Inhalt der verbrecherischen Broschüre Lenins, enthält folgende Stelle aus dem programmatischen Artikel in Nr. 1 der „Iskra": „Die Sozialdemokratie ist die Vereinigung der Arbeiterbewegung mit dem Sozialismus, ihre Aufgabe ist nicht, der Arbeiterbewegung in jedem einzelnen Stadium passiv zu dienen, sondern die Interessen der Gesamtbewegung zu vertreten, dieser Bewegung ihr Endziel und ihre politischen Aufgaben zuzuweisen, ihre politische und ideologische Selbständigkeit zu schützen (o Schrecken!). Losgelöst von der Sozialdemokratie, muss die Arbeiterbewegung zersplittern und unvermeidlich verbürgerlichen." … Und etwas weiter heißt es im gleichen Artikel: „Daraus ergibt sich von selbst die Aufgabe, die zu verwirklichen die russische Sozialdemokratie berufen ist: die sozialistischen Ideen und das politische Selbstbewusstsein in der Masse des Proletariats zu verankern und eine revolutionäre Partei zu organisieren, die mit der elementaren Arbeiterbewegung unlösbar verbunden ist." Der programmatische Artikel in Nummer 1 ist aber nicht vom Himmel gefallen, er ist vorbereitet worden durch die Ankündigung über die Herausgabe der „Iskra". In dieser Ankündigung schrieb die Redaktion: „Wer in der Sozialdemokratie eine Organisation sieht, die ausschließlich dem spontanen Kampfe des Proletariats zu dienen habe, den kann eine nur örtliche Agitation und eine ,reine Arbeiterliteratur' befriedigen. Wir fassen die Sozialdemokratie nicht so auf." Wir haben schon gesehen, welche Auffassung die Redaktion von der Sozialdemokratie hatte. Und hier einige Zeilen, die in Bezug auf das neu erstandene Sormower Komitee gerade ins Schwarze trafen: „der beschränkte, von der theoretischen Beleuchtung der Bewegung in ihrer Gesamtheit losgelöste Praktizismus droht die Bewegung auf ein falsches Geleis zu drängen."

So schrieb und erlaubte zu schreiben Plechanow in jener lichten Periode der alten „Iskra", als er, wie nie zuvor, in engem Kontakt mit der proletarischen Massenbewegung stand. So schrieb Plechanow, und er konnte gar nicht anders schreiben, weil ja alle angeführten „Leninschen Ketzereien" nur eine Wiedergabe der Gedanken der Haupttheoretiker des Sozialismus, vor allem der Gedanken von Marx selber sind. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus schreiben im „Kommunistischen Manifest" folgendes: „Die Kommunisten (d. h. die Sozialdemokraten, d. h. die Träger der Zielbewusstheit) unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie … in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus."

Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe, wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur KlasseB, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat." In Bezug auf die durch Sperrung hervorgehobene Stelle wollen wir nebenbei bemerken, dass Marx das Proletariat nur insofern als Klasse betrachtet, als es zum Klassenbewusstsein gelangt. Hier die gedrängte, aber höchst inhaltsreiche Formulierung seiner Ansicht, die im „Elend der Philosophie" gegeben ist: „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen."C Im „Kommunistischen Manifest" geht Marx sehr ausführlich ein auf diesen Kampf, in dessen Prozess sich „die Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei vollzieht.D Und eben diese gewaltige historische Aufgabe – die Bildung des Proletariats zur Klasse, seine Verwandlung aus einer zersplitterten, unbewussten Masse in eine bewusste, organisierte Kraft – diese Aufgabe betrachtet Marx als das nächste Ziel der Sozialdemokratie. Wenn Marx von den praktischen Aufgaben der Partei spricht, von den „brennenden Fragen der Bewegung", so zieht er natürlich die langsame, spontane Entwicklung der Masse in Betracht und [stellt dieser Spontaneität entgegen] die Zielbewusstheit der Sozialdemokratie. Das hindert Marx absolut nicht, die Bedeutung der selbständigen Entwicklung des Proletariats zur Klasse, des Übergangs der Spontaneität zur Bewusstheit richtig einzuschätzen. Ebenso widerspricht die rein praktisch – und, wie wir gesehen haben, rein marxistisch – behandelte Frage in „Was tun?" keineswegs der orthodoxesten Auffassung vom wissenschaftlichen Sozialismus. Nicht umsonst schrieb Plechanow, nachdem über ein Jahr verstrichen war, seitdem er die Broschüre Lenins gelesen hatte, dass Lenin ein „Gesinnungsgenosse" sei, der die gewaltige Bedeutung, die eine richtige Theorie für unsere Sache hat, nicht schlechter als wir begriffen habe. („Iskra" Nr. 41.) Und wenn Plechanow später, in Nr. 70 und 71 der „Iskra" den Leser zu überzeugen sucht, dass er Lenin stets die „Fähigkeit zum dialektischen Denken abgesprochen habe," so wird jeder leicht begreifen, dass hier [bei Plechanow] eine bestimmte Absicht vorlag. Welche diese Absicht war, kann man leicht erraten, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass zwischen den Nrn. 41 und 71 der „Iskra" gerade die Tatsache der Kooptierung der Minderheit in die Redaktion liegt, und hierdurch hervorgerufen, der Bruch zwischen Plechanow und Lenin. Wie in der ganzen Kooptierungskampagne der Minderheit, so mussten auch in diesem Einzelfalle, um die Position zu beschönigen, nicht vorhandene Meinungsverschiedenheiten erfunden, demagogische Feuilletons geschrieben werden. Dass die berüchtigten Plechanowschen Feuilletons, die die Grundsätze absolut nicht klarlegen (denn wie das Verhältnis der Zielbewusstheit zur Spontaneität aufzufassen ist, davon ist nur nebenbei und sehr unklar die Rede), nur einen demagogischen Einfluss ausüben, – dafür zeugt am besten das oben zitierte Flugblatt der Sozialdemokraten von Sormowo. Ausgehend von den Feuilletons Plechanows sind sie zu solchen Schlüssen gelangt, wie die Ablehnung der sozialdemokratischen Intelligenz, die sie als „radikal" bezeichnen, wie die Verkündung [der vom Geiste des „Rabotscheje Djelo" (wenn nicht gar Subatows) getragenen Losung] der „Selbsttätigkeit", wie die Ablehnung des Zentralismus. Natürlich würde Plechanow selber zurückweichen vor diesen Schlussfolgerungen seiner übereifrigen Anhänger, ebenso wie Axelrod vor kurzem die Schlüsse verleugnete, die „Rabotschij"E aus seinen Artikeln gezogen hatte. Aber darin liegt ja eben das Wesen einer jeden Demagogie, dass sie sich nicht an das „Bewusstsein" wendet, sondern an die „Spontaneität", nicht an die Vernunft, sondern an den Instinkt, und darum führt sie überall zu Folgen, über die die Demagogen selber nicht froh sind. Auf dem Spontaneitätskultus bauten die Leute vom „Rabotscheje Djelo" ihre ganze chwostistische Taktik auf; das war ihr Prinzip. Unsere neuen „Rabotschedjelzen", – die Leute der neuen „Iskra" – wiederholen die gleichen Worte, die gleiche Terminologie, jedoch haben sie in der Praxis nirgends, wie der erwähnte Axelrodsche „Arbeiter" bezeugt, irgendeinen neuen Grundsatz verwirklicht: ihre Arbeit ist ebenso organisiert wie in den Komitees der Mehrheit, und auch das Verhältnis der Intelligenz zu den Arbeitern ist bei ihnen das gleiche. Und wir möchten allen Arbeiter-Genossen, für die die Wechselbeziehung zwischen Spontaneität und Zielbewusstheit eine so aktuelle, so brennende Frage ist, vorschlagen, dass sie, wenn sie das Flugblatt der Sozialdemokraten von Sormowo gelesen haben, über folgende Fragen nachdenken: warum hat die Verkündung [der vom Geiste des „Rabotscheje Djelo" getragenen Phrase] von der „Selbsttätigkeit" des Proletariats die Menschewisten nicht zur Ausarbeitung eines neuen, demokratischeren Organisationsprinzips veranlasst? Warum wird die radikale Intelligenz" plötzlich in eine „proletarische Intelligenz" verwandelt, sobald sie in die Reihen der Minderheit übergeht? Warum hört der Zentralismus sofort auf, ein „kleinlicher" und überhaupt schädlicher zu sein, sobald die Zentralstellen faktisch in die Hände der Menschewisten gelangen? Diese Fragen lösen heißt seinen Verstand säubern von „Nebenabsichten" und ihn vorbereiten für die richtige Auffassung der Frage der Spontaneität und der Zielbewusstheit.

1 In eckigen Klammern stehen die Ergänzungen sind Korrekturen, die Lenin gemacht hat. D. Red.

A Durch die Betonung, dass der Programmentwurf nicht von mir verfasst ist, trägt Plechanow als erster, in Form einer Anspielung, eines Tadels und Vorwurfs, unsere Streitigkeiten über den Programmentwurf in die Öffentlichkeit hinaus. Leider erzählt er nichts über diese Streitigkeiten, sondern beschrankt sich auf Klatsch, d. h. auf eine zwar pikante, aber unklare und unkontrollierte Behauptung. Ich sehe mich daher veranlasst, dem Artikel meines Kollegen gegen Plechanow hinzuzufügen, dass ich dokumentarische Belege über unsere Streitigkeiten bei der Behandlung des Programmentwurfes besitze, und ich werde diese Belege bei Gelegenheit veröffentlichen. Die Leser werden dann sehen: 1. dass die Behauptung Plechanows, die Erkaltung der Beziehungen zwischen uns sei hervorgerufen worden durch die Broschüre „Was tun?", ganz unwahr ist; sie erfolgte wegen der Spaltung des Sechsmännerkollegiums bei den Auseinandersetzungen über das Programm in zwei gleiche Hälften, 2. dass ich die Aufnahme der These über die Verdrängung des Kleinbetriebes durch den Großbetrieb verfochten und durchgesetzt habe; Plechanow wollte sich auf einen verschwommenen Ausdruck im Geiste des berühmten „mehr oder weniger" beschränken; 3. dass ich an der Stelle, wo es sich um den Klassencharakter unserer Partei handelte, die Ersetzung des Ausdrucks „werktätige und ausgebeutete Masse" durch den Ausdruck „Proletariat" verfochten und durchgesetzt habe; 4. dass Plechanow, als ich und meine Anhänger im Sechsmännerkollegium ihm den Vorwurf machten, in seinem Programmentwurf sei der proletarische Charakter der Partei nicht genügend klar zum Ausdruck gebracht, sich mit der Gegenbeschuldigung verteidigte, ich verstünde den proletarischen Charakter der Partei auf Martynowsche Art. Anmerkung Lenins.

B „Bildung des Proletariats zur Klasse" –, diese Stelle ist von Plechanow (dessen russische Übersetzung des Kommunistischen Manifestes Worowski in diesem Artikel benutzte. D. Red.) falsch übersetzt mit „Organisation der Arbeiterklasse". Vielleicht war Plechanow schon damals mit Lenin nicht einverstanden, und er vertiefte Marx, indem er die Rolle des „Bewusstseins" verkleinerte?

C „Das Elend der Philosophie", Verlag Dietz, vierte Auflage, S. 162.

D Übrigens ist auch diese Stelle von Plechanow [ungenau] übersetzt: „Organisation der Proletarier zu einer besonderen Klasse, und damit zur politischen Partei". Es handelt sich gar nicht darum, dass das Proletariat sich von den übrigen Klassen absondert, sondern dass es aus einer amorphen Masse zur Klasse wird, oder nach der Marxschen Terminologie, aus „einer Klasse gegenüber dem Kapital" zu einer „Klasse für sich selbst".

E „Rabotschij" („Arbeiter") – Pseudonym des Verfassers der Broschüre „Arbeiter und Intellektuelle in unseren Organisationen", die 1904 mit einem Vorwort von P. Axelrod in Genf erschien (russisch). Näheres siehe auch Lenins sämtliche Werke, Bd. VII. D. Red.

Kommentare