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Wladimir I. Lenin 19050221 Über ein Kampfbündnis für den Aufstand

Wladimir I. Lenin: Über ein Kampfbündnis für den Aufstand

[Wperjod" Nr. 7, 8./ 21. Februar 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 165-174]

Die „Rewoluzionnaja Rossija" (Nr. 58) schreibt:

Möge endlich wenigstens jetzt der Geist der Kampfeseinigung in die von dem brudermörderischen Hader zerfressenen Reihen der revolutionär-sozialistischen Fraktionen einziehen und das verbrecherisch untergrabene Bewusstsein der sozialistischen Solidarität wieder aufleben lassen … Sparen wir soviel als möglich die revolutionären Kräfte, indem wir ihre Aktion durch den übereinstimmenden Angriff steigern!"1

Wir waren mehr als einmal genötigt, gegen die Herrschaft der Phrase bei den Sozialrevolutionären zu protestieren, wir müssen auch jetzt dagegen protestieren. Wozu, Herrschaften, diese schrecklichen Worte über „brudermörderischen Hader" und dergleichen mehr? Sind sie der Revolutionäre würdig? Gerade jetzt, wo der wirkliche Kampf tobt, wo Blut fließt, von dem die „Rewoluzionnaja Rossija" auch so übermäßig schön spricht, gerade jetzt klingen die ungeheuerlichen Übertreibungen über den „brudermörderischen Hader" besonders falsch. Die Kräfte sparen, sagt ihr? Aber die Kräfte spart man doch durch eine einheitliche, geschlossene, prinzipiell übereinstimmende Organisation, nicht aber durch das Zusammenleimen von Ungleichartigem. Bei den unfruchtbaren Versuchen eines derartigen Zusammenleimens werden die Kräfte nicht gespart, sondern vergeudet. Um in der Tat und nicht in Worten eine „Kampfeseinigung" zustande zu bringen, muss man klar, deutlich und dabei aus Erfahrung wissen, worin eben und inwiefern wir einig sein können. Ohne das sind die Gespräche über Kampfeseinigung nur Worte, Worte und Worte, dieses Wissen aber gewinnt man unter anderem gerade durch jene Polemik, jenen Kampf und jenen Hader, von dem ihr in so „schrecklichen" Ausdrücken redet. Wäre es wirklich besser, jene Meinungsverschiedenheiten zu verschweigen, die ganze gigantische Abschnitte des russischen gesellschaftlichen und sozialistischen Gedankens voneinander trennen? Hat denn nur der „Kult der Zwietracht" den erbitterten Kampf zwischen dem Narodnikitum, dieser unklaren, von sozialistischen Schwärmereien erfüllten Ideologie der demokratischen Bourgeoisie und dem Marxismus, der Ideologie des Proletariats, hervorgerufen? Nicht doch, Herrschaften, ihr macht euch ja nur lächerlich, wenn ihr euch soweit versteigt, wenn ihr nach wie vor die marxistische Kennzeichnung des bürgerlich-demokratischen Wesens des Narodnikitums und eures „Sozialrevolutionismus" als „Beleidigung" empfindet. Wir werden auch in den künftigen Revolutionskomitees in Russland miteinander unvermeidlich streiten, Meinungsverschiedenheiten haben und hadern – man soll aber aus der Geschichte lernen. Man muss darauf bedacht sein, dass es im Moment der Aktion keine unerwarteten, für niemand verständlichen, verworrenen Streitigkeiten sind, man muss auf sie vorbereitet sein, um prinzipiell zu diskutieren, um die Ausgangspunkte jeder Richtung zu kennen, um im Voraus die mögliche Einigung und den unvermeidlichen Hader festzustellen. Die Geschichte der revolutionären Epochen liefert viele, allzu viele Beispiele der ungeheuren Schädlichkeit übereilter und unreifer Experimente einer „Kampfeseinigung", die die ungleichartigsten Elemente in den Komitees des revolutionären Volkes zusammen leimte und nur zu gegenseitigen Reibereien und bitteren Enttäuschungen führte.

Wir wollen uns die Lehre dieser Geschichte zunutze machen. Wir sehen im Marxismus, der euch als ein enges Dogma erscheint, gerade die Quintessenz dieser geschichtlichen Lehre und Anleitung. Wir sehen in der selbständigen, unversöhnlich marxistischen Partei des revolutionären Proletariats die einzige Gewähr für den Sieg des Sozialismus und den von Schwankungen denkbar freiesten Weg zum Siege. Wir werden daher niemals, auch nicht in den revolutionärsten Augenblicken, auf die völlige Selbständigkeit der Sozialdemokratischen Partei, auf die völlige Unversöhnlichkeit unserer Ideologie verzichten.

Euch scheint es, dass dies die Kampfeseinigung ausschließt? Ihr irrt. Ihr könnt aus der Resolution unseres II. Parteitages ersehen, dass wir Bündnisse für den Kampf und im Kampfe nicht ablehnen. Wir haben in Nr. 4 des „Wperjod" betont, dass der Beginn der Revolution in Russland zweifellos den Augenblick der praktischen Verwirklichung dieser Bündnisse näher rückt. Der gemeinsame Kampf der revolutionären Sozialdemokratie und der revolutionären Elemente der Demokratie ist in der Epoche des Verfalls des Absolutismus unvermeidlich und notwendig. Wir glauben, dass wir der Sache künftiger Kampfbündnisse besser dienen, wenn wir statt bittere, vorwurfsvolle Phrasen zu dreschen, die Bedingungen ihrer Möglichkeit und ihrer mutmaßlichen Grenzen, ihrer, wenn man so sagen darf, „Kompetenzen" nüchtern und kühl abwägen. Diese Arbeit haben wir in Nr. 3 des „Wperjod" begonnen, indem wir an das Studium des Fortschreitens der „Partei der Sozialrevolutionäre" vom Narodnikitum zum Marxismus gingen.

Die Masse hat selbst zu den Waffen gegriffen“ – schreibt die „Rewoluzionnaja Rossija" anlässlich des 9. Januar –, „kein Zweifel, dass über kurz oder lang die Frage der Bewaffnung der Massen gelöst sein wird". „Und dann erst wird jene Verschmelzung von Terrorismus und Massenbewegung so recht deutlich in Erscheinung treten und ihre Verwirklichung finden, die wir gemäß dem ganzen Geiste unserer Parteitaktik mit Wort und Tat erstreben." (In Klammern sei bemerkt, dass wir hinter das vorletzte Wort gern ein Fragezeichen gesetzt hätten, und wir fahren im Zitat fort.) „Vor noch gar nicht langer Zeit waren vor unseren Augen diese beiden Faktoren der Bewegung getrennt und ermangelten infolge dieser Trennung der gebührenden Kraft."

Was wahr ist, ist eben wahr! So verhält es sich. Der intelligenzlerische Terror und die Massenbewegung der Arbeiter waren getrennt und ermangelten infolge dieser Trennung der gebührenden Kraft. Gerade das sagte immer die revolutionäre Sozialdemokratie. Gerade deshalb kämpfte sie stets nicht nur gegen den Terror, sondern auch gegen jene Schwankungen in der Richtung zum Terror, die die Vertreter des Intellektuellenflügels unserer Partei mehr als einmal an den Tag legten*. Gerade deshalb wandte sich gegen den Terror auch die alte „Iskra", als sie in Nr. 48 schrieb:

Der terroristische Kampf der alten Аrt war die gefahrenreichste Form des revolutionären Kampfes, und wer sich ihm widmete, galt als entschlossener und selbstloser Kämpfer … Jetzt aber, wo die Demonstrationen in den offenen Widerstand gegen die Regierung übergehen … hört unser alter Terrorismus auf, die allein mutige Kampfmethode zu sein … Jetzt ist das Heldentum auf den Marktplatz gegangen; die wahren Helden unserer Zeit sind jetzt jene Revolutionäre, die an der Spitze der gegen ihre Unterdrücker aufgestandenen Volksmasse marschieren … Der Terrorismus der großen französischen Revolution … begann am 14. Juli 1789 mit der Erstürmung der Bastille. Seine Kraft war die Kraft der revolutionären Bewegung des Volkes … Dieser Terrorismus wurde hervorgerufen nicht durch die Enttäuschung über die Schwäche der Massenbewegung, sondern im Gegenteil durch den unerschütterlichen Glauben an ihre Kraft … Die Geschichte dieses Terrorismus ist für den russischen Revolutionär außerordentlich lehrreich."**

Ja und tausendmal ja! Die Geschichte dieses Terrorismus ist außerordentlich lehrreich. Lehrreich sind auch die angeführten Zitate aus der „Iskra", die der Epoche vor anderthalb Jahren angehören. Diese Zitate zeigen uns in voller Größe jene Gedanken, zu denen unter dem Einfluss der revolutionären Lehren auch die Sozialrevolutionäre gelangen möchten. Diese Zitate erinnern uns an die Bedeutung des Glaubens an die Massenbewegung, sie erinnern uns an die revolutionäre Konsequenz, die nur durch Grundsatzfestigkeit erreicht wird und die allein uns vor „Enttäuschungen" bewahren kann, welche durch einen längeren scheinbaren Stillstand dieser Bewegung hervorgerufen werden. Jetzt, nach dem 9. Januar, könnte von irgendwelchen „Enttäuschungen" durch die Massenbewegung, auf den ersten Blick, gar keine Rede sein. Aber nur auf den ersten Blick. Man muss unterscheiden zwischen der momentanen „Faszinierung" durch das glänzende Hervortreten des Heroismus der Masse und den festen, durchdachten Überzeugungen, die die gesamte Parteitätigkeit mit der Massenbewegung unzertrennlich verbinden, weil der Grundsatz des Klassenkampfes an die Spitze gestellt ist. Man muss eingedenk sein, dass die revolutionäre Bewegung, so hoch auch die gegenwärtige, nach dem 9. Januar von ihr erreichte Stufe ist, jedenfalls noch viele Etappen durchzumachen haben wird, bis unsere sozialistischen und demokratischen Parteien auf einer neuen Grundlage in einem freien Russland erstehen werden. Und wir müssen in allen diesen Etappen, in allen Peripetien des Kampfes die feste Verbindung zwischen der Sozialdemokratie und dem Klassenkampf des Proletariats aufrechterhalten, wir müssen ununterbrochen für die Stärkung und Festigung dieser Verbindung sorgen.

Deshalb scheint uns die folgende Behauptung der „Rewoluzionnaja Rossija" eine offensichtliche Übertreibung zu sein:

Die Pioniere des bewaffneten Kampfes verschwanden in den Reihen der erregten Masse …"

Das ist eher wünschenswerte Zukunft als bereits verwirklichte Gegenwart. Die Ermordung des Großfürsten Sergius in Moskau am 17. (4.) Februar, die heute der Telegraph meldete, ist offensichtlich Terrorismus der alten Art. Die Pioniere des bewaffneten Kampfes sind noch nicht in den Reihen der bewaffneten Masse verschwunden. Die Pioniere mit den Bomben lauerten offenbar in Moskau Sergius auf zu einer Zeit, wo die Masse (in Petersburg) ohne Pioniere, ohne Waffen, ohne revolutionäre Offiziere und ohne revolutionären Stab „mit grimmiger Wut sich gegen die stachligen Borsten der Bajonette stürzte", wie sich dieselbe „Rewoluzionnaja Rossija" ausdrückt. Die Trennung, von der oben die Rede war, besteht noch, und die Unzulänglichkeit des individuellen intelligenzlerischen Terrors ist um so frappanter, je klarer es nun für alle wurde, dass „die Masse sich zu den individuellen Helden erhoben hat, dass in ihr der Massenheroismus erwacht ist" („Rewoluzionnaja Rossija" Nr. 58). Die Pioniere müssen tatsächlich in der Masse verschwinden, d. h. ihre aufopferungsvolle Energie in unzertrennlicher, faktischer Verbindung mit der sich erhebenden Masse verwenden zusammen mit der Masse gehen, nicht im übertragenen, nicht im symbolischen, sondern im buchstäblichen Sinne des Wortes. Dass dies notwendig ist, daran ist jetzt irgendein Zweifel kaum denkbar. Dass es möglich ist, beweist der 9. Januar und die ganze fortdauernde dumpfe Gärung der Arbeitermassen. Dass es eine neue und höhere Aufgabe ist, eine schwierigere im Vergleich zu den vorangegangenen, das kann und darf uns nicht davon abhalten, sofort praktisch an ihre Lösung zu gehen.

Die Kampfeseinigung der Sozialdemokratischen Partei mit der revolutionär-demokratischen Partei, mit der Partei der Sozialrevolutionäre, könnte eines der Mittel sein, die eine solche Lösung erleichtern. Eine solche Einigung könnte um so eher verwirklicht werden, je schneller die Pioniere des bewaffneten Kampfes in den Reihen der sich erhebenden Masse „verschwinden", je entschlossener die Sozialrevolutionäre den Weg beschreiten, den sie selbst in folgenden Worten andeuten:

Möge diese beginnende Verschmelzung des revolutionären Terrorismus und der Massenbewegung wachsen und erstarken, möge die Masse bald in der vollen Rüstung der terroristischen Kampfmittel auftreten!"

In Erwägung einer baldigen Verwirklichung der Versuche einer solchen Kampfeseinigung drucken wir mit Vergnügen folgenden uns von Georgij Gapon zugegangenen Brief ab:

Offener Brief an die Sozialistischen Parteien Russlands

Die blutigen Januartage in Petersburg und im übrigen Russland haben die unterdrückte Arbeiterklasse von Angesicht zu Angesicht dem absolutistischen Regime mit dem blutsaugerischen Zaren an der Spitze gegenübergestellt. Die große russische Revolution hat begonnen. Alle, denen die Volksfreiheit wirklich am Herzen liegt, müssen siegen oder sterben. In Erkenntnis der Wichtigkeit des gegenwärtigen historischen Moments, bei der gegenwärtigen Lage der Dinge, da ich vor allem ein Revolutionär und ein praktischer Mensch bin, rufe ich alle sozialistischen Parteien Russlands auf, sich sofort miteinander zu verständigen und an das Werk des bewaffneten Aufstandes gegen den Zarismus zu gehen. Alle Kräfte jeder Partei müssen mobilisiert werden. Der technische Kampfplan muss bei allen ein gemeinschaftlicher sein. Bomben und Dynamit, individueller und Massenterror, alles was den Volksaufstand fördern kann. Das nächste Ziel ist der Sturz des Absolutismus, eine provisorische revolutionäre Regierung, die sofort eine Amnestie für alle Kämpfer für politische und religiöse Freiheit verkündet, sofort das Volk bewaffnet und sofort eine konstituierende Versammlung auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts einberuft. Ans Werk, Genossen! Vorwärts in den Kampf! Wiederholen wir die Losung der Petersburger Arbeiter vom 9. Januar – Freiheit oder Tod! Jetzt ist jede Verzögerung, jeder Wirrwarr ein Verbrechen gegen das Volk, dessen Interessen ihr verteidigt. Indem ich alle meine Kräfte in den Dienst des Volkes gestellt habe, aus dessen Schoß ich (Sohn eines Bauern) selbst hervorgegangen bin – indem ich mein Schicksal mit dem Kampf gegen die Unterdrücker und Ausbeuter der Arbeiterklasse unwiderruflich verbunden habe, werde ich naturgemäß mit ganzem Herzen und ganzer Seele bei denen sein, die sich mit der wirklichen Arbeit zur wirklichen Befreiung des Proletariats und der ganzen werktätigen Masse von kapitalistischer Unterdrückung und politischer Knechtschaft befassen werden.

Georgij Gapon"

Aus Anlass dieses Briefes halten wir es unsererseits für notwendig, uns mit größter Offenheit und Bestimmtheit zu äußern. Wir halten die von Gapon vorgeschlagene „Verständigung" für möglich, nützlich und notwendig. Wir begrüßen es, dass G. Gapon eben von einer „Verständigung" spricht, denn nur die Wahrung der vollen prinzipiellen und organisatorischen Selbständigkeit jeder einzelnen Partei kann dazu beitragen, dass die Versuche ihrer Einigung zum Kampf nicht hoffnungslos bleiben. Wir müssen mit diesen Versuchen sehr vorsichtig sein, um nicht durch unnützes Verbinden von Ungleichartigem zu einer Einheit der Sache zu schaden. Wir werden unvermeidlich getrennt marschieren müssen, wir können aber mehr als einmal und wir können gerade jetzt vereint schlagen2. Von unserem Standpunkt aus wäre es wünschenswert, dass diese Verständigung nicht nur die sozialistischen, sondern überhaupt die revolutionären Parteien erfasst, denn das nächste Ziel des Kampfes hat nichts sozialistisches an sich, und wir dürfen nicht die nächsten demokratischen Ziele mit unserem Endziel der sozialistischen Revolution verwechseln und werden eine solche Verwechslung auch niemals gestatten. Es wäre wünschenswert und von unserem Standpunkt für die Verständigung notwendig, dass statt des allgemeinen Aufrufes zum „individuellen und Massenterror" als Aufgabe der vereinigten Aktionen direkt und bestimmt die unmittelbare und faktische Verschmelzung des Terrorismus mit dem Aufstände der Massen gestellt wird. Allerdings, der Zusatz von Gapon: „alles, was den Volksaufstand fördern kann" zeigt klar seinen Wunsch, den individuellen Terror gerade diesem Ziel unterzuordnen, aber dieser Wunsch, der auf denselben Gedanken hindeutet, den wir in Nr. 58 der „Rewoluzionnaja Rossija" festgestellt haben, muss bestimmter formuliert sein und sich in ganz unzweideutigen, praktischen Beschlüssen verkörpern. Endlich bemerken wir, unabhängig von den Bedingungen der Möglichkeit der in Vorschlag gebrachten Verständigung, dass uns auch die Parteilosigkeit G. Gapons als ein negativer Faktor erscheint. Es ist selbstverständlich, dass bei einem so raschen Übergang vom Glauben an den Zaren und von Bittschriften an ihn zu revolutionären Zielen Gapon nicht auf einmal sich eine klare, revolutionäre Weltanschauung bilden konnte. Das ist unvermeidlich, und je schneller und breiter die Entwicklung der Revolution vor sich gehen wird, um so häufiger wird sich diese Erscheinung wiederholen. Doch ist volle Klarheit und Bestimmtheit in den Beziehungen zwischen den Parteien, Richtungen und Schattierungen die unbedingt notwendige Voraussetzung für irgendeine erfolgreiche zeitweilige Verständigung unter ihnen. Klarheit und Bestimmtheit werden bei jedem praktischen Schritt notwendig sein und dadurch bei der wirklichen, praktischen Arbeit Bestimmtheit und Vermeidung von Schwankungen bewirken. Der Beginn der Revolution in Russland wird wahrscheinlich dazu führen, dass viele Personen und vielleicht auch Richtungen auf der politischen Bühne erscheinen und der Meinung sein werden, dass die Losung „Revolution" für „praktische Menschen" als Bestimmung ihrer Ziele und ihrer Aktionsmittel vollständig genüge. Nichts kann irriger sein als eine solche Meinung. Die scheinbar höhere oder bequemere oder „diplomatischere" parteilose Stellung ist in Wirklichkeit nur eine unklarere, undeutlichere und führt unvermeidlich zu Inkonsequenzen und Schwankungen in der praktischen Tätigkeit. Im Interesse der Revolution ist unser Ideal keineswegs, dass alle Parteien, alle Richtungen, Schattierungen sich zu einem revolutionären Mischmasch vereinigen. Im Gegenteil, das Wachstum und die Ausdehnung der revolutionären Bewegung, ihr immer tieferes Eindringen in die verschiedensten Volksklassen und -schichten wird unvermeidlich (und das ist gut so) immer neue und neue Richtungen und Schattierungen hervorrufen. Nur völlige Klarheit und Bestimmtheit in ihren gegenseitigen Beziehungen zueinander und in ihrem Verhältnis zur Stellung des revolutionären Proletariats können der revolutionären Bewegung den größten Erfolg sichern. Nur die völlige Klarheit der gegenseitigen Beziehungen kann den Erfolg der Verständigung zur Erreichung des nächsten gemeinsamen Zieles gewährleisten.

Dieses nächste Ziel ist unseres Erachtens in dem Brief von G. Gapon durchaus richtig gezeichnet: 1. Sturz des Absolutismus, 2. provisorische revolutionäre Regierung, 3. sofortige Amnestierung der Kämpfer für politische und religiöse Freiheit – natürlich auch für Streikfreiheit usw., 4. sofortige Bewaffnung des Volkes und 5. sofortige Einberufung einer allrussischen konstituierenden Versammlung auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts. Die sofortige Verwirklichung der vollen Gleichheit aller Bürger und der vollständigen politischen Freiheit bei den Wahlen durch die revolutionäre Regierung wird von Gapon natürlich vorausgesetzt, sollte aber ausdrücklich erwähnt werden. Es wäre ferner zweckmäßig, in das Programm der provisorischen Regierung aufzunehmen, dass überall revolutionäre Bauernkomitees zur Unterstützung des demokratischen Umsturzes und seiner Durchführung im Einzelnen errichtet werden sollen. Von der revolutionären Selbsttätigkeit der Bauernschaft hängt sehr, sehr viel für den Erfolg der Revolution ab, und auf eine Losung wie die von uns erwähnte könnten sich wahrscheinlich die verschiedenen sozialistischen und revolutionär-demokratischen Parteien einigen.

Möge es G. Gapon, der so tief den Übergang von den Anschauungen des politisch unbewussten Volkes zu revolutionären Anschauungen erlebte, gelingen, die für einen politischen Wortführer notwendige Klarheit der revolutionären Weltanschauung zu erreichen. Möge sein Aufruf zum Kampfbündnis für den Aufstand von Erfolg gekrönt sein, auf dass das revolutionäre Proletariat, Schulter an Schulter mit der revolutionären Demokratie marschierend, den Absolutismus schlagen und ihn schneller, sicherer und mit geringeren Opfern stürzen kann.

1 Aus dem Artikel: „Zu den Waffen" in Nr. 58 der „Rewoluzionnaja RossijaRewoluzionnaja Rossija" vom 20. Januar/2. Februar 1905.

*Kritschewski in Nr. 6 des „Rabotscheje Djelo". Martow und Sassulitsch anlässlich des Schusses von Lekkert.. Die Anhänger der neuen „Iskra" überhaupt in einem Flugblatt anlässlich der Tötung Plehwes.

** Dieser Artikel in der „Iskra" ist von Plechanow geschrieben und gehört in jene Periode, wo die „Iskra" (Nr. 46 bis 51) von Plechanow und Lenin redigiert wurde. Plechanow dachte damals noch nicht an den neuen Kurs der berühmten Nachgiebigkeit gegenüber dem Opportunismus. [Es handelt sich um den Artikel Plechanows: „Weißer Terror" in Nr. 48 der „Iskra" vom 28. (15.) September 1903. Der Artikel wurde geschrieben anlässlich der vom Kriegsgericht gegen die Teilnehmer an der Demonstration in Rostow gefällten Todesurteile, die später in langjährige Zwangsarbeit umgewandelt wurden.]

2 Die Worte „getrennt marschieren" und „vereint schlagen" auch im Original bei Lenin deutsch. Die Red.

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