Lenin‎ > ‎1913‎ > ‎

Wladimir I. Lenin: Resolutionen der Sommerberatung 1913

Wladimir I. Lenin: Resolutionen der Sommerberatung 1913 des

Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands

mit den Parteifunktionären

[Veröffentlicht mit einigen Auslassungen in der Broschüre „Bericht und Resolutionen der Sommerberatung 1913 des ZK der SDAPR mit den Parteifunktionären". Herausgegeben vom ZK. Für die Sämtl. Werke ergänzt auf Grund der illegalen hektographierten Ausgabe der Resolutionen. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 3-16]

Über die Aufgaben der Agitation im gegenwärtigen Zeitpunkt

1. Die Lage im Lande verschärft sich immer mehr und mehr. Die Herrschaft der reaktionären Gutsbesitzer ruft selbst unter den gemäßigtesten Bevölkerungsschichten ein immer stärkeres Murren hervor. Einer einigermaßen wirklichen politischen Freiheit steht in Russland mach wie vor die zaristische Monarchie im Wege, die sich zu jeder ernsthaften Reform feindlich verhält, die nur die Macht und die Einkünfte der Fronherren schützt und jede Äußerung der Arbeiterbewegung besonders brutal unterdrückt.

2. Die Arbeiterklasse tritt nach wie vor als Führer in im revolutionären Kampfe für die Befreiung des gesamten Volkes auf. Der revolutionäre Massenstreik entfaltet sich weiter. Der wirkliche Kampf der Vortrupps der Arbeiterklasse geht unter revolutionären Losungen vor sich.

Die wirtschaftliche Massenbewegung, die oft mit den elementarsten Forderungen beginnt, verschmilzt infolge der gesamten Situation, in der der Kampf geführt wird, immer mehr mit der revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse.

Die Aufgabe der vorgeschrittenen Arbeiter besteht darin, durch ihre agitatorische und aufklärende Arbeit den Zusammenschluss des Proletariats unter den revolutionären Losungen der Epoche zu beschleunigen.

Nur unter dieser Bedingung werden die vorgeschrittenen Arbeiter auch ihre Aufgabe der Erweckung der bäuerlichen und städtischen Demokratie erfüllen.

3. Der unter revolutionären Losungen vor sich gehende Kampf der Arbeiterklasse hat einen Teil der Industriellen und die liberal-oktobristische Bourgeoisie1 gezwungen, eifrig vom der Notwendigkeit von Reformen im Allgemeinen und einer beschränkten Koalitionsfreiheit im Besonderen zu reden anzufangen. Während sich die Bourgeoisie einerseits fieberhaft in Unternehmerverbänden organisiert, eine Streikversicherung einführt und von der Regierung ein systematisches Kesseltreiben gegen die Arbeiterbewegung verlangt, empfiehlt sie anderseits den Arbeitern an Stelle revolutionärer Forderungen die Beschränkung auf eine einzelne Verfassungsreform, auf den Schein einer Koalitionsfreiheit. Die Arbeiterklasse muss alle möglichen Schwankungen der Regierung sowie auch jene Differenzen, die zwischen der Bourgeoisie und dem reaktionären Lager bestehen, ausnützen, um ihren Ansturm sowohl auf dem Gebiete des wirtschaftlichen als auch auf dem Gebiete des politischen Kampfes zu verstärken. Aber die Arbeiterklasse muss gerade zur erfolgreichen Ausnützung der Lage auf dem Boden der uneingeschränkten revolutionären Losungen verharren.

4. Bei dieser allgemeinen Lage der Dinge ist es die Aufgabe der Sozialdemokratie, nach wie vor unter den Massen eine breite revolutionäre Agitation für den Sturz der Monarchie und für die demokratische Republik zu treiben. Es ist notwendig, an lebendigen Beispielen aus der Wirklichkeit unermüdlich die ganze Schädlichkeit des Reformismus, d. h. jener Taktik zu beweisen, die anstatt revolutionärer Losungen die Forderung nach Teilverbesserungen in dem Mittelpunkt stellt.

5. In ihrer Agitation für die Koalitionsfreiheit und für Teilreformen überhaupt geraten die Liquidatoren auf die Bahn des Liberalismus. Sie verneinen in Wirklichkeit die revolutionäre Agitation unter den Massen, sie predigen in ihren Organen direkt, dass die Losungen der „demokratischen Republik" und der „Konfiskation der Ländereien" nicht als Gegenstand der Agitation unter den Massen dienen können. Die Koalitionsfreiheit stellen sie als die allumfassende Losung der Epoche auf, wobei sie durch diese Losung in Wirklichkeit die revolutionären Forderungen von 1905 ersetzen.

6. Die Beratung warnt vor der schädlichen reformistischen Agitation der Liquidatoren und erinnert daran, dass die SDAPR in ihrem Minimalprogramm die Forderungen der Koalitions-, Rede-, Pressefreiheit usw. schon vor langem aufgestellt hat, wobei sie alle diese Forderungen mit dem revolutionären Kampf für den Sturz der Zarenmonarchie in engen Zusammenhang brachte. Die Konferenz bestätigt die Resolution der Januar-Konferenz von 1912, in der es heißt:

Die Konferenz ruft alle Sozialdemokraten auf, den Arbeitern klarzumachen, wie notwendig die Koalitionsfreiheit für das Proletariat ist, wobei diese Forderung ständig mit unseren allgemeinen politischen Forderungen und mit der revolutionären Agitation unter den Massen unzertrennlich verknüpft werden muss."2

Die Hauptlosungen der Epoche bleiben: 1. demokratische Republik, 2. Konfiskation der Ländereien der Gutsbesitzer, 3. Achtstundentag.3

Resolution über die Organisationsfrage und den Parteitag

1. Die Berichte aus den örtlichen Organisationen haben gezeigt, dass die wichtigste organisatorische Aufgabe des Tages nicht nur die Festigung der führenden Parteiorganisationen in jeder Stadt, sondern auch die Vereinigung der einzelnen Städte untereinander ist.

2. Die Beratung empfiehlt als ersten Schritt zur gebietsweisen Vereinigung die Organisierung von Beratungen (und, wo es möglich ist, auch Konferenzen) der Genossen aus den einzelnen Orten der Arbeiterbewegung. Es muss dabei danach gestrebt werden, dass auf einer solchen Beratung alle Zweige der Parteiarbeit vertreten sind: die politische, gewerkschaftliche, genossenschaftliche usw.

3. Die Beratung stellt fest, dass das System von Vertrauensleuten beim Zentralkomitee für die Sache der Vereinigung der Arbeit im ganzen Russischen Reiche absolut notwendig ist. Der Beschluss der Februarberatung über die Vertrauensleute steht erst am Beginn seiner praktischen Anwendung. Die vorgeschrittenen Arbeiter müssen an allen Orten dafür sorgen, dass wenigstens in jedem großen Zentrum der Arbeiterbewegung Vertrauensleute, und zwar in möglichst großer Zahl bestimmt werden.

4. Die Beratung stellt die Frage der Einberufung eines Parteitages auf die Tagesordnung. Das Wachstum der Arbeiterbewegung, das Heranreifen einer politischen Krise im Lande, die Notwendigkeit vereinigter Aktionen der Arbeiterklasse im ganzen Reiche machen die Einberufung eines solchen Parteitages – nach genügender Vorbereitung – sowohl notwendig als auch möglich.

5. Die Beratung ladet die Genossen der örtlichen Organisationen ein, nach Behandlung dieser Frage eine vorläufige Tagesordnung, den wünschenswerten Zeitpunkt des Parteitages und Resolutionsentwürfe4 vorzuschlagen.

6. Die Beratung weist darauf hin, dass, abgesehen vom den anderen Schwierigkeiten, auch die Frage der finanziellen Ausgaben für den Parteitag nur von den Arbeiterin selbst gelöst werden kann.

Die Beratung ruft die Genossen auf, mit der Bildung eines Geldfonds für die Einberufung des Parteitages zu beginnen.

Über die Streikbewegung

1. Die Beratung bestätigt die Resolutionen der Januarkonferenz vom 1912 und der Februarberatung von 19135, die eine der ganzen Erfahrung der letzten Monate entsprechende Einschätzung der Streikbewegung gegeben haben.

2. Der neue Abschnitt des Aufschwunges des revolutionären Streiks ist gekennzeichnet durch die Bewegung in Moskau und das Steigen der Stimmung in einigen Gegenden, die bis jetzt an der Bewegung nicht beteiligt waren.

3. Die Beratung begrüßt die Initiative des Petersburger Komitees und einer Reihe von Parteigruppen Moskaus, die die Frage eines allgemeinen politischen Streiks aufgeworfen und im Juli und September dieses Jahres in dieser Richtung Schritte unternommen haben.*

4. Die Beratung stellt fest, dass die Bewegung dahin gelangt, den gesamtrussischen politischen Streik auf die Tagesordnung zu stellen. Mit der systematischen vorbereitenden Agitation für diesen Streik muss unverzüglich und allerorts begonnen werden.

5. Losungen der politischen Streiks, die mit verstärkter Energie zu verbreiten sind, müssen die revolutionären Hauptforderungen des Augenblicks sein: demokratische Republik, Achtstundentag, Konfiskation der gutsherrlichen Ländereien.

6. Die Beratung fordert alle Funktionäre in den einzelnen Orten auf, eine Flugblattagitation zu entfalten und zwischen den politischen und anderen Organisationen der Arbeiter der verschiedenen Städte möglichst regelmäßige und enge Beziehungen herzustellen. Besonders notwendig ist es, die Aufmerksamkeit in erster Linie auf eine Vereinbarung zwischen den Petersburger und den Moskauer Arbeitern zu richten, damit die politischen Streiks, die aus verschiedenen Anlässen eintreten können (Verfolgung der Presse, Streiks wegen der Anwendung des Versicherungsgesetzes usw.), in beiden Hauptstädten möglichst gleichzeitig stattfinden.

Über die Parteipresse

1. Die Beratung konstatiert die gewaltige Bedeutung dar legalen Presse für die Sache der sozialdemokratischen Agitation und Organisation und ruft deshalb die Parteiinstitutionen und alle klassenbewussten Arbeiter zu einer verstärkten Unterstützung der legalen Presse durch ihre weiteste Verbreitung, durch Organisierung von kollektiven Massenabonnements und durch ständige Sammlungen auf. Die Beratung bestätigt dabei von neuem, dass die genannten Sammlungen als Mitgliedsbeiträge an die Partei gelten.

2. Besonders erhöhte Aufmerksamkeit muss auf die Stärkung des legalen Arbeiterorgans in Moskau und auf die möglichst baldige Schaffung einer Arbeiterzeitung im Süden gerichtet werden.

3. Die Beratung äußert den Wunsch nach einer möglichst engen Annäherung der bestehenden legalen Arbeiterorgane durch gegenseitige Information, Veranstaltung von Beratungen und dgl.

4. Die Beratung erkennt die Wichtigkeit und Notwendigkeit eines theoretischen Organs des Marxismus an und gibt dem Wunsche Ausdruck, dass sämtliche Organe der Partei- und Gewerkschaftspresse die Arbeiter mit der Zeitschrift „Prosweschtschenije" bekanntmachen und sie auffordern, die Zeitschrift ständig zu abonnieren und systematisch zu unterstützen.

5. Die Beratung lenkt die Aufmerksamkeit der Parteiverlage auf die äußerste Notwendigkeit, in großer Menge populäre Broschüren über die Fragen der sozialdemokratischen Agitation und Propaganda herauszugeben.

6. Angesichts der Verschärfung des revolutionären Kampfes der Massen in der letzten Zeit und der Notwendigkeit, ihn vollständig und allseitig zu beleuchten, was der legalen Presse zu tun unmöglich ist, betont die Beratung ganz besonders die Notwendigkeit einer verstärkten Entwicklung des illegalen Parteiverlages, wobei außer legalen Flugblättern, Broschüren usw. ein häufigeres und regelmäßigeres Erscheinen .des illegalen Organs der Partei (des. Zentralorgans) äußerst notwendig ist.

Über die Tätigkeit der Sozialdemokraten in der Duma

Nach eingehender Prüfung der auf der Dezemberkonferenz von 1908 angenommenen Resolution der SDAPR über die sozialdemokratische Dumafraktion und nach Behandlung des ganzen Materials über die Tätigkeit der Sozialdemokraten in der IV. Duma stellt die Beratung fest:

1. dass die erwähnte Resolution die Aufgaben und die Richtung der sozialdemokratischen Tätigkeit in der Duma völlig richtig bestimmt hat und dass man sich deshalb auch weiterhin von dieser Resolution leiten lassen muss;

2. dass der letzte Abschnitt des Punktes 3 (3h) der Dezember-Resolution (über das Dafürstimmen oder die Stimmenthaltung in Fragen der Verbesserung der Lage der Arbeiter)6 folgendermaßen erläutert werden muss. Wenn es sich in Gesetzentwürfen, Anträgen auf Übergang zur Tagesordnung usw. um eine unmittelbare und direkte Verbesserung der Lage der Arbeiter, der unteren Angestellten und der werktätigen Massen überhaupt handelt (z. B. Verkürzung der Arbeitszeit, Erhöhung der Arbeitslöhne, Beseitigung eines wenn auch kleinen Übels im Leben der Arbeiter und überhaupt der breiten Schichten der Bevölkerung usw.), so muss für jene Punkte gestimmt werden, die solche Verbesserungen enthalten.

In denjenigen Fällen aber, wo die Verbesserung infolge der Bedingungen, an die die IV. Duma sie knüpft, zweifelhaft ist, enthält sich die Fraktion der Stimme, und zwar unbedingt mit einer besonderen Motivierung der Stimmenthaltung und .nachdem sie die Frage vorher mit den Vertretern der Arbeiterorganisationen behandelt hat. Die Beratung erklärt, dass:

die sozialdemokratische Fraktion bei allen Interpellationen, bei wichtigen Gesetzesvorschlägen usw. ihre selbständigen Anträge auf Übergang zur Tagesordnung einbringen muss.

In jenen Fällen, wo nach Ablehnung des Antrags der Sozialdemokraten die Stimmabgabe der Fraktion gegen die Regierung mit der Stimmabgabe anderer Parteien zusammenfällt, muss die Fraktion dafür sorgen, dass sie ihre Stimmabgabe für einem fremden Antrag oder einen Teil eines fremden Antrages, besonders begründet.

Über die sozialdemokratische Dumafraktion

Die Beratung ist der Meinung, dass die Einheit der sozialdemokratischen Fraktion auf dem Gebiete der Dumaarbeit möglich und notwendig ist.

Die Beratung stellt indessen fest, dass die Haltung der sieben Abgeordneten die Einheit der Fraktion ernstlich bedroht.

Unter Ausnützung einer zufälligen Mehrheit von einer Stimme verletzen die sieben Abgeordneten die elementarsten Rechte der sechs Abgeordneten, die die gewaltige Mehrheit der Arbeiter Russlands vertreten.

Von eng-fraktionellen Interessen ausgehend, nehmen die sieben Abgeordneten den anderen sechs die Möglichkeit, in den wichtigsten Fragen des Arbeiterlebens auf der Dumatribüne aufzutreten. In einer ganzen Reihe von Fällen, wo die sozialdemokratische Fraktion zwei und mehr Redner stellte, erhielten die sechs Abgeordneten ungeachtet ihres Verlangens nicht die Möglichkeit, ihren Redner zu stellen.

Gleichermaßen weigern sich die sieben Abgeordneten, bei der Verteilung der Plätze in den Dumakommissionen (z. B. in der Budgetkommission) den sechs Abgeordneten einen von den zwei Plätzen zu überlassen.

Bei den Wahlen von Vertretern der Fraktion in für die Arbeiterbewegung wichtige Institutionen berauben die sieben Abgeordneten mit einer Mehrheit von einer Stimme die sechs Abgeordneten der Vertretung. Das für die Fraktion arbeitende Personal wird stets einseitig ausgewählt (z. B. wurde die Forderung nach einem zweiten Sekretär abgelehnt).

Die Beratung ist der Meinung, dass eine derartige Handlungsweise der sieben Abgeordneten in der Fraktion unvermeidlich Reibungen schafft, die eine einmütige Arbeit hindern und zur Spaltung der Fraktion führen.

Die Beratung protestiert auf das entschiedenste gegen eine derartige Handlungsweise der sieben Abgeordneten.

Die sechs Abgeordneten vertreten die gewaltige Mehrheit der Arbeiter Russlands und handeln in voller Übereinstimmung mit der politischen Linie ihres organisierten Vortrupps.

Die Beratung ist deshalb der Meinung, dass die Einheit der sozialdemokratischen Fraktion auf dem Gebiet der Duma nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn die beiden Teile der Fraktion völlig gleichberechtigt sind und die sieben Abgeordneten auf die Politik der Vergewaltigung verzichten.

Ungeachtet der unversöhnlichen Meinungsverschiedenheiten, die nicht nur lauf dem Gebiete der Dumatätigkeit vorhanden sind, fordert die Beratung die Einheit der Fraktion auf der oben bezeichneten Grundlage der Gleichberechtigung ihrer beiden Teile.

Die Beratung fordert die klassenbewussten Arbeiter auf, ihre Meinung zu dieser wichtigen Frage zu äußern und mit allen Kräften zur Aufrechterhaltung der Einheit der Fraktion auf der einzig möglichen Grundlage der Gleichberechtigung der sechs Arbeiterabgeordneten beizutragen.

Über die Tätigkeit in legalen Vereinen

1. Im gegenwärtigen Augenblick des Aufschwungs des wirtschaftlichen und politischen Kampfes der Arbeiterklasse ist es besonders notwendig, die Tätigkeit in allen legalen Arbeitervereinen (Gewerkschaften, Klubs, Krankenkassen, Genossenschaften u. a.) zu verstärken.

2. Die gesamte Tätigkeit in den legalen Arbeitervereinen soll nicht im Geiste der Neutralität, sondern im Geiste der Beschlüsse des Londoner Parteitages der SDAPR und des internationalen Kongresses zu Stuttgart entfaltet werden. Die Sozialdemokraten müssen zu allen Arbeitervereinen möglichst breite Arbeiterkreise heranziehen, dadurch, dass sie alle Arbeiter ohne Unterschied der Parteianschauung zum Beitritt auffordern, Die Sozialdemokraten müssen jedoch innerhalb dieser Vereine Parteigruppen bilden und durch lange, systematische Arbeit innerhalb aller dieser Vereine dahin winken, dass zwischen ihnen und der sozialdemokratischem Partei die engsten Beziehungen hergestellt werden.

3. Die Erfahrung der internationalen und unserer russischen Arbeiterbewegung lehrt, dass vom Augenblick der Entstehung solcher Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften, Klubs usw.) an danach gestrebt werden muss, dass jede dieser Institutionen ein Stützpunkt der sozialdemokratischen Partei sei. Die Beratung empfiehlt allen Anhängern der Partei, diese wichtige Aufgabe, die in Russland, wo die Liquidatoren systematisch versuchen, die legalen Vereine gegen die Partei auszuspielen, besonders brennend ist, im Auge zu behalten.

4. Die Beratung ist der Meinung, dass bei den Wahlen von Bevollmächtigten in die Versicherungskassen, in der gesamten Tätigkeit der Gewerkschaften usw. – unter Verfechtung der vollen Einheit der Bewegung und der Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit – die Linie der Partei einzuhalten, die Wahl von Anhängern der Partei auf alle verantwortlichen Posten zu erstreben ist usw.

5. Zwecks Verwertung der Erfahrung aus der praktischen Tätigkeit innerhalb der legalen Arbeitervereine ist es wünschenswert, dass mit den in den legalen Arbeiterorganisationen aktiv Tätigen in den einzelnen Orten häufigere Beratungen abgehalten und ferner in möglichst großer Zahl Vertreter der in legalen Vereinen tätigen Parteigruppen zu den Konferenzen der Gesamtpartei herangezogen werden.

Resolution über die nationale Frage

Das Wüten des Schwarzhunderter-Nationalismus, das Anwachsen nationalistischer Tendenzen unter der liberalen Bourgeoisie und die Verstärkung der nationalistischen Tendenzen unter den Oberschichten der unterdrückten Nationalitäten weisen der nationalen Frage im gegenwärtigen Zeitpunkt einen wichtigen Platz zu.

Die Lage der Dinge innerhalb der Sozialdemokratie (die Versuche der kaukasischen Sozialdemokraten, des Bund und der Liquidatoren, das Parteiprogramm aufzuheben usw.) zwingt die Partei, dieser Frage noch größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Gestützt auf das Programm der SDAPR stellt die Beratung – im Interesse einer richtigen Gestaltung der sozialdemokratischen Agitation in der nationalen Frage – die folgenden Leitsätze auf:

1. Soweit in der kapitalistischen Gesellschaft, die auf Ausbeutung, Bereicherung und Kampf aller gegen alle begründet ist, der nationale Friede möglich ist, ist er nur bei einer konsequenten, restlos demokratischen, republikanischen Staatsordnung erreichbar, die die völlige Gleichberechtigung aller Nationen und Sprachen gewährleistet, wenn keine obligatorische Staatssprache festgesetzt ist, die Bevölkerung mit Schulen versorgt ist, in denen in allen Landessprachen unterrichtet wird, und in die Verfassung ein Grundgesetz aufgenommen wird, das jedwedes Privileg einer der Nationen und jedwede Verletzung der Rechte einer nationalen Minderheit für ungültig erklärt. Besonders notwendig ist dabei eine großzügige Gebietsautonomie und eine völlig demokratische lokale Selbstverwaltung, bei Bestimmung der Grenzen der sich selbst verwaltenden und autonomen Gebiete auf Grund der durch die örtliche Bevölkerung selbst vorzunehmenden Berücksichtigung der wirtschaftlichen und Lebensverhältnisse, der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung usw.

2. Die Trennung des Schulwesens innerhalb der Grenzen eines Staates nach Nationalitäten ist vom Standpunkt der Demokratie im Allgemeinen und den Interessen des Klassenkampfes des Proletariats im Besonderen unbedingt schädlich. Gerade in einer solchen Trennung besteht der in Russland von allen bürgerlichen Parteien des Judentums und von den kleinbürgerlichen, opportunistischen Elementen verschiedener Nationen angenommene Plan der sogenannten „national-kulturellen" Autonomie oder der „Schaffung von Einrichtungen, die die Freiheit der nationalen Entwicklung garantieren".

3. Die Interessen der Arbeiterklasse erfordern die Verschmelzung der Arbeiter sämtlicher Nationalitäten eines Staates in einheitlichen proletarischen – politischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen, kulturellen usw. – Organisationen. Nur eine solche Verschmelzung der Arbeiter der verschiedenen Nationalitäten in einheitlichen Organisationen gibt dem Proletariat die Möglichkeit, einen siegreichen Kampf zu führen gegen das internationale Kapital und gegen die Reaktion und ebenso auch gegen die Agitation und die Bestrebungen der Gutsbesitzer, Pfaffen und bürgerlichen Nationalisten aller Nationen, die ihre antiproletarischen Bestrebungen gewöhnlich unter der Flagge der „nationalen Kultur" durchsetzen. Die die ganze Welt umfassende Arbeiterbewegung bringt die internationale Kultur des Proletariats hervor und entwickelt sie mit jedem Tag mehr.

4. Das Recht der von der Zarenmonarchie unterdrückten Nationen auf Selbstbestimmung, d. h. auf Lostrennung und Bildung eines selbständigen Staates, muss die sozialdemokratische Partei unbedingt vertreten. Das verlangen sowohl die Grundprinzipien der internationalen Demokratie im Allgemeinen als auch im Besonderen die unerhörte nationale Unterdrückung der Mehrheit der Bevölkerung Russlands durch die Zarenmonarchie, die, verglichen mit den Nachbarstaaten in Europa und Asien, das reaktionärste und barbarischste Staatssystem darstellt. Das verlangt ferner die Sache der Freiheit der großrussischen Bevölkerung selbst, die nicht imstande ist, einen demokratischen Staat zu errichten, Wenn nicht der großrussische Schwarzhunderter-Nationalismus ausgerottet wird, der durch die Tradition einer Reihe blutiger Unterdrückungen nationaler Bewegungen gestützt wird und der nicht nur von der Zarenmonarchie und allem reaktionären Parteien, sondern, besonders in der Periode der Konterrevolution, auch von dem der Monarchie gegenüber knechtseligem großrussischen bürgerlichen Liberalismus groß gezüchtet wird.

5. Es ist unzulässig, die Frage des Rechtes der Nationen auf Selbstbestimmung (d. h. auf Gewährleistung einer völlig freien und demokratischen Art der Entscheidung der Lostrennungsfrage durch die Verfassung des Staates) mit der Frage der Zweckmäßigkeit der Lostrennung dieser oder jener Nation zu verwechseln. Diese Frage muss die sozialdemokratische Partei in jedem einzelnem Falle völlig selbständig vom Standpunkt der Interessen der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung und der Interessen des Klassenkampfes des Proletariats um den Sozialismus entscheiden.

Die Sozialdemokratie muss dabei berücksichtigen, dass die Gutsbesitzer, die Pfaffen und die Bourgeoisie der unterdrückten Nationen ihr Bestreben, die Arbeiter zu veruneinigen und zu verdummen, nicht selten mit nationalistischen Losungen verhüllen, wobei sie hinter ihrem Rücken mit den Gutsbesitzern und der Bourgeoisie der herrschenden Nation zum Nachteil der werktätigen Massen aller Nationen Abkommen schließen.

Die Beratung stellt die Frage des nationalen Programms auf die Tagesordnung des Parteitags. Sie fordert das Zentralkomitee, die Parteipresse und die lokalen Organisationen auf, die nationale Frage möglichst ausführlich (in Broschüren, Diskussionen usw.) zu beleuchten.

Über die Narodniki

1. Der Londoner Parteitag, der das Fazit der Tätigkeit der Narodniki-Parteien – unter anderem auch der Partei der Sozialrevolutionäre – in der revolutionären Epoche gezogen hat, wies eindeutig auf das beständige Schwanken dieser Parteien zwischen der Unterordnung unter die Hegemonie der Liberalen; und dem entschlossenen Kampfe gegen den gutsherrlichen Grundbesitz und den Staat der Fronherren wie auch auf den pseudosozialistischen Charakter ihrer Lehre hin, die den Gegensatz zwischen Proletarier und Kleinunternehmer verwischt.

2. Die reaktionäre Epoche hat diese Züge noch mehr verstärkt, dadurch dass sie einerseits in der Partei der Sozialrevolutionäre zum Verzicht auf eine konsequent-demokratische Politik führte und einige Elemente der Partei sogar zu Kritikern der Revolution machte, die den Spuren der Liberalen folgen, anderseits aber diese Partei in eine vom Leben der Massen losgelöste reine Intellektuellengruppe verwandelte.

3. Die Partei der Sozialrevolutionäre fährt offiziell fort, den Terror zu verteidigen, dessen Geschichte in Russland die sozialdemokratische Kritik dieser Kampfesmethode vollkommen gerechtfertigt und mit einem vollständigen Bankrott geendet hat. Gleichzeitig haben der Wahlboykott und die gänzliche Unfähigkeit dieser Intellektuellenorganisation, auf den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes planmäßig einzuwirken, dazu geführt, dass der neue Aufschwung der revolutionären Bewegung überall ganz unbeeinflusst von dieser Partei verlaufen ist.

4. Der kleinbürgerliche Sozialismus des Narodnikitums läuft darauf hinaus, der Arbeiterklasse schädliche Ideen zu predigen, die den stets zunehmenden Abgrund zwischen den Interessen der Arbeit und denen des Kapitals vertuschen und die Schärfe des Klassenkampfes in gemilderter Form darzustellen versuchen. Er führt zu kleinbürgerlichen Utopien auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens.

5. Die Schwankungen bei der Verfechtung demokratischer Losungen, der Zirkelcharakter der Partei und ihre kleinbürgerlichen Vorurteile hindern das Narodnikitum in höchstem Grade daran, unter den breiten Kreisen der Bauernschaft eine republikanisch-demokratische Propaganda zu entfalten. Auch die eigenen Interessen dieser Propaganda fordern also in erster Linie von den Sozialdemokraten eine entschiedene Kritik des Narodnikitums.

Ohne jene gemeinsamen Aktionen mit den Narodniki-Parteien, wie sie vom Londoner Parteitag speziell vorgesehen wurden, irgendwie auszuschließen, ist die Beratung deshalb der Meinung, dass es Aufgabe der Sozialdemokraten sein muss:

a) die Schwankungen und den in den Narodniki-Parteien zum Ausdruck kommenden Verzicht auf den konsequenten Demokratismus zu entlarven;

b) den kleinbürgerlichen Sozialismus des Narodnikitums, der den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit verwischt, zu bekämpfen;

c) die republikanisch-demokratischen Strömungen unter der bäuerlichen Masse zu unterstützen und dabei beständig darauf hinzuweisen, dass nur das in seiner demokratischen Gesinnung konsequente sozialistische Proletariat den Massen der bäuerlichen Dorfarmut in ihrem Kampfe gegen die Monarchie und den gutsherrlichen Grundbesitz ein zuverlässiger Führer sein kann;

d) erhöhte Aufmerksamkeit auf die Propaganda der sozialdemokratischen Ideen unter jenen, wenn auch nicht zahlreichen Arbeitergruppen zu richten, die sich von den rückständigen Theorien des Narodnikitums bis heute noch nicht befreit haben.

1 Im hektographierten Exemplar war hier „überhaupt" eingefügt. Die Red.

2 Siehe Band XV der Sämtl. Werke. Die Red.

3 Im hektographierten Exemplar folgt weiter der Satz: „Die Koalitionsfreiheit gehört zu ihnen wie ein Teil zum Ganzen." Die Red.

4 Im hektographierten Exemplar folgt: „usw." Die Red.

5 Siehe Band XV und XVI der Sämtl. Werke. Die Red.

* Die mit der Veröffentlichung der Resolutionen der Beratung beauftragte Redaktion des Zentralorgans fügte Hinweise auf die Septemberereignisse hinzu. die diese Resolutionen vollständig bestätigt haben.

Kommentare