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Wladimir I. Lenin 19290229 Wilhelm Kolb und Georg Plechanow

Wladimir I. Lenin: Wilhelm Kolb und Georg Plechanow

[Sozialdemokrat Nr. 51 vom 29. Februar 1916. Nach Sämtliche Werke, Band 19, 1930, S. 37 f.]

Die Broschüre des offenherzigen deutschen Opportunisten Wilhelm Kolb, „Die Sozialdemokratie am Scheidewege“ (Karlsruhe 1915), erschien gerade zur rechten Zeit nach dem Plechanowschen Sammelband „Der Krieg“. Die Antwort des Kautskyaners Rudolf Hilferding an Kolb in der Neuen Zeit1 ist recht lendenlahm, er verschweigt das Wichtigste und jammert über die wahrheitsgemäße Erklärung Kolbs, dass die Einheit der deutschen Sozialdemokraten nur noch eine „rein formale“ sei.

Denjenigen, die sich über die Bedeutung des Zusammenbruches der II. Internationale ernstlich klar werden wollen, sei empfohlen, den ideellen Standpunkt Kolbs mit dem Plechanows zu vergleichen. Beide (wie auch Kautsky) sind sich in der Hauptsache einig: in der Ablehnung und Verhöhnung des Gedankens revolutionärer Aktionen in Verbindung mit dem jetzigen Kriege; beide werfen den revolutionären Sozialdemokraten – mit dem Lieblingswort der Plechanowisten – „Defätismus“ vor. Plechanow, der den Gedanken der Revolution im Zusammenhang mit diesem Kriege als ein „Mittelding zwischen Traum und Farce“ bezeichnet, geifert über die „revolutionäre Phraseologie“. Kolb verdammt unaufhörlich die „revolutionäre Phrase“, die „revolutionäre Phantastik“, die „Radikalinskis“, die „Hysteriker“, die „Sektiererei“ usw. Kolb und Plechanow stimmen im Wesentlichen überein, sie sind beide gegen die Revolution. Und der Umstand, dass Kolb im Allgemeinen gegen die Revolution ist, während Plechanow und Kautsky „im Allgemeinen dafür“ sind, ist nur ein Unterschied in den Nuancen, in den Worten: in Wirklichkeit sind Plechanow und Kautsky Helfershelfer Kolbs.

Kolb ist ehrlicher, nicht im persönlichen, sondern im politischen Sinne, d. h. die Konsequenz seiner Haltung erzeugt bei ihm keine Heuchelei. Deshalb schreckt er nicht davor zurück, die Wahrheit zu bekennen, dass die gesamte Internationale, von seinem Standpunkt aus, am „Geiste der revolutionären Phantastik“ gekrankt habe und bezüglich des Krieges mit „Drohungen“ aufgetreten sei (mit der Revolution drohte, ihr Herren Plechanow und Kolb!). Kolb hat recht, wenn er sagt, dass es sinnlos sei, die kapitalistische Gesellschaft „grundsätzlich zu verneinen“, nachdem die sozialdemokratischen Parteien Europas für ihre Verteidigung in dem Augenblick eingetreten sind, wo der kapitalistische Staat in allen Fugen krachte, wo „seine Existenz in Frage gestellt war“. Diese Erkenntnis der objektiv revolutionären Situation ist zutreffend.

Die Folge“ (der Taktik der Anhänger Liebknechts) – schreibt Kolb – „wäre ein bis zur Siedehitze gesteigerter innerer Kampf unter der deutschen Nation und damit eine militärische und politische Schwächung derselben gewesen“ … zum Vorteil und zum Siege des „Imperialismus des Dreiverbandes“!!

Da habt ihr nun den Kern des opportunistischen Gezeters gegen den „Defätismus“.

Das ist tatsächlich der Kern der ganzen Frage. Der „bis zur Siedehitze gesteigerte innere Kampf“ ist eben der Bürgerkrieg. Kolb hat recht, die Taktik der Linken führt dazu; er hat recht, sie bedeutet die „militärische Schwächung“ Deutschlands, d. h. das Herbeiwünschen und die Förderung seiner Niederlage ist Defätismus. Kolb hat nur – nur! – darin unrecht, dass er den internationalen Charakter einer solchen Taktik der Linken nicht sehen will. In allen kriegführenden Ländern ist die „Steigerung des inneren Kampfes bis zur Siedehitze“, die „Schwächung der militärischen Kraft“ der imperialistischen Bourgeoisie und (kraft dessen, im Zusammenhang damit, mittels dessen) die Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg möglich. Das ist der Kern der Frage. Wir danken Kolb für seine nützlichen Wünsche, Bekenntnisse und Betrachtungen: wenn all dies vom konsequentesten, ehrlichsten, offenherzigsten Feinde der Revolution kommt, so ist es besonders nützlich für die Entlarvung der niederträchtigen Heuchelei und der schmählichen Charakterlosigkeit der Plechanow und Kautsky in den Augen der Arbeiter.

1 Gemeint ist der Artikel „Die Sozialdemokratie am Scheidewege“ von Hilferding, „Die Neue Zeit“ Nr. 16 vom 16. Juli 1915, S. 489-499. Hilferding, der die Bemerkung Kolbs über „die rein formelle Einheit“ der deutschen Sozialdemokratie zitiert, bezeichnet diese als einen „energischen Appell zur Parteispaltung“ (S. 497).

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