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Wladimir I. Lenin 19181106 Rede zum Jahrestag der Revolution

Wladimir I. Lenin: Rede zum Jahrestag der Revolution

VI. Allrussischer, Außerordentlicher, Kongress der Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, Kosaken- und Rotarmisten-Deputierten, 6. November 1918

[Veröffentlicht 1919 in dem Buch: „VI. Allrussischer, Außerordentlicher, Kongress der Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, Kosaken- und Rotarmisten-Deputierten. Stenographischer Bericht." Verlag des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, Moskau. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 315-331]

Genossen! Wir feiern den Jahrestag unserer Revolution in einer Zeit, da sich gewaltigste Ereignisse der internationalen Arbeiterbewegung abspielen, da es selbst für die skeptischsten, für die ewig zweifelnden Elemente der Arbeiterklasse und der Werktätigen augenscheinlich geworden ist, dass der Weltkrieg nicht durch Übereinkommen oder Gewaltakte der alten Regierung und der alten herrschenden Klasse der Bourgeoisie beendet werden wird, dass er nicht nur Russland, sondern die ganze Welt zur proletarischen Weltrevolution führt, zum Siege der Arbeiter über das Kapital, das die Erde mit Blut überschwemmt hat, und das nach all den Gewalttaten und Bestialitäten des deutschen Imperialismus nun die gleiche Politik durch den von Österreich und Deutschland unterstützten englisch-französischen Imperialismus treibt.

An diesem Tage, da wir den Jahrestag der Revolution feiern, ist es angebracht, einen Rückblick auf den Weg zu werfen, den sie zurückgelegt hat. Wir mussten unsere Revolution in außergewöhnlich schwierigen Verhältnissen beginnen, in denen sich keine der weiteren Arbeiterrevolutionen der Welt befinden wird, und deshalb ist es besonders wichtig, dass wir versuchen, den von uns zurückgelegten Weg als Ganzes zu beleuchten und zu sehen, was in dieser Zeit erreicht worden ist und in welchem Maße wir uns in diesem Jahre auf unsere wirkliche Hauptaufgabe, auf unsere entscheidende, grundlegende Aufgabe vorbereitet haben. Wir müssen ein Teil der Abteilungen, ein Teil der proletarischen und sozialistischen Weltarmee sein. Wir haben uns stets darüber Rechenschaft gegeben, dass, falls wir die aus dem Weltkampf hervorwachsende Revolution beginnen müssten, uns diese Aufgabe keineswegs zufallen würde dank irgendwelcher Verdienste des russischen Proletariats oder auf Grund dessen, dass das russische Proletariat den andern voraus wäre; im Gegenteil, nur die besondere Schwäche, die Rückständigkeit des Kapitalismus und die besonders drückenden militärischen strategischen Umstände haben bewirkt, dass wir durch den Gang der Ereignisse genötigt waren, eine Position vor den anderen Abteilungen zu beziehen und abzuwarten, bis diese Abteilungen sich in Marsch setzen, sich erheben werden. Heute geben wir uns Rechenschaft, um festzustellen, inwieweit wir vorbereitet sind, um jenen Schlachten entgegenzugehen, die jetzt in unserer fortschreitenden Revolution bevorstehen.

Und nun, Genossen, wenn wir uns die Frage vorlegen, was wir in diesem Jahre im Großmaßstab geleistet haben, so müssen wir sagen, dass Folgendes getan wurde: von der Arbeiterkontrolle, diesen Anfangsschritten der Arbeiterklasse, vom Wirtschaften mit allen Mitteln des Landes, sind wir unmittelbar an die Schaffung einer Arbeiterverwaltung der Industrie herangetreten; vom Kampf der gesamten Bauernschaft um den Grund und Boden, vom Kampf der Bauern gegen die Gutsbesitzer, von einem Kampf, der allgemein-nationalen, bürgerlichen, demokratischen Charakter trug, sind wir dahin gekommen, dass sich im Dorfe die proletarischen und halb proletarischen Elemente ausgesondert haben; ausgesondert haben sich jene, die besonders schwer arbeiten, jene, die man ausbeutet; sie haben sich zum Aufbau eines neuen Lebens erhoben; der unterdrückteste Teil des Dorfes ist in den Kampf bis zum Letzten eingetreten gegen die Bourgeoisie, einschließlich der eigenen kulakischen Dorfbourgeoisie.

Weiter, von den ersten Schritten der Sowjetorganisation sind wir dahin gekommen, dass es, wie Genosse Swerdlow in seiner Eröffnungsrede zu Beginn des Kongresses ganz richtig bemerkt hat, in Russland keinen noch so entlegenen Winkel mehr gibt, wo die Sowjetorganisation nicht festen Fuß gefasst hätte, wo sie nicht einen integrierenden Teil der auf Grund langer Kampferfahrungen aller Werktätigen und Unterdrückten ausgearbeiteten Sowjetverfassung bilden würde.

Von unserer vollständigen Wehrlosigkeit, vom letzten vierjährigen Krieg, der in den Massen nicht nur den Hass unterdrückter Menschen, sondern auch Widerwillen, entsetzliche Müdigkeit und Erschöpfung zurückgelassen hatte, der die Revolution in der schwersten, schlimmsten Periode ausbrechen ließ, als wir den Schlägen des deutschen und österreichischen Imperialismus wehrlos ausgesetzt waren – von dieser Wehrlosigkeit sind wir zu einer mächtigen Roten Armee gekommen, und sind schließlich –, das ist das Wichtigste, aus der internationalen Isolierung, unter der wir sowohl im Oktober als auch Anfang dieses Jahres gelitten, z;u einer solchen Situation gelangt, wo unser einziger, aber zuverlässiger Bundesgenosse – die Werktätigen und Unterdrückten aller Länder – sich endlich erhoben hat, wo die Führer des westeuropäischen Proletariats, wie Liebknecht und Adler, die ihre kühnen, heldenhaften Versuche, die Stimme gegen den imperialistischen Krieg zu erheben, mit vielen Monaten Zuchthaus bezahlten, in Freiheit sind, weil ihre Freiheit erzwungen wurde durch die Arbeiterrevolution in Wien und Berlin, die von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde wächst. Aus der Isolierung sind wir in eine Lage gekommen, wo wir Hand in Hand, Schulter an Schulter mit unsern internationalen Verbündeten stehen. Das ist das Wesentliche, das in diesem Jahr erreicht worden ist. Und ich werde mir gestatten, kurz bei diesem Weg, bei diesem Übergang zu verweilen.

Genossen, anfangs war unsere Losung die Arbeiterkontrolle. Wir sagten: ungeachtet aller Versprechungen der Kerenskiregierung fährt das Kapital fort, die Produktion des Landes zu sabotieren, sie immer mehr und mehr zu zerstören. Wir sehen jetzt, dass die Dinge zum Verfall trieben, und der erste grundlegende Schritt, der nicht nur für jede sozialistische, sondern auch für jede Arbeiterregierung obligatorisch ist, musste die Arbeiterkontrolle sein. Wir haben nicht sofort in unserer ganzen Industrie den Sozialismus dekretiert, weil der Sozialismus sich erst dann gestalten und festigen kann, wenn die Arbeiterklasse es gelernt haben wird zu verwalten, wenn die Autorität der Arbeitermassen sich gefestigt haben wird. Andernfalls ist der Sozialismus nur ein frommer Wunsch. Darum führten wir die Arbeiterkontrolle ein, wobei wir wussten, dass das ein widerspruchsvoller Schritt, ein unvollständiger Schritt ist; aber es war notwendig, dass die Arbeiter selbst das große Werk des Aufbaus der Industrie des Riesenlandes ohne die Ausbeuter, gegen die Ausbeuter, in Angriff nähmen. Und, Genossen, wer an diesem Aufbau direkt oder auch nur indirekt teilgenommen hat, wer die ganze Unterdrückung und die Brutalitäten des alten kapitalistischen Regimes durchgemacht hat, der hat viel, sehr viel gelernt. Wir wissen, dass wenig erreicht wurde, wir wissen, dass in einem überaus rückständigen und ruinierten Lande, wo man der Arbeiterklasse so viel Widerstände und Hindernisse in den Weg legte, die Arbeiterklasse eine lange Frist braucht, um zu lernen, die Industrie zu leiten. Wir halten es für das Wichtigste und Wertvollste, dass die Arbeiter sich selber an die Verwaltung gemacht haben, dass wir von der Arbeiterkontrolle, die in allen wichtigsten Industriezweigen chaotisch, zersplittert, stümperhaft und unvollständig bleiben musste, zur Arbeiterverwaltung der Industrie im Landesmaßstab gekommen sind.

Die Stellung der Arbeiterorganisationen und der Gewerkschaften ist eine andere geworden. Es wurde zu ihrer Hauptaufgabe, ihre Vertreter in alle Hauptverwaltungen und Zentralstellen zu entsenden, in alle jene neuen Organisationen, die vom Kapitalismus die ruinierte, absichtlich sabotierende Industrie übernommen haben. All diese Organisationen gingen ans Werk ohne die Hilfe aller jener Intellektuellen, die es sich von Anfang an zur Aufgabe gemacht hatten, ihre Kenntnisse und ihre Hochschulbildung – dieses Resultat des von der Menschheit erworbenen Vorrats an Wissen – auszunutzen, um die Sache des Sozialismus zu vereiteln, um die Wissenschaft nicht als Hilfe für die Massen beim Aufbau der vergesellschafteten Volkswirtschaft ohne Ausbeuter dienen zu lassen. Diese Leute machten es sich zur Aufgabe, die Wissenschaft auszunutzen, um den Arbeitern, die sich an das Werk der Verwaltung machten, und die am wenigsten zu diesem Werk vorbereitet waren, Knüppel zwischen die Beine zu werfen und sie zu stören. Wir können sagen, dass dieses Haupthindernis zerstört ist. Das war ungewöhnlich schwierig. Die Sabotage aller zur Bourgeoisie neigenden Elemente ist gebrochen. Trotz der gewaltigen Hindernisse ist es den Arbeitern gelungen, diesen grundlegenden Schritt zu machen, der das Fundament für den Sozialismus gelegt hat. Wir übertreiben in keiner Weise und fürchten uns nicht, die Wahrheit zu sagen. Gewiss, es ist wenig getan vom Standpunkt der Erreichung des Endziels, aber viel, ungewöhnlich viel vom Standpunkt der Festigung des Fundaments. Spricht man von Sozialismus, so kann man von der Schaffung eines Fundaments des Klassenbewusstseins in den breitesten Arbeitermassen nicht in dem Sinne sprechen, dass sie zu Büchern gegriffen, Broschüren gelesen hätten, sondern das Klassenbewusstsein besteht hier darin, dass sie mit eigener Energie, mit eigenen Händen an das ungewöhnlich schwere Werk herangegangen sind. Sie machten tausend Fehler, unter jedem Fehler haben sie selbst gelitten und jeder Fehler hat sie gehärtet und gestählt in jener Arbeit zur Organisierung der Industrieverwaltung, die heute geschaffen ist und auf festem Fundament ruht. Sie haben ihre Arbeit bis ans Ende geführt. Jetzt wird diese Arbeit nicht mehr so wie damals gemacht werden; heute weiß die ganze Arbeitermasse und nicht nur die Führer und die Vorkämpfer, heute wissen wirklich die breitesten Schichten, dass sie selbst mit eigenen Händen den Sozialismus bauen, das Fundament aufgebaut haben, und dass keine Macht im Lande sie hindern kann, dieses Werk zu Ende zu führen.

Wenn wir in Bezug auf die Industrie so großen Schwierigkeiten begegneten, wenn wir dort diesen, vielen so lang scheinenden, aber in Wirklichkeit kurzen Weg zurücklegen mussten, der von der Arbeiterkontrolle zur Arbeiterverwaltung führte, so hatten wir in dem rückständigeren Dorf eine weit größere Vorarbeit zu leisten. Wer das Leben des Dorfes beobachtet hat, wer mit den Bauernmassen im Dorfe in Berührung gekommen ist, der sagt: Die Oktoberrevolution der Städte wurde für das Dorf erst im Sommer und Herbst 1918 zur wahren Oktoberrevolution. Und nun, Genossen, als das Petrograder Proletariat und die Soldaten der Petrograder Garnison die Macht ergriffen, da wussten sie ausgezeichnet, dass man beim Aufbau im Dorf auf große Schwierigkeiten stoßen wird, dass man hier eher schrittweise vorgehen muss, dass es größter Unsinn wäre, hier zu versuchen, die gemeinschaftliche Bodenbearbeitung durch Dekrete, durch Gesetze einzuführen, dass nur eine verschwindend kleine Anzahl politisch bewusster Bauern darauf eingehen könnte, die überwältigende Mehrheit der Bauern aber sich diese Aufgabe nicht stelle. Und daher beschränkten wir uns auf das, was im Interesse der Entfaltung der Revolution absolut notwendig war: auf keinen Fall der Entwicklung der Massen vorauszueilen, sondern abzuwarten, bis aus der eigenen Erfahrung dieser Massen, aus ihrem eigenen Kampfe die Vorwärtsbewegung hervorwächst. Wir beschränkten uns im Oktober darauf, den alten Erbfeind der Bauernschaft, den feudalen Gutsbesitzer, den Latifundienbesitzer mit einem Schlag hinwegzufegen. Das war ein Kampf der gesamten Bauernschaft. Da gab es innerhalb der Bauernschaft noch keine Differenzierung in Proletariat, Halbproletariat, Armbauernschaft und Bourgeoisie. Wir Sozialisten wussten, dass es ohne diesen Kampf keinen Sozialismus gibt, aber wir wussten auch, dass es nicht genügt, wenn wir allein das wissen, dass dieses Wissen in die Millionen eindringen muss, nicht durch Propaganda, sondern durch die eigene Erfahrung dieser Millionen. Darum haben wir, als die gesamte Bauernschaft als Ganzes sich die Umwälzung nur auf der Grundlage der ausgleichenden Bodennutzung vorstellte, in unserm Dekret vom 26. Oktober 1917 offen erklärt, dass wir das Programm der Bodenforderungen der Bauernschaft zur Grundlage nehmen.

Wir erklärten offen, dieses Programm entspreche nicht unseren Anschauungen, das sei kein Kommunismus, aber wir drängten dem Bauern nicht etwas auf, was nur unserem Programm aber nicht seinen Ansichten entsprochen hätte. Wir erklärten, dass wir mit ihnen, als mit Arbeitsgenossen zusammengehen in der Überzeugung, der Lauf der Revolution werde gerade zu jener Situation führen, zu der wir auch gekommen sind, und als Resultat sehen wir die Bauernbewegung. Die Agrarreform begann mit eben jener Sozialisierung des Grund und Bodens, die wir selbst mit unseren Stimmen zur Annahme brachten, wobei wir offen erklärten, sie entspräche nicht unseren Anschauungen. Wir wussten, dass der Gedanke der ausgleichenden Bodennutzung von der gewaltigen Mehrheit der Bauernschaft geteilt wird; wir wollten ihr nichts aufdrängen und warteten, bis die Bauernschaft das selbst überwinden und weiter vorwärtsschreiten wird. Wir warteten ab und konnten unsere Kräfte vorbereiten.

Das Gesetz, das wir damals annahmen, geht von allgemein-demokratischen Prinzipien aus, von dem, was den reichen Bauern, den Kulaken, mit dem armen Bauern eint – vom Hass gegen den Gutsbesitzer, von der allgemeinen Idee der Gleichheit, die gegenüber der alten Ordnung der Monarchie zweifellos eine revolutionäre Idee war. Von diesem Gesetz mussten wir zur Differenzierung innerhalb der Bauernschaft übergehen. Wir brachten das Gesetz über die Sozialisierung des Grund und Bodens mit allgemeiner Zustimmung zur Annahme. Es wurde einstimmig angenommen sowohl von uns als auch von jenen, die die Ansichten der Bolschewiki nicht teilten. Bei Entscheidung der Frage, wer den Grund und Boden besitzen soll, räumten wir den landwirtschaftlichen Kommunen den Vorrang ein. Wir ließen die Bahn dafür frei, dass die Landwirtschaft sich nach sozialistischen Prinzipien entwickeln konnte, wussten jedoch ausgezeichnet, dass sie damals, im Oktober 1917, nicht imstande war, diesen Weg einzuschlagen. Wir warteten ab, bis wir dank unserer Vorbereitungsarbeit den gewaltigen, welthistorischen Schritt machen konnten, der noch in keinem der allerdemokratischsten, republikanischen Länder gemacht worden ist. Dieser Schritt ist in diesem Sommer selbst in den entlegensten russischen Dörfern von der ganzen Masse gemacht worden. Als es zu Verpflegungsschwierigkeiten, zur Hungersnot kam, als infolge des alten Erbes und der verfluchten vier Kriegsjahre, als infolge der Anstrengungen der Konterrevolution und infolge des Bürgerkriegs uns die getreidereichsten Gebiete genommen waren, als dies alles den Höhepunkt erreichte und die Städte von Hunger bedroht waren, – da zog die einzige, treueste, feste Stütze unserer Macht, zogen die fortgeschrittenen Arbeiter der Städte und Industriebezirke, geschlossen ins Dorf. Verleumder sind diejenigen, die da sagen, die Arbeiter seien ausgezogen, um den bewaffneten Kampf zwischen die Arbeiter und Bauern zu tragen. Diese Verleumdung wird von den Ereignissen widerlegt. Sie zogen aus, um den ausbeuterischen Elementen im Dorfe, den Kulaken, die durch Getreidespekulation unerhörte Reichtümer anhäuften, während das Volk verhungerte, das Handwerk zu legen. Sie eilten der werktätigen Armut, der Mehrheit im Dorf zu Hilfe, und dass sie nicht vergeblich herbeieilten, dass sie die Hand zum Bunde reichten, dass ihre Vorbereitungsarbeit in der Masse aufging – das zeigte uns vollkommen der Monat Juli, die Julikrise, als der Kulakenaufstand über ganz Russland dahinzog. Die Julikrise endete damit, dass die werktätigen ausgebeuteten Elemente sich überall in den Dörfern erhoben, sich gemeinsam mit dem Proletariat der Städte erhoben. Heute teilte mir Genosse Sinowjew telefonisch mit, dass die Teilnehmerzahl des Gebietskongresses der Komitees der Dorfarmut in Petrograd 18.000 erreicht habe und dass dort außergewöhnlicher Enthusiasmus und Begeisterung herrsche. In dem Maße, wie das, was in ganz Russland geschieht, anschaulichere Formen annahm, lernte die Dorfarmut, als sie sich erhob, aus eigener Erfahrung den Kampf mit den Kulaken kennen, sah sie, dass man nicht mit der Dorfbourgeoisie und den Kulaken zusammengehen darf, wenn man die Versorgung der Städte sichern und den Warenaustausch wiederherstellen will, ohne den das Dorf nicht leben kann. Man muss sich gesondert organisieren. Und jetzt haben wir den ersten, den größten Schritt der sozialistischen Revolution auf dem Lande gemacht. Im Oktober konnten wir das nicht tun. Wir erfassten den Augenblick, da wir zu den Massen gehen konnten und haben es nunmehr erreicht, dass die sozialistische Revolution in den Dörfern begonnen hat, dass es kein noch so weltverlorenes Dorf gibt, wo man nicht wüsste, dass der Gevatter Dorfprotz, der Gevatter Kulak, falls er mit Getreide spekuliert, alle sich abspielenden Ereignisse vom Standpunkt der alten Winkelpolitik betrachtet. Und jetzt erst bildet eben die Wirtschaft des Dorfes, die Dorfarmut, die sich mit ihren Führern, mit den städtischen Arbeitern, zusammengeschlossen hat, ein endgültiges und dauerhaftes Fundament für den wirklichen sozialistischen Aufbau. Erst jetzt wird der sozialistische Aufbau im Dorf beginnen. Erst jetzt werden jene Sowjets und Wirtschaften gebildet, die planmäßig die gemeinschaftliche Bodenbearbeitung in großem Umfang, die Ausnutzung von Kenntnissen, Wissenschaft und Technik anstreben, was auf der Grundlage der alten, reaktionären, finsteren Zeit selbst eine einfache, elementare menschliche Kultur nicht geben kann. Hier ist die Arbeit noch schwieriger als in der Industrie. Hier werden von unseren örtlichen Komitees und Sowjets noch mehr Fehler begangen. Aus ihren Fehlern lernen sie. Wir fürchten Fehler nicht, wenn sie von den Massen begangen werden, die sich bewusst zum Aufbau verhalten, denn wir verlassen uns nur auf unsere eigene Erfahrung und auf unserer eigenen Hände Arbeit.

Und eben diese gewaltige Umwälzung, die uns binnen so kurzer Zeit im Dorf zum Sozialismus geführt hat, zeigt, dass dieser ganze Kampf von Erfolg gekrönt wurde. Am anschaulichsten beweist das die Rote Armee. Ihr wisst, in welcher Lage wir uns im imperialistischen Weltkrieg befunden haben, als Russland in einen solchen Zustand gekommen war, dass die Volksmassen ihn nicht mehr ertragen konnten. Wir wissen, dass wir damals in die hilfloseste Lage geraten waren. Wir sagten den Arbeitermassen offen die ganze Wahrheit. Wir entlarvten die imperialistischen Geheimverträge jener Politik, die als größtes Werkzeug des Betrugs dient, die heute in Amerika, der fortgeschrittensten demokratischen Republik des bürgerlichen Imperialismus, die Massen wie nie zuvor betrügt und an der Nase herumführt. Als der Krieg, sein imperialistischer Charakter, allen klar geworden war, da war die Russische Sowjetrepublik das einzige Land, das mit der geheimen bürgerlichen Außenpolitik von Grund aus aufräumte. Sie hat die Geheimverträge enthüllt und hat, sich an alle Länder der Erde wendend, durch, den Mund des Genossen Trotzki erklärt: Wir fordern euch auf, diesem Krieg auf demokratischem Wege ohne Annexionen und Kontributionen ein Ende zu machen, und wir verkünden offen und stolz die harte Wahrheit, aber trotz allem die Wahrheit: um diesem Krieg ein Ende zu machen, bedarf es der Revolution gegen die bürgerliche Regierung! Unsere Stimme fand keinen Widerhall. Das mussten wir mit jenem unglaublich drückenden und schweren Frieden büßen, der uns durch den Brester Gewaltvertrag aufgezwungen wurde, der unter so vielen mit uns Sympathisierenden Verzagtheit und Verzweiflung auslöste. Das konnte geschehen, weil wir allein waren. Aber wir taten unsere Pflicht und sagten euch: So sind die Kriegsziele! Und wenn die Lawine des deutschen Imperialismus über uns hereingebrochen ist, so deshalb, weil eine große Zeitspanne erforderlich war, bis unsere Arbeiter und Bauern zu einer festen Organisation gelangten. Eine Armee hatten wir damals nicht; wir besaßen die alte desorganisierte Armee der Imperialisten, die man in den Krieg getrieben hatte für Ziele, welche die Soldaten nicht unterstützten, mit denen sie nicht sympathisierten. Da zeigte es sich, dass wir eine höchst qualvolle Umwälzung durchzumachen hatten. Es war die Periode, wo die Massen sich von dem überaus qualvollen imperialistischen Krieg erholen und sich dessen bewusst werden sollten, dass ein neuer Krieg beginnt. Wir haben das Recht, jenen Krieg, in dem wir unsere sozialistische Revolution verteidigen werden, als unseren Krieg zu bezeichnen. Das mussten Millionen und aber Millionen aus eigener Erfahrung begreifen. Darüber vergingen Monate. Langsam und schwer brach sich diese Erkenntnis Bahn. Im Sommer dieses Jahres wurde es jedoch allen klar, dass diese Erkenntnis endlich durchgedrungen war, dass die Wiedergeburt begonnen hatte, denn die Armee, die ein Produkt der Volksmassen ist, weil sie deren Ermüdung und Verzweiflung widerspiegelt, die Armee, die sich aufopfert, die nach dem vierjährigen blutigen Gemetzel wieder in den Krieg zieht - damit eine solche Armee für die Sowjetrepublik unseres Landes marschiere, muss die Ermüdung und Verzweiflung in der Masse, die in dieses Gemetzel zieht, der klaren Erkenntnis Platz gemacht haben, dass sie wirklich für ihre eigene Sache: für die Arbeiter- und Bauernsowjets, für die sozialistische Republik in den Tod geht. Das ist erreicht worden.

Die Siege, die wir im Sommer über die Tschechoslowaken davongetragen haben, und die jetzt in sehr großer Zahl einlaufenden Siegesmeldungen beweisen, dass die Wiedergeburt begonnen hat und dass die schwierigste Aufgabe – die Aufgabe der Schaffung einer klassenbewussten sozialistischen organisierten Masse nach vier Jahren eines qualvollen Krieges –, dass diese Aufgabe durchgeführt ist. Diese Erkenntnis ist tief in die Massen eingedrungen. Millionen und aber Millionen haben begriffen, dass sie an einem schweren Werk arbeiten. Darin liegt das Unterpfand dafür, dass wir nicht der Verzweiflung verfallen werden, wenn auch die Kräfte des Weltimperialismus, die im gegebenen Augenblick stärker sind als wir, gegen uns rüsten; wenn auch die Söldlinge der Imperialisten, die die Gefährlichkeit der Sowjetmacht begriffen haben und darauf brennen, sie zu erdrosseln, uns jetzt einkreisen; ungeachtet dessen, dass wir die Wahrheit sagen, und nicht verbergen, dass sie jetzt stärker sind als wir.

Wir sagen: wir wachsen, die Sowjetrepublik wächst! Die Sache der proletarischen Revolution wächst schneller als die Kräfte des Imperialismus heranrücken. Wir sind voller Hoffnung und der festen Überzeugung, dass wir nicht nur die Interessen der russischen sozialistischen Revolution verteidigen, sondern dass wir durch den Krieg, den wir führen, auch die sozialistische Weltrevolution verteidigen. Unsere Siegeshoffnung wächst schneller, weil das Klassenbewusstsein unserer Arbeiter wächst. Was war die Sowjetorganisation im Oktober vorigen Jahres? Das waren die ersten Schritte. Wir konnten sie keinem Vorbild anpassen, um sie zu dem zu machen, was sie heute ist; heute aber haben wir die Sowjetverfassung. Wir wissen, dass diese im Juli bestätigte Sowjetverfassung nicht von irgendeiner Kommission ausgeklügelt, nicht von Juristen verfasst, nicht von andern Verfassungen abgeschrieben worden ist. Es hat auf der Welt noch keine solche Verfassung gegeben wie die unsrige. In ihr sind die Erfahrungen der Organisation und des Kampfes der proletarischen Massen gegen die Ausbeuter sowohl im eigenen Lande als auch in der ganzen Welt niedergelegt. Wir haben einen Vorrat an Kampferfahrungen, und dieser Vorrat an Erfahrungen hat uns eine anschauliche Bestätigung dafür gegeben, dass die organisierten Arbeiter die Sowjetmacht ohne Beamte, ohne stehendes Heer, ohne Privilegien, die faktisch der Bourgeoisie gewährt werden, geschaffen haben, dass sie diesen Kampf im Grunde genommen nicht schlechter geführt haben als die Bourgeoisie, und dass sie in den Fabriken und Betrieben das Fundament des neuen Aufbaus gelegt haben. Wir nehmen die Arbeit in Angriff, indem wir neue Mitarbeiter heranziehen, die für die Durchführung der Sowjetverfassung notwendig sind. Wir haben jetzt ausgebildete Kader von Rekruten, von jungen Bauern, die wir zur Arbeit heranziehen müssen, damit sie sich in diese neuen Kader einreihen und uns helfen können, das Werk zu vollenden.

Der letzte Punkt, auf den ich eingehen möchte, das ist die Frage der internationalen Lage. Wir stehen Schulter an Schulter mit unsern internationalen Genossen und haben uns jetzt davon überzeugt, wie entschieden und energisch sie der Gewissheit Ausdruck geben, dass die russische proletarische Revolution als internationale Revolution mit ihnen zusammengehen wird.

In dem Maße, wie die internationale Bedeutung der Revolution gewachsen ist, wuchs und verstärkte sich auch der fieberhafte Zusammenschluss der Imperialisten der ganzen Welt. Im Oktober 1917 hielten sie unsere Republik für ein Kuriosum, das keiner Beachtung wert sei; im Februar hielten sie sie für ein sozialistisches Experiment, mit dem es sich nicht zu rechnen lohne. Doch die Armee der Republik wuchs und festigte sich: die Republik löste die schwierigste aller Aufgaben, die Aufgabe der Schaffung einer sozialistischen Roten Armee. Infolge des Wachstums und des Erfolges unserer Sache wuchs der erbitterte Widerstand und der wütende Hass der Imperialisten aller Länder, und es kam schließlich so weit, dass die englischen und französischen Kapitalisten, die geschrien hatten, dass sie Feinde Wilhelms seien, drauf und dran sind, sich mit eben diesem selben Wilhelm zum Kampf für die Erdrosselung der sozialistischen Sowjetrepublik zu vereinigen, denn sie haben eingesehen, dass die Sowjetrepublik aufgehört hat, ein Kuriosum, ein sozialistisches Experiment zu sein, dass sie zum Herd, zum wahren, faktischen Herd der sozialistischen Weltrevolution geworden ist. Eben darum wuchs mit den wachsenden Erfolgen unserer Revolution auch die Zahl unserer Feinde. Wir müssen uns, ohne auch nur im Geringsten die Schwere unserer Lage zu verheimlichen, Rechenschaft darüber ablegen, was uns bevorsteht. Aber wir sind dazu bereit, und wir marschieren schon nicht mehr allein, sondern mit den Arbeitern Wiens und Berlins, die sich zu dem gleichen Kampf erheben und vielleicht größere Diszipliniertheit und ein gesteigertes Bewusstsein in unsere gemeinsame Sache hinein tragen werden.

Genossen, um euch zu zeigen, wie sich die Gewitterwolken über unserer Sowjetrepublik zusammenballen und welche Gefahren uns drohen, gestattet mir, euch den vollständigen Text der Note vorzulesen, die uns die deutsche Regierung durch ihr Konsulat überreicht hat:

An den Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, G. W. Tschitscherin, Moskau, den 5. November 1918.

Im Auftrage der Regierung des Deutschen Reiches beehrt sich das Kaiserlich Deutsche Konsulat der Russischen Föderativen Sowjetrepublik Untenstehendes mitzuteilen: Die Deutsche Reichsregierung sieht sich schon zum zweiten Male gezwungen, gegen den Umstand zu protestieren, dass durch Äußerungen offizieller russischer Behörden entgegen den Bestimmungen des Artikels Nr. 2 des Brester Friedensvertrags eine unzulässige Agitation gegen die deutschen Staatsbehörden geführt wird. Sie hält es bereits nicht mehr für möglich, sich auf Proteste gegen diese Agitation, welche nicht nur eine Verletzung der erwähnten Vertragsbestimmungen, sondern auch eine ernste Abweichung von den internationalen Gepflogenheiten darstellt, zu beschränken. Als die Sowjetregierung nach Abschluss des Friedensvertrages ihre diplomatische Vertretung in Berlin einrichtete, wurde der ernannte Russische Bevollmächtigte, Herr Joffe, kategorisch auf die Notwendigkeit hingewiesen, jegliche Agitations- und Propagandatätigkeit in Deutschland zu vermeiden. Er erwiderte hierauf, dass ihm der Artikel Nr. 2 des Brester Vertrages bekannt sei, und dass er wisse, dass er sich in seiner Eigenschaft als Vertreter einer ausländischen Macht nicht in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einmischen dürfe. Herr Joffe und die ihm unterstellten Organe genossen daher in Berlin die Aufmerksamkeit und das Vertrauen, das man gewöhnlich den exterritorialen ausländischen Vertretungen entgegenbringt. Dieses Vertrauen wurde jedoch getäuscht. Bereits seit einiger Zeit wurde es klar, dass die russische diplomatische Vertretung durch intimen Umgang mit gewissen Elementen, die in der Richtung auf einen Sturz der Staatsordnung in Deutschland arbeiten, sowie durch die Verwendung besagter Elemente in ihrem Dienste an einer Bewegung interessiert war, welche auf den Sturz des bestehenden Systems in Deutschland gerichtet ist. Dank folgendem Zwischenfall, der sich am 4. d. M. zutrug, ist es klargeworden, dass die Russische Regierung durch die Einfuhr von Flugblättern, die eine Aufforderung zur Revolution enthielten, sogar aktiven Anteil an jenen Bewegungen nimmt, die sich den Sturz des herrschenden Systems zum Ziele setzen, wodurch das Privilegium der Verwendung von diplomatischen Kurieren missbraucht wird. Infolge einer Beschädigung während des Transports einer der zum offiziellen Gepäck des gestern in Berlin angekommenen russischen Kuriers gehörenden Kisten, wurde festgestellt, dass diese Kisten in deutscher Sprache verfasste und ihrem Inhalt nach zur Verbreitung in Deutschland bestimmte, revolutionäre Flugblätter enthielten. Weiterer Grund zur Klage wird der Deutschen Regierung durch die Haltung gegeben, die die Sowjetregierung in der Frage der Sühne des Mordes an dem Kaiserlichen Gesandten, Grafen Mirbach, bekundet hat. Die Russische Regierung hat feierlich erklärt, dass sie alles tun werde, um die Schuldigen zu bestrafen. Die Deutsche Regierung konnte jedoch keinerlei Anzeichen ausfindig machen, dass die Verfolgung oder Bestrafung der Schuldigen bereits begonnen hat oder dass selbst nur die Absicht besteht, eine solche vorzunehmen. Die Mörder flüchteten aus einem Haus, das von allen Seiten von den Organen der öffentlichen Sicherheit der Russischen Regierung umzingelt war. Die Urheber der Ermordung, die offen eingestanden haben, dass diese von ihnen beschlossen und vorbereitet wurde, blieben bis jetzt straffrei und wurden, nach eingelaufenen Meldungen zu urteilen, sogar amnestiert. Die Deutsche Regierung protestiert gegen diese Verletzungen des Vertrages und des Öffentlichen Rechts. Sie muss von der Russischen Regierung Garantien dafür verlangen, dass die Agitation und Propaganda, die dem Friedensvertrag zuwiderläuft, künftig nicht mehr geführt werde. Sie muss weiter auf der Sühne des Mordes an dem Gesandten Grafen Mirbach durch die Bestrafung der Mörder und der Urheber der Ermordung bestehen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem diese Forderungen erfüllt worden sind, muss die Deutsche Regierung die Regierung der Sowjetrepublik bitten, ihre diplomatischen und sonstigen offiziellen Vertreter aus Deutschland abzuberufen. Dem Russischen Bevollmächtigten in Berlin wurde heute erklärt, dass der Sonderzug für die Abreise der diplomatischen und Konsularvertreter in Berlin und für die anderen, in dieser Stadt befindlichen russischen offiziellen Persönlichkeiten morgen Abend bereitstehen wird, und dass Maßnahmen zwecks ungehinderter Abreise dieses Personals bis zum russischen Grenzpunkt getroffen werden. An die Sowjetregierung wird die Bitte gerichtet, dafür Sorge zu tragen, dass den deutschen Vertretern in Moskau und Petrograd gleichzeitig die Möglichkeit der Abreise unter Wahrung alles dessen, was die Höflichkeitspflicht verlangt, geboten wird. Den anderen in Deutschland befindlichen russischen Vertretern, sowie den deutschen offiziellen Persönlichkeiten, die sich in anderen Orten Russlands aufhalten, wird erklärt werden, dass in Wochenfrist die ersten nach Russland, – die zweiten nach Deutschland abreisen müssen. Die Deutsche Regierung gestattet sich, der Erwartung Ausdruck zu geben, dass auch in Bezug auf die letzteren deutschen offiziellen Persönlichkeiten alle Gebote der Höflichkeit bei der Abreise beobachtet werden und dass anderen deutschen Untertanen oder Personen, die unter deutschem Schutze stehen, für den Fall einer solchen Bitte die Möglichkeit einer ungehinderten Abreise gewährt wird."

Genossen, wir wissen alle ausgezeichnet, dass die deutsche Regierung vollkommen darüber unterrichtet war, dass die russische Rotschaft seit Beginn des Krieges die Gastfreundschaft der deutschen Sozialisten genossen hat, dass aber jene Leute, die für den deutschen Imperialismus waren, die Schwelle der russischen Botschaft nicht überschritten. Ihre Freunde waren diejenigen Sozialisten, die gegen den Krieg waren, die mit Karl Liebknecht sympathisierten. Vom ersten Tage des Bestehens der Botschaft an waren sie ihre Gäste, und nur mit ihnen pflegten wir Verkehr. Das hat die deutsche Regierung ausgezeichnet gewusst. Sie spürte jedem Vertreter unserer Regierung mit derselben Sorgfalt nach, mit der die Regierung Nikolaus II. unseren Genossen nachgespürt hat. Und wenn die Regierung jetzt diese Geste macht, so nicht deshalb, weil sich etwas geändert hätte, sondern weil sie sich früher für stärker hielt und nicht fürchtete, dass wegen eines in den Straßen von Berlin angezündeten Hauses ganz Deutschland auflodern würde. Die deutsche Regierung hat den Kopf verloren und glaubt, wenn ganz Deutschland brennt, den Brand dadurch löschen zu können, dass sie ihre Polizeischläuche gegen das eine Haus richtet.

Das ist bloß lächerlich. Wenn die deutsche Regierung sich anschickt, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu erklären, so können wir sagen, wir haben das gewusst, dass sie mit allen Kräften ein Bündnis mit den englisch-französischen Imperialisten anstrebt. Wir wissen, dass diese Regierung Wilson mit Telegrammen überschüttet hat, mit der Bitte, die deutschen Truppen in Polen, in der Ukraine, in Estland und Livland zu belassen, weil diese Truppen, wenn auch die englisch-französischen Imperialisten die Feinde des deutschen Imperialismus sind, doch Arbeit für sie leisten: sie halten die Bolschewiki in Schach. Lasst sie erst dann abziehen, wenn ententefreundliche Befreiungstruppen eintreffen werden, um die Bolschewiki zu erdrosseln.

Das wissen wir ausgezeichnet; in dieser Hinsicht gibt es hier für uns nichts Unerwartetes. Wir sagten nur, dass jetzt, da Deutschland in Brand geraten ist und ganz Österreich in Flammen steht, da man Liebknecht freilassen und ihm die Möglichkeit gewähren musste, in die russische Botschaft zu fahren – was von einer allgemeinen Sozialistenversammlung mit Liebknecht an der Spitze beschlossen wurde –, dass jetzt ein derartiger Schritt seitens der deutschen Regierung nicht so sehr davon zeugt, dass sie Krieg führen will, als vielmehr davon, dass sie vollständig den Kopf verloren hat, dass sie zwischen verschiedenen Entschlüssen hin und her pendelt, weil ihr schlimmster Feind über sie kam – der englisch-amerikanische Imperialismus, der Österreich durch einen hundertmal ärgeren Gewaltfrieden, als der Brester Friede es war, niedergeworfen hat. Deutschland sieht, dass diese Befreier es ebenfalls erdrosseln, bis aufs Blut peinigen und martern wollen. Gleichzeitig aber erhebt sich der Arbeiter Deutschlands. Die deutsche Armee hat sich nicht deshalb als untauglich und kampfunfähig erwiesen, weil die Disziplin locker war, sondern deshalb, weil die Soldaten, die sich geweigert hatten, zu kämpfen, von der Ostfront an die deutsche Westfront versetzt worden sind und das mitgebracht haben, was die Bourgeoisie Weltbolschewismus nennt.

Eben deshalb hat sich die deutsche Armee als kampfunfähig erwiesen und eben deshalb ist dieses Dokument vor allem ein Beweis für diese Ratlosigkeit. Wir sagen, dass dieses Dokument zum Bruch der diplomatischen Beziehungen führen wird, dass es vielleicht aber auch zum Krieg führen würde, wenn bei ihnen Kräfte zur Führung der weißgardistischen Truppen auftauchen sollten. Deshalb haben wir an alle Sowjets ein Telegramm geschickt, das damit endet, man solle auf der Hut sein, sich bereit halten und alle Kräfte anspannen, die Note sei ein Ausdruck dessen, dass der internationale Imperialismus seine Hauptaufgabe im Sturz des Bolschewismus sieht. Das würde nicht bedeuten, nur Russland zu besiegen – das würde bedeuten, in jedem Lande die eigenen Arbeiter zu besiegen. Das wird ihnen nicht gelingen, was immer für Bestialitäten und Gewaltakte diesem Beschluss auch folgen mögen. Und sie, diese Bestien, rüsten, sie rüsten zu einem Feldzug gegen Russland vom Süden her, über die Dardanellen oder über Bulgarien oder Rumänien Sie führen Unterhandlungen, um in Deutschland weißgardistische Truppen zu formieren und sie gegen Russland zu werfen. Diese Gefahr erkennen wir ausgezeichnet und sagen offen: Genossen, wir haben nicht umsonst ein Jahr gearbeitet; wir haben das Fundament errichtet, wir gehen entscheidenden Schlachten entgegen, Schlachten, die wirklich entscheidend sein werden. Wir marschieren jedoch nicht allein: das Proletariat Westeuropas hat sich erhoben und hat in Österreich-Ungarn nicht einen Stein auf dem anderen gelassen. Die dortige Regierung zeichnet sich durch die gleiche Hilflosigkeit, die gleiche völlige Ratlosigkeit, die gleiche Kopflosigkeit aus, durch die sich seinerzeit, Ende Februar 1917, die Regierung des Nikolaus Romanow auszeichnete. Unsere Losung muss sein: noch und noch einmal alle unsere Kräfte anspannen, eingedenk dessen, dass wir dem letzten Entscheidungskampf nicht für die russische, sondern für die internationale sozialistische Revolution entgegengehen!

Wir wissen, dass die Bestien des Imperialismus noch stärker .sind als wir, dass sie uns und unserem Lande noch viele Gewalttaten und Bestialitäten antun, noch viele Qualen verursachen können, doch die Weltrevolution können sie nicht besiegen. Sie sind von wildem Hass erfüllt, und deshalb sagen wir uns: mag da kommen, was will, jeder Arbeiter und jeder Bauer Russlands wird seine Pflicht erfüllen und wird in den Tod gehen, wenn das im Interesse der Revolution gefordert wird. Wir sagen: mag da kommen, was will, was immer für Elend die Imperialisten auch noch heraufbeschwören mögen, sie werden sich dadurch nicht retten. Der Imperialismus wird untergehen, die internationale sozialistische Revolution aber wird siegen, trotz alledem!

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