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Wladimir I. Lenin 19180315 Schlusswort zur Rede über die Ratifikation des Friedensvertrages

Wladimir I. Lenin: Schlusswort zur Rede über die Ratifikation des Friedensvertrages

15. März 1918

[„Prawda" Nr. 49 19. März 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 449-458]

Genossen, wenn ich eine Bestätigung dessen suchen wollte, was ich in meiner ersten Rede über den Charakter des uns empfohlenen revolutionären Krieges gesagt habe, so würde die Rede des Vertreters der linken Sozialrevolutionäre mir die beste und anschaulichste Bestätigung geliefert haben, und ich glaube, dass es am zweckmäßigsten sein wird, wenn ich nach dem Stenogramm seine Rede zitiere und wir sehen, welche Gründe er zur Bekräftigung seiner Thesen anführt.1

Ein Beispiel dafür, auf welche Gründe sie sich stützen. Hier ist von der Landbezirksversammlung2 die Rede gewesen. Diejenigen, denen diese Tagung eine solche Versammlung zu sein scheint, können zu solchen Argumenten greifen, es ist jedoch klar, dass die Leute hier unsere Worte nachsprechen, aber nicht verstehen. Sie wiederholen, was die Bolschewiki die linken Sozialrevolutionäre gelehrt haben, als sie noch mit den rechten zusammen waren, und wenn sie sprechen, so erkennt man, dass sie das auswendig gelernt haben, was wir gesagt haben. Aber sie haben nicht begriffen, worauf sich das gründete, und wiederholen es jetzt bloß. Zereteli und Tschernow waren Vaterlandsverteidiger, jetzt aber sind wir Vaterlandsverteidiger, Verräter. Die Handlanger der Bourgeoisie reden hier von Landbezirksversammlung, sie werfen mit koketten Blicken um sich, wenn sie davon reden, aber jeder Arbeiter versteht die Ziele der Vaterlandsverteidiger sehr gut, von denen sich die Zereteli und Tschernow leiten ließen, und die Motive, die uns veranlassen, Vaterlandsverteidiger zu sein.

Wenn wir die russischen Kapitalisten unterstützen, bekommen wir die Dardanellen, Armenien, Galizien – das stand im Geheimvertrag. Deshalb war das Wort Vaterlandsverteidiger damals eine Schande und jetzt eine Ehre.

Und wenn ich neben solchen Argumenten zweimal im Stenogramm der Rede Kamkows das Wort finde, dass die Bolschewik! – Handlanger des deutschen Imperialismus seien (Händeklatschen rechts), ein scharfes Wort ……

ich freue mich sehr, dass alle diejenigen, die die Politik Kerenskis getrieben haben, das durch Beifall unterstreichen. Genossen, ich habe natürlich nichts gegen scharfe Worte einzuwenden. Ich werde niemals dagegen etwas einwenden. Aber um heftig zu sein, muss man das Recht dazu haben, das Recht zur Heftigkeit erwirbt man jedoch dadurch, dass Worte und Taten einander nicht widersprechen. Das ist eine kleine Vorbedingung dafür, die viele Intellektuelle nicht zu würdigen wissen. Die Arbeiter und Bauern aber in den Landbezirksversammlungen – wie kläglich, so eine Landbezirksversammlung! – haben das sowohl in diesen Versammlungen als auch in den Sowjetorganisatioinen sich zu eigen gemacht, bei ihnen stimmen Worte und Taten überein, und bei denen, die ausgezeichnet wissen, dass sie in der Partei der rechten Sozialrevolutionäre bis zum Oktober saßen, als jene an den Privilegien teilnahmen, Handlanger waren, weil man ihnen Ministerposten dafür versprochen hatte, dass sie über alle Geheimverträge schweigen …3 Man kann jedoch auf keinen Fall als Agenten des Imperialismus Leute bezeichnen, die ihm wirklich den Krieg ansagten, die die Verträge zerrissen, das damit verbundene Risiko eingingen, die Verhandlungen in Brest-Litowsk in die Länge zogen, die wussten, dass das für das Land verhängnisvoll war, die eine militärische Offensive, eine Reihe unerhörter Niederlagen aushielten und das nicht im Geringsten vor dem Volke verheimlichten, Martow hat hier versichert, dass er den Vertrag nicht gelesen habe. Mag ihm glauben, wer will. Wir wissen, dass diese Leute gewohnt sind, viele Zeitungen zu lesen, den Vertrag aber wollen sie nicht gelesen haben. Möge daran glauben, wer will. Ich will euch aber sagen: wenn die Partei der Sozialrevolutionäre uns gut kennt, wenn sie weiß, dass wir vor der Gewalt zurückweichen, die wir selbst vollständig entlarvt haben, dass wir das bewusst tun und offen darüber reden, dass wir jetzt nicht kämpfen können, sondern nachgeben – die Geschichte wiederholt eine Reihe von schändlichen Verträgen und eine Reihe von Kriegen –, wenn sie als Antwort darauf uns das Wort „Handlanger" präsentieren, so entlarvt diese Schärfe sie selbst. Wenn sie versichern, dass sie die Verantwortung ablehnen, was tun sie da? Ist es etwa nicht eine Heuchelei, wenn Leute die Verantwortung ablehnen, aber weiter in der Regierung bleiben? Ich behaupte: wenn sie sagen, dass sie keine Verantwortung tragen, so stimmt das nicht, und vergeblich glauben sie, dass wir hier eine Landbezirksversammlung haben. Nein, hier sind die besten und ehrlichsten Elemente der werktätigen Massen versammelt. Das ist kein bürgerliches Parlament, in das man einmal im Jahr oder einmal in zwei Jahren Leute wählt, damit sie auf ihren Sesseln sitzen und Gehalt bekommen. Das sind Leute, die aus ihren Orten kommen, morgen werden sie wieder dort sein, morgen werden sie erzählen, dass die linken Sozialrevolutionäre es verdienen, dass ihre Stimmen zusammenschmelzen, weil diese Partei, die sich so benimmt, unter der Bauernschaft sich als dieselbe Seifenblase entpuppt wie unter der Arbeiterklasse.

Ich will euch ferner noch eine Stelle aus der Rede Kamkows zitieren, um zu zeigen, wie jeder Vertreter der werktätigen und ausgebeuteten Massen sich dazu stellen wird. „Wenn hier Genosse Lenin gestern behauptete, dass die Genossen Zereteli, Tschernow und andere die Armee zersetzt hätten, müssen wir da nicht den Mut aufbringen und sagen, dass wir zusammen mit Lenin ebenfalls die Armee zersetzt haben?" Gründlich vorbei gehauen! Er hörte, dass wir Defätisten waren, und erinnerte sich daran, als wir keine Defätisten mehr waren. Er hat sich nicht zur rechten Zeit daran erinnert. Sie haben etwas auswendig gelernt, haben eine revolutionäre Klapper, aber darüber nachdenken, wie die Sache sich verhält, das verstehen sie nicht. Ich behaupte, von tausend Landbezirksversammlungen, die euren Spott, hervorrufen, wo die Sowjetmacht sich gestärkt hat, von tausend dieser Versammlungen werden sich in mehr als 900 Leute finden, die der Partei der linken Sozialrevolutionäre sagen werden, dass sie nicht das geringste Vertrauen verdiene. Sie werden sagen: bedenkt doch, wir haben die Armee zersetzt und müssen uns jetzt daran erinnern. Aber wie haben wir die Armee zersetzt? Wir waren Defätisten unter dem Zaren, aber unter Zereteli und Tschernow waren wir keine Defätisten. Wir haben in der „Prawda" einen Aufruf veröffentlicht, den Krylenko, als er noch verfolgt wurde, für die Armee herausgegeben hat: „Warum ich nach Petrograd fahre?" Er sagte dort: „Wir fordern nicht zu Meutereien auf." Das war keine Zersetzung der Armee. Die Armee haben diejenigen zersetzt, die diesen Krieg als großen Krieg proklamiert haben.

Die Armee haben Zereteli und Tschernow zersetzt, weil sie dem Volke glänzende Worte sagten, mit denen verschiedene linke Sozialrevolutionäre um sich zu werfen gewohnt sind. Worte wiegen leicht, das russische Volk aber hat sich in den Landbezirksversammlungen daran gewöhnt, über die Dinge nachzudenken und sie ernst zu nehmen. Wenn man ihm sagte, dass man den Frieden wolle und die Bedingungen des imperialistischen Krieges verurteile, so frage ich: wie aber war es mit den Geheimverträgen und der Junioffensive? Damit hat man gerade die Armee zersetzt. Wenn man dem Volke von dem Kampf gegen die Imperialisten, von der Verteidigung des Vaterlandes sprach, so fragte es sich: geht man denn irgendwo dem Kapitalismus zu Leibe? Damit hat man gerade die Armee zersetzt, und deshalb habe ich gesagt, und niemand hat es widerlegt, dass die Rettung der Armee möglich gewesen wäre, wenn wir im März und April die Macht ergriffen hätten, und wenn anstatt des tollen Hasses der Ausbeuter dafür, dass wir sie unterdrückten – ihr Hass gegen uns ist durchaus berechtigt –, wenn sie anstatt dessen die Interessen des Vaterlandes der Werktätigen und Ausgebeuteten über die Interessen des Vaterlandes Kerenskis und der Geheimverträge Rjabuschinskis und über die Aussichten auf Armenien, Galizien und die Dardanellen gestellt hätten – das wäre unsere Rettung gewesen. Diese Politik, angefangen von der großen russischen Revolution, insbesondere seit dem März, wo ein Aufruf voller Halbheiten an die Völker aller Länder gerichtet wurde, ein Aufruf, der aufforderte, die Bankiers aller Länder zu stürzen, während man selbst mit den Bankiers Einkünfte und Privilegien teilte, diese Politik war es, die die Armee zersetzte, deshalb hat sich die Armee nicht halten können.

Ich behaupte, dass wir seit diesem Aufruf Krylenkos, der nicht der erste war, und an den ich nur deswegen erinnere, weil er sich mir besonders eingeprägt hat, die Armee nicht zersetzt, sondern gesagt haben: haltet die Front, je schneller ihr die Macht ergreift, desto leichter werdet ihr sie behaupten. Und jetzt zu sagen, dass wir gegen den Bürgerkrieg und für den Aufstand sind – wie unwürdig ist das und was für ein widerliches Geschwätz dieser Leute! Wenn man auf dem Lande davon erfahren wird und dort die Soldaten, die den Krieg nicht so gesehen haben, wie die Intellektuellen, und die wissen, wie leicht es ist, mit einem Pappenschwert herumzufuchteln, sagen werden, dass man ihnen, die ohne Schuhe und Kleidung waren und Leiden ertrugen, dass man ihnen im kritischen Augenblick damit geholfen habe, dass man sie zur Offensive trieb – sie sagen ihnen jetzt, dass es nichts ausmache, wenn keine Armee da sei, dass ein Aufstand ausbrechen werde.4 Das Volk in einen Krieg gegen eine reguläre Armee mit modernster Ausrüstung hineinzutreiben – ist ein Verbrechen. Das haben wir als Sozialisten gelehrt. Der Krieg hat uns viel gelehrt, nicht nur, dass die Menschen Leiden ertragen mussten, sondern auch, dass derjenige Oberhand gewinnt, der die beste Technik, Organisation, Disziplin und die besten Maschinen hat. Das hat uns der Krieg gelehrt, und es ist gut, dass er das getan hat. Man muss verstehen lernen, dass man ohne Maschinen, ohne Disziplin in der modernen Gesellschaft nicht leben kann. Man muss sich entweder die moderne Technik aneignen oder man wird zertreten. Jahre entsetzlicher Leiden haben doch den Bauern beigebracht, was der Krieg ist. Und wenn jeder mit seinen Reden in die Landbezirksversammlungen geht, wenn die Partei der linken Sozialrevolutionäre dorthin geht, so wird sie eine wohlverdiente Strafe erhalten.

Noch ein Beispiel, noch ein Zitat aus der Rede Kamkows.5 Ungewöhnlich leicht ist es mitunter, Fragen zu stellen. Es gibt allerdings einen Ausspruch – er ist unhöflich und grob –, in dem es über solche Fragen heißt – es steht nun einmal so da –, ich meine den Ausspruch: Ein Narr kann mehr fragen, als ein Dutzend Weiser zu antworten vermag.

Genossen, in diesem Zitat, das ich euch verlesen habe, ersucht man mich, auf die Frage zu antworten: wird die Atempause eine Woche, zwei Wochen oder länger dauern? Ich behaupte, in jeder Landbezirksversammlung und in jeder Fabrik wird ein Mensch, der im Namen einer ernsten Partei vor dem Volke mit einer solchen Frage auftritt, von ihm verspottet und davon gejagt werden, weil man in jeder Landbezirksversammlung verstehen wird, dass es unmöglich ist, nach etwas zu fragen, was man nicht wissen kann. Das wird jeder Arbeiter und Bauer verstehen. Wenn ihr unbedingt eine Antwort haben wollt, so will ich euch sagen – was natürlich jeder linke Soziahevolutionär, der in Zeitungen schreibt oder in Versammlungen auftritt, sagen wird –, wovon diese Frist abhängt: davon, wann Japan angreifen wird, mit welchen Kräften, auf welchen Widerstand es stoßen wird; davon, wie weit der Deutsche in Finnland, in der Ukraine stecken bleiben wird; davon, wann die Offensive an allen Fronten einsetzen wird; davon, wie sie sich entwickeln wird; davon, wie der innere Konflikt in Österreich und Deutschland sich weiter entwickeln wird, und noch von vielen anderen Ursachen.

Wenn man deshalb mit einer siegesgewissen Miene in einer ernsten Versammlung fragt: wie lange wird die Atempause dauern? – so sage ich, dass diejenigen solche Leute aus den Arbeiter- und Bauernversammlungen davon jagen werden, die verstehen, dass nach dem qualvollen dreijährigen Krieg jede Woche der Atempause ein großes Gut ist. Und ich behaupte: wie sehr man uns jetzt hier schelten mag, wenn man morgen all diese Schimpfworte sammeln wollte, mit denen die rechten, die halb-rechten, die linken Sozialrevolutionäre, die Kadetten, die Menschewiki uns überschütteten, wenn man sie alle sammeln und veröffentlichen wollte, wenn hunderte Pud Papier dabei herauskämen, so würde das alles meiner Meinung nach federleicht wiegen ihn Vergleich mit dem, was neun Zehntel der Vertreter der bolschewistischen Fraktion gesagt haben: wir kennen den Krieg und wir sehen jetzt, wo wir diese kurze Atempause bekommen haben, dass sie ein Plus ist für die Gesundung unserer kranken Armee. Und in jeder Bauernversammlung werden neun Zehntel der Bauern sagen, was jeder, der sich für die Dinge interessiert, weiß. Keinen einzigen praktischen Vorschlag – wenn wir irgendwie helfen können – haben wir abgelehnt und lehnen ihn auch nicht ab.

Wir haben die Möglichkeit bekommen, uns etwas zu erholen, wenn auch nur auf zwölf Tage, dank der Politik, die sich gegen die revolutionäre Phrase und die „öffentliche Meinung" richtete. Wenn Kamkow und die linken Sozialrevolutionäre mit euch zu kokettieren anfangen und euch verliebte Blicke zuwerfen, so werfen sie euch einerseits verliebte Bücke zu, andererseits aber wenden sie sich an die Kadetten und sagen: vergesst es uns nicht, wir sind von Herzen mit euch (Zwischenruf: Lüge!). Und als einer der Vertreter der Sozialrevolutionäre, ich glaube, nicht der Linken, sondern sogar der Ultralinken, ein Maximalist, von der Phrase redete, da sagte er, dass alles eine Phrase sei, was sich auf die Ehre beziehe (Zwischenruf: Richtig!). Gewiss, aus dem rechten Lager schreit man „richtig". Dieser Zwischenruf ist mir angenehmer als der Zwischenruf „Lüge", obwohl auch der letzte Zwischenruf nicht den geringsten Eindruck auf mich macht. Ja, wenn ich ihnen Phrasendrescherei vorgeworfen und einen klaren und deutlichen Beweis erbracht hätte – aber ich habe ja zwei Beispiele angeführt und habe sie nicht erfunden, sondern der lebendigen Geschichte entnommen.

Erinnert euch, haben sich nicht die Vertreter der Sozialrevolutionäre in einer genau solchen Lage befunden, als sie im Jahre 1907 Stolypin unterschrieben, dass sie dem Monarchen Nikolaus II. in Treue und Wahrheit dienen werden? Ich hoffe, dass ich in den langen Jahren der Revolution etwas gelernt habe, und wenn man mich wegen Verrats beschimpft, so sage ich: man muss sich erst einmal in der Geschichte zurechtfinden. Wenn wir die Geschichte umdrehen wollten – es stellt sich aber heraus, dass wir uns gedreht haben, und nicht die Geschichte –, dann müsstet ihr uns köpfen. Die Geschichte überzeugt man nicht durch Reden, und die Geschichte wird zeigen, dass wir recht hatten, wenn wir die Arbeiterorganisationen zur großen Oktoberrevolution 1917 geführt haben. Das aber konnten wir nur, weil wir uns über die Phrasen erhoben und verstanden haben, die Tatsachen zu sehen, aus ihnen zu lernen. Und wenn sich jetzt, am 14.–15. März, herausgestellt hat: wenn wir den Kampf aufgenommen hätten, dann hätten wir dem Imperialismus geholfen, das Transportwesen gänzlich vernichtet und Petrograd verloren – so sehen wir, dass es nutzlos ist, mit Worten um sich zu werfen und mit einem Pappschwert herumzufuchteln. Aber wenn Kamkow zu mir kommt und fragt: „Wird diese Atempause von langer Dauer sein?" – so kann man darauf nicht antworten, weil es keine internationale objektive revolutionäre Situation gegeben hat. Es kann jetzt keine lange Atempause für die Reaktion geben, weil die objektive Situation überall revolutionär ist, weil die Arbeitermassen überall empört sind, bis zur äußersten Grenze der Geduld, der Erschöpfung durch den Krieg gelangt sind. Das ist eine Tatsache.6 Über diese Tatsache kann man sich nicht hinwegsetzen, und deshalb habe ich euch bewiesen, dass es eine Periode gab, wo die Revolution vorwärtsschritt, wo wir vorwärtsschritten und die linken Sozialrevolutionäre hinter uns hertrotteten. Jetzt aber ist eine Periode eingetreten, wo man sich vor einer Übermacht zurückziehen muss. Diese Charakteristik ist durchaus konkret. Niemand wird mir darauf antworten können. Die historische Analyse muss das bestätigen. Das wollte ich über die Landbezirksversammlung sagen. Unser Marxist, fast Marxist Martow wird darüber wettern, dass man die Zeitungen verboten hat. Er wird sich damit brüsten, dass man die unterdrückten und beleidigten Zeitungen verboten hat, weil sie die Sowjetmacht stürzen helfen, er wird darüber wettern… Darüber wird er nicht schweigen. Solche Sachen wird er euch vorbringen, aber ein Versuch, auf die von mir in aller Schärfe gestellte historische Frage zu antworten, ob es richtig ist oder nicht, dass wir seit dem Oktober im Triumphzug marschierten (Zwischenruf rechts: nein!) Sie sagen „nein", aber alle diese werden „ja" sagen. Ich frage: können wir jetzt einen Siegeszug gegen den internationalen Imperialismus antreten? Nein, das können wir nicht, und alle wissen das. Wenn man das den Leuten – in einem geraden einfachen Satz – direkt ins Gesicht sagt, damit sie die Revolution verstehen lernen – die Revolution ist eine tiefe, schwierige und komplizierte Wissenschaft –, damit sowohl die Arbeiter als auch die Bauern, die sie machen, lernen, dann schreien die Feinde: Feiglinge, Verräter, ihr habt das Banner weggeworfen, ihr wollt euch mit Worten herausreden, ihr macht schöne Gesten. Nein. Es hat viele solcher Revolutionäre der Phrase in der ganzen Geschichte der Revolutionen gegeben, und außer einem üblen Geruch haben sie nichts hinterlassen.

Ein anderes Beispiel, Genossen, das ich angeführt habe, war das Beispiel Deutschlands. Deutschland, das von Napoleon erdrückt worden war, Deutschland, das die schändlichsten Friedensverträge und abwechselnd daneben Kriege sah, fragt: werden wir noch lange die Verträge einhalten? Ja, wenn ein dreijähriges Kind mich fragte: werdet ihr den Vertrag einhalten oder nicht? – so wäre das nett und naiv. Aber wenn der erwachsene Kamkow aus der Partei der linken Sozialrevolutionäre das fragt, so weiß ich, dass nicht viele erwachsene Arbeiter und Bauern an die Naivität glauben werden, sondern dass die Mehrheit sagen wird: „Keine Heuchelei!" Denn das Beispiel aus der Geschichte, das ich angeführt habe, zeigt am klarsten, dass die Befreiungskriege der Völker, die ihre Armeen verloren – das aber war wiederholt in der Geschichte der Fall –, der Völker, die so zertreten worden waren, dass sie ihr ganzes Gebiet verloren, dass sie dem Eroberer Hilfsarmeen für neue Eroberungsfeldzüge stellen mussten, aus der Geschichte nicht ausgemerzt werden können, und ihr werdet das mit keinerlei Mittel fertig bringen. Aber wenn der linke Sozialrevolutionär Kamkow in seiner Entgegnung sagte, wie ich aus dem Stenogramm entnommen habe: „In Spanien hat es doch revolutionäre Kriege gegeben", so hat er damit meine Auffassung bestätigt, so hat er sich selbst damit widerlegt. Gerade Spanien und Deutschland bestätigen mein Beispiel, bestätigen, dass es kindisch ist, die Frage der historischen Periode der Eroberungskriege so zu stellen: „Werdet Ihr den Vertrag einhalten und wann werdet ihr ihn verletzen, wann wird man euch fassen?" … Die Geschichte aber lehrt, dass jeder Vertrag durch die Einstellung des Kampfes und die Änderung des Kräfteverhältnisses hervorgerufen wird, dass es Friedensverträge gegeben hat, die nach einigen Tagen in die Brüche gegangen sind, dass es Friedensverträge gegeben hat, die nach einem Monat in die Brüche gegangen sind, dass es lange Perioden gegeben hat, wo Deutschland und Spanien Frieden schlossen und ihn nach einigen Monaten brachen, und zwar mehrmals. Und in einer Reihe von Kriegen lernten die Völker, was Krieg führen heißt. Als Napoleon die deutschen Truppen führte, um andere Völker zu unterdrücken, da lehrte er sie den revolutionären Krieg. Das war der Weg der Geschichte.

Deshalb sage ich, Genossen, ich bin tief überzeugt davon, dass der von neun Zehnteln unserer bolschewistischen Fraktion gefasste Beschluss7 von neun Zehnteln aller klassenbewussten Werktätigen, der Arbeiter und Bauern Russlands, angenommen werden wird.

Wir haben die Möglichkeit nachzuprüfen, ob das, was ich gesagt habe, richtig ist, oder ob ich mich irre, denn ihr werdet nach Hause fahren, jeder von euch wird den lokalen Sowjets Bericht erstatten, und überall werden Beschlüsse gefasst werden. Ich möchte zum Schluss sagen: lasst euch nicht provozieren. Die Bourgeoisie weiß, was sie tut, die Bourgeoisie weiß, warum sie in Pskow jubelte, warum sie in diesen Tagen in Odessa jubelte, die Bourgeoisie der Winnitschenkos, der ukrainischen Kerenskis, Zeretelis und Tschernows. Sie jubelte, weil sie ausgezeichnet verstand, was für einen gewaltigen diplomatischen Fehler die Sowjetmacht in Bezug auf die Einschätzung des Augenblicks beging, als sie mit einer fliehenden kranken Armee Krieg zu führen versuchte. Die Bourgeoisie will euch in die Falle des Kriegs hineinziehen. Man muss es verstehen, nicht nur anzugreifen, sondern sich auch zurückzuziehen. Das weiß jeder Soldat. Ihr müsst begreifen, dass die Bourgeoisie euch und uns in die Falle treiben will. Ihr müsst begreifen, dass die gesamte Bourgeoisie und alle ihre freiwilligen und unfreiwilligen Helfer diese Falle aufstellen. Ihr müsst es verstehen, die schwersten Niederlagen zu ertragen, die schwersten Positionen zu halten und durch den Rückzug Zeit zu gewinnen. Die Zeit arbeitet für uns. Die Imperialisten, die sich überfressen haben, werden platzen, aus ihrem Leib aber ersteht ein neuer Riese. Langsamer als wir es wünschen, aber er wächst. Er wird uns zu Hilfe eilen, und wenn wir sehen werden, dass er zum ersten Schlag ausholt, dann werden wir sagen: die Zeit des Rückzuges ist zu Ende, die Epoche der Weltoffensive und die Epoche des Sieges der sozialistischen Weltrevolution hat begonnen.

1 Lenin zitiert hier das Koreferat B. Kamkows auf dem IV. Außerordentlichen Allrussischen Rätekongress über die Frage der Ratifizierung des Friedens mit Deutschland.

2 J. Martow erklärte in seiner Rede auf dem IV. Außerordentlichen Allrussischen Rätekongress folgendes: „Unter solchen Umständen kann kein einziger Politiker die Verantwortung für die Unterzeichnung eines politischen Dokuments übernehmen So war es mit den Bauern in den Landbezirksversammlungen, die von ihren forschen Landhauptleuten gezwungen wurden, Papierchen zu unterschreiben, von denen sie nichts wussten und die sie dann auf 30 Jahre in die Sklaverei brachten. Das wollen jetzt diejenigen mit euch tun, die in Russland am Ruder sind. Wir haben bisher noch nicht den Text des Vertrags (Lärm, man wirft dem Redner den Text des Vertrags hin), zumindest haben ich und meine Genossen bisher den Text nicht bekommen."

3 Satz nicht beendet. Die Red.

4 Text unklar. Die Red.

5 Das Zitat fehlt im Stenogramm. Die Red.

6 Text offenbar verstümmelt. Die Red.

7 Bei der Abstimmung der bolschewistischen Fraktion des IV. Außerordentlichen Rätekongresses am 13. März 1918 stimmten für die Bestätigung des Brester Friedens 453, dagegen 36 und 8 enthielten sich der Stimme. Um diese Zeit waren noch nicht alle Delegierten eingetroffen und die Fraktion war noch nicht vollzählig anwesend.

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