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ZK der SDAPR 19180124 Sitzung

ZK der SDAPR: Sitzung am 24. Januar 1918

Protokoll

[Sedmoj ekstrennyj sjesd S. 241-46. Nach Brest-Litovsk, ausgew. u. eingel. von Winfried Baumgarten,Göttingen 1969, S. 108-114]

Teilnehmer [nach der Liste des Protokolls]: Lomow [Oppokow], Krestinskij, Muranow, Urizki, Dzierżyński, Sergejew [Artem], Swerdlow, Trotzki, Lenin, Stalin, Bucharin, Sokolnikow, Bubnow, Kollontai, Sinowjew und Stassowa. - Weniger wichtige Passagen werden in Regesten zusammengefasst.)

11. [24. ] Januar 1918

Zunächst wird die Tagesordnung besprochen.

Als erster ergreift Gen. Lenin das Wort. Er weist daraufhin, dass sich in der Sitzung vom 8. (21.) Januar zu dieser Frage drei Auffassungen abgezeichnet haben. Er stellt die Frage, ob man nach den einzelnen Punkten der von ihm dargelegten Thesen diskutieren oder eine allgemeine Diskussion eröffnen solle. Der letzte Vorschlag wird angenommen, und Gen. Lenin erhält das Wort.

Er beginnt mit der Darlegung der drei Auffassungen, die sich in der vorigen Sitzung abgezeichnet haben: 1, annexionistischer Separatfrieden, 2. revolutionärer Krieg und 3. der Krieg wird für eingestellt erklärt, die Armee demobilisiert, der Frieden jedoch nicht unterzeichnet. In der vorigen Sitzung wurden für die erste Auffassung 15, für die zweite 32 und für die dritte 16 Stimmen abgegeben.

Gen. Lenin weist darauf hin, dass die Bolschewiki niemals die Verteidigung abgelehnt haben, dass jedoch für diese Verteidigung und diesen Schutz des Vaterlandes eine bestimmte, konkrete Situation vorhanden sein muss, die gegenwärtig gegeben ist, nämlich: die Verteidigung der sozialistischen Republik gegen den ungeheuer starken internationalen Imperialismus. Die Frage besteht lediglich darin, wie wir das Vaterland, die sozialistische Republik, verteidigen sollen. Die Armee ist durch den Krieg bis aufs Äußerste erschöpft; um den Pferdebestand ist es so bestellt, dass wir bei einer Offensive nicht imstande sein werden, die Artillerie wegzuschaffen. Die Lage der Deutschen auf den Ostseeinseln ist so günstig, dass sie bei einer Offensive Reval und Petrograd mit bloßen Händen nehmen können. Setzen wir unter diesen Bedingungen den Krieg fort, so werden wir den deutschen Imperialismus ungeheuer stärken. Frieden wird sowieso geschlossen werden müssen, aber dann wird der Frieden schlechter ausfallen, denn nicht wir werden es sein, die diesen Frieden schließen. Zweifelsohne ist der Frieden, den wir jetzt zu schließen gezwungen sind, ein Schandfrieden, aber wenn der Krieg wieder beginnt, dann wird unsere Regierung hinweggefegt und der Frieden von einer anderen Regierung geschlossen werden. Jetzt stützen wir uns nicht nur auf das Proletariat, sondern auch auf die arme Bauernschaft, die von uns abrücken wird, wenn wir den Krieg fortsetzen. Den Krieg in die Länge zu ziehen hegt im Interesse des französischen, englischen und amerikanischen Imperialismus. Das beweist zum Beispiel das Angebot der Amerikaner an Krylenko im Hauptquartier, für jeden russischen Soldaten 100 Rubel zu zahlen. Die Anhänger des revolutionären Krieges weisen darauf hin, dass wir uns damit im Zustand des Bürgerkriegs mit dem deutschen Imperialismus befinden und auf diese Weise in Deutschland die Revolution entfachen werden. Aber Deutschland geht doch erst mit der Revolution schwanger, während bei uns bereits ein vollkommen gesundes Kind das Licht der Welt erblickt hat – die sozialistische Republik , das wir umbringen können, wenn wir den Krieg beginnen. In unseren Händen ist ein Rundschreiben der deutschen Sozialdemokraten. Wir besitzen Nachrichten über die Stellung der zwei Richtungen der Zentristen zu uns, von denen die eine der Auffassung ist, dass wir bestochen seien und dass jetzt in Brest eine Komödie mit vorher verteilten Rollen vor sich gehe. Dieser Teil greift uns wegen des Waffenstillstands an. Der andere Teil der Kautskyaner erklärt, dass die persönliche Ehrenhaftigkeit der Führer der Bolschewiki über jeden Zweifel erhaben sei, dass aber das Verhalten der Bolschewiki ein psychologisches Rätsel darstelle. Die Meinung der linken Sozialdemokraten kennen wir nicht. Die englischen Arbeiter unterstützen unsere Friedensbestrebungen. Gewiss, der Frieden, den wir schließen werden, wird ein Schandfrieden sein, aber wir brauchen eine Pause, um soziale Reformen durchzuführen (man denke nur an das Verkehrswesen); wir müssen erstarken, dazu aber brauchen wir Zeit. Wir müssen die Bourgeoisie vollständig vernichten, dazu aber müssen wir beide Hände frei haben. Wenn wir das getan haben, so werden wir beide Hände freibekommen und können dann einen revolutionären Krieg gegen den internationalen Imperialismus führen. Die jetzt geschaffenen Marschabteilungen der revolutionären Freiwilligenarmee sind die Offiziere unserer künftigen Armee.

Was Gen. Trotzki vorschlägt – Einstellung des Krieges, Ablehnung der Unterzeichnung des Friedens und Demobilisierung der Armee ist eine internationale politische Demonstration. Wenn wir die Truppen zurückziehen, liefern wir den Deutschen die sozialistische Republik Estland aus. Man behauptet, dass wir durch den Friedensschluss den Japanern und Amerikanern die Hände frei machen, die sofort Wladiwostok besetzen werden. Aber bis sie auch nur Irkutsk erreichen, werden wir unsere sozialistische Republik gefestigt haben. Indem wir den Frieden unterzeichnen, bringen wir natürlich die Selbstbestimmung Polens zum Opfer, tragen aber dazu bei, dass die sozialistische Republik Estland erhalten bleibt und schaffen die Möglichkeit, unsere Errungenschaften zu festigen. Gewiss, wir machen eine Schwenkung nach rechts, die durch einen sehr schmutzigen Stall führt, aber wir müssen sie machen. Wenn die Deutschen die Offensive beginnen, so werden wir gezwungen sein, jeden Frieden zu unterzeichnen, aber dann wird der Frieden schlechter ausfallen. Für die Rettung der sozialistischen Republik ist eine Kontribution von drei Milliarden kein allzu hoher Preis. Wenn wir jetzt den Frieden unterzeichnen, so zeigen wir den breiten Massen anschaulich, dass die Imperialisten (Deutschlands, Englands und Frankreichs) nach der Einnahme von Riga und Bagdad den Krieg fortsetzen, wir uns aber entwickeln werden, die sozialistische Republik sich entwickeln wird.

Gen. Bucharin ist der Meinung, dass die Position Trotzkis die richtigste ist, dagegen sieht er in der Position Gen. Lenins 2 Widersprüche. Er sagt, dass wir in einem Verteidigungskrieg stehen, aber Verteidigung setzt Krieg voraus, wenn wir Krieg führen, treten wir dem Imperialismus auf den Schwanz. Wir müssen die sozialistische Republik von der Warte des Internationalismus betrachten, weil wir hier die gesamte Front des Klassenkampfes vor uns haben. Aus dieser Sicht sagen wir auch, dass wir schon gesiegt haben, im anderen Fall stehen die Truppen noch in einer Stellung, aber im dritten Fall setzen sie sich erst in Bewegung. Vergebens redet Gen. Lenin gegen die politische Demonstration, weil der Verzicht auf Krieg, die Verbrüderung Fermente für die Zersetzung der Armee sind. Kornilow haben wir durch Zersetzung seiner Armee, d.h. eben durch politische Demonstration, geschlagen. Diese Methode können wir auch gegenüber der deutschen Armee anwenden. Mögen die Deutschen uns besiegen, mögen sie noch 100 Werst weiter vorrücken, wir sind nur daran interessiert, wie sich das auf die internationale Bewegung auswirkt. Die deutschen SD haben ein Interesse, dass wir kein Abkommen unterzeichnen, da die Bewegung in Deutschland und in Wien sich gerade auf dem Boden des Kampfes um den Frieden entwickelt. In Wien entwickelt sich ein allgemeiner Streik im Zusammenhang mit den Brester Verhandlungen, wenn wir den Frieden unterzeichnen, vereiteln wir diesen Kampf. Wenn wir [nur] unsere sozialistische Republik erhalten wollen, setzen wir die Aussichten der internationalen Bewegung aufs Spiel. Worin würde sich die Bewegung im Westen zuspitzen? In der Frage des Friedens. Schließlich ist das ein Beweis für die Schwäche der Bewegung, um sie aber auf eine höhere Ebene zu heben, muss man sie zu einer Friedensfrage sich entzünden lassen und darf den Regierungen in Berlin und Wien nicht die Möglichkeit geben zu sagen, der Frieden sei geschlossen. Man muss die Angelegenheit möglichst hinauszögern und keinen Schmachfrieden unterzeichnen, weil wir dadurch die westeuropäischen Massen aufhetzen.

Gen. Urizki ist der Meinung, dass der Fehler Gen. Lenins im Augenblick der gleiche ist wie 1915 – d.h. er betrachtet die Angelegenheit von der Warte Russlands und nicht von internationaler Warte. Schließlich können wir keinen revolutionären Krieg führen, wir können es nicht, weil wir dann sofort die Armee, die Soldaten verlieren würden, und die Bourgeoisie würde sofort Frieden schließen. Aber wenn wir den Frieden unterzeichnen, würden wir das Proletariat verlieren. Das Petrograder Proletariat würde sich mit der Unterzeichnung des Friedens nicht abfinden, würde dies als Abweichen von unserer Linie ansehen. Wenn wir die Unterzeichnung des Friedens ablehnen, die Demobilisierung der Armee durchführen, würden wir den Deutschen den Weg öffnen, dann aber würde mit Sicherheit der Selbsterhaltungstrieb des Volkes geweckt und ein revolutionärer Krieg beginnen. Was die politische Demonstration angeht, so war die ganze Politik des Außenkommissariats nichts anderes als eine politische Demonstration. Genau so wird, wenn wir den Frieden nicht unterzeichnen, den Krieg beenden und die Armee demobilisieren, unsere Politik von den deutschen Soldaten verstanden werden.

Gen. Trotzki stellt die Frage, in welcher Beziehung der revolutionäre Krieg zur internationalen Lage steht. Im Augenblick reduziert sich doch die Frage auf das Kräfteverhältnis. Ob wir uns nun aktiv am imperialistischen Krieg beteiligen oder uns passiv verhalten, nehmen wir dennoch am Krieg teil. Und jetzt müssen wir abwägen, was für uns von größerem Vorteil ist. Unsere Kraft ganz auf den Krieg zu konzentrieren ist eine Utopie. Deshalb ist es illusorisch, die Frage nach dem revolutionären Krieg zu stellen. Die Armee muss aufgelöst werden, aber das bedeutet nicht, Frieden zu schließen. Während der Verhandlungen konnten wir nicht herausfinden, welches eigentlich das gegenseitige Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland war. Wenn wir uns weigern, Frieden zu schließen, und die Armee demobilisieren, werden wir klar feststellen müssen, was darauf folgt: denn auch, wenn wir demobilisieren, werden die Deutschen vorrücken.

Auf diese Weise werden wir den deutschen Soz.-Dem. ganz klar zeigen, dass es kein Spiel mit vorher verteilten Rollen ist. Wir konnten auch nicht herausfinden, wie stark die Widerstandskräfte in Deutschland sind, weil die Deutschen die Friedensbedingungen in gedruckter Form kennen und die deutsche Zensur die Verhandlungen verfälscht. Gen. Stutzka hat empfohlen, dass wir den Deutschen ein Schiedsgericht vorschlagen, mir scheint dieser Vorschlag annehmbar, weil er die Verhandlungen aufs Neue verzögert; wenn sie ablehnen, brechen wir die Verhandlungen ab, erklären aber, dass wir nicht weiterkämpfen.

Oppokow schließt sich Trotzkis Standpunkt an, fordert aber, die Vorbereitungen für einen revolutionären Krieg zu forcieren.

Gen. Stalin meint, wenn die Losung des revolutionären Krieges aufgegriffen werde, spiele man in die Hände des Imperialismus. Der Standpunkt Gen. Trotzkis ist überhaupt kein Standpunkt. Eine revolutionäre Bewegung im Westen gibt es nicht, das ist kein Faktum, sondern nur eine Potenz, mit Potenzen können wir aber nicht rechnen. Wenn die Deutschen gegen uns vorrücken, wird das bei uns die Konterrevolution stärken. Deutschland wird vorrücken können, weil es seine Kornilowschen Heere und Garden hat. Im Oktober sprachen wir vom heiligen Krieg, weil man uns sagte, dass allein das Wort Frieden die Revolution in Westeuropa entfachen werde. Doch das hat sich nicht bestätigt. Wenn wir sozialistische Reformen durchführen, wird das den Westen in Bewegung bringen, aber dafür brauchen wir Zeit. Wenn wir die Politik Trotzkis annehmen, schaffen wir die ungünstigsten Bedingungen für die Bewegung im Westen. Deshalb schlägt er vor, den Standpunkt Lenins anzunehmen.

Gen. Sinowjew sagt, dass wir schließlich vor einer schwierigen chirurgischen Operation stehen, da wir, wenn wir Frieden schließen, den Chauvinismus in Deutschland stärken und die Bewegung überall im Westen für einige Zeit schwächen werden.Und weiterhin zeigt sich folgende Perspektive – der Untergang der sozialistischen Republik. Der Vorschlag Trotzkis ist unannehmbar, weil darauf der Parlamentarier Kühlmann antworten wird, dass wir uns bei Nichtunterzeichnung des Friedens mit ihnen im Kriegszustand befinden. Gen. Sinowjew stellt die Frage: Sollte nicht die Wiederaufnahme der Verhandlungen für einige Zeit noch aufgeschoben werden und in der Zwischenzeit ein allgemeines Referendum über die Frage des Friedens durchgeführt werden?

Gen. Bubnow meint, dass in der Sitzung vom 8. Januar drei Auffassungen vorhanden waren, jetzt aber nur zwei vertreten würden, denn für einen revolutionären Krieg fänden sich offensichtlich keine Anhänger mehr.

Gen. Lenin weist darauf hin, dass er mit seinen Gesinnungsgenossen Stalin und Sinowjew in einigen Punkten nicht einverstanden sei. Wir haben im Westen selbstverständlich eine Massenbewegung, aber die Revolution hat dort noch nicht begonnen. Wollten wir jedoch deswegen unsere Taktik ändern, so würden wir den internationalen Sozialismus verraten. Mit Sinowjew ist er darin nicht einverstanden, dass der Friedensschluss vorübergehend die Bewegung im Westen schwächen werde. Wenn wir daran glauben, dass die Bewegung in Deutschland im Falle eines Abbruchs der Friedensverhahdlungen sofort zum Ausbruch kommen wird, so müssen wir uns opfern, denn die deutsche Revolution wird viel stärker sein als unsere. Aber das ist es ja, dass die Bewegung dort noch nicht begonnen hat, während wir bereits ein neugeborenes, laut schreiendes Kind haben. Wenn wir im gegenwärtigen Augenblick nicht klar sagen, dass wir einverstanden sind, Frieden zu schließen, so werden wir untergehen. Für uns ist wichtig, dass wir uns bis zum Ausbruch der allgemeinen sozialistischen Revolution halten, das aber können wir nur erreichen, wenn wir Frieden schließen.

Dzierżyński erklärt, die Unterzeichnung des Friedens komme einem Verrat am bolschewistischen Programm gleich. Kossior hält den revolutionären Krieg für die einzig mögliche Lösung, während Sergejew [Artem] im Frieden die einzige Rettung sieht. Krestinskij fordert die Verstärkung der Roten Garden und die Schaffung einer Roten Armee: nur mit militärischer Macht könne ein revolutionärer Krieg geführt werden.

Gen. Sokolnikow weist darauf hin, dass es nicht schädlich sei, die Friedensverhandlungen noch in die Länge zu ziehen, dass uns aber auch die Unterzeichnung des Friedens nicht schade, da der Frieden eigentlich nur ein Waffenstillstand sei; durch Unterzeichnung des Friedens könnten wir auch darangehen, den revolutionären Krieg vorzubereiten. Er hält sogar die Unterzeichnung einer Kapitulation für vorteilhaft, weil wir dadurch der ganzen Welt noch klarer zeigen würden, dass wir für das Selbstbestimmungsrecht der Völker politisch kämpfen, nicht durch Rückeroberung von besetztem Gelände. Die Geschichte zeigt deutlich, dass das Salz der Erde allmählich nach Osten wandert. Im 18. Jh. war das Salz Frankreich, im 19. Deutschland, jetzt ist es Russland.

Gen. Bucharin schlägt vor festzustellen, ob wir den revolutionären Krieg für eine Vorwärtsbewegung oder für ein Auf-der-Stelle-Treten halten.

Gen. Trotzki schlägt vor, folgende Frage zu stellen: Sind wir bereit, zum revolutionären Krieg aufzurufen?

Darüber wird abgestimmt.

2 dafür, dagegen 11, 1 Enthaltung.

Gen. Lenin schlägt vor, darüber abzustimmen, dass wir auf jede Weise die Unterzeichnung des Friedens hinauszögern.

Abstimmung.

Dafür 12, dagegen – 1.

Gen. Trotzki schlägt vor, über folgende Formel abzustimmen: Wir beenden den Krieg, schließen keinen Frieden und demobilisieren die Armee. Abstimmung.

Dafür – 9 [im Original verbessert aus 7], dagegen 7 [im Original verbessert aus 6],

(Bei der Auszählung wurde die schriftliche Erklärung Smilgas berücksichtigt.)

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