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Wladimir I. Lenin 19210526 Bericht über die Naturalsteuer

Wladimir I. Lenin: Bericht über die Naturalsteuer

            X. Allrussische Konferenz der KPR(B) 26.-28. Mai 1921, 26. Mai 1921

            [Veröffentlicht am 27. und 28. Mai 1921 im „Bulletin der Allrussischen Konferenz der KPR(B)“ Nr. 1 und 2. Nach Ausgewählte Werke, Band 9, Moskau-Leningrad 1936, S. 220-236]

Genossen, ich hatte Gelegenheit, die Frage der Naturalsteuer für die Partei in einer Broschüre zu behandeln, die, wie ich annehme, den meisten der Anwesenden bekannt ist. Für mich persönlich kam die Aufrollung dieser Frage auf der Parteikonferenz in dem Sinne unerwartet, als ich selbst über kein Material über die Notwendigkeit einer derartigen Aufrollung der Frage verfügte, aber sehr viele Genossen, die in der Provinz waren, insbesondere Genosse Ossinski, der eine Reihe Gouvernements bereist hatte, teilten dem ZK mit – und das wurde von noch einigen Genossen unterstützt. –, dass in der Provinz über die Politik, die sich im Zusammenhang mit der Naturalsteuer herausgebildet hat, in hohem Grade keine Klarheit besteht und sie zum Teil sogar unverstanden bleibt. Angesichts der außerordentlichen Wichtigkeit dieser Politik schien eine ergänzende Erörterung auf einer Parteikonferenz so unerlässlich, dass beschlossen wurde, die Konferenz vor der festgesetzten Zeit einzuberufen. Mir fällt die Aufgabe zu, das einleitende Referat über die allgemeine Bedeutung dieser Politik zu halten, und ich möchte mich lediglich auf kleine Ergänzungen zu dem beschränken, was ich in der Broschüre ausgeführt habe. Wie eben gegenwärtig in der Provinz die Frage gestellt wird, welche Mängel, Unzulänglichkeiten und Unklarheiten in der Provinz am stärksten empfunden werden, darüber bin ich nicht unmittelbar unterrichtet. Ich werde wahrscheinlich noch ergänzende Erläuterungen geben müssen, wenn aus den auf der Konferenz gestellten Fragen oder aus der weiteren Debatte sich ergeben wird, worauf augenblicklich die Aufmerksamkeit der örtlichen Funktionäre und der Partei gerichtet werden muss.

Soweit ich sehen konnte, hängen die Missverständnisse und die ungenügende Klarheit in der Erfassung der politischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Naturalsteuer und der neuen ökonomischen Politik vielleicht mit Ühertreibungen der einen oder anderen Seite der Sache zusammen. Aber derartige Übertreibungen sind, solange wir die Dinge nicht praktisch gemeistert haben, ganz unvermeidlich, und es wird schwerlich möglich sein, bevor wir wenigstens eine Lebensmittelbeschaffungskampagne auf der neuen Grundlage durchgeführt haben, einigermaßen präzis die wirklichen Grenzen der Anwendung dieser oder jener Besonderheiten dieser Politik auszuarbeiten. Ich will lediglich in allgemeinen Umrissen auf einige Widersprüche eingehen, die, wie ich aus einigen in der Sitzung eingereichten schriftlichen Anfragen zu ersehen vermochte, die meisten Missverständnisse hervorgerufen haben. Nicht selten werden die Naturalsteuer und die mit ihr zusammenhängenden Änderungen in unserer Politik im Sinne eines grundlegenden Umschwungs dieser Politik ausgelegt. Es ist nicht verwunderlich, dass diese Auslegung von der weißgardistischen Presse im Ausland, hauptsächlich der sozialrevolutionären und der menschewistischen, stark aufgebauscht wird. Aber ich weiß nicht, ob infolge eines gewissen Einflusses analogen Vorgehens, der sich auch auf dem Territorium der RSFSR äußert, oder ob vermöge der verschärften Unzufriedenheit, die in gewissen Kreisen zu spüren war und vielleicht auch jetzt noch zu spüren ist infolge der außerordentlichen Verschlechterung der Ernährunglage, vielleicht auch bei uns in gewissem Grade ein derartiges Befremden Verbreitung gefunden und eine in hohem Grade falsche Vorstellung von der Bedeutung der vorgenommenen Änderung und dem Charakter der neuen Politik erzeugt hat.

Es liegt in der Natur der Sache, dass bei dem ungeheuren Überwiegen der bäuerlichen Bevölkerung unsere Hauptaufgabe – in der Politik überhaupt und der ökonomischen Politik im Besonderen – die Herstellung bestimmter Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft ist. Zum ersten Mal in der neueren Geschichte haben wir es mit einer Gesellschaftsordnung zu tun, wo die Ausbeuterklasse beseitigt ist, wo wir aber zwei verschiedene Klassen haben – die Arbeiterklasse und die Bauernschaft. Das ungeheure Überwiegen der Bauernschaft musste sich auf die ökonomische Politik und auf die gesamte Politik überhaupt auswirken. Die Hauptfrage für uns bleibt – und wird im Laufe einer langen Reihe von Jahren unvermeidlich bleiben – eine richtige Regelung der Beziehungen zwischen diesen beiden Klassen, richtig im Sinne der Aufhebung der Klassen. Die Formel: Verständigung zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft wird sehr häufig aufgegriffen und sehr häufig von den Feinden der Sowjetmacht gegen uns ausgespielt, weil diese Formel an sich vollständig unbestimmt ist. Unter Verständigung zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft kann man alles mögliche verstehen. Wenn man nicht im Auge behält, dass die Verständigung vom Standpunkt der Arbeiterklasse nur dann zulässig, richtig und prinzipiell möglich ist, wenn sie die Diktatur der Arbeiterklasse unterstützt und eine der Maßnahmen ist, die auf die Aufhebung der Klassen gerichtet sind, so bleibt die Verständigung der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft selbstverständlich eine Formel, die alle Feinde der Sowjetmacht und alle Feinde der Diktatur in ihren Auffassungen auch vertreten1. Auf welche Weise ist nun in der ersten Periode unserer Revolution, d. h. in jener, die man jetzt annähernd als in der Durchführung begriffen betrachten kann, diese Verständigung herbeizuführen? Wie hat sich die Diktatur des Proletariats bei dem ungeheuren Überwiegen der bäuerlichen Bevölkerung behauptet und gefestigt? Die Haupbursache, die Haupttriebkraft und das hauptsächliche bestimmende Element unserer Verständigung war der Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg führte, obwohl er durchweg mit dem Bündnis der Weißgardisten und der Sozialrevolutionäre sowie der Menschewiki gegen uns begann, jedes Mal unweigerlich dazu, dass alle sozialrevolutionären konstituantetreuen und menschewistischen Elemente, ob mit oder ohne Staatsstreich, in den Hintergrund gedrängt wurden und an die Spitze der Weißgardisten ausgesprochen kapitalistische und grundherrliche Elemente traten. Das war in den Regierungen Koltschaks und Denikins der Fall wie auch bei allen zahlreichen kleineren Regierungen und Invasionen, die gegen uns gerichtet waren. Und das war der Hauptfaktor, der die Form des Bündnisses des Proletariats mit der Bauernschaft bestimmte. Dieser Umstand bereitete uns unglaubliche und verdoppelte Schwierigkeiten, er enthob uns aber anderseits des Kopfzerbrechens darüber, in welcher Weise die Formel des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft verwirklicht werden soll, weil diese Formel und die Bedingungen durch die Kriegsumstände mit absoluter kategorischer Bestimmtheit vorgeschrieben wurden, wobei uns nicht die geringste Wahl gelassen wurde.

Einzig und allein die Arbeiterklasse konnte die Diktatur in der Form verwirklichen, die der Krieg und die Verhältnisse dieses Bürgerkrieges erforderten. Die Beteiligung der Gutsherren am Bürgerkrieg einte die Arbeiterklasse und die Bauern unbedingt, vorbehaltlos und unwiderruflich. In dieser Hinsicht gab es keinerlei innerpolitische Schwankungen. Bei den gigantischen Schwierigkeiten, vor denen wir infolge des Abgeschnittenseins Russlands von seinen wichtigsten Kornkammern standen, und weil die Ernährungsschwierigkeiten den äußersten Grad erreichten, wäre unsere Ernährungspolitik ohne die Zwangsumlage in der Praxis nicht durchzuführen gewesen. Diese Zwangsumlage bedeutete nicht nur die Wegnahme der Überschüsse, die selbst bei einer richtigen Verteilung nur schwerlich ausreichen konnten. Ich kann hier nicht ausführlich darauf eingehen, welche Fehler die Zwangsumlage nach sich zog. Auf jeden Fall hat die Zwangsumlage ihre Aufgabe – die Erhaltung der Industrie, selbst unter den Verhältnissen, wo wir von den Getreidegebieten am vollständigsten abgeschnitten waren – erfüllt. Und nur unter den Verhältnissen des Krieges konnte das einigermaßen befriedigen. Sobald wir mit dem äußeren Feind wirklich gründlich aufgeräumt hatten – das aber war erst gegen 1921 tatsächlich der Fall –, erstand vor uns eine andere Aufgabe: die Aufgabe des ökonomischen Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft. Erst gegen Frühjahr 1921 haben wir diese Aufgabe unmittelbar gestellt, und das geschah zu einer Zeit, als die Missernte von 1920 die Lage der Bauern geradezu unglaublich verschlechtert hatte, als wir zum ersten Male bis zu einem gewissen Grade innerpolitische Schwankungen zu verzeichnen hatten, die nicht mit dem Ansturm der Feinde von außen, sondern mit dem Verhältnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft zusammenhingen. Hätte uns das Jahr 1920 eine sehr gute oder doch wenigstens eine gute Ernte gebracht, hätten wir von der auf 420 Millionen Pud veranschlagten Zwangsumlage 400 Millionen Pud aufgebracht, so hätten wir unser Industrieprogramm zum größten Teil erfüllen können, und dann hätten wir einen gewissen Fonds zum Austausch städtischer Industrieerzeugnisse gegen landwirtschaftliche… Es kam bei uns aber umgekehrt. Es kam zu einer in manchen Orten im Vergleich mit der Lebensmittelkrise noch schärferen Brennstoffkrise, zur völligen Unmöglichkeit, die Bauernschaft mit städtischen Erzeugnissen zu befriedigen. Es kam zu einer unglaublich schweren Krise der bäuerlichen Wirtschaft. Aus diesen Umständen ergab sich also, dass wir bei der alten Ernährungspolitik auf keinen Fall bleiben konnten. Wir mussten die Frage auf die Tagesordnung stellen, welche ökonomischen Grundlagen für das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft wir unverzüglich, als Übergang zu weiteren Maßnahmen, brauchen.

Die Übergangsmaßnahme zum Weiteren läuft darauf hinaus, den Austausch von Industrieerzeugnissen gegen landwirtschaftliche vorzubereiten, um zu einem Zustand zu gelangen, bei dem der Bauer seine Erzeugnisse nicht anders als im Austausch gegen städtische oder Fabrikerzeugnisse herzugeben braucht, wobei man ihn nicht allen Formen unterwerfen soll, die unter dem kapitalistischen Regime bestanden haben. Aber infolge der ökonomischen Verhältnisse konnten wir daran nicht einmal denken. Das ist der Grund, warum wir jene Übergangsform angenommen haben, von der ich gesprochen habe, nämlich: in der Form einer Steuer Produkte ohne jegliches Äquivalent zu nehmen und zusätzliche Produkte in der Form des Warenaustausches zu beschaffen; dazu aber muss man einen entsprechenden Fonds besitzen, unser Fonds ist jedoch außerordentlich unbedeutend, und die Möglichkeit, ihn durch den Warenaustausch mit dem Auslande aufzufüllen, tritt erst in diesem Jahre ein, nachdem wir eine Reihe von Verträgen mit den kapitalistischen Ländern abgeschlossen haben. Allerdings sind diese Verträge vorläufig erst eine Einleitung, ein Vorspiel; ein wirklicher Warenaustausch hat bis heute noch nicht begonnen. Die Sabotage und alle möglichen Versuche seitens der Mehrheit oder des größten Teils der kapitalistischen Kreise zur Vereitelung dieser Abkommen gehen ununterbrochen weiter, und es ist höchst bezeichnend, dass die russische weißgardistische Presse, darunter die sozialrevolutionäre und die menschewistische, ihre Kräfte wohl auf nichts energischer und zäher konzentriert als auf dieses Abkommen. Es ist ganz klar, dass die Bourgeoisie zum Kampf besser gerüstet, dass sie entwickelter ist als das Proletariat, dass sich ihr Klassenbewusstsein durch all die „Unannehmlichkeiten“, die sie über sich ergehen lassen musste, noch mehr geschärft hat und dass sie einen weit feineren als normalen Spürsinn an den Tag legt. Es genügt, die weißgardistische Presse etwas näher anzusehen, um zu erkennen, dass sie gerade auf die Stelle haut, die den Zentralpunkt, den Knotenpunkt unserer Politik bildet.

Die gesamte weißgardistische russische Presse stellt sich nach dem Misserfolg der militärischen Invasion – die offensichtlich gescheitert ist, wenn auch der Kampf noch weitergeht – das undurchführbare Ziel, die Handelsabkommen zu vereiteln. Die Kampagne, die in diesem Frühjahr in außerordentlich verstärktem Umfang unternommen wurde, wobei die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki unter den konterrevolutionären Kräften an erster Stelle standen, dieser Kampf wurde zu einem bestimmten Zweck geführt: zum Frühjahr die wirtschaftlichen Abkommen zwischen Russland und der kapitalistischen Welt zum Scheitern zu bringen. Und dieses Ziel haben sie in bedeutenden» Grade erreicht. Allerdings, die Hauptverträge haben wir abgeschlossen, die Zahl dieser Verträge nimmt zu, und den Widerstand, der sich in dieser Hinsicht verstärkt hat, überwinden wir, aber es ist eine für uns sehr gefährliche Verzögerung eingetreten, denn ohne eine gewisse Hilfe aus dem Ausland ist der Wiederaufbau der Großindustrie und die Wiederherstellung eines normalen Warenaustausches entweder unmöglich, oder sie erleidet eine Verzögerung, die außerordentlich gefährlich ist. Das sind die Bedingungen, unter denen wir zu wirken haben, und das sind die Bedingungen, die die Frage der Wiederherstellung des Handels für die Bauern an die erste Stelle gerückt haben. Ich will auf die Frage der Konzessionen nicht eingehen, weil über diese Frage in den Parteiversammlungen am meisten debattiert worden ist und sie in der letzten Zeit keine Bedenken mehr hervorruft. Die Dinge liegen nach wie vor so, dass wir eifrig Konzessionen anbieten, dass aber die ausländischen Kapitalisten bis jetzt keine einzige irgendwie ernsthafte Konzession erhalten haben und kein einziger irgendwie solider Konzessionsvertrag bis jetzt abgeschlossen worden ist. Die ganze Schwierigkeit besteht darin, praktisch eine erprobte Methode zur Heranziehung des westeuropäischen Kapitals ausfindig zu machen.

Theoretisch ist es für uns ganz unanfechtbar – und bei allen sind, wie mir scheint, die Zweifel darüber verflogen –, theoretisch, sage ich, ist es ganz klar, dass es für uns vorteilhaft ist, uns vom europäischen Kapital durch einige Dutzende oder Hunderte Millionen, die wir ihm noch überlassen könnten, loszukaufen, um in kürzester Frist die Vorräte an Ausrüstungsgegenständen, Materialien, Rohstoffen und Maschinen zur Wiederherstellung unserer Großindustrie zu vermehren.

Die wirkliche und einzige Basis zur Sicherung der Hilfsquellen, zur Schaffung der sozialistischen Gesellschaft ist einzig und allein die Großindustrie. Ohne die kapitalistische große Fabrik, ohne eine hochentwickelte Großindustrie kann von Sozialismus überhaupt keine Rede sein, und erst recht kann von ihm in einem Bauernlande keine Rede sein; wir in Russland wissen das viel konkreter als früher, und statt einer unbestimmten oder abstrakten Form der Wiederherstellung der Großindustrie sprechen wir heute von einem bestimmten, genau berechneten, konkreten Elektrifizierungsplan. Wir haben einen ganz genau berechneten Plan, berechnet unter Mithilfe und Mitarbeit der besten russischen Spezialisten und Gelehrten, der uns eine bestimmte Vorstellung davon gibt, mit welchen Hilfsquellen wir unter Berücksichtigung der Naturbesonderheiten Russlands für unsere Wirtschaft diese Basis, die Großindustrie, herzustellen vermögen, herstellen müssen und werden. Sonst kann von irgendeinem wirklich sozialistischen Fundament unseres Wirtschaftslebens gar keine Rede sein. Das bleibt ganz unbestreitbar, und wenn in letzter Zeit im Zusammenhang mit der Naturalsteuer darüber in abstrakten Ausdrücken gesprochen wurde, so muss man jetzt konkret sagen, dass vor allem die Großindustrie wiederhergestellt werden muss Ich hatte persönlich Gelegenheit, von einigen Genossen derartige Äußerungen zu hören, und konnte darauf natürlich nur mit einem Achselzucken antworten. Anzunehmen, dass wir jemals dieses Hauptziel vergessen könnten, ist natürlich ganz lächerlich und unsinnig. Hier muss man sich nur fragen, wie solche Zweifel und Bedenken bei den Genossen entstehen konnten, wie sie annehmen konnten, dass diese grundlegende Hauptaufgabe, ohne die die materielle Produktionsbasis des Sozialismus unmöglich ist, dass diese Aufgabe bei uns in den Hintergrund getreten sei. Diese Genossen haben einfach das Verhältnis zwischen unserem Staat und der Kleinindustrie falsch verstanden. Unsere Grundaufgabe ist der Wiederaufbau der Großindustrie. Damit wir aber einigermaßen ernsthaft und systematisch zum Wiederaufbau dieser Großindustrie übergehen können, brauchen wir den Wiederaufbau der Kleinindustrie. Wir haben in diesem Jahre, 1921, und im vergangenen Jahr eine ungeheure Unterbrechung im unserer Arbeit zum Wiederaufbau der Großindustrie zu verzeichnen gehabt.

Im Herbst und im Winter 1920 wurden einige der wichtigen Zweige unserer Großindustrie in Betrieb gesetzt, mussten aber wieder stillgelegt werden. Weshalb? Warum? Es gab viele Fabriken, die die Möglichkeit hatten, sich in genügendem Maße mit Arbeitskraft zu versehen, die die Möglichkeit hatten, sich mit Rohmaterial zu versehen. Warum wurde nun die Arbeit dieser Fabriken eingestellt? Weil wir keinen genügenden Lebensmittel- und Brennstofffonds hatten. Ohne 400 Millionen Pud Getreide (ich nenne eine ungefähre Zahl) als staatliche Reserve, deren geregelte monatliche Verteilung gesichert ist, ohne das ist es schwer, von irgendeinem geregelten wirtschaftlichen Aufbau, von einem Wiederaufbau der Großindustrie zu sprechen; ohne das befinden wir uns in einer solchen Lage, wo die zur Wiederherstellung der Großindustrie begonnene Arbeit nach einigen Monaten wieder unterbrochen ist. Die übergroße Mehrzahl der Betriebe von den wenigen, die in Gang gesetzt wurden, liegt jetzt still. Ohne einen völlig gesicherten und hinreichenden Lebensmittelfonds kann gar keine Rede davon sein, dass der Staat seine Aufmerksamkeit konzentrieren könnte, um systematisch den Wiederaufbau der Großindustrie zu betreiben, so zu betreiben, dass dieser Wiederaufbau, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, aber ununterbrochen vor sich gehe.

Und was den Brennstoff betrifft, so bleibt uns bis zum Wiederaufbau des Donezbeckens, solange wir keinen geregelten Bezug von Erdöl haben werden, wiederum nur das Holz, die Holzfeuerung, also wiederum die Abhängigkeit von derselben Kleinwirtschaft.

Daher entstand ein Fehler, ein Irrtum bei den Genossen, die nicht begriffen, warum gegenwärtig die Hauptaufmerksamkeit auf den Bauer gerichtet werden muss. Manche Arbeiter sagen; die Bauern verwöhnt man mehr oder weniger, aber uns gibt man gar nichts. Solche Äußerungen konnte man hören, und man muss sagen, dass sie, wie ich glaube, nicht allzu sehr verbreitet sind, denn es muss gesagt werden, dass solche Äußerungen gefährlich sind, weil sie die Frage genau so stellen wie die Sozialrevolutionäre; hier liegt eine offensichtliche politische Provokation vor und dann Überreste zünftlerischer, nicht klassenmäßiger, sondern berufsmäßiger Vorurteile der Arbeiter, wo die Arbeiterklasse sich als einen gleichberechtigten Teil der kapitalistischen Gesellschaft betrachtet und nicht einsieht, dass sie damit immer noch auf der gleichen kapitalistischen Grundlage steht: den Bauer verwöhne man, habe ihn von der Zwangsumlage befreit, ihm den freien Teil seiner Überschüsse zum Austausch überlassen; wir Arbeiter, die wir an der Werkbank stehen, wollen das gleiche haben …

Was liegt einem solchen Standpunkt zugrunde? Dieselbe dem Wesen nach kleinbürgerliche Ideologie. Da die Bauern einen Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaft bilden, bleibt auch die Arbeiterklasse ein Bestandteil dieser Gesellschaft. Also: wenn der Bauer Handel treibt, müssen auch wir Handel treiben. Hier leben unzweifelhaft alte Vorurteile, die den Arbeiter an die alte Welt ketten, wieder auf. Die eifrigsten Verfechter und sogar die einzigen aufrichtigen Verfechter der alten kapitalistischen Welt sind die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki. In den übrigen Lagern werdet ihr unter Hunderten, Tausenden und sogar Hunderttausenden keine aufrichtigen Verfechter der kapitalistischen Welt finden. Aber in den Kreisen der sogenannten reinen Demokratie, die die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki repräsentieren, sind derartige seltene Exemplare, die aufrichtig für den Kapitalismus eintreten, noch übriggeblieben. Und je hartnäckiger sie ihren Standpunkt vertreten, um so gefährlicher ist ihr Einfluss auf die Arbeiterklasse. Sie sind um so gefährlicher in einem Moment, wo die Arbeiterklasse Perioden der Produktionsunterbrechung durchmacht. Die materielle Hauptbasis für die Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins ist die Großindustrie, wo der Arbeiter die in Betrieb befindlichen Fabriken sieht, wo er tagtäglich jene Kraft empfindet, die wirklich die Klassen aufzuheben vermag.

Wenn die Arbeiter diesen Boden der materiellen Produktion unter den Füßen verlieren, dann bemächtigt sich gewisser Schichten der Arbeiter ein Zustand der Unausgeglichenheit, der Unbestimmtheit, der Verzweiflung und des Unglaubens, und in Verbindung mit der direkten Provokation durch unsere bürgerliche Demokratie – die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki – übt das eine bestimmte Wirkung aus. Und hier entsteht jene Psychologie, wo sich auch in den Reihen der Kommunistischen Partei Leute finden, die folgendermaßen denken: den Bauern hat man eine Liebesgabe gewährt, also muss man auf derselben Grundlage und mit ebensolchen Methoden auch den Arbeitern etwas geben. Wir mussten dem einen gewissen Tribut zollen. Natürlich ist das Dekret über die Prämierung der Arbeiter mit einem Teil der Fabrikerzeugnisse ein Zugeständnis an jene Stimmungen, die in der Vergangenheit wurzeln und mit dem Zustand des Unglaubens und der Verzweiflung zusammenhängen. Bis zu der einen oder anderen gering bemessenen Grenze war dieses Zugeständnis notwendig. Es ist gemacht worden, aber es darf nicht eine Sekunde lang vergessen werden, dass wir hier ein Zugeständnis gemacht haben und machen, das von keinem anderen Standpunkt notwendig ist als lediglich vom ökonomischen, vom Standpunkt der Interessen des Proletariats. Das grundlegende und wesentlichste Interesse des Proletariats ist die Wiederherstellung der Großindustrie und in ihr einer stabilen wirtschaftlichen Basis; dann wird das Proletariat seine Diktatur festigen, dann wird es seine Diktatur bestimmt, allen politischen und durch den Krieg bedingten Schwierigkeiten zum Trotz, zu Ende führen. Warum mussten wir nun das Zugeständnis machen, und warum ist es höchst gefährlich, es als weitergehend als nötig aufzufassen? Eben weil wir nur durch zeitweilige Bedingungen und Schwierigkeiten in Bezug auf Lebensmittel und Heizmaterial gezwungen wurden, diesen Weg zu beschreiten. Wenn wir sagen: das Verhältnis zur Bauernschaft muss man nicht auf der Zwangsumlage, sondern auf einer Steuer begründen – was ist da das bestimmende ökonomische Hauptmoment für diese Politik? Der Umstand, dass die kleinbäuerlichen Wirtschaften bei der Zwangsumlage keine richtige ökonomische Basis haben und auf Jahre hinaus dazu verdammt sind, dahinzuvegetieren, der Kleinbetrieb nicht existieren und sich nicht entwickeln kann, da der kleine Landwirt das Interesse an der Festigung und Entwicklung seiner Tätigkeit sowie an der Vermehrung der Produktenmenge verliert, was zur Folge hat, dass wir ohne ökonomische Basis bleiben. Eine andere Basis, eine andere Quelle haben wir nicht, aber ohne die Konzentrierung großer Lebensmittelvorräte in den Händen des Staates kann von einem Wiederaufbau der Großindustrie gar keine Rede sein. Deshalb führen wir ja vor allem diese Politik durch, die unsere Ernährungsverhältnisse ändert.

Wir führen sie zu dem Zweck durch, um einen Fonds für den Wiederaufbau der Großindustrie zu haben, um die Arbeiterklasse vor allen Unterbrechungen zu bewahren, die in der Großindustrie – sogar einer Großindustrie von unserer kläglichen Art, wenn man sie mit den vorgeschrittenen Ländern vergleicht – nicht vorkommen dürfen, um den Proletarier der Notwendigkeit zu entheben, bei der Auftreibung von Mitteln zu Methoden Zuflucht zu nehmen, die nicht proletarische, sondern spekulative, kleinbürgerliche sind, die für uns die größte ökonomische Gefahr bilden. Infolge der traurigen Verhältnisse unserer Wirklichkeit sind die Proletarier gezwungen, zu Verdienstmethoden unproletarischer Art zu greifen, die nicht mit der Großindustrie zusammenhängen, sondern kleinbürgerlicher, spekulativer Art sind, um sich, sei es durch Diebstahl, sei es durch private Produktion in einer gesellschaftlichen Fabrik, Erzeugnisse zu beschaffen und diese Erzeugnisse gegen landwirtschaftliche auszutauschen – hier steckt für uns die ökonomische Hauptgefahr, die Hauptgefahr für den ganzen Bestand des Sowjetregimes. Heute muss das Proletariat seine Diktatur so verwirklichen, dass es sich als Klasse fest fühle, dass es Boden unter den Füßen fühle. Aber dieser Boden schwindet. Anstatt einer ununterbrochen arbeitenden großen maschinellen Fabrik sieht der Proletarier etwas anderes und ist genötigt, in der ökonomischen Sphäre als Spekulant oder Kleinproduzent aufzutreten.

Um ihm das zu ersparen, dürfen wir in der Übergangszeit keine Opfer scheuen. Um den ununterbrochenen, wenn auch langsamen Wiederaufbau der Großindustrie zu sichern, dürfen wir uns nicht weigern, Geschenke den auf solche Geschenke gierigen ausländischen Kapitalisten zuzuwerfen, weil es augenblicklich. vom Standpunkt des Aufbaus des Sozialismus, vorteilhaft ist, den ausländischen Kapitalisten hunderte Millionen draufzahlen, dafür aber jene Maschinen und Materialien für den Wiederaufbau der Großindustrie zu erhalten, die uns die ökonomische Basis des Proletariats wiederherstellen und es in ein stabiles Proletariat verwandeln werden, nicht aber in ein Proletariat, das sich auch weiter mit Spekulation abgibt. Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre haben uns die Ohren vollgeschrien, dass man auf die Aufgaben des Proletariats verzichten müsse, weil das Proletariat deklassiert ist. Das schrien sie seit 1917, und man muss sich wundern, dass sie bis 1921 nicht müde geworden sind, das immer wieder zu behaupten. Wenn wir aber diese Angriffe hören, antworten wir nicht, dass es keine Deklassierung gebe, dass kein Minus zu verzeichnen sei, sondern wir sagen, dass die Verhältnisse der russischen und der internationalen Wirklichkeit derart sind, dass das Proletariat selbst dann, wenn es eine Periode der Deklassierung durchzumachen, ein solches Minus aufzuweisen hat, trotzdem seine Aufgabe der Eroberung und Behauptung der Macht erfüllen kann.

Zu leugnen, dass die Deklassierung des Proletariats ein Minus ist, wäre lächerlich, unsinnig und absurd. Gegen 1921 sahen wir, dass nach der Beendigung des Kampfes gegen die äußeren Feinde die Hauptgefahr, das größte Übel darin bestand, dass wir die ununterbrochene Produktionsarbeit in den größten Betrieben, die uns in geringer Zahl verblieben waren, nicht zu sichern vermochten. Das ist das Ausschlaggebende. Ohne eine solche ökonomische Basis kann die Arbeiterklasse keine feste politische Macht haben. Um den ununterbrochenen Wiederaufbau der Großindustrie sichern zu können, ist es notwendig, die Ernährungsfrage so zu regeln, dass ein Fonds von, sagen wir, 400 Millionen Pud sichergestellt und richtig verteilt wird. Ihn vermittels der alten Zwangsumlage zu beschaffen, wären wir unbedingt nicht imstande gewesen. Die Jahre 1920 und 1921 haben das gezeigt. Jetzt sehen wir, dass man diese Aufgabe, die ungeheure Schwierigkeiten bietet, vermittels der Naturalsteuer dennoch erfüllen kann. Mit den alten Methoden werden wir diese Aufgabe nicht erfüllen, und wir müssen neue Methoden vorbereiten. Diese Aufgabe mittels der Naturalsteuer und richtiger Beziehungen zum Bauern als Kleinproduzenten zu lösen, sind wir in der Lage. Wir haben bis jetzt nicht wenig Aufmerksamkeit darauf verwandt, um es theoretisch zu beweisen.

Mir scheint, wenn man nach der Parteipresse, nach den Ausführungen in den Versammlungen urteilt, so ist theoretisch vollkommen bewiesen, dass wir diese Aufgabe lösen können, wenn wir das Transportwesen, die Großbetriebe, die ökonomische Basis nebst der politischen Macht in den Händen des Proletariats behalten. Wir müssen der Bauernschaft als Kleinproduzenten einen ziemlichen Spielraum lassen. Ohne Hebung der Bauernwirtschaft werden wir der Ernährungslage nicht Herr werden können.

Das ist der Rahmen, in den wir die Frage der Entwicklung der Kleinindustrie auf der Grundlage des freien Handels,des freien Umsatzes zu stellen haben. Diese Freiheit des Umsatzes ist das Mittel, das die Möglichkeit gewährt, zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft Beziehungen herzustellen, die ökonomisch stabil wären. Die Angaben, die wir über den Umfang der landwirtschaftlichen Produktion besitzen, werden jetzt immer genauer. Auf dem Parteitag wurde eine Broschüre über die Getreideproduktion verteilt, sie wurde damals in Korrekturabzügen an die Parteitagsdelegierten verteilt. Seither ist dieses Material gesammelt und verbreitet worden. Die Broschüre ist zwar in endgültiger Form bereits in Satz gegeben worden, aber zur Konferenz noch nicht fertiggestellt, und ich kann nicht sagen, ob sie zu dem Zeitpunkt, wo die Konferenz auseinandergeht, erscheinen wird. Wir werden alle Maßnahmen dazu ergreifen, aber fest versprechen, dass es gelingen wird, sie herauszubringen, ist nicht möglich.

Das ist ein kleiner Bruchteil der Arbeiten, die wir geleistet haben, um den Stand der landwirtschaftlichen Produktion, die Hilfsquellen, über die wir verfügen, möglichst genau festzustellen.

Immerhin lässt sich sagen, dass Angaben vorliegen, die darauf schließen lassen, dass wir die ökonomische Aufgabe durchaus zu lösen vermögen, besonders in diesem Jahr, wo die Ernteaussichten nicht ganz schlecht oder nicht so schlecht sind, wie im Frühjahr zu erwarten war, das sichert uns die Möglichkeit, den landwirtschaftlichen Fonds aufzubringen, um uns ganz der Sache der zwar langsamen, aber ununterbrochenen Wiederherstellung der Großindustrie zu widmen.

Damit die Aufgabe der Aufbringung des Produktionsfonds gelöst werde, muss eine Form der Beziehungen zum Kleinbesitzer ausfindig gemacht werden, und hier gibt es keine andere Form als die Naturalsteuer, eine andere Form hat niemand vorgeschlagen, und man kann sie sich auch gar nicht vorstellen. Es gilt jedoch, diese Frage praktisch zu lösen, für die richtige Erhebung der Naturalsteuer zu sorgen, sie nicht so einzutreiben wie früher, wo man zwei- bis dreimal nahm und den Bauern in viel schlimmeren Verhältnissen ließ, so dass der strebsamste Bauer am meisten zu leiden hatte und jede Möglichkeit ökonomisch stabiler Verhältnisse zunichte gemacht wurde. Die Naturalsteuer, die ebenso eine Eintreibungsmaßnahme gegenüber jedem einzelnen Bauern bildet, muss anders gehandhabt werden. Auf Grund der früher zusammengetragenen und veröffentlichen Daten lässt sich sagen, dass jetzt die Naturalsteuer in diese Angelegenheit einen ganz gewaltigen entscheidenden Wandel bringen wird, ob es aber gelingen wird, alles zu vereinbaren, bleibt noch in gewissem Grade dahingestellt. Dass wir jedoch dem Bauern unverzüglich eine Verbesserung seiner Lage bringen müssen, das steht außer Zweifel.

Die den örtlichen Funktionären gestellte Aufgabe ist folgende: einerseits die Naturalsteuer restlos einzuziehen und anderseits es in möglichst kurzer Frist zu tun. Die Schwierigkeit vergrößert sich deshalb, weil in diesem Jahr eine außergewöhnlich frühe Ernte bevorsteht und wir, wenn wir uns bei unseren Vorbereitungen nach den üblichen Terminen richten, zu spät kommen könnten. Aus diesem Grunde ist die frühe Einberufung der Parteikonferenz wichtig und zeitgemäß. Es muss mit größerer Schnelligkeit als bisher an der Vorbereitung des gesamten Apparats zur Einziehung der Naturalsteuer gearbeitet werden. Von der raschen Einziehung der Naturalsteuer hängt sowohl die Versorgung des Staates mit einem Minimalfonds von 240 Millionen Pud als auch die Sicherstellung der Lage der Bauernschaft ab. Jede Verzögerung bei der Einziehung der Steuer ist eine gewisse Beengung für den Bauern. Die Steuer wird man nicht freiwillig abführen, ohne Zwang werden wir nicht auskommen, die Steuererhebung schafft eine Reihe von Behinderungen für die Bauernwirtschaft. Wenn wir diese Operation der Steuererhebung länger als notwendig hinausziehen, so wird der Bauer unzufrieden sein und sagen, dass er die Verfügungsfreiheit über die Überschüsse nicht habe. Damit die Freiheit in der Praxis nach Freiheit aussehe, ist es notwendig, dass die Steuererhebung rasch vor sich gehe, dass der Steuererheber nicht lange den Bauer belästige, das aber lässt sich machen, wenn man die Periode von der Ernte bis zur vollen Steuererhebung abkürzt.

Das ist die eine Aufgabe; die andere aber besteht darin, in den größtmöglichen Grenzen sowohl die Freiheit des Umsatzes für den Bauern als auch die Hebung der Kleinindustrie herbeizuführen, um jenem Kapitalismus, der auf dem Boden des Kleineigentums und des Kleinhandels wächst, eine gewisse Freiheit zu gewähren, ihn nicht zu fürchten, denn er ist für uns gar nicht gefährlich.

Infolge der allgemeinen ökonomischen und politischen Konjunktur, die sich jetzt herausgebildet hat, wo das Proletariat alle Schlüssel der Großindustrie in der Hand hält, wo von irgendeiner Entnationalisierung, gar keine Rede sein kann, brauchen wir ihn nicht zu fürchten. Und wenn wir am stärksten unter dem völligen Mangel an Produkten, unter unserer völligen Verarmung zu leiden haben, so ist es lächerlich zu befürchten, dass der Kapitalismus auf der Grundlage des landwirtschaftlichen Kleinbetriebs eine Gefahr bilden würde. Das befürchten heißt das Kräfteverhältnis unserer Ökonomie ganz und gar nicht berücksichtigen, heißt ganz und gar nicht begreifen, dass die Bauernwirtschaft als bäuerlicher Kleinbetrieb ohne eine gewisse Freiheit des Umsatzes und ohne die damit verbundenen kapitalistischen Beziehungen in keiner Weise stabil sein kann.

Das, Genossen, müsst ihr euch fest einprägen, und unsere Hauptaufgabe besteht darin, in der Provinz überall den Anstoß zu geben, ein Maximum an Initiative aufzubieten und die größte Selbständigkeit sowie die größte Kühnheit an den Tag zu legen. In dieser Beziehung besteht bisher unser Mangel darin, dass wir uns davor fürchteten, der Sache einen einigermaßen großen Schwung zu geben. Wir haben gar keine, mehr oder minder konkret behandelte, an Ort und Stelle gesammelte praktische Erfahrung darüber, wie es in der Provinz mit dem Warenaustausch und dem Warenumsatz steht, in welcher Weise es gelungen ist, die Kleinindustrie wieder aufzubauen und einigermaßen zu entwickeln, die imstande ist, die Lage der Bauern unverzüglich zu erleichtern, ohne die großen Arbeiten, die die Großindustrie erfordert und die in der Heranschaffung großer Nahrungs- und Heizmittel Vorräte für die Industriezentren bestehen. In dieser Beziehung wird in der Provinz vom gesamtwirtschaftlichen Standpunkt aus nicht genügend getan. Diese Angaben aus der Provinz fehlen uns, wir wissen nicht, wie es um die Sache in der ganzen Republik bestellt ist, wir haben keine Beispiele einer wirklich richtigen Organisierung der Arbeit, und diesen Eindruck haben auf mich sowohl der Gewerkschaftskongress als auch der Kongress des Obersten Volkswirtschaftsrates gemacht.

Der Hauptmangel dieser Kongresse ist wiederum der, dass wir uns mehr mit solch üblen Dingen wie Thesen, allgemeinen Programmen und Betrachtungen befassen, während es daran fehlt, dass die Leute auf dem Kongress wirklich ihre örtlichen Erfahrungen austauschen, damit sie, wenn sie in die Provinz zurückkehren, sagen können: unter tausend Beispielen haben wir ein gutes gefunden, und dem werden wir nacheifern. Solcher guten Beispiele gibt es nicht nur eines pro tausend, sondern viel mehr. Jedoch diese Art Arbeit sehen wir am allerwenigsten.

Ich will nicht vorgreifen, möchte aber doch ein paar Worte über die kollektive Versorgung der Arbeiter sagen, d. h. über den Übergang von den Karten zu einem Verfahren, wo eine gewisse Menge Lebensmittel einem gewissen Betrieb, soweit er wirklich arbeitet, proportionell seiner Leistung gesichert wird. Die Idee ist ausgezeichnet, aber bei uns hat man sie in etwas Halbfantastisches verwandelt. Und eine wirkliche Vorarbeit nach dieser Richtung haben wir vorläufig nicht. Wir haben noch kein Beispiel, dass wir in dem und dem Kreis, in der und der Fabrik, wenn auch mit einer kleinen Belegschaft, diese Maßnahme angewandt hätten – mit dem und dem Ergebnis. Daran fehlt es bei uns. Und darin liegt der allergrößte Mangel unserer ganzen Arbeit. Wir müssen unermüdlich wiederholen, dass wir uns statt mit allgemeinen Fragen, die im Jahre 1918, d. h. in längst vergangener Zeit, am Platze waren, im Jahre 1921 mit der praktischen Fragestellung befassen müssen. Wenn wir auf den Kongressen in erster Linie von Fällen erzählten, wo wir Musterbeispiele einer guten Handhabung der Sache haben, und solche Beispiele haben wir genug, so würden wir dadurch den übrigen zur Pflicht machen, demjenigen Beispiel nachzueifern, wo in den wenigen seltenen, eine Ausnahme bildenden Orten praktisch das Beste erreicht worden ist. Das bezieht sich auf die Arbeit des Gewerkschaftskongresses, gilt aber auch für alle Ernährungsarbeit.

Zur Vorbereitung der Einziehung der Naturalsteuer, des Warenaustausches usw. ist in einer kleinen Anzahl von Fällen in manchen Orten viel geleistet worden. Eben das zu studieren, haben wir nicht fertiggebracht, und jetzt besteht die große Aufgabe, die überwiegende Zahl der Orte auf das Niveau des besten vorhandenen Vorbildes zu bringen. Zu dieser Arbeit, zum praktischen Studium der Erfahrung, zur Anspornung unserer zurückgebliebenen und mittelmäßigen Kreise und Landbezirke, die zweifellos auf einem ganz unbefriedigenden Niveau stehen und denen nur eine verschwindende Anzahl überaus befriedigender gegenübersteht – zu dieser Arbeit müssen wir übergehen. Die größte Aufmerksamkeit muss auf den Kongressen nicht auf das Studium allgemeiner Thesen und Versammlungsprogramme, sondern auf das Studium, der praktischen Erfahrungen, der befriedigenden und mehr als befriedigenden Beispiele gelegt werden, sowie darauf, die zurückgebliebenen und mittelmäßigen Orte, die überwiegen, auf das Niveau dieser seltenen, aber vorhandenen Beispiele zu heben.

Das sind die Bemerkungen, auf die ich mich beschränken muss.

1 Lenin meint hier die Sozialrevolutionäre und die Kadetten, die als Feinde der proletarischen Diktatur die Losung des Bündnisses zwischen dem Proletariat und der Mittelbauernschaft im Sinne ihrer konterrevolutionären Zwecke auslegten. Sie deuteten dieses Bündnis als einfache Gleichheit zwischen Proletariat und Bauernschaft und forderten unter dem Vorwand der Durchführung dieser Gleichheit die „Demokratie“, d. h. die Wiederherstellung der bürgerlichen politischen Ordnung.

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