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Wladimir I. Lenin 19210421 Über die Naturalsteuer

Wladimir I. Lenin: Über die Naturalsteuer

Die Bedeutung der neuen Politik und ihre Bedingungen

[Geschrieben im März–April 1921. Als Broschüre erschienen im Mai 1921, Nach Ausgewählte Werke, Band 9, Moskau-Leningrad 1936, S. 176-219]

Statt einer Einleitung

Die Frage der Naturalsteuer erregt gegenwärtig besonders viel Aufmerksamkeit und ruft besonders viele Debatten und Diskussionen hervor. Das ist durchaus begreiflich, denn sie ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen tatsächlich eine der wichtigsten politischen Fragen.

Die Debatten tragen einen etwas verworrenen Charakter. Daran leiden aus allzu begreiflichen Gründen wir alle. Uni so nützlicher wird der Versuch sein, an diese Frage nicht vom Standpunkt ihrer „Aktualität“, sondern von der allgemein prinzipiellen Seite heranzugehen. Mit anderen Worten: einen Blick zu werfen auf den allgemeinen Untergrund jenes Bildes, worauf wir gegenwärtig die Muster bestimmter praktischer Maßnahmen der Tagespolitik entwerfen.

Um einen solchen Versuch zu machen, gestatte ich mir, ein langes Zitat aus meiner Broschüre: „Die Hauptaufgabe unserer Tage. Über ,linke' Kinderei und Kleinbürgerlichkeit‘‘ anzuführen; diese Broschüre erschien 1918 im Verlag des Petrograder Arbeiterrates und enthält erstens einen vom 11. März 1918 datierten Zeitungsartikel aus Anlass des Brester Friedens und zweitens eine vom 5. Mai 1918 datierte Polemik gegen die damalige Gruppe der linken Kommunisten. Die Polemik braucht man jetzt nicht, und ich lasse sie weg. Ich bringe nur die Ausführungen über den „Staatskapitalismus“ und über die Grundelemente unserer heutigen Wirtschaft des Überganges vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Damals schrieb ich folgendes:

Über die heutige Wirtschaft Russlands. Aus einer Broschüre vom Jahre 1918

Der Staatskapitalismus wäre ein Schritt vorwärts gegenüber der jetzigen Lage der Dinge im unserer Sowjetrepublik. Wenn z. B. bei uns in einem halben Jahr der Staatskapitalismus da wäre, so wäre das ein gewaltiger Erfolg und die sicherste Garantie dafür, dass der Sozialismus bei uns in einem Jahr sich endgültig festigen und unbesiegbar werden wird.

Ich stelle mir vor, mit welch edler Entrüstung manch einer vor diesen Worten zurückprallen … wird. Wie? In der Sozialistischen Sowjetrepublik soll den Übergang zum Staatskapitalismus ein Schritt vorwärts sein? … Ist das nicht Verrat am Sozialismus?

Gerade auf diesen Punkt müssen wir deshalb näher eingehen.

Erstens muss man untersuchen, welchen Charakter jener Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus hat, der uns das begründete Recht gibt, uns Sozialistische Sowjetrepublik zu nennen.

Zweitens muss der Fehler jener aufgedeckt werden, die die kleinbürgerlichen ökonomischen Verhältnisse und das kleinbürgerliche Element als den Hauptfeind des Sozialismus bei uns nicht sehen.

Drittens muss man die Bedeutung des Sowjetstaates und dem wirtschaftlichen Unterschied zwischen ihm und dem bürgerlichem Staat gut verstehen.

Prüfen wir alle diese drei Umstände.

Es hat wohl noch keinen Menschen gegeben, der sich mit den Fragen der russischen Wirtschaft beschäftigt und den Übergangscharakter dieser Wirtschaft bestritten hätte. Kein einziger Kommunist hat wohl bestritten, dass die Bezeichnung ,Sozialistische Sowjetrepublik' die Entschlossenheit der Sowjetmacht bedeutet, den Übergang zum Sozialismus zu verwirklichen, keineswegs aber die Anerkennung der gegebenen ökonomischen Zustände als sozialistisch.

Was bedeutet aber das Wort Übergang? Bedeutet es nicht, in Anwendung auf die Wirtschaft, dass in der gegebenen Ordnung Elemente, Teile, Stücke sowohl des Kapitalismus als auch des Sozialismus vorhanden sind? Jeder wird das zugeben. Aber nicht jeder, der das zugibt, denkt darüber nach, welches denn nun die in Russland vorhandenen Elemente der verschiedenen sozial-ökonomischen Formen sind. Das aber ist der Kern der Frage.

Zählen wir diese Elemente auf: 1. Die patriarchalische bäuerliche Wirtschaft, die zum großen Teil Naturalwirtschaft ist; 2. die kleine Warenproduktion (dazu gehört die Mehrheit der Bauern, die Getreide verkaufen); 3. der privatwirtschaftliche Kapitalismus; 4. der Staatskapitalismus; 5. der Sozialismus.

Russland ist so groß und so bunt, dass alle diese verschiedenen Typen der sozial-ökonomischen Ordnung sich in ihm verflechten. Das Eigenartige der Lage bestellt gerade darin.

Es fragt sich, welche Elemente wiegen vor? Es ist klar, dass in einem kleinbäuerlichen Land das kleinbürgerliche Element vorwiegt und vorwiegen muss; die Mehrheit, und zwar die gewaltige Mehrheit der Bauern sind kleine Warenproduzenten. Die Hülle des Staatskapitalismus (Getreidemonopol, unter Kontrolle stehende Unternehmer und Händler, bürgerliche Genossenschafter), wird bei uns bald hier, bald dort von den Spekulanten zerrissen, und der Hauptgegenstand der Spekulation ist Getreide.

Der Hauptkampf spielt sich gerade auf diesem Gebiet ab. Zwischen wem geht dieser Kampf vor sich, um in den Termini der ökonomischen Kategorien wie .Staatskapitalismus' zu sprechen? Zwischen der vierten und fünften Stufe in der Reihenfolge, wie ich sie hier aufgezählt habe? Gewiss nicht. Nicht der Staatskapitalismus kämpft hier mit dem Sozialismus, sondern die Kleinbourgeoisie plus Privatkapitalismus kämpfen zusammen, gemeinsam, sowohl gegen den Staatskapitalismus als auch gegen den Sozialismus. Die Kleinbourgeoisie sträubt sich gegen jede staatliche Einmischung, Rechnungslegung und Kontrolle, mag sie nun eine staatskapitalistische oder eine staatssozialistische sein. Das ist eine ganz unbestreitbare Tatsache, in deren Nichtverstehen die Wurzel einer ganzen Reihe ökonomischer Fehler liegt. Der Spekulant, der Marodeur des Handels, der Saboteur des Monopols - das ist unser ,innerer' Hauptfeind, der Feind der wirtschaftlichen Maßnahmen der Sowjetmacht. Wenn es vor 125 Jahren den französischen Kleinbürgern, den eifrigsten und aufrichtigsten Revolutionären, noch verzeihlich war, dass sie den Spekulanten durch Hinrichtung einzelner, weniger ,Auserwählter‘ und durch tönende Deklarationen zu besiegen suchten, so ruft jetzt das bloße Phrasendreschen irgendwelcher linken Sozialrevolutionäre in dieser Frage bei jedem zielbewussten Revolutionär nur ein Gefühl des Ekels oder Widerwillens hervor. Wir wissen sehr gut, dass die wirtschaftliche Grundlage der Spekulation die in Russland außerordentlich breite Schicht der Kleineigentümer und der Privatkapitalismus sind, der in jedem Kleinbürger seinen Agenten hat. Wir wissen, dass diese kleinbürgerliche Hydra mit Millionen Fühlern bald hier, bald dort einzelne Schichten der Arbeiter erfasst, dass die Spekulation an Stelle des Staatsmonopols in alle Poren unseres sozialen und ökonomischen Lebens hineindringt.

Wer das nicht sieht, der zeigt gerade durch seine Blindheit, dass er der Gefangene kleinbürgerlicher Vorurteile ist.

Der Kleinbürger hat einen Vorrat an Geld, einige Tausend, die er ,rechtmäßig' und besonders unrechtmäßig während des Krieges zusammengerafft hat. Das ist der ökonomische Typus, der charakteristisch ist als Grundlage der Spekulation und des Privatkapitalismus. Geld ist eine Anweisung auf Empfang von gesellschaftlichen Gütern, und die Millionenschicht der kleinen Eigentümer, die diese Anweisung fest in Händen hält, versteckt sie vor dem ,Staat', glaubt an keinen Sozialismus und Kommunismus und ,wartet', bis der proletarische Sturm ,vorüber' ist. Entweder werden wir diesen Kleinbürger unserer Kontrolle und Rechnungslegung unterordnen (wir können das tun, wenn wir die arme Bevölkerung, d. h. die Mehrheit der Bevölkerung oder die Halbproletarier, organisieren und sie um die klassenbewusste proletarische Vorhut sammeln), oder aber er wird unsere Arbeitermacht ebenso unvermeidlich und unabwendbar stürzen, wie die Napoleon und Cavaignac, die eben auf diesem kleinbürgerlichen Boden emporwachsen, die Revolution stürzten. So steht die Frage, nur so steht sie …

Der Kleinbürger, der einige Tausender aufbewahrt, ist ein Feind des Staatskapitalismus, und diese Tausender will er unbedingt für sich und gegen die arme Bevölkerung, gegen jede allgemeine staatliche Kontrolle realisieren; die Summe der Tausender aber ergibt eine Basis von vielen Milliarden für die Spekulation, die unseren sozialistischen Aufbau untergräbt. Nehmen wir an, dass eine bestimmte Zahl von Arbeitern im Laufe von einigen Tagen eine Stimme von Werten produziert, die man gleich 1000 setzen kann. Nehmen wir ferner an, dass 200 von dieser Summe infolge kleiner Spekulation, allen möglichen Diebstahls und der Umgehung der Verordnungen und Bestimmungen der Sowjetmacht durch den kleinen Eigentümer verlorengehen. Jeder klassenbewusste Arbeiter wird sagen: wenn ich von den Tausend 300 abgeben könnte um den Preis größerer Ordnung und Organisation, so würde ich gern 300 anstatt 200 abgeben, denn diesen ,Tribut' später zu verringern, sagen wir bis auf 100 oder 50, wird unter der Sowjetmacht eine ganz leichte Aufgabe sein, wenn erst Ordnung und Organisation da sein werden, wenn erst die Sabotage jedes Staatsmonopols durch die kleinen Eigentümer endgültig gebrochen sein wird.

Durch dieses einfache Zahlenbeispiel, das wir absichtlich der Gemeinverständlichkeit halber bis zum äußersten vereinfacht haben, wird das Verhältnis der jetzigen Lage des Staatskapitalismus und des Sozialismus klar. Die Arbeiter haben die Macht, im Staate in ihren Händen, sie besitzen juristisch die volle Möglichkeit, die ganzen tausend Rubel zu nehmen, d. h. keine Kopeke für andere als sozialistische Zwecke auszugeben. Diese juristische Möglichkeit, die sich aus dem faktischen Übergang der Macht an die Arbeiter ergibt, ist ein Element des Sozialismus. Aber auf vielen Wegen untergräbt die kleinbürgerliche und privatkapitalistische Anarchie die Rechtslage, schleppt die Spekulation ein, vereitelt die Durchführung der Dekrete der Sowjetmacht. Der Staatskapitalismus wäre ein gewaltiger Schritt vorwärts, sogar wenn (und ich habe absichtlich ein solches Zahlenbeispiel angeführt, um das in aller Schärfe zu zeigen) wir mehr bezahlen müssten als jetzt; denn es lohnt sich, .Lehrgeld“ zu zahlen, denn das ist von Nutzen für die Arbeiter; denn der Sieg über die Unordnung, die Zerstörung, die Schlamperei ist wichtiger als alles andere; denn die Fortdauer der Anarchie des Kleineigentümers ist die größte, schlimmste Gefahr, die uns (wenn wir sie nicht besiegen) unbedingt zugrunde richten wird, während die Zahlung eines größeren Tributs an den Staatskapitalismus uns nicht nur nicht zugrunde richten, sondern uns auf dem sichersten Wege zum Sozialismus führen wird. Die Arbeiterklasse, die es gelernt hat, die Staatsordnung gegen die Anarchie des Kleineigentümers zu verteidigen, die es gelernt hat, eine große staatliche Organisation der Produktion auf staatskapitalistischen Grundlagen zustande zu bringen, wird dann – ich bitte um Verzeihung wegen dieses Ausdrucks – alle Trümpfe in den Händen haben, und die Festigung des Sozialismus wird gesichert sein.

Der Staatskapitalismus steht erstens wirtschaftlich unvergleichlich höher als unsere jetzige Wirtschaft.

Zweitens enthält er für die Sowjetmacht absolut nichts Gefährliches, denn der Sowjetstaat ist ein Staat, in dem die Macht der Arbeiter und der Dorfarmut gesichert ist …“

„… Um die Frage noch klarer zu machen, wollen wir zunächst ein ganz konkretes Beispiel des Staatskapitalismus anführen. Alle wissen, was für ein Beispiel ich meine: Deutschland. Hier haben wir das ,letzte Wort' der modernen großkapitalistischen Technik und der planmäßigen Organisation, die dem junkerlich-bürgerlichen Imperialismus unterstellt ist. Man werfe die gesperrten Worte hinaus, setze an Stelle des militärischen, junkerlichen, bürgerlichen, imperialistischen Staates ebenfalls einen Staat, aber einen Staat von anderem sozialen Typus, anderem Klasseninhalt, einen Sowjetstaat, d. h. einen proletarischen Staat, und man wird die ganze Summe der Bedingungen erhalten, die den Sozialismus ergibt.

Der Sozialismus ist undenkbar ohne die großkapitalistische Technik, die sich auf den neuesten Errungenschaften der modernen Wissenschaft aufbaut, ohne eine planmäßige staatliche Organisation, die Dutzende Millionen Menschen zur strengsten Einhaltung einer einheitlichen Norm bei der Produktion und der Verteilung der Produkte zwingt. Davon haben wir Marxisten stets gesprochen, und mit Leuten, die sogar das nicht begriffen haben (die Anarchisten und die gute Hälfte der linken Sozialrevolutionäre), lohnt es nicht, auch nur zwei Sekunden für ein Gespräch zu verschwenden.

Der Sozialismus ist ferner undenkbar ohne die Herrschaft des Proletariats im Staate; das ist auch eine Binsenwahrheit. Die Geschichte (von der niemand, außer vielleicht den menschewistischen Dummköpfen ersten Ranges, erwartet hatte, dass sie in glatter, ruhiger, leichter und einfacher Weise uns den ,vollen' Sozialismus bringen werde) hat einen so eigenartigen Verlauf genommen, dass sie im Jahre 1918 zwei getrennte Hälften des Sozialismus, eine neben der anderen, wie zwei künftige Küken unter der einen Schale des internationalen Imperialismus erzeugt hat. Deutschland und Russland verkörperten im Jahre 1918 am anschaulichsten die materielle Verwirklichung einerseits der Wirtschafts- und Produktionsbedingungen, der sozialökonomischen Bedingungen und anderseits der politischen Bedingungen für den Sozialismus.

Die siegreiche proletarische Revolution in Deutschland würde mit einem Male, mit ungeheurer Leichtigkeit jede Schale des Imperialismus (die leider aus bestem Stahl verfertigt ist und deshalb nicht durch die Anstrengung eines jeden… Kükens zerbrochen werden kann) zerbrechen, den Sieg des Weltsozialismus ohne Schwierigkeiten oder mit geringfügigen Schwierigkeiten bestimmt verwirklichen – natürlich, wenn man den weltgeschichtlichen Maßstab des ,Schwierigen' nimmt, nicht aber den engen Spießermaßstab.

Wenn in Deutschland die Revolution mit ihrem ,Ausbruch' noch säumt, ist es unsere Aufgabe, den Staatskapitalismus bei den Deutschen zu erlernen, ihn uns mit allen Kräften zu eigen zu machen, keine diktatorischen Methoden zu scheuen, um diese Aneignung der westlichen Kultur durch das barbarische Russland zu beschleunigen, ohne dabei vor barbarischen Methoden des Kampfes gegen die Barbarei zurückzuschrecken. Wenn es unter den Anarchisten und linken Sozialrevolutionären (ich erinnere mich unwillkürlich an die Reden Karelins und Ges im Zentralexekutivkomitee) Leute gibt, die imstande sind, wie ein Narziss zu räsonieren, dass es uns Revolutionären nicht gezieme, bei dem deutschen Imperialismus zu ,lernen', so muss man eines sagen: die Revolution, die solche Leute ernst nehmen wollte, wäre hoffnungslos (und ganz mit Recht) verloren.

In Russland überwiegt jetzt gerade der kleinbürgerliche Kapitalismus, von dem sowohl zum staatlichen Großkapitalismus als auch zum Sozialismus ein und derselbe Weg führt, der Weg über ein und dieselbe Zwischenstation, die ,allgemeine Rechnungslegung und Kontrolle über die Produktion und die Verteilung der Produkte' heißt. Wer das nicht versteht, der begeht einen unverzeihlichen ökonomischen Fehler, entweder weil er die Tatsachen der Wirklichkeit nicht kennt, nicht sieht, was ist, nicht versteht, der Wahrheit ins Antlitz zu schauen, oder aber weil er sich auf die abstrakte Gegenüberstellung von ,Kapitalismus' und ,Sozialismus' beschränkt und nicht in die konkreten Formen und Stufen dieses Übergangs heute bei uns eindringt.

In Parenthese kann gesagt werden, dass das derselbe theoretische Fehler ist, der die Besten aus dem Lager der ,Nowaja Schisn' und des ,Wperjod' irregeführt hat: die Schlechtesten und die Mittelmäßigen unter ihnen laufen aus Stumpfsinn und Charakterlosigkeit hinter der Bourgeoisie her und sind von ihr eingeschüchtert; die Besten haben nicht begriffen, dass die Lehrmeister des Sozialismus nicht umsonst von einer ganzen Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus gesprochen und nicht ohne Grund die ,langen Geburtswehen' der neuen Gesellschaft hervorgehoben haben, wobei diese neue Gesellschaft wiederum eine Abstraktion ist, die nicht anders als durch eine Reihe mannigfaltiger, unvollkommener konkreter Versuche, diesen oder jenen sozialistischen Staat zu schaffen, verwirklicht werden kann.

Gerade weil man von der jetzigen wirtschaftlichen Lage Russlands nicht vorwärtsschreiten kann, ohne das durchzumachen, was sowohl dem Staatskapitalismus als auch dem Sozialismus gemeinsam ist (die allgemeine Rechnungslegung und Kontrolle), ist es ein glatter theoretischer Unsinn, andere und sich selbst mit der ,Evolution1 zum Staatskapitalismus' zu schrecken. Das heißt gerade, von dem wirklichen Weg der ,Evolution' abschweifen, diesen Weg nicht verstehen; in der Praxis ist das gleichbedeutend mit einem Zurückdrängen zum Kapitalismus des Kleineigentümers.

Damit der Leser sich davon überzeuge, dass ich keineswegs erst jetzt eine ,hohe' Einschätzung des Staatskapitalismus gebe, sondern es auch vor der Übernahme der Macht durch die Bolschewiki getan habe, erlaube ich mir, folgendes Zitat aus meiner Broschüre ,Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen soll', die ich im September 1917 geschrieben habe, anzuführen:

,… Versucht einmal, an Stelle des junkerlich-kapitalistischen, an Stelle des grundherrlich-kapitalistischen Staates den revolutionär-demokratischen Staat zu setzen, d. h. einen Staat, der (revolutionär alle Privilegien zerstört, der sich nicht davor fürchtet, revolutionär die vollständigste Demokratie zu verwirklichen. Ihr werdet sehen, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus in einem wirklich revolutionär-demokratischen Staat unweigerlich, unvermeidlich einen Schritt zum Sozialismus bedeutet!'

,… Denn der Sozialismus ist nichts anderes als der nächste Schritt über das staatskapitalistische Monopol hinaus.'

,… Der staatsmonopolistische Kapitalismus ist die vollständigste materielle Vorbereitung des Sozialismus, sein Vorraum, jene Stufe der historischen Leiter, von der (der Stufe) bis zu der Stufe, die man Sozialismus nennt, keine Zwischenstufen vorhanden sind.“ (S. 27 und 28.) Man beachte, dass das unter Kerenski geschrieben worden ist, dass hier nicht von der Diktatur des Proletariats, nicht vom sozialistischen, sondern vom ,revolutionär-demokratischen' Staat die Rede ist. Ist es wirklich nicht klar, dass wir, je höher wir uns über diese politische Stufe erhoben, je vollkommener wir in den Sowjets den sozialistischen Staat und die Diktatur des Proletariats verkörpert haben, um so weniger den ,Staatskapitalismus' zu fürchten brauchen? Ist es wirklich nicht klar, dass wir im materiellen, ökonomischen Sinne, im Sinne der Produktion uns noch nicht im ,Vorraum' des Sozialismus befinden? Und dass wir anders als durch diesen, von uns noch nicht erreichten ,Vorraum' in die Tür zum Sozialismus nicht eintreten können? …“

„… Außerordentlich lehrreich ist noch folgender Umstand: Als wir im Zentralexekutivkomitee mit dem Genossen Bucharin stritten, da bemerkte er unter anderem: in der Frage der hohen Gehälter für die Fachleute sind ,wir“ .rechter als Lenin', denn wir sehen hier keinerlei Abweichung von den Prinzipien, eingedenk der Worte von Marx, dass es unter gewissen Bedingungen für die Arbeiterklasse am zweckmäßigsten wäre, ,die ganze Bande auszukaufen“ (gerade die Bande der Kapitalisten, d.. h. bei der Bourgeoisie das Land, die Fabriken, die Werke und sonstigen Produktionsmittel auszukaufen)”.

Das ist eine außerordentlich interessante Bemerkung.“

„ … Versuchen wir, uns in den Gedanken von Marx hineinzudenken.

Es handelte sich um das England der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, um die Kulminationsperiode des vormonopolistischen Kapitalismus, um ein Land, das damals am wenigsten Militarismus und Bürokratie kannte, um ein Land, in dem damals die meisten Möglichkeiten eines ,friedlichen' Sieges des Sozialismus im Sinne des ,Auskaufs' der Bourgeoisie durch die Arbeiter vorhanden waren. Und Marx sagte: unter gewissen Bedingungen werden es die Arbeiter keineswegs ablehnen, die Bourgeoisie auszukaufen. Marx band sich – und den künftigen Führern der sozialistischen Revolution – nicht die Hände in Bezug auf die Formen, die Methoden, die Art und Weise der Umwälzung, denn er wusste sehr gut, was für eine Menge neuer Probleme dann erstehen wird, wie sich im Laufe der Umwälzung die ganze Situation ändern wird, wie oft und wie stark sie sich im Laufe der Umwälzung ändern wird.

Und ist es in Sowjetrussland nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat, nach der Unterdrückung des militärischen Widerstandes und der Sabotage der Ausbeuter etwa nicht augenscheinlich, dass einige Bedingungen sich so gestaltet haben, wie es vor einem halben Jahrhundert in England möglich gewesen wäre, wenn es damals friedlich begonnen hätte, zum Sozialismus überzugehen? Die Unterordnung der Kapitalisten unter die Arbeiter in England hätte damals durch folgende Umstände gewährleistet werden können: (1) durch das völlige Überwiegen der Arbeiter, der Proletarier, unter der Bevölkerung infolge des Fehlens einer Bauernschaft (in England waren in den siebziger Jahren Anzeichen vorhanden, die auf außerordentlich schnelle Erfolge des Sozialismus unter den Landarbeitern hoffen ließen); (2) durch die ausgezeichnete Organisiertheit des Proletariats in den Gewerkschaften (England war damals in dieser Hinsicht das erste Land der Welt); (3) durch das verhältnismäßig hohe Kulturniveau des Proletariats, das durch eine jahrhundertelange Entwicklung der politischen Freiheit geschult worden war; (4) durch die lange Gewohnheit der ausgezeichnet organisierten Kapitalisten Englands – damals waren sie die am besten organisierten Kapitalisten der Welt (jetzt ist Deutschland an die erste Stelle gerückt) –, politische und wirtschaftliche Fragen durch Kompromisse zu lösen. Infolge dieser Umstände konnte damals der Gedanke von der Möglichkeit einer friedlichen Unterordnung der Kapitalisten in England unter die Arbeiter entstehen. Bei uns ist diese Unterordnung im gegebenen Augenblick durch gewisse grundlegende2 Voraussetzungen gewährleistet (durch den Sieg im November [Oktober] und die Unterdrückung des militärischen Widerstandes und der Sabotage der Kapitalisten vom November [Oktober] bis zum Februar). Bei uns aber war anstatt des völligen Überwiegens der Arbeiter, der Proletarier, unter der Bevölkerung und ihrer hohen Organisiertheit die Unterstützung der Proletarier durch die arme und rasch ruinierte Bauernschaft ein Faktor des Sieges. Schließlich haben wir auch keine hohe Kultur und keine Gewohnheit zu Kompromissen. Wenn man sich in diese konkreten Bedingungen hineindenkt, dann wird es klar, dass wir jetzt die Methoden der rücksichtslosen Abrechnung mit den kulturell rückständigen Kapitalisten, die sich auf keinerlei ,Staatskapitalismus' einlassen, die nichts von einem Kompromiss wissen wollen, die fortfahren, die Maßnahmen der Sowjetmacht durch Spekulation, Bestechung der armen Bevölkerung usw. zu durchkreuzen, mit den Methoden des Kompromisses oder des Auskaufs gegenüber den kulturell hochstehenden Kapitalisten verbinden können und müssen, die zum .Staatskapitalismus“ bereit sind, die fähig sind, Um durchzuführen, die dem Proletariat nützlich sind als kluge und erfahrene Organisatoren der größten Unternehmungen, die wirklich Dutzende Millionen Menschen mit Produkten versorgen.

Bucharin ist ein glänzend gebildeter marxistischer Ökonom. Deshalb erinnerte er sich daran, dass Marx absolut recht hatte, als er die Arbeiter lehrte, dass es wichtig sei, die Organisation der Großproduktion gerade im Interesse der Erleichterung des Überganges zum Sozialismus zu erhalten, und dass der Gedanke durchaus zulässig sei, den Kapitalisten gut zu bezahlen, sie auszukaufen, wenn (als Ausnahme: England war damals eine Ausnahme) die Umstände sich so gestalten, dass sie die Kapitalisten zwingen, sich friedlich unterzuordnen und in kultureller, organisierter Weise, unter der Bedingung des Auskaufs zum Sozialismus überzugehen.

Aber Bucharin hat einen Fehler begangen, denn er hat sich nicht in die konkrete Eigenart des jetzigen Augenblicks in Russland hineingedacht – eben eines außerordentlichen Augenblicks, wo wir, das Proletariat Russlands, in Bezug auf unsere politische Ordnung, in Bezug auf die Stärke der politischen Macht der Arbeiter selbst England und Deutschland voraus sind, zugleich aber in Bezug auf die Organisation eines ordentlichen Staatskapitalismus, in Bezug auf die Höhe der Kultur, den Grad der Vorbereitung zur materiellen .Einführung' des Sozialismus, zu seiner Einführung in der Produktion, hinter dem rückständigsten der westeuropäischen Staaten stehen. Ist es nicht klar, dass sich aus dieser eigenartigen Lage im gegenwärtigen Augenblick gerade die Notwendigkeit eines eigenartigen ,Auskaufs' ergibt, den die Arbeiter den kulturell am höchsten stehenden, talentvollsten, organisatorisch begabtesten Kapitalisten vorschlagen müssen, die bereit sind, in den Dienst der Sowjetmacht zu treten und gewissenhaft zu helfen, die große und größte ,staatliche' Produktion in Gang zu bringen? Ist es nicht klar, dass wir in einer so eigenartigen Lage versuchen müssen, zweierlei Fehler zu vermeiden, von denen jeder auf seine Weise ein kleinbürgerlicher Fehler ist? Einerseits wäre es ein unverbesserlicher Fehler zu erklären: da man die Nichtübereinstimmung zwischen unseren wirtschaftlichen ,Kräften' und unserer politischen Kraft anerkennt, ,also' hätte man die Macht nicht ergreifen sollen. So denken ,Menschen im Futteral', die vergessen, dass es niemals eine ,Übereinstimmung' geben wird, dass sie weder in der Entwicklung der Natur noch in der Entwicklung der Gesellschaft möglich ist, dass der siegreiche Sozialismus nur durch eine Reihe von Versuchen – von denen jeder einzeln genommen einseitig sein, an einer gewissen Nichtübereinstimmung leiden wird – aus der revolutionären Zusammenarbeit der Proletarier aller Länder entsteht.

Anderseits wäre es ein offenbarer Fehler, den Schreihälsen und Maulhelden freien Lauf zu lassen, die sich durch ,feurigen' Radikalismus hinreißen lassen, aber zu einer konsequenten, durchdachten, wohlerwogenen, auch die schwierigsten Übergänge in Rechnung stellenden revolutionären Arbeit nicht fähig sind.

Zum Glück hat uns die Geschichte der Entwicklung der revolutionären Parteien und des Kampfes des Bolschewismus mit ihnen scharf ausgeprägte Typen hinterlassen, von denen die linken Sozialrevolutionäre und die Anarchisten ziemlich anschaulich den Typus der schlechten Revolutionäre illustrieren. Sie erheben jetzt ein Geschrei – ein hysterisches, fürchterliches Geschrei gegen die ,Kompromisspolitik' der ,rechten Bolschewiki'. Aber sie sind nicht imstande, darüber nachzudenken, weshalb die ,Kompromisspolitik' schlecht war und wofür durch die Geschichte und den Gang der Revolution mit Recht das Urteil über sie gesprochen wurde.

Die Kompromisspolitik der Kerenski-Periode räumte die Macht der imperialistischen Bourgeoisie ein, die Machtfrage aber ist die Grundfrage einer jeden Revolution. Die Kompromisspolitik eines Teils der Bolschewiki im Oktober-November 1917 fürchtete entweder die Eroberung der Macht durch das Proletariat oder wollte die Macht nicht nur mit ,unzuverlässigen Mitläufern' wie den linken Sozialrevolutionären gleichmäßig teilen, sondern auch mit den Feinden, den Tschernow-Leuten, den Menschewiki, die uns unvermeidlich bei dem Wichtigsten gestört hätten: bei der Auseinanderjagung der Konstituante, bei der rücksichtslosen Niederschlagung der Bogajewskis, bei dem völligen Ausbau des Systems der Sowjetinstitutionen, bei jeder Konfiskation.

Jetzt ist die Macht erobert, behauptet, gefestigt in den Händen einer Partei, der Partei des Proletariats, sogar ohne die ,unzuverlässigen Mitläufer'. Jetzt von Kompromisspolitik zu sprechen, wo nicht einmal die Rede sein kann von einer Teilung der Macht, von einem Verzicht auf die Diktatur der Proletarier gegen die Bourgeoisie, heißt einfach, wie ein Papagei, auswendig gelernte, aber unverstandene Worte wiederholen. Wenn man als ,Kompromisspolitik' bezeichnet, dass wir in einer Lage, wo wir das Land regieren können und müssen, uns bemühen, die unter den vom Kapitalismus geschulten Elementen kulturell am höchsten stehenden heranzuziehen – ohne mit Geld zu sparen –, sie in unseren Dienst zu stellen gegen den kleinbürgerlichen Zerfall, so heißt das, dass man nicht im geringsten versteht, über die wirtschaftlichen Aufgaben des sozialistischen Aufbaus nachzudenken.“

Über Naturalsteuer, freien Handel und Konzessionen

In den zitierten Ausführungen aus dem Jahre 1918 ist eine Reihe Fehler in Bezug auf die Fristen enthalten. Die Fristen erwiesen sich als länger, als damals angenommen wurde. Das ist nicht verwunderlich. Die Grundelemente unserer Wirtschaft sind jedoch dieselben geblieben. Die „Dorfarmut“ (Proletarier und Halbproletarier) hat sich in sehr vielen Fällen in Mittelbauern verwandelt. Dadurch wurde das Kleineigentümer-, das Kleinbürger-„Element“ verstärkt. Und der Bürgerkrieg 1918 bis 1920 hat den Ruin des Landes außerordentlich verstärkt, die Wiederherstellung seiner Produktivkräfte aufgehalten und am meisten gerade das Proletariat bluten lassen. Hinzu kamen die Missernte von 1920, die Futtermittelnot, das Eingehen von Vieh, wodurch die Wiederherstellung des Transportwesens und der Industrie noch mehr aufgehalten wurde, was sich z. B. auf die Heranschaffung von Brennholz, unserem wichtigsten Heizstoff, durch Bauernfuhrwerke auswirkte.

Das Ergebnis war, dass sich die politische Situation im Frühjahr 1921 so gestaltete, dass es dringend notwendig wurde, sofort die entschiedensten, außergewöhnlichsten Maßnahmen zu ergreifen, um die Lage der Bauernschaft zu verbessern und ihre Produktivkräfte zu heben.

Warum gerade die der Bauernschaft und nicht die der Arbeiterschaft?

Weil zur Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter Brot und Heizmaterial notwendig sind. Gegenwärtig entsteht die größte „Verzögerung“ – vom Standpunkt der gesamten Staatswirtschaft – gerade dadurch. Eine Steigerung der Erzeugung und Aufbringung von Getreide, der Beschaffung und Zustellung von Heizmaterial ist aber nicht anders möglich als durch Besserung der Lage der Bauernschaft, durch Hebung ihrer Produktivkräfte. Beginnen muss man bei der Bauernschaft. Wer das nicht begreift, wer geneigt ist, in dieser Tatsache, dass die Bauern an die erste Stelle gerückt werden, einen „Verzicht“ oder so etwas wie einen Verzicht auf die Diktatur des Proletariats zu erblicken, der denkt einfach über die Sache nicht nach, der lässt sich einfach von der Phrase beherrschen. Diktatur des Proletariats bedeutet Leitung der Politik durch das Proletariat. Das Proletariat als führende, als herrschende Klasse muss es verstehen, die Politik so zu lenken, dass in erster Linie die dringendste, die „wundeste“ Frage gelöst wird. Am dringlichsten sind jetzt Maßnahmen, die geeignet sind, die Produktivkräfte der Bauernwirtschaft sofort zu heben. Nur dadurch ist es möglich, auch die Lage der Arbeiter zu verbessern und das Bündnis der Arbeiter mit der Bauernschaft zu festigen, die Diktatur des Proletariats zu festigen. Derjenige Proletarier oder Vertreter des Proletariats, der nicht dadurch eine Besserung der Lage der Arbeiterschaft herbeiführen wollte, würde in Wirklichkeit zu einem Helfershelfer der Weißgardisten und Kapitalisten werden. Denn diesen Weg nicht gehen, bedeutet: die Zunftinteressen der Arbeiter über die Klasseninteressen stellen, bedeutet: den Interessen des unmittelbaren, augenblicklichen, teilweisen Vorteils der Arbeiter die Interessen der gesamten Arbeiterklasse, ihrer Diktatur, ihres Bündnisses mit den Bauern gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten, ihrer führenden Rolle im Kampf für die Befreiung der Arbeit vom Joch des Kapitals zum Opfer bringen.

Also: in erster Linie sind sofortige und ernstliche Maßnahmen zur Hebung der Produktivkräfte der Bauernschaft notwendig.

Das lässt sich ohne ernste Änderungen der Ernährungspolitik nicht durchführen. Eine solche Änderung war die Ersetzung der Zwangsumlage durch die Naturalsteuer, die mit dem freien Handel nach Entrichtung der Steuer, zumindest im örtlichen Wirtschaftsverkehr, verbunden ist.

Worin besteht das Wesen der Ersetzung der Zwangsumlage durch die Naturalsteuer?

Hierüber sind falsche Vorstellungen weit verbreitet. Das Falsche rührt zum größten Teil daher, dass man nicht das Wesen des Übergangs zu ergründen sucht, sich nicht fragt, woher und wohin der gegebene Übergang führt. Man stellt sich die Sache so vor, als handle es sich um einen Übergang vom Kommunismus überhaupt zu bürgerlichen Zuständen überhaupt. Diesem Irrtum gegenüber muss man unvermeidlich auf das hinweisen, was im Mai 1918 gesagt wurde.

Die Naturalsteuer ist eine der Formen des Überganges von einem durch die äußerste Not, durch Ruin und Krieg erzwungenen eigenartigen „Kriegskommunismus“ zu einem geregelten sozialistischen Produktenaustausch. Dieser aber ist seinerseits eine der Formen des Übergangs vom Sozialismus mit Eigentümlichkeiten, die durch das Vorherrschen der Kleinbauernschaft in der Bevölkerung verursacht sind, zum Kommunismus.

Der eigenartige „Kriegskommunismus“ bestand darin, dass wir tatsächlich den Bauern alle Überschüsse, ja mitunter sogar nicht die Überschüsse, sondern einen Teil der dem Bauern notwendigen Lebensmittel wegnahmen, um die Ausgaben für die Armee und den Unterhalt der Arbeiter zu decken. Größtenteils nahmen wir es auf Kredit, gegen Papiergeld. Anders konnten wir in dem ruinierten kleinbäuerlichen Lande über die Gutsbesitzer und Kapitalisten nicht siegen. Und die Tatsache, dass wir gesiegt haben (trotz der Unterstützung unserer Ausbeuter durch die stärksten Weltmächte) beweist nicht nur, welche Wunder an Heldenmut die Arbeiter und Bauern im Kampf für ihre Befreiung zu vollbringen vermögen. Diese Tatsache zeigt auch, welche Rolle als Lakaien der Bourgeoisie die Menschewiki, die Sozialrevolutionäre, Kautsky und Co. in Wirklichkeit spielten, als sie uns diesen „Kriegskommunismus“ als Schuld ankreideten. Er muss uns als Verdienst angerechnet werden.

Aber nicht minder notwendig ist es, das wirkliche Maß dieses Verdienstes zu kennen. Der „Kriegskommunismus“ wurde durch den Krieg und den Ruin erzwungen. Er war keine Politik, die den wirtschaftlichen Aufgaben des Proletariats entspricht, und konnte es auch nicht sein. Er war eine provisorische Maßnahme. Die richtige Politik des Proletariats, das seine Diktatur in einem kleinbäuerlichen Lande verwirklicht, ist der Austausch von Getreide gegen Industrieerzeugnisse, die der Bauer benötigt. Nur eine solche Ernährungspolitik entspricht den Aufgaben des Proletariats, nur sie ist geeignet, die Grundlagen des Sozialismus zu festigen und seinen vollen Sieg herbeizuführen.

Die Naturalsteuer bedeutet den Übergang zu dieser Politik. Wir sind noch immer so ruiniert, durch die Last des Krieges (der sich gestern abgespielt hat und infolge der Gier und Wut der Kapitalisten morgen wieder ausbrechen kann) noch so niedergedrückt, dass wir nicht imstande sind, dem Bauern für das ganze von uns benötigte Getreide Industrieerzeugnisse zu liefern. Da wir das wissen, führen wir die Naturalsteuer ein, d. h, die (für Heer und Arbeiterschaft) erforderliche Mindestmenge an Getreide nehmen wir als Steuer, während wir den Rest gegen Industrieerzeugnisse austauschen werden.

Hierbei darf noch das Folgende nicht übersehen werden. Die Not und die Zerstörung sind derart, dass wir nicht imstande sind, mit einem Schlage3 die staatliche, fabrikmäßige, sozialistische Großindustrie wiederherzustellen. Hierzu bedarf es großer Vorräte an Getreide und Brennstoffen in den Zentren der Großindustrie, bedarf es einer Ersetzung der verschleißten Maschinen durch neue usw. Wir haben aus der Erfahrung gelernt, dass man dies nicht mit einem Male machen kann, und wir wissen, dass selbst die reichsten und fortgeschrittensten Länder nach dem verheerenden imperialistischen Krieg nur im Laufe einer gewissen, ziemlich langen Reihe von Jahren imstande sein werden, diese Aufgabe zu lösen. Es ist also notwendig, in gewissem Maße die Wiederherstellung der Kleinindustrie zu fördern, die weder Maschinen benötigt noch staatliche oder große Vorräte an Rohmaterialien, Brennstoffen und Lebensmitteln erfordert und die der Bauernwirtschaft sofort eine gewisse Hilfe zu leisten und ihre Produktivkräfte zu heben vermag.

Was ergibt sich hieraus?

Es ergibt sich auf der Grundlage einer gewissen (wenn auch nur örtlichen) Freiheit des Handels ein Wiederaufleben des Kleinbürgertums und des Kapitalismus. Das unterliegt keinem Zweifel. Es wäre lächerlich, davor die Augen zu verschließen.

Es fragt sich nun: ist das notwendig? Lässt sich das rechtfertigen? Ist das nicht gefährlich?

Solche Fragen werden in großer Zahl gestellt, und in den meisten Fällen offenbaren sie nur (gelinde gesprochen) die Naivität des Fragestellers.

Lest nach, wie ich im Mai 1918 die in unserer Wirtschaft vorhandenen Elemente (Bestandteile) der verschiedenen sozial-ökonomischen Formen definiert habe. Es wird niemand gelingen zu bestreiten, dass alle diese fünf Stufen (oder Bestandteile) aller dieser fünf Wirtschaftsformen, von den patriarchalischen, d. h. halbwilden, bis zur sozialistischen, vorhanden sind. Dass in einem kleinbäuerlichen Land die kleinbäuerliche, d. h. zum Teil patriarchalische, zum Teil kleinbürgerliche, „Wirtschaftsform“ überwiegt, versteht sich von selbst. Die Entwicklung der Kleinwirtschaft ist eine kleinbürgerliche Entwicklung, ist eine kapitalistische Entwicklung, sobald ein Austausch vorhanden ist – das ist eine unbestreitbare Wahrheit, eine Binsenwahrheit der politischen Ökonomie, die zudem durch die alltägliche Erfahrung und Beobachtung selbst des Spießers bestätigt wird.

Welche Politik kann nun das sozialistische Proletariat angesichts einer solchen ökonomischen Wirklichkeit betreiben? Soll es dem Kleinbauern alle von ihm benötigten Erzeugnisse aus der Produktion des sozialistischen Großbetriebes im Austausch gegen Getreide und Rohstoffe liefern? Das wäre die wünschenswerteste, die „richtigste“ Politik – wir haben sie auch eingeleitet. Doch wir können nicht alle Produkte liefern, wir können das bei weitem nicht und werden dazu nicht so bald in der Lage sein, zum Mindesten so lange nicht, bis wir wenigstens die Arbeiten erster Ordnung zur Elektrifizierung des ganzen Landes abgeschlossen haben. Was ist da zu tun? Entweder versucht man, jegliche Entwicklung des privaten, nichtstaatlichen Austausches, d. h. des Handels, d. h.4 des Kapitalismus, die bei Vorhandensein von Millionen Kleinproduzenten unvermeidlich ist, völlig zu verbieten, zu unterbinden. Eine solche Politik wäre eine Dummheit und würde den Selbstmord der Partei bedeuten, die sie versuchen wollte. Eine Dummheit, denn diese Politik ist ökonomisch unmöglich; ein Selbstmord, denn Parteien, die eine derartige Politik versuchen, erleiden unweigerlich Schiffbruch. Es lässt sich nicht verhehlen, dass einige Kommunisten in „Gedanken, Worten und Taten“ gesündigt haben, indem sie gerade in eine solche Politik verfielen. Sorgen wir dafür, dass wir von diesen Fehlern loskommen. Wir müssen unbedingt von ihnen loskommen, sonst kann es sehr schlimm werden.

Oder (die letzte mögliche und einzig vernünftige Politik) man versucht nicht, die Entwicklung des Kapitalismus zu verbieten oder zu unterbinden, sondern man bemüht sich, sie in das Fahrwasser des Staatskapitalismus zu leiten. Das ist ökonomisch möglich, denn der Staatskapitalismus ist in dieser oder jener Form, in diesem oder jenem Grade überall dort vorhanden, wo Elemente des freien Handels und des Kapitalismus überhaupt anzutreffen sind.

Ist es möglich, den Sowjetstaat, die Diktatur des Proletariats mit dem Staatskapitalismus zu kombinieren, zu vereinigen, in Einklang zu bringen?

Gewiss ist es möglich. Das habe ich eben im Mai 1918 zu beweisen versucht. Das habe ich, wie ich hoffe, im Mai 1918 auch bewiesen. Mehr als das: ich habe damals auch bewiesen, dass der Staatskapitalismus einen Schritt vorwärts bedeutet, verglichen mit dem Kleineigentümerelement (sowohl dem kleinen patriarchalischen wie dem kleinbürgerlichen). Man begeht eine Unmenge Fehler, wenn man den Staatskapitalismus nur dem Sozialismus gegenüberstellt oder nur mit diesem vergleicht, während man in der gegebenen politisch-ökonomischen Situation den Staatskapitalismus unbedingt auch mit der kleinbürgerlichen Produktion vergleichen muss.

Die ganze Frage – sowohl theoretisch als auch praktisch – besieht darin, richtige Methoden herauszufinden, wie man die (bis zu einem gewissen Grade und für eine gewisse Frist) unvermeidliche Entwicklung des Kapitalismus in das Fahrwasser des Staatskapitalismus lenken soll, welche Bedingungen man hierfür schaffen muss, wie man in naher Zukunft die Umwandlung des Staatskapitalismus in den Sozialismus sichern soll.

Um an die Lösung dieser Frage heranzutreten, muss man sich zunächst möglichst klar darüber sein, was der Staatskapitalismus innerhalb unseres Sowjetsystems, im Rahmen unseres Sowjetstaates praktisch sein wird und sein kann.

Der einfachste Fall oder das einfachste Beispiel dafür, wie die Sowjetmacht die Entwicklung des Kapitalismus in das Fahrwasser des Staatskapitalismus leitet, wie sie den Staatskapitalismus „züchtet“, bilden die Konzessionen. Jetzt sind alle bei uns darin einig, dass die Konzessionen notwendig sind, aber nicht alle denken über die Bedeutung der Konzessionen nach. Was sind die Konzessionen unter denn Sowjetsystem vom Standpunkt der sozial-ökonomischen Formen und ihrer Wechselbeziehungen? Sie sind ein Vertrag, ein Block, ein Bündnis der Sowjetmacht, d. h. der proletarischen Staatsmacht, mit dem Staatskapitalismus gegen das (patriarchalische und kleinbürgerliche) Kleineigentümerelement. Der Konzessionsinhaber ist ein Kapitalist. Er führt das Geschäft kapitalistisch, um des Profits willen, er geht auf einen Vertrag mit der proletarischen Staatsmacht ein, um einen Extraprofit über den üblichen hinaus zu erzielen oder um sich solche Rohstoffe zu beschaffen, die er auf anderem Wege nicht oder nur äußerst schwer erhalten kann. Die Sowjetmacht erhält einen Vorteil durch die Entwicklung der Produktivkräfte, die Vermehrung der Produktenmenge – sofort oder in kürzester Zeit. Wir besitzen, sagen wir, hundert bestimmte Unternehmungen, Bergwerke, Forstreviere. Wir können nicht alle betreiben und bewirtschaften – die Maschinen, Lebensmittel und Transportmittel reichen nicht. Aus den gleichen Gründen betreiben wir auch die übrigen Anlagen schlecht. Infolge des schlechten und ungenügenden Funktionierens der großen Unternehmungen tritt eine Stärkung des Kleineigentümerelements in allen seinen Erscheinungsformen ein: Schwächung der umliegenden (und später auch der gesamten) Bauernwirtschaft, Untergrabung ihrer Produktivkräfte, Erschütterung ihres Vertrauens zur Sowjetmacht, Veruntreuungen und Massenspekulation im Kleinen (die am gefährlichsten ist) usw. Indem die Sowjetmacht den Staatskapitalismus in der Form von Konzessionen „züchtet“, stärkt sie den Großbetrieb gegenüber dem Kleinbetrieb, das Fortschrittliche gegenüber dem Rückständigen, die Maschinenarbeit gegenüber der Handarbeit, vermehrt sie die Menge der Erzeugnisse der Großindustrie in ihren Händen (der abzuliefernde Teil der Produktion), stärkt sie die staatlich geregelten ökonomischen Beziehungen im Gegensatz zu den kleinbürgerlich-anarchischen. Eine mit Maß und Vorsicht durchgeführte Konzessionspolitik wird uns zweifellos helfen, den Stand der Produktion, die Lage der Arbeiter und Bauern schnell (bis zu einem gewissen, nicht hohen Grade) zu heben – natürlich um den Preis gewisser Opfer, gegen Auslieferung von Millionen und Abermillionen Pud der wertvollsten Produkte an die Kapitalisten. Die Bestimmung des Maßes und der Bedingungen, unter denen die Konzessionen für uns von Vorteil und ungefährlich sind, hängt von dem Kräfteverhältnis ab, wird durch den Kampf entschieden, denn die Konzession ist auch eine Form des Kampfes, die Fortsetzung des Klassenkampfes in anderer Form und keinesfalls eine Ersetzung des Klassenkampfes durch den Klassenfrieden. Die Methoden des Kampfes wird uns die Praxis zeigen.

Der Staatskapitalismus in der Form von Konzessionen ist, verglichen mit den anderen Formen des Staatskapitalismus innerhalb des Sowjetsystems, wohl die einfachste, deutlichste, klarste, am genauesten umrissene Form. Hier haben wir direkt einen formellen, schriftlichen Vertrag mit dem kulturell hochstehenden, fortgeschrittenen westeuropäischen Kapitalismus. Wir kennen genau unsere Gewinne und unsere Verluste, unsere Rechte und unsere Pflichten, wir kennen genau die Frist, für deren Dauer wir die Konzession erteilen, wir kennen die Bedingungen des vorfristigen Ankaufs, falls der Vertrag das Recht des vorfristigen Ankaufs vorsieht. Wir zahlen einen gewissen „Tribut“ an den Weltkapitalismus, wir „kaufen uns“ von ihm in bestimmter Hinsicht „los“ und erhalten dafür sofort ein gewisses Maß der Festigung der Sowjetmacht, der Verbesserung der Bedingungen für die Führung unserer Wirtschaft. Die ganze Schwierigkeit der Aufgabe bei den Konzessionen läuft darauf hinaus, bei Abschluss des Konzessionsvertrages alles zu überlegen und abzuwägen und dann es zu verstehen, seine Einhaltung zu überwachen. Zweifellos gibt es hier Schwierigkeiten, und Fehler sind hier vermutlich in der ersten Zeit unvermeidlich, aber diese Schwierigkeiten sind sehr gering im Vergleich mit den anderen Aufgaben der sozialen Revolution und besonders im Vergleich mit den übrigen Formen der Entwicklung, Zulassung, Züchtung des Staatskapitalismus.

Es ist die wichtigste Aufgabe aller Partei- und Sowjetfunktionäre in Verbindung mit der Einführung der Naturalsteuer, zu verstehen, die Prinzipien und Grundsätze der „Konzessions“politik (d. h. einer dem „konzessionierten“ Staatskapitalismus ähnlichen Politik) auf die übrigen Formen des Kapitalismus, des freien Handels, des örtlichen Umsatzes usw. anzuwenden.

Nehmen wir die Genossenschaften. Nicht umsonst hat das Dekret über die Naturalsteuer eine sofortige Revision der Bestimmungen über die Genossenschaften and eine gewisse Erweiterung ihrer „Freiheit“ und ihrer Rechte zur Folge gehabt. Die Genossenschaften sind auch eine Form des Staatskapitalismus, aber eine weniger einfache, weniger scharf ausgeprägte, mehr verwickelte, und daher bereitet sie unserer Staatsmacht in der Praxis größere Schwierigkeiten. Die Genossenschaften der kleinen Warenproduzenten (und von diesen als den vorherrschenden, für ein kleinbäuerliches Land typischen ist hier die Rede, nicht aber von den Arbeitergenossenschaften) erzeugen unvermeidlich kleinbürgerliche kapitalistische Verhältnisse, fördern deren Entwicklung, rücken die kleinen Kapitalisten an die erste Stelle und bieten ihnen die größten Vorteile. Das kann gar nicht anders sein, wenn die kleinen Besitzer vorherrschen und die Möglichkeit sowie die Notwendigkeit eines Austausches besteht. Freiheit und Rechte der Genossenschaften bedeuten unter den gegenwärtigen Verhältnissen in Russland Freiheit und Rechte für den Kapitalismus. Es wäre eine Dummheit oder ein Verbrechen, vor dieser offenkundigen Wahrheit die Augen zu verschließen.

Doch der „Genossenschafts“kapitalismus bildet zum Unterschied vom privatwirtschaftlichen Kapitalismus unter der Sowjetmacht eine Abart des Staatskapitalismus und ist als solcher zur Zeit für uns vorteilhaft und nützlich – selbstverständlich in einem gewissen Maße. Insofern die Naturalsteuer den freien Verkauf der restlichen (nicht in Form der Steuer zu erhebenden) Überschüsse bedeutet, müssen wir danach streben, diese Entwicklung des Kapitalismus – denn der freie Verkauf, der freie Handel ist eine Entwicklung des Kapitalismus – in das Fahrwasser des Genossenschaftskapitalismus zu leiten. Der Genossenschaftskapitalismus ist dem Staatskapitalismus darin ähnlich, dass er die Rechnungslegung, Kontrolle, Beaufsichtigung, die vertraglichen Beziehungen zwischen dem Staat (in diesem Fall dem Sowjetstaat) und dem Kapitalisten erleichtert. Die Genossenschaften sind als Form des Handels nicht nur aus den angeführten Gründen vorteilhafter und nützlicher als der Privathandel, sondern auch deshalb, weil sie den Zusammenschluss, die Organisierung von Millionenmassen der Bevölkerung und später der gesamten Bevölkerung erleichtern, und dieser Umstand bedeutet seinerseits ein gigantisches Plus vom Standpunkt des späteren Überganges vom Staatskapitalismus zum Sozialismus.

Vergleichen wir die Konzessionen und die Genossenschaften als Formen des Staatskapitalismus. Die Konzession beruht auf der maschinellen Großindustrie, die Genossenschaften beruhen auf der Kleinindustrie, einer handwerksmäßigen, zum Teil sogar patriarchalischen. Die Konzession betrifft in jedem einzelnen Konzessionsvertrag einen einzelnen Kapitalisten oder eine einzelne Firma, ein Syndikat, ein Kartell, einen Trust. Die Genossenschaften umfassen viele Tausende, ja selbst Millionen Kleinbesitzer. Die Konzession lässt einen genauen Vertrag und eine genaue Frist zu und setzt diese sogar voraus. Die Genossenschaften lassen weder einen ganz genauen Vertrag noch eine ganz genaue Frist zu. Es ist viel leichter, ein Gesetz über die Genossenschaften aufzuheben als einen Konzessionsvertrag zu lösen. Aber die Zerreißung des Vertrages bedeutet mit einem Schlage, einfach, sofort die Zerreißung der faktischen Beziehungen des ökonomischen Bündnisses oder des ökonomischen „Zusammenlebens“ mit dem Kapitalisten, dagegen wird irgendeine Aufhebung eines Gesetzes über die Genossenschaften, werden irgendwelche Gesetze überhaupt nicht nur nicht sofort das faktische „Zusammenleben“ der Sowjetmacht mit den Kleinkapitalisten zerreißen, sondern sie sind überhaupt nicht imstande, die tatsächlichen ökonomischen Beziehungen zu zerreißen. Auf den Konzessionär „aufzupassen“ ist leicht, auf die Genossenschafter dagegen schwer. Der Übergang von den Konzessionen zum Sozialismus bedeutet den Übergang von einer Form des Großbetriebes zu einer anderen Form des Großbetriebes. Der Übergang von den Genossenschaften der Kleinbesitzer zum Sozialismus ist der Übergang vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb, d. h. ein komplizierterer Übergang, aber dafür ist er geeignet, im Falle des Gelingens, breitere Massen der Bevölkerung zu erfassen, ist er geeignet, tiefere und zählebigere Wurzeln der alten, vorsozialistischen, ja selbst vorkapitalistischen Verhältnisse herauszureißen, die im Sinne des Widerstandes gegen jede „Neuerung“ am zähesten sind. Die Konzessionspolitik wird uns, im Falle des Gelingens, eine kleine Zahl mustergültiger – im Vergleich mit unseren – Großbetriebe geben, die auf der Höhe des modernen fortgeschrittenen Kapitalismus stehen; nach einigen Jahrzehnten werden diese Betriebe ganz und gar in unseren Besitz übergehen. Die Genossenschaftspolitik wird uns, im Falle des Gelingens, einen Aufschwung des Kleinbetriebes bringen und seinen Übergang – in unbestimmter Frist – zum Großbetrieb auf der Grundlage des freiwilligen Zusammenschlusses erleichtern.

Nehmen wir eine dritte Art des Staatskapitalismus. Der Staat zieht den Kapitalisten als Händler heran und zahlt ihm eine bestimmte Provision für den Verkauf der staatlichen Produkte und für den Ankauf der Erzeugnisse des Kleinproduzenten. Eine vierte Art: der Staat verpachtet an einen kapitalistischen Unternehmer einen dem Staat gehörenden Betrieb oder Anlagen oder ein Waldrevier, ein Grundstück usw., wobei der Pachtvertrag größte Ähnlichkeit mit dem Konzessionsvertrag hat. Von diesen beiden letztgenannten Arten des Staatskapitalismus wird bei uns überhaupt nicht gesprochen, an sie denkt man gar nicht, sie übersieht man ganz. Dies geschieht aber nicht deswegen, weil wir etwa stark und klug, sondern weil wir schwach und dumm sind. Wir scheuen uns, der „gemeinen Wahrheit“ direkt ins Antlitz zu schauen, und erliegen nur zu oft einem „Trug, der uns erhebt“5. Immer wieder dünkt es uns, dass „wir“ vom Kapitalismus zum Sozialismus übergehen, und wir machen uns dabei keine genaue und deutliche Vorstellung davon, wer unter diesem „wir“ zu verstehen ist. Man muss sich die Aufzählung aller – unbedingt aller, ohne Ausnahme – Bestandteile, aller verschiedenartigen Formen der gesellschaftlichen Wirtschaft in unserer Ökonomie, die ich in meinem Artikel vom 5. Mai 1918 gegeben habe, vor Augen halten, um diese klare Vorstellung nicht zu vergessen. „Wir“, die Avantgarde, der Vortrupp des Proletariats, gehen unmittelbar zum Sozialismus über, aber der Vortrupp ist nur ein kleiner Teil des gesamten Proletariats, das seinerseits nur ein kleiner Teil der Gesamtmasse der Bevölkerung ist. Und damit „wir“ die Aufgabe unseres unmittelbaren Übergangs zum Sozialismus erfolgreich lösen können, müssen wir erkennen, welche vermittelnden Wege, Methoden, Mittel und Behelfe für den Übergang von den vorkapitalistischen Verhältnissen zum Sozialismus notwendig sind. Das ist der springende Punkt.

Man sehe sich die Karte der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik Russland an. Nördlich von Wologda, südöstlich von Rostow am Don und von Saratow, südlich von Orenburg und Omsk, nördlich von Tomsk6 ziehen sich unermessliche Landstrecken hin, auf denen Dutzende gewaltiger Kulturstaaten Platz finden könnten. Und auf all diesen Strecken herrschen patriarchalische Zustände, halbe und ganz echte Barbarei. Und in den entlegenen ländlichen Gegenden des ganzen übrigen Russland? Überall da, wo Dutzende von Werst Landweg, richtiger: Wegelosigkeit das Dorf von der Eisenbahn, d. h. von der materiellen Verbindung mit der Kultur, mit dem Kapitalismus, mit der Großindustrie, mit der großen Stadt trennen? Herrschen nicht in allen diesen Orten ebenfalls patriarchalische Zustände, Trägheit, halbe Barbarei vor?

Ist die Verwirklichung eines unmittelbaren Überganges von diesem in Russland vorherrschenden Zustand zum Sozialismus denkbar? Bis zu einem gewissen Grade ja, aber nur unter der einen Bedingung, die wir jetzt dank einer gewaltigen und nunmehr abgeschlossen vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit7 genau kennen. Diese Vorbedingung ist die Elektrifizierung. Wenn wir Dutzende von Überlandzentralen bauen (wir wissen jetzt, wie und wo wir sie bauen können und müssen), wenn wir von ihnen elektrische Energie in jedes Dorf leiten, wenn wir eine genügende Menge Elektromotoren und sonstiger Maschinen beschaffen, wird es keiner Übergangsstufen, keiner vermittelnden Glieder zwischen den patriarchalischen Zuständen und dem Sozialismus mehr bedürfen oder so gut wie nicht mehr bedürfen. Wir wissen aber sehr gut, dass diese „eine“ Bedingung zum Mindesten zehn Jahre allein zur Ausführung der Arbeiten der ersten Folge erfordert und dass eine Abkürzung dieser Frist wiederum nur im Falle eines Sieges der proletarischen Revolution in solchen Ländern wie England, Deutschland, Amerika denkbar ist.

Für die nächsten Jahre muss man verstehen, an die vermittelnden Glieder zu denken, die geeignet sind, den Übergang von den patriarchalischen Verhältnissen, von dem Kleinbetrieb zum Sozialismus zu erleichtern. „Wir“ lassen uns noch immer zu Betrachtungen verleiten, wie: „Der Kapitalismus ist das Übel, der Sozialismus das Heil.“ Aber diese Betrachtung ist unrichtig, denn sie vergisst die Gesamtheit der vorhandenen sozial-ökonomischen Formen, indem sie nur zwei von ihnen herausgreift.

Der Kapitalismus ist ein Übel gegenüber dem Sozialismus. Der Kapitalismus ist ein Heil gegenüber dem Mittelalter, gegenüber der Kleinproduktion, gegenüber dem mit der Zersplitterung der Kleinproduzenten verbundenen Bürokratismus. Soweit wir noch nicht imstande sind, den unmittelbaren Übergang von dem Kleinbetrieb zum Sozialismus zu verwirklichen, ist der Kapitalismus in gewissem Maße unvermeidlich als elementares Produkt des Kleinbetriebes und des Austausches, und insofern müssen wir den Kapitalismus (insbesondere, indem wir ihn in das Fahrwasser des Staatskapitalismus leiten) als vermittelndes Glied zwischen dem Kleinbetrieb und dem Sozialismus, als Mittel, Weg, Verfahren, Methode zur Steigerung der Produktivkräfte ausnutzen.

Nehmen wir die Frage des Bürokratismus und betrachten wir ihn von der ökonomischen Seite her. Am 5. Mai 1918 steht der Bürokratismus nicht in unserem Gesichtsfeld. Ein halbes Jahr nach der Oktoberrevolution, nachdem wir den alten bürokratischen Apparat von oben bis unten zertrümmert hatten, empfinden wir noch nicht dieses Übel.

Ein weiteres Jahr vergeht. Auf dem VIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands (18.-23. März 1919) wird ein neues Parteiprogramm angenommen, und in diesem Programm sprechen wir unumwunden, ohne Scheu, das Übel zuzugeben, sondern vielmehr erfüllt von dem Wunsch, es zu enthüllen, zu entlarven, zu brandmarken, um das Denken und Wollen, die Energie, die Aktion zum Kampf gegen dieses Übel zu wecken – sprechen wir von einem „teilweisen Wiederaufleben des Bürokratismus innerhalb des Sowjetsystems“.

Es vergingen weitere zwei Jahre. Im Frühjahr 1921, nach dem VIII. Rätekongress, auf dem (im Dezember 1920) die Frage des Bürokratismus behandelt wurde, nach dem X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands (März 1921), der das Ergebnis der Diskussionen zog, die mit der Analyse des Bürokratismus aufs Engste verknüpft waren, sehen wir dieses Übel noch klarer, noch deutlicher, noch gefahrdrohender vor uns. Welches sind die ökonomischen Wurzeln des Bürokratismus? Diese Wurzeln sind in der Hauptsache von zweierlei Art: einerseits benötigt die entwickelte Bourgeoisie gerade gegen die revolutionäre Bewegung der Arbeiter (zum Teil auch der Bauern) einen bürokratischen Apparat, in erster Linie einen militärischen, sodann einen richterlichen usw. Das gibt es bei uns nicht. Die Gerichte sind bei uns Klassengerichte gegen die Bourgeoisie. Die Armee ist bei uns eine Klassenarmee gegen die Bourgeoisie. Der Bürokratismus sitzt nicht in der Armee, sondern in den sie bedienenden Institutionen. Bei uns ist die ökonomische Wurzel des Bürokratismus eine andere: die Zersplitterung, Atomisierung des Kleinproduzenten, seine Armut, die Kulturlosigkeit, die Wegelosigkeit, das Analphabetentum, der fehlende Verkehr zwischen Landwirtschaft und Industrie, das Fehlen von Verbindung und Wechselwirkung zwischen ihnen. In sehr hohem Grade ist das eine Folge des Bürgerkrieges. Als man uns blockierte, von allen Seiten belagerte, von der ganzen Welt und später von dem getreidereichen Süden, von Sibirien, von der Kohle abschnitt, konnten wir die Industrie nicht wiederherstellen. Wir durften vor dem „Kriegskommunismus“ nicht haltmachen, durften vor dem äußersten, verzweifelten Mittel nicht zurückschrecken: wir wollen ein halbes Hungerdasein und noch Schlimmeres als ein halbes Hungerdasein ertragen, aber wir wollen um jeden Preis, trotz des unerhörtesten Ruins und des fehlenden Verkehrs, die Arbeiter- und Bauernmacht behaupten. Und wir ließen uns nicht einschüchtern durch das, wodurch die Sozialrevolutionäre und Menschewiki eingeschüchtert wurden (die faktisch in hohem Maße aus Angst und Einschüchterung der Bourgeoisie folgten). Aber das, was in dem blockierten Lande, in der belagerten Festung die Bedingung des Sieges war, offenbarte seine negative Seite gerade im Frühjahr 1921, als die letzten weißgardistischen Truppen endgültig aus dem Bereich der RSFSR vertrieben worden waren. Man kann und muss in einer belagerten Festung jeglichen Umsatz „sperren“; bei besonderem Heldenmut der Massen lässt sich das drei Jahre lang ertragen. Nachher vergrößerte sich noch die Verelendung des Kleinproduzenten, der Wiederaufbau der Großindustrie verzögerte sich noch mehr, wurde noch weiter hinausgeschoben. Der Bürokratismus als Erbschaft der „Belagerung“, als Überbau der Zersplitterung und Niedergedrücktheit des Kleinproduzenten trat nun voll in Erscheinung.

Man muss imstande sein, das Übel furchtlos einzugestehen, um es desto entschiedener zu bekämpfen, um wieder und wieder einmal von vorne zu beginnen – wir werden noch oft, auf allen Gebieten unseres Aufbaus immer wieder von vorne beginnen müssen, das Unfertige verbessernd, verschiedene Wege aussuchend, um an die Aufgabe heranzugehen. Es ist eine Verzögerung in der Wiederherstellung der Großindustrie eingetreten, die Unhaltbarkeit des „gesperrten“ Verkehrs zwischen Industrie und Landwirtschaft ist zutage getreten – also muss man sich auf das verlegen, was zugänglicher ist: auf den Wiederaufbau der Kleinindustrie. Man muss von dieser Seite helfen, diese Seite des durch Krieg und Blockade halb zerstörten Gebäudes stützen. Man muss auf jegliche Art und um jeden Preis den Umsatz heben, ohne Furcht vor den» Kapitalismus, denn wir haben ihm bei uns (durch die Expropriation der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie in der Wirtschaft, durch die Arbeiter- und Bauernmacht in der Politik) genügend enge, genügend „mäßige“ Grenzen gezogen. Das ist der Grundgedanke der Naturalsteuer, das ist ihre ökonomische Bedeutung.

Sämtliche Partei- und Sowjetfunktionäre müssen alle ihre Anstrengungen, ihre ganze Aufmerksamkeit darauf richten, um eine größere Initiative draußen im Lande – in den Gouvernements, noch mehr in den Kreisen, noch mehr in den Landbezirken – für den wirtschaftlichen Aufbau zu wecken, hervorzurufen gerade vom Standpunkt der sofortigen Hebung der Bauernwirtschaft, sei es auch nur mit „geringen“ Mitteln, in geringem Umfange, der Hilfe für sie durch die Entwicklung der umliegenden Kleinindustrie. Der gesamtstaatliche einheitliche Wirtschaftsplan verlangt, dass gerade das zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Vorsorge, zum Mittelpunkt der „Dringlichkeit“ gemacht werde. Eine gewisse Verbesserung, die hier, in nächster Nähe des „Fundaments“, des breitesten und tiefsten Fundaments erreicht wird, wird es gestatten, in kürzester Zeit zu einem energischeren und erfolgreicheren Wiederaufbau der Großindustrie überzugehen.

Der im Ernährungswesen tätige Funktionär kannte bisher die eine grundlegende Direktive: bringe 100 Prozent der Zwangsumlage auf. Jetzt lautet die Direktive anders: bringe in kürzester Zeit 100 Prozent der Steuer auf, sodann weiter 100 Prozent im Austausch von Erzeugnissen der Groß- oder der Kleinindustrie. Wer 75 Prozent der Steuer und 75 Prozent (von den zweiten 100 Prozent) im Austausch gegen Erzeugnisse der Groß- und der Kleinindustrie aufbringt, wird eine für den Staat nützlichere Arbeit leisten als jener, der 100 Prozent der Steuer und 55 Prozent (von den zweiten 100 Prozent) im Austausch herbeischaffen wird. Die Aufgabe des im Ernährungswesen Tätigen wird komplizierter. Einerseits ist das eine fiskalische Aufgabe: möglichst schnell, möglichst rationell die Steuer eintreiben. Anderseits ist das eine allgemein wirtschaftliche Aufgabe: suche die Genossenschaften so zu lenken, der Kleinindustrie so zu helfen, die Initiative in den einzelnen Orten so zu entwickeln, dass der Umsatz zwischen Landwirtschaft und Industrie gesteigert und gefestigt wird. Das verstehen wir noch sehr, sehr schlecht; der Beweis dafür ist der Bürokratismus. Wir dürfen uns nicht scheuen zuzugeben, dass wir hierbei vom Kapitalisten noch viel lernen können und sollen. Vergleichen wir nach den Gouvernements, Kreisen, Landbezirken und Dörfern die Ergebnisse der praktischen Erfahrung: in dem einen Ort haben die Privatkapitalisten und -kapitalistchen das und das erreicht. Ihr Profit beträgt ungefähr soundso viel. Das ist der Tribut, den wir als „Lehrgeld“ bezahlt haben. Lehrgeld zu zahlen braucht einem nicht leid zu tun, wenn nur vernünftig gelernt wird. In einem benachbarten Ort ist auf genossenschaftlichem Wege das und das erzielt worden. Der Gewinn der Genossenschaften ist soundso groß. In einem dritten Ort ist auf rein staatlichem, rein kommunistischem Wege das und das erzielt worden (dieser dritte Fall wird zur Zeit eine seltene Ausnahme sein).

Die Aufgabe muss darin bestehen, dass jede Gebietswirtschaftszentrale, jede Gouvernementswirtschaftsberatung beim Exekutivkomitee sofort die unverzügliche Organisierung verschiedenartiger Versuche oder Systeme des „Umsatzes“ jener Überschüsse, die nach Entrichtung der Naturalsteuer übrigbleiben, als dringlichste Angelegenheit behandelt. Nach einigen Monaten müssen praktische Resultate vorliegen, um sie zu vergleichen und zu studieren. Am Ort gewonnenes oder herangeschafftes Salz; Petroleum vom Zentrum; holzverarbeitende Hausindustrie; Handwerk, das mit örtlichen Rohstoffen einige, wenn auch nicht sehr wichtige, aber für den Bauern notwendige und nützliche Produkte anfertigt; die „grüne Kohle“ (die Verwertung örtlicher Wasserkräfte von geringer Bedeutung für die Elektrifizierung) und so weiter und dergleichen mehr – alles muss aufgeboten werden, um den Umsatz der Industrie und der Landwirtschaft, koste es, was es wolle, zu beleben. Wer auf diesem Gebiet die größten Resultate erzielen wird, sei es auch auf dem Wege des privatwirtschaftlichen Kapitalismus, sei es sogar ohne die Genossenschaften, ohne direkte Umwandlung dieses Kapitalismus in Staatskapitalismus, der wird dem sozialistischen Aufbau in ganz Russland mehr Nutzen bringen als jener, der auf die Reinheit des Kommunismus „bedacht“ sein, Reglemente, Bestimmungen, Instruktionen für den Staatskapitalismus und die Genossenschaften schreiben, aber praktisch den Umsatz nicht vorwärtsbringen wird.

Das mag paradox erscheinen: der privatwirtschaftliche Kapitalismus in der Rolle eines Helfers des Sozialismus?

Doch ist das keineswegs paradox, sondern eine ökonomisch völlig unbestreitbare Tatsache. Da wir ein kleinbäuerliches Land mit einem besonders zerrütteten Transportwesen vor uns haben, das eben erst aus Krieg und Blockade herauskommt, politisch vom Proletariat geleitet wird, das die Großindustrie und das Transportwesen in seinen Händen hält, so ergibt sich aus diesen Voraussetzungen ganz unvermeidlich: erstens die größte Wichtigkeit des örtlichen Umsatzes im gegebenen Zeitpunkt und zweitens die Möglichkeit, den Sozialismus auf dem Wege über den privatwirtschaftlichen Kapitalismus (vom Staatskapitalismus schon ganz abgesehen) zu fördern.

Weniger Streit um Worte! In dieser Hinsicht sündigen wir immer noch übermäßig viel. Mehr Mannigfaltigkeit in der Praxis und mehr Studium der praktischen Erfahrung. Es gibt Verhältnisse, wo die mustergültige Organisierung der lokalen Arbeit, selbst in allerbescheidensten Ausmaß, für den Staat von größerer Bedeutung ist als manche Zweige der zentralen Staatsarbeit. Und eben gegenwärtig liegen bei uns in Bezug auf die Bauernwirtschaft im allgemeinen und den Austausch der Überschüsse der landwirtschaftlichen Produkte gegen Industrieerzeugnisse im besonderem gerade solche Verhältnisse vor. Eine vorbildliche Arbeit in dieser Hinsicht auch nur in einem Landbezirk ist von größerer allgemein-staatlicher Bedeutung als eine „vorbildliche“ Verbesserung des zentralen Apparates des einen oder anderen Volkskommissariats. Denn der zentrale Apparat hat sich bei uns während der dreieinhalb Jahre bereits so weit herausgebildet, dass er schon eine gewisse schädliche Trägheit erworben hat; wir können ihn nicht wesentlich und schnell verbessern, wir wissen nicht, wie wir das anfangen sollen. Die Hilfe für eine radikalere Verbesserung, für eine neue Zuführung von frischen Kräften, für einen erfolgreichen Kampf gegen den Bürokratismus, für die Überwindung der schädlichen Trägheit muss von der Provinz, von unten, von der mustergültigen Organisierung eines kleinen „Ganzen“ kommen, aber eben eines „Ganzen“, d. h. nicht einer einzelnen Wirtschaft, nicht eines einzelnen Wirtschaftszweiges, nicht eines einzelnen Unternehmens, sondern der Summe aller Wirtschaftsverhältnisse, der Summe des gesamten wirtschaftlichen Umsatzes, sei es auch nur einer kleinen Gegend.

Wer von uns dazu verurteilt ist, bei der Tätigkeit im Zentralapparat zu verbleiben, wird fortfahren, den Apparat zu verbessern und ihn vom Bürokratismus zu säubern, sei es auch in bescheidenem, unmittelbar erreichbarem Ausmaß. Die Hauptunterstützung in dieser Beziehung kommt aber von unten, wird von dort kommen. Unten steht es bei uns im Allgemeinen – soweit ich übersehen kann – besser als im Zentrum; das ist auch verständlich, denn das Übel des Bürokratismus konzentriert sich naturgemäß im Zentrum; Moskau muss da die schlimmste Stadt und überhaupt das schlechteste „Unten“ in der Republik sein. In den unteren Organen sind Abweichungen vom Durchschnitt nach beiden Seiten zu verzeichnen, Abweichungen nach der schlechteren Seite sind seltener als Abweichungen nach der besseren. Die Abweichungen nach der schlechteren Seite sind die Missbräuche der alten Beamten, Gutsbesitzer, Bourgeois und sonstigen Gesindels, das sich den Kommunisten angebiedert hat und sich manchmal abscheuliche Gemeinheiten, Ausschreitungen und Verhöhnungen gegenüber der Bauernschaft zuschulden kommen lässt. Hier ist eine terroristische Säuberung vonnöten: sofortige gerichtliche Aburteilung und unbedingte Erschießung. Mögen die Martow, Tschernow und die ihnen ähnlichen parteilosen Spießer sich an die Brust schlagen und rufen: „Ich danke dir, o Herr, dass ich nicht so bin wie ,sie‘, dass ich den Terror weder anerkannt habe noch anerkenne.“ Diese Narren „erkennen den Terror nicht an“, denn sie haben sich die Rolle von dienstbeflissenen Helfershelfern der Weißgardisten zur Verdummung der Arbeiter und Bauern ausgesucht. Die Sozialrevolutionäre und Menschewiki „erkennen den Terror nicht an“, denn sie üben ihre Rolle aus, die Massen unter der Flagge des „Sozialismus“ d e m weißgardistischen Terror auszuliefern. Das haben die Kerenskiade und die Kornilowiade in Russland, die Koltschakiade in Sibirien, der Menschewismus in Georgien bewiesen; das haben die Helden der II. Internationale und der Internationale „Zweieinhalb“ in Finnland, Ungarn, Österreich, Deutschland, Italien, England usw. bewiesen. Mögen die dienstbeflissenen Helfershelfer des weißgardistischen Terrors sich dafür lobpreisen, dass sie jeglichen Terror ablehnen. Wir jedoch werden die bittere, aber unbestreitbare Wahrheit aussprechen: in Ländern, die eine unerhörte Krise, eine Auflösung der alten Bande, eine Verschärfung des Klassenkampfes nach dem imperialistischen Krieg von 1914-1918 durchmachen – und das ist in allen Ländern der Welt der Fall –, ist es entgegen den Heuchlern und Phrasendreschern nicht möglich, ohne Terror auszukommen. Entweder der weißgardistische, bürgerliche Terror auf amerikanische, englische (Irland), italienische (Faschisten), deutsche, ungarische und sonstige Manier oder der rote, proletarische Terror. Ein Mittelding, ein „Drittes“ gibt es nicht und kann es nicht geben.

Die Abweichungen nach der besseren Seite sind: erfolgreiche Bekämpfung des Bürokratismus, größte Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen der Arbeiter und Bauern, sorgsamste Hebung der Wirtschaft, Steigerung der Produktivität der Arbeit, Entwicklung des örtlichen Umsatzes zwischen Landwirtschaft und Industrie. Diese Abweichungen nach der besseren Seite sind zwar häufiger als die nach der schlechteren, aber dennoch selten. Immerhin sind sie vorhanden. Die Heranbildung neuer, junger, frischer, durch den Bürgerkrieg und die Entbehrungen gestählter kommunistischer Kräfte vollzieht sich überall im Lande. Wir sorgen immer noch lange, lange nicht genug dafür, dass diese Kräfte systematisch und unbeirrt von unten nach oben gerückt werden. Das kann und muss großzügiger und hartnäckiger geschehen. Manche Funktionäre könnte und sollte man von der Arbeit im Zentralapparat auf eine lokale Arbeit versetzen: als Leiter von Kreisen und Landbezirken können sie dort durch mustergültige Organisierung der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit einen gewaltigen Nutzen bringen und eine wichtigere allgemein-staatliche Sache verrichten als in mancher zentralen Funktion. Denn eine mustergültige Organisierung der Arbeit wird eine Pflanzstätte für weitere Funktionäre sein und als Beispiel dienen, das zu übernehmen schon verhältnismäßig nicht so schwierig sein wird. Wir aber vom Zentrum aus können helfen, dass das „Übernehmen“ des mustergültigen Beispiels überall in großem Umfange geschehe und zur Pflicht gemacht werde.

Die Entwicklung des „Umsatzes“ zwischen Landwirtschaft und Industrie auf Grund der Überschüsse nach Entrichtung der Naturalsteuer und auf Grund der Kleinindustrie, hauptsächlich der Hausindustrie, verlangt ihrem Wesen nach eine selbständige, sachkundige, kluge lokale Initiative. Die mustergültige Arbeit im Kreise und im Landbezirk gewinnt daher gegenwärtig, vom allgemein-staatlichen Standpunkt aus, eine ganz außerordentliche Bedeutung. Auf militärischem Gebiet zum Beispiel haben wir während des letzten Krieges gegen Polen uns nicht gescheut, gegen die bürokratische Rangordnung zu verstoßen, wir haben uns nicht gefürchtet, zu „degradieren“, Mitglieder des Revolutionären Kriegsrates der Republik (unter Belassung auf diesem hohen zentralen Posten) auf niedere Posten zu versetzen. Weshalb sollten wir jetzt nicht einige Mitglieder des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, Mitglieder der Kollegien oder andere hochgestellte Genossen mit Arbeit in einem Kreis oder selbst in einem Landbezirk betrauen? Wir sind doch wirklich nicht so weit „bürokratisiert“, dass wir daran „Anstoß“ nehmen sollten. Und es werden sich bei uns Dutzende Funktionäre in den Zentralstellen finden, die gern eine solche Arbeit übernehmen würden. Der wirtschaftliche Aufbau der gesamten Republik würde aber dadurch außerordentlich gewinnen, und die mustergültig geleiteten Landbezirke oder Kreise werden nicht nur eine bedeutende, sondern geradezu eine entscheidende, historische Rolle spielen.

Nebenbei. Als geringfügiger Umstand, der aber dennoch von Bedeutung ist, muss die Notwendigkeit hervorgehoben werden, die prinzipielle Behandlung der Frage der Bekämpfung der Spekulation zu ändern. Den „korrekten“ Handel, der sich der Staatskontrolle nicht entzieht, müssen wir unterstützen; es ist für uns vorteilhaft, wenn wir ihn entwickeln. Eis ist aber unmöglich, die Spekulation vom „korrekten“ Handel zu unterscheiden, wenn man Spekulation im Sinne der politischen Ökonomie auffasst. Freiheit des Handels ist Kapitalismus, Kapitalismus ist Spekulation, – davor die Augen zu schließen, wäre lächerlich.

Also was nun? Soll die Spekulation als straffrei erklärt werden?

Nein. Alle Gesetze über Spekulation müssen überprüft und umgearbeitet werden, wobei jede Unterschlagung und jedes direkte oder indirekte, offene oder versteckte Umgehen der staatlichen Kontrolle, Aufsicht, Erfassung unter Strafe gestellt (und faktisch dreifach strenger als bisher verfolgt) werden muss. Gerade durch eine solche Behandlung der Frage (im Rat der Volkskommissare sind die Arbeiten bereits in Angriff genommen, d. h. der Rat der Volkskommissare hat bereits angeordnet, mit der Arbeit zur Revision der Gesetze über die Spekulation zu beginnen) wird es uns gelingen, die in einem gewissen Maße .unvermeidliche und für uns notwendige Entwicklung des Kapitalismus in das Fahrwasser des Staatskapitalismus zu leiten.

Politische Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Mir bleibt nur noch übrig, wenigstens kurz auf die politische Situation einzugehen, wie sie sich im Zusammenhang mit der oben skizzierten Ökonomie gestaltet und modifiziert hat.

Es wurde bereits gesagt, dass die Grundzüge unserer Wirtschaft 1921 dieselben sind wie 1918. Das Frühjahr 1921 brachte – hauptsächlich infolge der Missernte und des Eingehens von Vieh – eine äußerste Verschärfung in die Lage der Bauernschaft, die infolge des Krieges und der Blockade ohnehin außerordentlich schwer war. Die Folge der Verschärfung waren politische Schwankungen, die überhaupt die „Natur“ des Kleinproduzenten ausmachen. Der krasseste Ausdruck dieser Schwankungen war der Aufruhr in Kronstadt.

Am bezeichnendsten für die Kronstädter Ereignisse waren gerade die Schwankungen des kleinbürgerlichen Elements. Von etwas ganz Ausgeprägtem, Klarem, Bestimmtem ist sehr wenig zu merken. Verschwommene Losungen wie „Freiheit“, „freier Handel“, „Befreiung vom Joch“, „Sowjets ohne Bolschewiki“ oder Neuwahl der Sowjets oder Befreiung von der „Parteidiktatur“ und so weiter und so fort. Sowohl die Menschewiki als auch die Sozialrevolutionäre erklären, die Kronstädter Bewegung sei „ihre“ Bewegung. Viktor Tschernow sendet einen Kurier nach Kronstadt; auf Antrag dieses Kuriers stimmt der Menschewik Walk, einer der Führer in Kronstadt, für die „Konstituante“. Im Nu macht das gesamte Weißgardistentum mit geradezu funkentelegraphischer Schnelligkeit „für Kronstadt“ mobil. Die weißgardistischen Militärfachleute in Kronstadt, eine Reihe von Fachleuten, nicht Koslowski allein, arbeiten den Plan einer Landung in Oranienbaum aus, einen Plan, der die schwankende menschewistisch-sozialrevolutionär-parteilose Masse erschreckt. Mehr als ein halbes Hundert im Auslande erscheinender weißgardistischer russischer Zeitungen entwickeln mit rasender Energie eine Kampagne „für Kronstadt“. Die Großbanken, alle Kräfte des Finanzkapitals veranstalten Sammlungen zur Unterstützung von Kronstadt. Der kluge Führer der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, der Kadett Miljukow, setzt geduldig dem Dummkopf Viktor Tschernow direkt (und den wegen ihrer Verbindung mit Kronstadt im Petrograder Gefängnis sitzenden Menschewiki Dan und Roschkow indirekt) auseinander, dass es keinen Sinn habe, sich mit der Konstituante zu beeilen, dass man sich für die Sowjetmacht aussprechen könne und müsse – nur ohne die Bolschewiki.

Es ist natürlich nicht schwer, klüger zu sein als solche selbstgefällige Narren wie Tschernow, dieser Held der kleinbürgerlichen Phrase, oder wie Martow, der Ritter des „marxistisch“ aufgemachten Spießerreformismus. Nicht darum handelt es sich eigentlich, dass Miljukow als Person klüger ist, sondern darum, dass der Parteiführer der Großbourgeoisie infolge seiner Klassenstellung den Klassenkern der Sache und die politischen Wechselbeziehungen klarer sieht und besser erfasst als die Führer des Kleinbürgertums – die Tschernow und Martow. Denn die Bourgeoisie ist eine wirkliche Klassenmacht, die unter dem Kapitalismus unvermeidlich herrscht, sowohl in der Monarchie als auch in der allerdemokratischsten Republik, und ebenso unvermeidlich auch die Unterstützung der Weltbourgeoisie genießt. Das Kleinbürgertum dagegen, das heißt alle Helden der II. Internationale und der Internationale „Zweieinhalb“, können dem ökonomischen Wesen nach nichts anderes sein als der Ausdruck der klassenmäßigen Ohnmacht – daher die Schwankungen, die Phrasen, die Hilflosigkeit. 1789 konnten noch die Kleinbürger große Revolutionäre sein; 1848 waren sie lächerlich und jämmerlich; 1917 bis 1921 sind sie widerliche Helfershelfer der Reaktion, sind sie ihrer tatsächlichen Rolle nach direkte Lakaien der Reaktion, ganz gleich, ob sie Tschernow und Martow oder Kautsky, MacDonald und so weiter und so fort heißen.

Wenn Martow in seiner Berliner Zeitschrift erklärt, Kronstadt habe nicht nur menschewistische Losungen durchgeführt, sondern auch den Beweis geliefert, dass eine antibolschewistische Bewegung möglich sei, die nicht vollständig den Weißgardisten, den Kapitalisten und Gutsbesitzern diene, so ist dies gerade das Musterbeispiel eines selbstgefälligen kleinbürgerlichen Narziss. Schließen wir einfach die Augen vor der Tatsache, dass alle wirklichen Weißgardisten den Kronstädter Aufständischen zujubelten und durch die Banken Gelder zur Unterstützung von Kronstadt sammelten I Miljukow hat gegenüber den Tschernow und Martow recht, denn er verrät die wirkliche Taktik der wirklichen weißgardistischen Kraft, der Kraft der Kapitalisten und der Gutsbesitzer: wir wollen jeden beliebigen unterstützen, sogar Anarchisten, jede beliebige Sowjetmacht, wenn nur die Bolschewiki gestürzt werden, wenn nur eine Verschiebung der Macht herbeigeführt wird! Ganz gleich, ob nach rechts oder nach links, ob zu den Menschewiki oder zu den Anarchisten, nur eine Verschiebung der Macht weg von den Bolschewiki, das übrige werden „wir“, die Miljukows, „wir“, die Kapitalisten und Gutsbesitzer, schon „selber“ besorgen; die Anarchistlein, die Tschernow und die Martow werden wir schon mit Fußtritten zum Teufel jagen, wie wir es in Sibirien mit Tschernow und Maiski, wie wir es in Ungarn mit den ungarischen Tschernows und Martows, wie wir es in Deutschland mit Kautsky, in Wien mit Friedrich Adler und Co. gemacht haben.

Diese kleinbürgerlichen Narzisse – die Menschewiki, Sozialrevolutionäre und Parteilosen – hat die wirkliche geschäftstüchtige Bourgeoisie in allen Revolutionen Dutzende Mal in allen Ländern zu Hunderten übertölpelt und zum Teufel gejagt. Das ist geschichtlich bewiesen. Das ist durch Tatsachen belegt. Die Narzisse werden schwätzen, die Miljukows und die Weißgardistenbande werden handeln.

Nur eine Verschiebung der Macht von den Bolschewiki weg, ganz gleich, ob ein wenig nach rechts oder ein wenig nach links, alles weitere wird sich finden – darin hat Miljukow vollkommen recht. Das ist eine Klassenwahrheit, die durch die ganze Geschichte der Revolutionen aller Länder, der ganzen jahrhundertelangen Epoche der neueren Geschichte seit dem Mittelalter bestätigt wird. Den zersplitterten Kleinproduzenten, den Bauern vereinigt ökonomisch und politisch entweder die Bourgeoisie (so war es immer unter dem Kapitalismus in allen Ländern, in allen Revolutionen der Neuzeit, und so wird es immer sein unter dem Kapitalismus), oder das Proletariat (so war es in Keimform bei der höchsten Entwicklung einiger der größten Revolutionen in der neuen Geschichte für eine ganz kurze Zeit; so war es in Russland 1917-1921 in einer entwickelteren Form). Von einem „dritten“ Weg, einer „dritten Kraft“ können nur selbstgefällige Narzisse schwatzen und träumen.

Mit größter Mühe, in verzweifeltem Kampf haben die Bolschewiki eine Vorhut des Proletariats geschaffen, die fähig ist zu regieren, haben sie die Diktatur des Proletariats errichtet und behauptet, und das Kräfteverhältnis der Klassen in Russland ist nach der Überprüfung durch die Erfahrung, durch die Praxis der vier Jahre sonnenklar zutage getreten. Die stahlharte und gestählte Avantgarde der einzigen revolutionären Klasse, das kleinbürgerliche schwankende Element, die im Ausland lauernden und von der Weltbourgeoisie unterstützten Miljukows, die Kapitalisten und Gutsbesitzer. Es ist sonnenklar. Jede „Verschiebung der Macht“ werden nur sie und können nur sie ausnutzen.

In der angeführten Broschüre aus dem Jahre 1918 wurde darüber offen gesprochen: der „Hauptfeind“ ist das „kleinbürgerliche Element“.

Entweder werden wir es unserer Kontrolle und Rechnungslegung unterordnen, oder aber es wird unsere Arbeitermacht ebenso unvermeidlich und unabwendbar stürzen, wie die Napoleon und Cavaignac, die eben auf diesem kleinbürgerlichen Boden emporwachsen, die Revolution stürzten. So steht die Frage, nur so stellt sie.“ (Aus der Broschüre vom 5. Mai 1918, siehe weiter oben.)

Unsere Stärke ist die völlige Klarheit und Nüchternheit in der Einschätzung aller vorhandenen Klassengrößen, der russischen sowohl wie der internationalen, und dann die sich daraus ergebende eiserne Energie, Festigkeit, Entschlossenheit und Hingabe im Kampf. Unsere Feinde sind zahlreich, aber sie sind uneinig, oder sie wissen nicht, was sie wollen (wie alle Kleinbürger, alle Martow und Tschernow, alle Parteilosen, alle Anarchisten). Wir dagegen sind einig – direkt untereinander und indirekt mit den Proletariern aller Länder; wir wissen, was wir wollen. Und daher sind wir im Weltmaßstab unbesiegbar, wenngleich dadurch die Möglichkeit einer Niederlage einzelner proletarischer Revolutionen für diese oder jene Zeit durchaus nicht ausgeschlossen ist.

Man bezeichnet das kleinbürgerliche Element nicht umsonst als Elementarkraft, denn es ist tatsächlich etwas höchst Formloses, Unbestimmtes und Unbewusstes. Die Narzisse des Kleinbürgertums glauben, das „allgemeine Wahlrecht“ beseitige die Natur des Kleinproduzenten unter dem Kapitalismus; in Wirklichkeit aber hilft es der Bourgeoisie; es hilft ihr, die zersplitterten Kleinproduzenten mit Hilfe von Kirche, Presse, Lehrerschaft, Polizei, Militarismus, wirtschaftlicher Knechtung in tausenderlei Form sich gefügig zu machen8. Der Ruin, die Not, die Schwierigkeit der Lage rufen Schwankungen hervor: heute sind sie für die Bourgeoisie, morgen für das Proletariat. Nur die gestählte Avantgarde des Proletariats ist fähig, diesen Schwankungen standzuhalten und zu widerstehen.

Die Ereignisse im Frühjahr 1921 haben wieder einmal die Rolle der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki offenbart: sie helfen dem schwankenden kleinbürgerlichen Element, sich von den Bolschewiki abzuwenden und eine „Verschiebung der Macht“ zugunsten der Kapitalisten und Gutsbesitzer zu bewerkstelligen. Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre haben jetzt gelernt, sich in „Parteilose“ umzufärben. Das ist vollkommen erwiesen. Und nur Dummköpfe können jetzt nicht sehen, nicht begreifen, dass wir uns nicht übertölpeln lassen dürfen. Die Parteilosenkonferenzen sind kein Fetisch. Sie sind wertvoll, wenn man sich dadurch der noch unberührten Masse, der außerhalb der Politik stehenden Schichten der werktätigen Millionen nähern kann, sie sind aber schädlich, wenn sie eine Plattform abgeben für die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, die sich in „Parteilose“ umgefärbt haben. Solche Leute helfen dem Aufruhr, helfen der Weißgardistenbande. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, sowohl die offenen als auch die in Parteilose umgefärbten, gehören ins Gefängnis (oder in die im Auslande erscheinenden Zeitschriften, neben den Weißgardisten; wir haben Martow gern nach dem Auslande ziehen lassen), aber nicht auf eine Parteilosenkonferenz. Man kann und muss andere Methoden ausfindig machen, um die Stimmung der Massen zu überprüfen, um sich ihnen zu nähern. Mögen jene, die den Wunsch haben, Parlamentarismus, Konstituante, parteilose Konferenzen zu spielen, ins Ausland gehen. Geht doch zu Martow, bitte sehr, erprobt die Herrlichkeit der „Demokratie“, erkundigt euch bei den Soldaten Wrangels nach dieser Herrlichkeit, bitte schön. Wir haben anderes zu tun, als auf „Konferenzen“ „Opposition“ zu spielen. Wir sind von der Bourgeoisie der ganzen Welt umringt, die auf jeden Augenblick des Schwankens aufpasst, um „ihren Leuten“ zurück zu verhelfen, um die Gutsbesitzer und die Bourgeoisie wieder einzusetzen. Wir werden die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die offenen sowohl wie die in „Parteilose“ umgefärbten, im Gefängnis halten.

Wir werden mit allen Mitteln engere Beziehungen zu der politisch unberührten Masse der Werktätigen anknüpfen, aber keine solchen Mittel anwenden, die den Menschewiki und den Sozialrevolutionären Spielraum gewähren, die Schwankungen freien Lauf gewähren9, die einem Miljukow vorteilhaft sind. Wir werden besonders eifrig Hunderte und Aberhunderte Parteiloser, wirklich Parteiloser aus der Masse, aus den Reihen der Arbeiter und Bauern für die Arbeit in den Sowjetinstitutionen, vor allem für die Wirtschaftsarbeit heranziehen, nicht aber jene, die sich in „Parteilose“ umgefärbt haben, um menschewistische und Sozialrevolutionäre Instruktionen nachzuleiern, die für Miljukow so vorteilhaft sind. Bei uns arbeiten Hunderte und Tausende Parteiloser, davon Dutzende auf höchst wichtigen und verantwortungsvollen Posten. Mehr Kontrolle über ihre Arbeit. Es müssen in verstärktem Maße Tausende und aber Tausende einfacher Werktätiger zu neuer Kontrolle herangezogen werden, sie müssen erprobt, systematisch und unbeirrt zu Hunderten auf höhere Posten gestellt werden, auf Grund der praktischen Überprüfung.

Die Kommunisten bei uns verstehen immer noch wenig ihre wirkliche Regierungsaufgabe: nicht „alles“ „selbst“ zu machen suchen, sich überarbeitend und nicht fertig werdend, zwanzig Sachen in Angriff nehmen und keine zu Ende führen, sondern die Tätigkeit von Dutzenden und Hunderten von Hilfskräften kontrollieren, die Kontrolle ihrer Tätigkeit von unten, d. h. durch die wirkliche Masse, in Gang bringen; die Arbeit leiten und von denen lernen, die über Kenntnisse verfügen (Fachleute) und Erfahrungen in der Organisierung von Großbetrieben besitzen (Kapitalisten). Ein kluger Kommunist fürchtet sich nicht, beim Militärfachmann zu lernen, obgleich neun Zehntel der militärischen Fachleute fähig sind, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Verrat zu üben10. Ein kluger Kommunist wird sich nicht fürchten, vom Kapitalisten zu lernen (gleichgültig, ob es sich um einen Großkapitalisten und Konzessionär, einen Händler und Kommissionär oder einen Kleinkapitalisten und Genossenschafter usw. handelt), obgleich der Kapitalist nicht besser ist als der Militärfachmann. Man hat bei der Roten Armee gelernt, die verräterischen Militärfachleute zu ertappen, die ehrlichen und gewissenhaften auszusondern .und im Großen und Ganzen Tausende und Zehntausende von Militärfachleuten zu verwerten. Wir lernen dasselbe (in eigenartiger Form) mit den Ingenieuren und Lehrern zu tun, obgleich wir das viel schlechter machen als bei der Roten Armee (dort haben Denikin und Koltschak uns gut angespornt und gezwungen, rascher, eifriger und gescheiter zu lernen). Wir werden lernen, das gleiche (wiederum in eigenartiger Form) mit den Kommissionären und Händlern, den Aufkäufern für den Staat, den Kapitalistchen in den Genossenschaften, den Konzessionären und Unternehmern usw. zu tun.

Die Masse der Arbeiter und Bauern braucht eine sofortige Besserung ihrer Lage. Wenn wir neue Kräfte, darunter parteilose Kräfte, zu nützlicher Arbeit heranziehen, wird uns das gelingen. Die Naturalsteuer und eine Reihe mit ihr verbundener Maßnahmen werden dabei behilflich sein. Die ökonomische Wurzel der unvermeidlichen Schwankungen des Kleinproduzenten werden wir dadurch durchschneiden. Die politischen Schwankungen aber, die nur Miljukow von Nutzen sind, werden wir rücksichtslos bekämpfen. Die Zahl der Schwankenden ist groß. Wir sind wenige. Die Schwankenden sind uneinig. Wir sind einig. Die Schwankenden sind ökonomisch unselbständig. Das Proletariat ist ökonomisch selbständig. Die Schwankenden wissen nicht, was sie wollen: sie möchten gern, doch tut’s auch weh, und Miljukow erlaubt es nicht.11 Wir dagegen wissen, was wir wollen.

Und darum werden wir siegen.

Schluss

Fassen wir zusammen.

Die Naturalsteuer bedeutet den Übergang vom Kriegskommunismus zu einem geregelten sozialistischen Produktenaustausch.

Die äußerste Ruinierung, verschärft durch die Missernte von 1920, hat diesen Übergang infolge der Unmöglichkeit, die Großindustrie rasch wieder aufzubauen, zu einer dringlichen Notwendigkeit gemacht.

Hieraus folgt: in erster Linie muss die Lage der Bauern verbessert werden. Das Mittel: die Naturalsteuer, die Entwicklung des Umsatzes zwischen Landwirtschaft und Industrie, die Entwicklung der Kleinindustrie.

Umsatz bedeutet freien Handel, bedeutet Kapitalismus. Er ist uns in dem Maße von Nutzen, in dem er uns helfen wird, die Zersplitterung des Kleinproduzenten und, bis zu einem gewissen Grade, den Bürokratismus zu bekämpfen. Das Maß wird die Praxis, die Erfahrung feststellen. Für die proletarische Macht liegt darin nichts Gefährliches, solange das Proletariat die Macht, das Transportwesen und die Großindustrie fest in Händen hält.

Den Kampf gegen die Spekulation muss man in einen Kampf gegen Unterschlagungen und gegen Umgehung der staatlichen Aufsicht, Rechnungslegung und Kontrolle verwandeln. Durch eine solche Kontrolle leiten wir den in einem gewissen Maße unvermeidlichen und für uns notwendigen Kapitalismus in das Fahrwasser des Staatskapitalismus.

Allseitige Entfachung der Initiative und der Selbständigkeit im Lande in jeder Weise und um jeden Preis zur Anspornung des Umsatzes zwischen Landwirtschaft und Industrie. Studium der praktischen Erfahrungen in dieser Hinsicht. Möglichst große Mannigfaltigkeit.

Hilfe für die Kleinindustrie, die die bäuerliche Landwirtschaft beliefert und ihr hilft, sich zu erholen; Hilfe für sie bis zu einem gewissen Grade auch durch Zuweisung staatlicher Rohstoffe. Das größte Verbrechen ist, Rohstoffe unverarbeitet, zu lassen.

Die Kommunisten brauchen sich nicht zu fürchten, bei den bürgerlichen Fachleuten, darunter auch bei den Händlern, den Kapitalistchen in den Genossenschaften und den Kapitalisten, zu „lernen“. Sie sollen bei ihnen in der Form anders, aber im Wesentlichen ebenso lernen wie sie bei den Militärfachleuten, und mit Erfolg, gelernt haben. Die Ergebnisse der „Lehre“ sollen nur durch praktische Erfahrung kontrolliert werden: mache es besser als die bürgerlichen Fachleute nebenan, setze auf diese und auf jene Weise eine Hebung der Landwirtschaft, eine Hebung der Industrie, eine Entwicklung des Umsatzes zwischen Landwirtschaft und Industrie durch. Knausere nicht mit der Bezahlung von „Lehrgeld“: teures Lehrgeld zu zahlen ist nicht schade, wenn man nur vernünftig lernt.

Man muss der Masse der Werktätigen auf jede Weise helfen, ihr näherkommen, aus ihren Reihen Hunderte und Tausende parteiloser Funktionäre auf wirtschaftliche Posten stellen. Jene „Parteilosen“ dagegen, die in Wirklichkeit nichts anderes als in das Modekostüm Kronstädter Parteilosigkeit verkleidete Menschewiki und Sozialrevolutionäre sind, muss man behutsam im Gefängnis halten oder nach Berlin zu Martow schicken, damit sie frei alle Herrlichkeiten der reinen Demokratie auskosten und mit Tschernow, Miljukow und den georgischen Menschewiki in freien Gedankenaustausch treten können.

21. April 1921

1 In den „Sämtlichen Werken“ eingefügt „in Richtung“ in gesperrter Schrift mit dem redaktionellen Hinweis „Im Text der zitierten Schrift nicht gesperrt.“

2 In der Ausgabe von 1921 heißt es: „konkrete“. Die Red. [Fußnote der „Sämtlichen Werke“, Band 26]

3 In den „Sämtlichen Werken“ sind die drei Worte gesperrt

4 Im Manuskript fehlen die Worte: „privaten, nichtstaatlichen Austauschs, d.h. des Handels, d.h.“. Die Red. [Fußnote der „Sämtlichen Werke“]

5 Nach einem Vers von Puschkin: „Mehr als der Tross gemeiner Wahrheit gilt mir der Trug, der uns erhebt.“ D. Red.

6 Im Manuskript steht: „Jenissejsk“. Die Red.

7 Gemeint ist die Schrift der Staatlichen Kommission zur Elektrifizierung Russlands: „Plan der Elektrifizierung der RSESR. Einleitung zum Bericht der Staatlichen Kommission zur Elektrifizierung Russlands an den VIII. Sowjetkongress.“ Das Buch ist im Dezember 1920 in Moskau erschienen. [Anmerkung 61]

8 In den „Sämtlichen Werken“ ist nur „gefügig“ gesperrt

9 In den „Sämtlichen Werken“ auch gesperrt

10 Diese von Lenin im Frühjahr 1921 geäußerten Worte beziehen sich auf die Militärfachleute aus den Reihen des früheren Offizierskorps der alten Armee. [Anmerkung 62]

11 Nach einem russischen Sprichwort, das ein verliebtes Mädchen sagen lässt: Ich möchte gern, doch tut’s auch weh, und Mütterchen erlaubt es nicht. D. Red.

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